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2. Doppelstaater, Mehrstaater
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a) Doppel- oder Mehrstaater sind Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsrecht zweier oder mehrerer Staaten deren Staatsangehörigkeit gleichzeitig in dem für die Anknüpfung maßgeblichen Zeitpunkt besitzen.
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Ursachen mehrfacher Staatsangehörigkeit ergeben sich aus der Überschneidung verschiedener staatsangehörigkeitsrechtlicher Anknüpfungsmerkmale. Häufigste Ursache ist die mehrfache Staatsangehörigkeit von Geburt, die ihre Ursache in unterschiedlichen Prinzipien der Heimatländer der Eltern und des Geburtslandes, aber auch in verschiedener Staatsangehörigkeit der Eltern haben kann.
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Man kann die Staatsangehörigkeitsrechte der Welt trotz vieler Facetten in zwei Gruppen unterteilen. Eine Gruppe folgt dem Prinzip, dass die Staatsangehörigkeit iure sanguinis (lat. nach dem Recht des Blutes) vermittelt wird, die andere Gruppe lässt die Staatsangehörigkeit iure soli (lat. nach dem Recht des Bodens) übergehen. Im ersten Prinzip erwirbt man die Staatsangehörigkeit durch Geburt von einem Elternteil, der diese Staatsangehörigkeit besitzt, im zweiten Prinzip durch Geburt im jeweiligen Staat.
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Während die meisten Staaten Kontinentaleuropas dem ius sanguinis folgen, sind reine ius soli-Staaten selten. Rechtspolitisch eignet sich das ius soli-Prinzip vorwiegend für Einwanderungsstaaten, denn es fördert die schnelle staatsangehörigkeitsrechtliche Integration der ersten im Lande geborenen Einwanderergeneration. Selbst ursprünglich reine Einwanderungsstaaten haben aber mit zunehmender Konsolidierung ihrer Bevölkerungsstruktur das ius soli mit Elementen des ius sanguinis vermischt und stehen Auswüchsen des ius soli zunehmend skeptisch gegenüber.
Die US-citizenship wird grundsätzlich erworben durch Geburt in den USA. Gleichzeitig kann die US-citizenship aber auch erworben werden durch Geburt im Ausland, sofern ein Elternteil US-Staatsangehöriger ist und selbst eine bestimmte Zeit noch in den USA gelebt hat – also allenfalls der ersten Auswanderergeneration angehört. Ein reines ius soli-Prinzip wäre fatal, da zB Kinder, die eine mit einem US-Amerikaner verheiratete US-Amerikanerin während eines kurzen Auslandsaufenthaltes zur Welt bringt, häufig staatenlos, nie aber US-Angehörige wären. Der negative Teil des ius soli-Prinzips (keine US-Staatsangehörigkeit bei Geburt im Ausland) wurde nie konsequent dogmatisch verwirklicht. Andererseits gerät auch der positive Teil des ius soli-Prinzips (US-Staatsangehörigkeit bei Geburt in den USA) zunehmend in die Kritik; Arizona, California und New Mexico klagen über die Belastung durch Sozialhilfeansprüche von Kindern mexikanischer Eltern, deren Mütter oft illegal kurz vor Geburt des Kindes in die USA kommen, dort einen US-Staatsangehörigen zur Welt bringen und damit die Behörden vor das Dilemma stellen, einen kleinen Amerikaner zu einer Jugend im Kinderheim zu verurteilen oder den Eltern ein Bleiberecht zu gewähren.
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Kommen durch die beiden Eltern zwei verschiedene Staatsangehörigkeiten des ius sanguinis-Prinzips mit einem am Geburtsort bestimmenden ius soli zusammen, so kann ein Kind von Geburt an drei verschiedene Staatsangehörigkeiten besitzen.
Ein österreichischer Student und eine deutsche Studentin, die sich für ein Jahr in den USA aufhalten, haben ein gemeinsames Kind, das kurz vor Rückkehr nach Europa in New York geboren wird; das Kind ist Deutscher, Österreicher und US-Amerikaner.
