Читать книгу Girga - Waldsterben - Thomas Ladits - Страница 8
Ein Schiff der Unsterblichen
Оглавление„Ihr hattet mich zu Euch gebeten, Herr“, erklärte Kramus seine Anwesenheit im großen Saal von Kastros prunkvoller Burg. Das Gebäude war hoch und hatte einen Turm an jeder der vier Ecken, die Dächer waren mit Zinnen geschützt und die violetten Flaggen der Orks wehten im Wind unter dem schwarzen Banner Kastros.
Kramus’ graugrüne Haut war mit dünnem Schweiß benetzt. Jeder Sterbliche schwitzte vor Angst, wenn er im selben Raum wie Kastro war. Aber Kramus hatte sich gut unter Kontrolle, denn obwohl er innerlich bebte, stand er felsenfest auf dem polierten Steinboden der Burg. An den Wänden hingen Rüstungen und langstielige Äxte, die Kastro einfach nur zur Dekoration aufgehängt hatte. Ein Halbgott wie er brauchte keine Waffen und Rüstungen, doch sie gefielen ihm einfach. In der Mitte des Raumes hing von der Decke ein breiter, runder Kerzenleuchter herab, an dem bereits jede zweite Kerze vollständig heruntergebrannt war. Kastro stand hinter seinem breiten Thron und starrte aus dem Fenster in die Abenddämmerung hinein. Der Himmel verfärbte sich in Selakun um diese Jahreszeit abends immer rot, dann violett und dann wurde er schwarz. Die Wappenfarbe der Orks war dasselbe Violett wie das des abendlichen Himmels.
Kastro antwortete, ohne Kramus anzusehen: „Ich habe eine Aufgabe für Euch. Und eine für Offizier Droom. Ist er im Machtsitz?“
Kramus antwortete kurz und militärisch zackig: „Ja, Herr. Er ist in dieser Stadt.“
Kastro drehte sich langsam um und nickte mit seinem länglichen, schweren Kopf. „Gut. Dann lasst auch nach ihm schicken, sobald ich Euch wieder entlassen habe.“
„Sehr wohl, Herr“, antwortete Kramus. Der Ork hatte viele dunkle Bartstoppeln im Gesicht, seine Hauer ragten zwischen seinen Lippen hervor und waren hellgelb. Kramus’ Ohren waren unter den langen, schwarzen Haaren nicht zu sehen. Die schmalen, schwarzen Augen wirkten aus der Ferne so schmal, als wären sie geschlossen. Ein Zeichen dafür, dass Kramus dem Halbgott bedingungslose Loyalität leistete.
Seit Kastro bei den Orks angekommen war, war eine Art Virus über das Volk von Selakun hereingebrochen. Ihre Haut wurde grau, ihre Augen schmal und schwarz. Dauerkrieg zeichnete die Welt – ein Dauerkrieg mit Menschen und Zwergen. Jedes Jahr landete mindestens einmal eine Streitmacht der Orks im Land der Menschen oder Zwerge. Oder es war umgekehrt. Bisher war noch nicht besonders viel durch diese Kleinangriffe erreicht worden. Es hatte nur viele Tote gegeben, aber sonst war nichts passiert. Keine zerstörten Städte, keine gegründeten Kolonien.
Kastro sah den Orkhäuptling zum ersten Mal, seit er eingetreten war, an. „Dann wollen wir mal zu Eurer Aufgabe übergehen, Kramus. Ich plane einen neuen Angriff. Gegen die Elfen.“
Kramus’ eiserne Miene wich Verwunderung. „Die Elfen? Was kümmern uns die Elfen?“ Kastro kümmerten die Elfen viel, denn sie standen ihm im Weg.
