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Vor der Halle herrschte das reinste Chaos. In Tränen aufgelöste Fans von Joe Sanderson redeten wild gestikulierend auf Polizei- und Sicherheitskräfte ein. Sie hätten schließlich ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihrem Idol passiert war. Nur sehr langsam bahnten sich Guddi und Peer den Weg durch die aufgebrachte Menge. Als Guddi den Motor ausschaltete, polterten einige weibliche Fans mit den Fäusten auf die Motorhaube. Dabei blickten sie derartig entrückt, dass Peer und Guddi sich in einer Szene von Ein Zombie hing am Glockenseil wähnten.

„Meine Fresse, gleich knallt’s! Finger weg von der Karre!“ Peer war außer sich. Guddi musste ihn zurückhalten, er wäre sonst sicherlich ausgestiegen und hätte sich einen antiken Faustkampf mit diesen wild gewordenen Furien geliefert. „So sehr scheinst du dich dann doch nicht geändert zu haben“, bemerkte Guddi süffisant. „Lass uns jetzt ganz ruhig aussteigen und diese Hyänen einfach ignorieren, ja? Da drin wartet Arbeit auf uns und wir werden bei diesem Mord nicht so viel Zeit bekommen wie bei einem ,herkömmlichen‘.“ „Was meinst du damit, dass ich mich doch nicht geändert habe? Ach scheiß drauf, hast recht. Langsam wird mir allerdings klar, warum Joe Sanderson so einen gewaltigen Erfolg hatte!“ Guddis Gesicht verwandelte sich in Sekundenschnelle. Mit zusammengekniffenen Augen und emporgerecktem Kinn drehte sie sich zu Peer und spuckte ihm ein „Ich höre“ entgegen. „Och bitte! Im Ernst? Du etwa auch?“ Peer wandelte am Ohrfeigenbaum, das stand außer Frage. Dass seine Partnerin, die sonst eine so toughe, mit messerscharfem Verstand ausgestattete Frau war, ausgerechnet auf den Weichspülpop einer Joe Sanderson stehen sollte, war ihm nicht nur vollends entgangen, er hätte es vermutlich auch ignoriert, hätte er davon gewusst. „Okay, sorry, ich wollte dich nicht verletzen. Guddi, seit wann …?“ „Schon immer. Wirklich. Sie ist meine Heldin, seit den ersten Tagen bei Crusade. Dass du und andere Kollegen sie die irische Variante von Helene Fischer titulieren, geht mir definitiv gegen den Strich, das kannst du mir glauben. Aber lassen wir das jetzt. Wir müssen ermitteln. Wenn wir das Schwein erwischen, das das hier getan hat, werde ich ihn höchstpersönlich verhören.“ „Woher willst du wissen, dass es ein Mann war?“ Guddi sah Peer mit einem geringschätzigen Blick an. „Eine Frau würde so etwas nie tun. Nie! Joe Sanderson hat mit ihren Texten so vielen Frauen aus der Seele gesprochen. Sie war das Sinnbild der modernen, starken Selfmade-Frau. Ich meine, sie hat sich von all der unsachlichen Kritik nach der Trennung von Crusade nie beirren lassen. Sie hat selber nie schlecht über ihre alte Band geredet, im Gegenteil! Versteh mich nicht falsch: Sie war und ist sicher keine Heilige. Aber ihr Beitrag für die moderne Popmusik ist immens und wird vermutlich erst in ein paar Jahren wirklich gewürdigt werden!“

Peer Modrich war selten sprachlos. Jetzt war der Moment gekommen. Offenbar kannte er seine Kollegin nicht so gut, wie er gedacht hatte. Für Guddi war mit dem Mord an Joe Sanderson eine Welt zusammengebrochen. Ab sofort musste er sich mit beißenden Kommentaren über Joe Sanderson, aber auch über andere Bands und Künstler definitiv zurückhalten, wenn er sich weiterhin auf die bedingungslose Zuverlässigkeit von Gudrun Faltermeyer verlassen wollte. Klingt unprofessionell, war es auch. Joe Sanderson war in ihrer Trivialität kaum zu toppen. Und singen konnte sie auch nicht wirklich. ‚Schluss jetzt‘, dachte Peer. Diese talentfreie Person war sein nächster Fall geworden. Der Mord an ihr war niederträchtig, der Täter hatte die Öffentlichkeit gesucht und dabei weitere Opfer riskiert. Nicht auszudenken, wenn eine noch größere Panik ausgebrochen wäre. Insofern war die Ermittlung des Täters oder der Täterin nun etwas, in das sich Peer mit akribischer Wucht stürzen würde, dabei musste er seine Abneigung gegen das Opfer beiseiteschieben.

Blutgeschwister

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