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b) Mehrfache Staatsangehörigkeit ist kollisionsrechtlich problematisch, soweit eine Kollisionsnorm an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Jedoch ist es aus Sicht eines Staates kollisionsrechtlich nicht vermeidbar, dass das Staatsangehörigkeitsrecht mehrerer Staaten einem Anknüpfungssubjekt die jeweilige Staatsangehörigkeit verleiht. Das IPR als nationales Recht kann nicht in das Staatsangehörigkeitsrecht anderer Staaten eingreifen. Insbesondere kann auch nicht das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht die doppelte Staatsangehörigkeit iure sanguinis dadurch vermeiden, dass es den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nur vermittelt, wenn beide Elternteile Deutsche sind (weil das Kind sonst häufig staatenlos würde). Der früher in Europa verbreitete Vorrang der Staatsangehörigkeit des Vaters verstieße gegen Art. 3 Abs. 2 GG, auch wenn er Doppelstaatigkeit reduziert.[18]
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Auf völkerrechtlichem Weg wird allerdings versucht, die Mehrstaatigkeit und ihre über das IPR hinausreichenden unerwünschten Folgen zu regeln. Das von Deutschland zum 22.12.2002 gekündigte Europäische Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern v. 6.5.1963[19] begrenzt einerseits den Erwerb doppelter Staatsangehörigkeiten durch Einbürgerung auf Antrag (Art. 1) und ermöglicht andererseits die Beseitigung mehrfacher Staatsangehörigkeit durch Verzicht (Art. 2). Das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit v. 6.11.1997[20] regelt in Art. 14 die Fälle, in denen Vertragsstaaten Mehrstaatigkeit hinnehmen müssen (Erwerb durch Geburt oder Eheschließung), verlangt im Übrigen aber von den Vertragsstaaten die Duldung von Mehrstaatigkeit bei (auch) eigenen Staatsangehörigen nur, wenn Aufgabe oder Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit unmöglich oder unzumutbar sind (Art. 15, 16). Art. 21 vermeidet insbesondere Konflikte, die sich hinsichtlich der Wehrpflicht aus Mehrstaatigkeit ergeben.
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c) Ist die Staatsangehörigkeit Anknüpfungskriterium, so kann jedoch das IPR nicht mehrere Rechtsordnungen als berufen ansehen. Es muss zwischen den verfügbaren Staatsangehörigkeiten entscheiden oder zu einem anderen Anknüpfungskriterium greifen. Das deutsche IPR geht für Doppel- und Mehrstaater in Art. 5 Abs. 1 den ersten Weg. Art. 5 unterscheidet danach, ob ein Mehrstaater nur ausländische Staatsangehörigkeiten besitzt, oder ob er auch Deutscher ist.
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aa) Besitzt das Anknüpfungssubjekt mehrere ausländische Staatsangehörigkeiten, nicht aber die deutsche, so erhält die sog effektive Staatsangehörigkeit den Vorrang (Art. 5 Abs. 1 S. 1); maßgeblich ist die Staatsangehörigkeit, mit der die Person am engsten verbunden ist. Indiziert ist dabei die engste Verbindung zu demjenigen unter den Heimatstaaten, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; diese Staatsangehörigkeit ist regelmäßig – aber nicht zwingend – die effektive. Da der Grundsatz der effektiven Staatsangehörigkeit nur dem Zweck dient, unter mehreren Staatsangehörigkeiten die kollisionsrechtlich relevante zu finden, führt dies natürlich nur zu einem Ergebnis, wenn die Person in einem ihrer Heimatstaaten gewöhnlichen Aufenthalt hat. Im Übrigen ist auf den Verlauf ihres Lebens abzustellen; hierzu sind die Umstände des einzelnen Falles und damit zahlreiche Faktoren abzuwägen, zB frühere Aufenthalte, familiäre und berufliche Beziehungen, sprachliche und kulturelle Bindungen und staatsbürgerliche Engagements (Ausübung von Wahlrecht und Wehrpflicht). Fraglich ist die Bedeutung eigener Erklärungen des Anknüpfungssubjekts, insbesondere die Anrufung von Gerichten eines Heimatstaates. Beides kann jedenfalls nicht ohne weitere – objektive – Gesichtspunkte zur Bestimmung einer effektiven Staatsangehörigkeit führen.
