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2. Parteiautonomie, Rechtswahl

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a) Der Parteiwille als Anknüpfungskriterium bedeutet Zulassung der Wahl des anzuwendenden Rechts. Die Freiheit zur Rechtswahl (Parteiautonomie) ist zu unterscheiden von der Freiheit, innerhalb des anzuwendenden Rechts bestimmte Rechtsfolgen autonom herbeizuführen (Privatautonomie). Zwar wird häufig ein Rechtsgebiet, innerhalb dessen die Privatautonomie nur geringe Einschränkungen erfährt, auch der Parteiautonomie eher zugänglich sein als Gebiete mit überwiegend zwingenden materiellen Regelungen. Jedoch besteht kein Gleichklang der Interessen. Parteiautonomie wird in jeder Rechtsordnung durch einzelne zwingende Normen begrenzt. Wo das anwendbare Recht gewählt werden kann, besteht dagegen generell das Risiko, dass sogar diese zwingenden Normen einer Rechtsordnung umgangen werden, indem man die Rechtsordnung insgesamt abwählt. Parteiautonomie wird daher – soweit überhaupt zugelassen – im IPR mit zwei Methoden begrenzt: Entweder wird sie nur in bestimmten sachbezogenen Fällen zugelassen oder das IPR gewährt sie umfassend, setzt aber Bestimmungen, die den Ausschluss zwingender Normen eines „eigentlich“ sachnahen Rechts verhindern, indem sie solche Normen gegen das gewählte Recht durchsetzen.

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So besteht etwa im materiellen Ehegüterrecht in zahlreichen Rechtsordnungen Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Güterrechtsmodellen; dennoch sehen nur sehr wenige Kollisionsrechte (zB § 19 österreichisches IPRG) eine vollständig freie Wahl des Ehegüterstatuts vor; Art. 15 Abs. 2 wählt die erste Methode der Einschränkung und erlaubt die Rechtswahl nur zugunsten bestimmter als sachnah angesehener Rechtsordnungen, wobei hier der Gedanke der Selbstintegration in einer Güterrechtsordnung prägend ist. Sehr eng sieht auch Art. 22 EU-ErbVO eine Rechtswahl des Erblassers nur zu einem Heimatrecht vor, was einerseits eine Korrektur der Aufenthaltsanknüpfung erlaubt, andererseits Gestaltungsmissbrauch (Noterben, Pflichtteilsberechtigte) verhindern soll. Soweit die Rechtswahl zulässig ist, bestimmt sich anschließend der Umfang der Privatautonomie ausschließlich nach dem gewählten Recht: Wählt ein Deutscher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Texas sein Heimatrecht als Erbstatut, so unterstellt er sich damit auch der Beschränkung seiner Testierfreiheit durch das Pflichtteilsrecht.

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b) Der klassische Anwendungsbereich der Parteiautonomie ist das Schuldvertragsrecht. In diesem Bereich ist Parteiautonomie das vorrangige Anknüpfungskriterium (Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO).

Im IPR der Schuldverträge ist Parteiautonomie die Regel. Die Rom I-VO setzt aber, wie schon das EVÜ, gegen eine Rechtswahl in bestimmten Fällen (Art. 3 Abs. 3, Art. 6 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO) die zwingenden oder eine bestimmte schwächere Vertragspartei schützenden, die Privatautonomie begrenzenden unabdingbaren Bestimmungen des Rechts durch, das ohne Rechtswahl anwendbar wäre. Soweit deutsches Verbraucherschutzrecht auf Richtlinien beruht, die eine kollisionsrechtliche Absicherung vorsehen, erfolgt die Durchsetzung zusätzlich zu Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch aufgrund Art. 46b. Darüber hinaus werden Eingriffsnormen (zwingende Vorschriften zum Schutz eines öffentlichen Interesses) nach Art. 9 Rom I-VO gegen ein gewähltes aber auch gegen gesetzlich angeknüpftes Schuldstatut durchgesetzt.

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c) In anderen Rechtsgebieten ist die Parteiautonomie seit der IPR-Reform 1986 im Vordringen, tritt jedoch immer neben eine willensunabhängige objektive Grundsatzanknüpfung. Dann ist zu unterscheiden, ob die Rechtswahl nur in bestimmten Fällen erlaubt ist oder ob sie immer zulässig ist, ggf aber nur bestimmte Rechtsordnungen wählbar sind.