Kastro suchte schon seit er auf der sterblichen Welt war nach Rache. Rache an Abadakon und dem Rest der göttlichen Familie, die ihn verwiesen hatte. Die ihn seiner Gottesmacht beraubt und ihn zu einem Halbgott abgewertet hatten. Und kürzlich war Kastro erst in einer Schriftrolle der Schöpfungsgeschichte auf eine interessante Sache gestoßen. Kastro hatte vor, Skatureor zu befreien und dem Titanen die Lungen des Feuers zurückzubringen, die ihm den Hitzeodem verliehen und Skatureor befähigten, die ganze sterbliche Welt mit nur einem Atemzug in Flammen zu setzen. So hatte es begonnen. Skatureor war auf Girga gewandelt und hatte jede Schöpfung der Götter nur durch ein Atmen vernichtet. Bis Abadakon ihn in die Unterwelt gesperrt hatte. Mit Skatureor und dem Feuer hatte das Leben auf Girga angefangen, und so würde es auch enden. Kastro wusste noch nicht genau wie, aber er würde den Strudel des Skatureor aufsuchen und das Dämonentor passierbar machen, damit Skatureor heraus konnte. Dann würde er die Lungen des Feuers finden, und wenn er die erst hatte, würde das Leben wieder lichterloh verbrennen. Kastro würde den Göttern alles nehmen, was sie geschaffen hatten, und das wäre Genugtuung für ihn.
Das Auslöschen des Lebens schloss natürlich die Orks nicht aus, aber das war Kastro egal. Die Orks waren nur Mittel zum Zweck. Nichts konnte ihn aufhalten, wenn Skatureor erst einmal frei war.
Nichts – außer Benutzer natürlicher Magie. Und es gab nur eine Rasse, die mithilfe natürlicher Magie agieren konnten: die Elfen. Die Elfen und ihre weiten Kenntnisse der Naturmagie standen seinen Plänen im Weg. Naturmagie war etwas, was der Kraft des Lebens selbst entsprungen war. Sie war eine völlig eigene Strömung von Kraft, die sich autonom entwickelt hatte, seit es Leben auf Girga gab, das nicht dämonischen oder göttlichen Ursprungs war. Unbewusst hatten die Elfen durch ihre Lebensweise – ihre Verbundenheit mit Wäldern und Tieren – die Naturmagie erlernt und zu ihrem alltäglichen Begleiter gemacht. Natürliche Magie könnte sogar dazu führen, dass Elfen und jene, die sie verzauberten, gegen die Flammen Skatureors immun wurden.
Doch Kastro wusste noch einiges anderes über die Elfen. Sie waren ein friedliches Volk, das in seinem ganzen Reich nicht eine einzige Waffe hängen hatte. Es würde ein Leichtes werden, sie aus dem Weg zu räumen. Es gab Gerüchte, dass die Elfen sich im Norden von Selakun angesiedelt hatten und dort mehrere Städte und Siedlungen gegründet haben sollen. Wenn das so war, dann musste Kastro dorthin und schon auf Selakun mit der Ausmerzung der Elfen beginnen. Doch es waren nur Gerüchte. Sie auf Wahrheit zu überprüfen, war Kramus’ Aufgabe.
„Ich möchte wissen, ob an den Gerüchten etwas dran ist. Ob die Elfen tatsächlich im Norden meines Landes leben. Und wenn das so ist, dann werde ich dieses Leben beenden müssen.“
Kramus nickte verstehend.
„Kramus!“, fügte Kastro laut hinzu. „Ich möchte, dass Ihr Euch mit einem Trupp Orks in die nördlichen Regionen begebt und herausfindet, ob die Elfen dort tatsächlich Siedlungen haben. Und wenn das der Fall ist, dann sorgt dafür, dass kein Elf die Siedlungen verlässt, bis ich da bin. Ich möchte mich ihrer persönlich annehmen.“
Vorsichtig wand Kramus ein: „Die nördlichen Regionen sind doch nur Wüstenland. Ein naturverbundenes Volk wie die Elfen in der Wüste kann ich mir nicht vorstellen, mein Herr.“
„Glücklicherweise läuft die Welt nicht nach Euren Vorstellungen“, tat Kastro den Einwand ab.