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Hat ein Kind von seiner österreichischen Mutter und seinem italienischen Vater die österreichische und die italienische Staatsangehörigkeit erworben und lebt mit seinen Eltern in Deutschland, so kann sich die Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit bereits als sehr schwierig erweisen; berufliche Bindungen bestehen nicht, die familiären Bindungen weisen gleichermaßen zu beiden Eltern, kulturelle und sprachliche Bezüge werden allenfalls relevant, wenn der Vater italienisch-sprachig ist. Selbst dann aber erscheint es bei Zugehörigkeit beider Heimatstaaten zur EU eher sonderbar, wenn man aus der Gemeinsamkeit der Sprache zwischen Deutschland und einem Heimatstaat und dem deutschsprachigen Aufwachsen des Kindes ein starkes Argument für die Effektivität der österreichischen Staatsangehörigkeit konstruieren wollte. Hat das Kind auch noch in beiden Heimatstaaten Großeltern, die nur gelegentlich besucht werden, so fällt die Wahl zwischen zwei Heimatstaaten, zu denen jeweils weit weniger Beziehungen bestehen als zu Deutschland als Aufenthaltsstaat, sehr schwer.
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bb) Ist das Anknüpfungssubjekt Deutscher und Angehöriger eines oder mehrerer ausländischer Staaten, so geht die deutsche Staatsangehörigkeit vor (Art. 5 Abs. 1 S. 2); auf die effektive Staatsangehörigkeit kommt es nicht an.[21] Der Gesetzgeber des Jahres 1986 hat diesen Vorrang insbesondere auf Drängen aus der Praxis hin aufgenommen; die Regelung führt vermehrt zur Anwendung deutschen Rechts und erscheint daher auf den ersten Blick praktikabel, weil sie die häufig unsichere Bestimmung der effektiven Staatsangehörigkeit ebenso vermeidet wie die Ermittlung des Inhalts einer fremden Rechtsordnung. Die Regelung ist jedoch weder interessengerecht noch fördert sie den internationalen Entscheidungseinklang. Hat sich ein deutsch-ausländischer Mehrstaater in seinem ausländischen Heimatstaat effektiv integriert, so geht sein vermutetes kollisionsrechtliches Interesse nicht mehr auf die Anwendung deutschen Rechts. Einen anderen Willen könnten – und müssten wegen des öffentlich-rechtlichen Schutzcharakters der Staatsangehörigkeit – deutsche Gerichte auch ohne die starre Vorrangregelung berücksichtigen. International führt die Regelung zu Disharmonie, vor allem, wenn beide Heimatstaaten in derselben Weise verfahren.
Hat A von Geburt die italienische und die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und wurde ihm – ohne Verlust der beiden bestehenden Staatsangehörigkeiten – zum Zweck der Berufung als Professor an eine österreichische Hochschule die österreichische Staatsangehörigkeit verliehen, so werden bei seinem Tod sämtliche drei Heimatstaaten das eigene Recht als Erbstatut anwenden.
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Eine zum Teil vorgeschlagene teleologische Reduktion, wonach die Norm dann nicht angewendet werden soll, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit sich als „vollkommen ineffektiv“ erweist, würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen.
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Im europarechtlichen und völkervertraglichen IPR ist jedoch Art. 5 Abs. 1 S. 2 nicht anzuwenden; der Grundsatz der gleichmäßigen Auslegung erfordert es hier, dass jeder Mitglied- oder Vertragsstaat auf die Bevorzugung seiner Staatsangehörigkeit verzichtet und die effektive Staatsangehörigkeit bzw jede Staatsangehörigkeit auch bei inländischen Mehrstaatern als maßgeblich ansieht.