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Ob eine Rechtsordnung Rechtswahl als Grundsatz oder als Ausnahme neben einer gesetzlichen Anknüpfung formuliert, offenbart allerdings mehr die rechtspolitische Zielsetzung und ist im Ergebnis meist einerlei; soweit Rechtswahl nämlich erlaubt wird, verdrängt sie notwendigerweise das nach objektiven Kriterien bestimmte Recht. ZB normiert das schweizerische IPR – weil es die Ehegatten zur Wahl auffordern will – die Wahl des Ehegüterstatuts als Grundsatz (Art. 52 Abs. 1 schweizIPRG), erlaubt aber dennoch nur die Wahl bestimmter Rechtsordnungen (Art. 52 Abs. 2 schweizIPRG). Art. 15 Abs. 1 normiert zwar das Ehegüterstatut grundsätzlich objektiv, Art. 15 Abs. 2 erlaubt aber die Rechtswahl umfassend und lässt sogar einen größeren Kreis von Rechtsordnungen zur Wahl zu als das schweizerische Recht. Dagegen erlaubt Art. 14 Abs. 2 und 3 eine Wahl des Ehewirkungsstatuts nur in bestimmten Konstellationen und begrenzt den Kreis der wählbaren Rechtsordnungen.

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Rechtswahl ist im deutschen IPR zulässig im Namensrecht (Art. 10 Abs. 2 und 3; in bestimmten Konstellationen und nur bestimmte Rechtsordnungen wählbar), im Ehewirkungsrecht (Art. 14 Abs. 2 und 3; in bestimmten Konstellationen und nur bestimmte Rechtsordnungen wählbar), bis zum Inkrafttreten der Rom III-VO auch im Scheidungsstatut (Art. 17 Abs. 1 aF iVm Art. 14 Abs. 2, 3, zur Rom III-VO Rn 296), im Ehegüterrecht (Art. 15 Abs. 2; immer, jedoch nur bestimmte Rechtsordnungen wählbar) und bis zum Inkrafttreten der EU-ErbVO eng begrenzt im Erbrecht (Art. 25 Abs. 2 aF; nur deutsches Recht für inländische Immobilien wählbar).

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Die EU-rechtlichen Kollisionsnormen im Familien- und Erbkollisionsrecht setzen verstärkt, jedoch in deutlich unterschiedlichem Maß, auf Rechtswahl: Art. 5 Rom III-VO (VO EU Nr 2010/1259) erweitert die Wahlmöglichkeiten des Scheidungsstatuts deutlich gegenüber Art. 17 aF, Art. 22 EU-ErbVO (VO EU 2012/650) erlaubt für das Erbstatut nur die Heimatrechtswahl und damit eine Rückoption zum Staatsangehörigkeitsprinzip, Art. 22 der noch nicht anzuwendenden EU-EheGüterVO (VO EU 2016/1103) und EU-ELPGüterVO (VO EU 2016/1104) sind in der Bandbreite wählbarer Rechte Art. 15 Abs. 2 EGBGB ähnlich. Wahlfreiheit wird ausdrücklich als Kompensation der durch den Übergang zum Aufenthaltsprinzip (dazu Rn 274) verursachten Vorhersehbarkeitsrisiken verstanden. Wenig bedacht wird hierbei, dass Rechtswahl im IPR nur dann ihrer Funktion gerecht wird, wenn ein Bewusstsein der Wahlmöglichkeit in beteiligten Verkehrskreisen besteht; dieses Bewusstsein kann in Fragen des Personalstatuts nicht vorausgesetzt werden, so dass allenfalls juristisch beratene Beteiligte hieraus Nutzen ziehen. Ein Problembewusstsein Betroffener dürfte eher im Ehegüter- und Erbstatut als im Scheidungsstatut zu erwarten sein.

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Im deutschen außervertraglichen Schuldrecht (dem auch neben der Rom II-VO ein sachlicher Anwendungsbereich verbleibt) wirkt sich die Rechtswahl mittelbar für die bereicherungsrechtliche Leistungskondiktion aus, weil diese an das Vertragsstatut anknüpft (Art. 38 Abs. 1). Das Deliktsstatut kann (nach der Tat – Art. 42 – aber auch vorher, zB für Delikte, die sich anlässlich einer Sonderbeziehung ereignen können – Art. 41 Abs. 2 Nr 1) gewählt werden.

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Die sachlich weitgehend für das außervertragliche Schuldrecht ab dem 11.1.2009 als loi uniforme anwendbare Rom II-VO (VO EG Nr 864/2007) knüpft ebenfalls die Leistungskondiktion an das (ggf gewählte) Vertragsstatut an (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO). Dasselbe gilt für das Deliktsstatut, wenn das Delikt in enger Verbindung zu einem Vertrag steht (Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO). Überdies ist für alle außervertraglichen Schuldverhältnisse eine nachträgliche freie Rechtswahl und zwischen Unternehmern auch eine vorherige freie Rechtswahl vorgesehen (Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO; zu Einschränkungen Abs. 2, 3, dazu Rn 1412 ff).

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