„Die Wüste ist ein gefährlicher Ort, nicht nur wegen des Wassermangels“, fuhr Kramus fort. „Die Untoten …“
„… zerfallen zu Staub, wenn die Sonne auf sie scheint. Ihr werdet Euch doch nicht vor ein paar Klappergeistern fürchten.“
„Nein, Herr.“
„Gut“, sagte Kastro streng. „Ich hätte es auch nicht zur Kenntnis genommen, wenn Eure irdischen Schwächen meine Befehle blockieren. Wegtreten!“
Kramus verbeugte sich schnell und tief, dann drehte er um und eilte aus der Burg. Bevor er die Tür erreicht hatte, rief Kastro: „Und holt mir Droom herein!“ Kramus nahm die Anweisung mit einem knappen „Jawohl!“ entgegen und verschwand. Obwohl er ebenso treu und ergeben war wie jeder andere Ork, besaß Kramus doch ein für einen Ork erstaunliches Maß an Intelligenz und Weitblick. Dies machte ihn zu einem zuverlässigen Mann, aber auch zu jemandem, der häufig Fragen stellte.
Untote. Kastro war es selbst als Halbgott immer noch unerklärlich, wo sie herkommen könnten. Die Orks glaubten, dass Buskul, die Göttin der Angst, die Untoten erschaffen hatte, um die Sterblichen in Panik und Schrecken zu versetzen. Sie beteten zu Buskul und wimmerten um Gnade. Kastro, als ehemaliger Gott, wusste allerdings, dass Buskul nur ein Phantom war. Es gab keine Buskul. Es gab nur Abadakon, Rodalla, Zirto und Balara. Früher war er selbst noch dabei gewesen. Und es wäre ihm am liebsten, gäbe es nur noch ihn selbst. Die Orks verehrten neben der göttlichen Familie auch noch weitere Götter. Buskul, Urozuk, den Gott des Unterganges, Lakra, die Göttin des Feuers, und Urkas, den Gott der Magie. All diese Namen kamen irgendwo in der Göttergeschichte vor, doch Kastro wusste, dass sie nur mächtige Geister, höchstens Halbgötter wie er, waren – und keine Götter.
Ein Ork kam herein. Er war breiter gebaut als Kramus und ein praller Bauch zeugte von guter Ernährung. Die Arme des Orks waren breit und muskulös, er trug einen Lederharnisch, der seine Brust bedeckte, und eine Kettenhose, die bei jedem Schritt metallisch raschelte. Die Hauer des Orks waren nicht so lang wie die des Orkhäuptlings und die Haut war dunkler. Die Augen dieses Orks waren sogar noch schmäler und schwärzer als die Kramus’. Kastro wusste, dass dieser Ork ihm bis zum Letzten dienen würde. Es war Offizier Droom. Der hässlichste, aber auch loyalste und leichtgläubigste Ork, den Kastro jemals gesehen hatte. Vor allem seine geistige Beschränktheit unterschied ihn von Kramus. Sein Gesicht war von Narben und Bisswunden überzogen. Droom hatte einmal gegen einen aufgebrachten Schwarzdrachen gekämpft und der Drache hatte ihm einen krallenbesetzten Fuß ins Gesicht geschlagen. Droom trug deshalb eine Augenklappe, er hatte ein Auge bei diesem Kampf verloren – der Drache sein Leben.
„Ich bin hier, um Euch zu dienen“, begrüßte Droom den Halbgott und fiel vor ihm auf die Knie. Er drückte das Gesicht so weit wie möglich an den Boden.
Kastro gefiel diese wimmernde Unterwürfigkeit irgendwie. „Wäre dem nicht so, dann wärst du jetzt tot“, sagte er kalt und bedeutete Droom, sich zu erheben. Der Ork tat es und sah Kastro erwartungsvoll an.
„Ich brauche Trollgold“, sagte Kastro.
„Trollgold?“, wiederholte Droom. „Ja. Ihr wisst, wo man so etwas findet?“
Droom nickte bestätigend. „In den Stacheln Girgas, auf der östlichen Halbinsel Selakuns. Jenseits unserer Grenzen.“
„Wie schön, dass Ihr so gebildet seid, Droom.“ Der Ork fasste dies nicht als Kompliment auf. Kastro machte keine Komplimente.
„Ich weiß aber auch, dass Trollgold angeblich von einem Monster bewacht werden soll, und dass es sehr schwer sein soll, an die Adern heranzukommen.“
Kastro schüttelte den Kopf. „Warum ihr Sterblichen immer jede Gespenstergeschichte glaubt, die man euch erzählt! Glaubt Ihr wirklich an den Schatzwächter?“
Droom wusste, dass alles andere als „nein“ unangebracht gewesen wäre. Und vielleicht lebensgefährlich.