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Anders wird man für die Beachtung der deutschen Staatsangehörigkeit als Grundlage einer (völkervertraglichen) internationalen Zuständigkeit (zB § 98 Abs. 1 Nr 1 FamFG) entscheiden müssen; hier geht es um den Rechtsgewährungsanspruch, den Deutschland seinen Staatsangehörigen auch dann schuldet, wenn sie neben der deutschen auch eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen.[22] Soweit europarechtliche Zuständigkeitsbestimmungen auf die Staatsangehörigkeit abstellen (zB Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa-VO) ist ohnehin jede Staatsangehörigkeit gleich zu werten und daher jede von mehreren Staatsangehörigkeiten genügend.[23] Im Gegensatz zum IPR bedarf es im Zuständigkeitsrecht nicht der Eindeutigkeit, so dass sich bei Doppelstaatern ggf konkurrierende Zuständigkeiten ergeben.
Leben Ehegatten, die beide die deutsche und die französische Staatsangehörigkeit besitzen, in Paris, so sind sowohl die deutschen als auch die französischen Gerichte nach Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa-VO international zuständig; die Aufenthaltszuständigkeit französischer Gerichte (Art. 3 Abs. 1 lit. a Str. 1 Brüssel IIa-VO) bleibt davon unberührt.
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cc) Art. 5 Abs. 1 S. 2 spricht von der „Rechtsstellung“ als Deutscher. Die Bestimmung gilt daher nicht nur für Personen, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Eine Rechtsstellung als Deutscher ergibt sich auch aus Art. 116 Abs. 1 GG; dieser Personenkreis ist gemäß Art. 9 Abs. 2 Nr 5 FamRÄndG v. 11.8.1961[24] kollisionsrechtlich den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt.
Volksdeutsche aus Osteuropa erlangen nach Art. 116 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 2 Nr 5 FamRÄndG mit Aufnahme in der Bundesrepublik ein deutsches Personalstatut. Besitzt der Betroffene in diesem Zeitpunkt noch die Staatsangehörigkeit des Herkunftsstaates, so geht das deutsche Personalstatut vor.
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Art. 5 Abs. 1 S. 2 war hingegen nicht anzuwenden, wenn vor dem 3.10.1990 ein Statut zu bestimmen war und das Anknüpfungssubjekt Deutscher mit DDR-Staatsbürgerschaft war; da aus Sicht des Kollisionsrechts der Bundesrepublik eine DDR-Staatsbürgerschaft nicht existierte, waren solche Personen nicht als Doppelstaater, sondern als Deutsche zu behandeln; das innerdeutsche Anknüpfungskriterium war für solche Fälle der gewöhnliche Aufenthalt. Diese Rechtslage zeichnen Art. 230 ff, für das IPR Art. 236, heute nach.
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Ist der „DDR-Staatsbürger“ E 1989 mit gewöhnlichem Aufenthalt in Dresden verstorben, so war aus bundesdeutscher Sicht sein Erbstatut deutsches Recht (Art. 25 Abs. 1 aF); innerdeutsch war jedoch wegen des letzten gewöhnlichen Aufenthalts in Dresden das Erbrecht des ZGB der DDR anzuwenden. Wird für diesen Fall heute ein Erbschein benötigt, so ist allerdings schon das maßgebliche Kollisionsrecht interlokal zu bestimmen; wegen des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes in Dresden kommt das dort geltende Kollisionsrecht, intertemporal (Art. 236 § 1) das vor dem 3.10.1990 geltende Kollisionsrecht der DDR zur Anwendung. Dieses beruft (§ 25 Abs. 1 RAG) das deutsche Heimatrecht des Erblassers; maßgeblich ist nach Art. 235 § 1 das ZGB der DDR.
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d) Ausnahmsweise ist für Mehrstaater nicht Art. 5 Abs. 1 anzuwenden, sondern auch auf eine ggf nicht-deutsche und/oder nicht-effektive Staatsangehörigkeit abzustellen, wenn dies in der Verweisungsnorm so bestimmt ist. Meistens handelt es sich um Fälle, in denen den Beteiligten eine Rechtswahlbefugnis in familienrechtlichen Statuten eingeräumt ist.
Art. 14 Abs. 2 erlaubt eine Rechtswahl im Ehewirkungsrecht zugunsten eines beliebigen Heimatrechts, Art. 10 Abs. 2 eine Wahl des Ehenamensstatuts nach einem beliebigen Heimatrecht.