„Gut“, murrte Kastro gereizt. „Dann will ich hoffen, dass Ihr in der Lage seid, mir dieses Gold zu bringen.“
„Ich werde mein Bestes tun, Herr. Wie viel braucht Ihr?“
„Ein kleiner Krümel reicht für meine Zwecke.“
Droom zog die Augen zu noch schmäleren Schlitzen zusammen. „Ein Krümel? Was kann man schon mit einem Krümel anfangen?“
In Kastros rotem Gesicht spiegelte sich Zorn wieder. Der große Halbgott machte zwei Schritte auf Droom zu und stand direkt vor ihm. Kastro spreizte Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auseinander und schob sie nach vorne, sodass Drooms Kopf dazwischen war. Er drückte leicht zusammen, bis Droom anfing, nach Luft zu schnappen. „Neugier kann sehr gefährlich sein, Droom. Tut einfach nur das, was ich Euch sage. Das ist am Ungefährlichsten.“
Kastro erachtete es als notwendig, seine Untergebenen sofort einzuschüchtern, sollten sie ihn hinterfragen. Würde er Droom erklären, was er beabsichtigte, würden die Orks womöglich gegen Kastro rebellieren, da sein Vorhaben auf sie keine Rücksicht nahm. Daher schürte er stetig Furcht – um Neugier zu unterdrücken.
Nach wenigen Sekunden ließ er Drooms Hals los und der Ork atmete schwer ein. „Ich verstehe, Herr. Ich tue, was Ihr verlangt.“ Noch schneller als zuvor Kramus eilte Droom aus dem Raum.
Trollgold war in den Augen der Orks ein unheimlich wertvolles Metall. Besaß man eine Handvoll davon, war man ein gemachter Mann. Es kam nur in den Stacheln Girgas, auf dem höchsten Berg des Gebirges vor und wurde angeblich vom Schatzwächter bewacht. Der Schatzwächter sollte eine Mischung aus Wolf, Schlange und Adler sein, doch Kastro glaubte nicht an Geschichten über Mischlinge aus verschiedenen Tieren. Auf Selakun lebten neben den Orks auch noch die Gnolle als umherziehendes Volk von Auftragsmördern oder Söldnern. Gnolle waren Mischungen aus Hyänen und Menschen, doch Kastro betrachtete sie einfach als Ausnahmefall.
Das Trollgold hatte für ihn aber eine ganz andere Bedeutung als für die Orks. Er wusste nämlich, wie die Wächter, Skatureors Gefängnisaufseher, damals ihr Schiff beim Strudel des Skatureor halten konnten, ohne in seinen mächtigen Sog zu geraten und unterzugehen. Die Schiffe der Wächter schwebten. Sie hatten alle einen Kristall an Bord, der leuchtete und vibrierte und auf dem ein Zauber lag. Dieser Zauber war es, der die Schiffe schweben ließ. Die Art von Kristall war unheimlich wertvoll gewesen und auf Girga auch sonst nirgendwo mehr gefunden worden. Die Wächter hatten diesen Kristall mit ins Grab genommen. Doch es hing nicht vom Stoff selbst, sondern vom Wert des Stoffes ab. Und wenn es noch eine Sache gab, die so wertvoll war wie dieser Kristall, dann war es Trollgold. Kastro würde das Gold verzaubern, sobald er es hatte. Er war dabei gewesen, als Abadakon die Schwebekristalle der Wächter verzaubert hatte. Kastro kannte den Schwebezauber. Er würde das Gold verzaubern und dann auf ein Schiff bringen. Mit diesem Schiff würde er zum Strudel des Skatureor fahren und das Portal irgendwie öffnen. Dann würde er ihm die Lungen des Feuers bringen und die Herrschaft der Sterblichen würde vorüber, das Leben erloschen sein.
Aber erst dann, wenn es keine Gefahr mehr für Skatureor gab. Es gab nur eine Macht, die Skatureor schaden konnte: die Natur. Und somit die Elfen. Die Elfen mussten weg.