Читать книгу halbtote schmetterlinge - Thomas Schadler - Страница 10
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Seine heutige Beziehungssituation war komplex, wie er zu sagen pflegte. Nach genügend Alkoholkonsum und unter Freunden benutzte er Begriffe wie verschissen, ausweglos, zum Kotzen und beschämend, um zu beschreiben, wie es ihm dabei ging.
Mehrere Frauen waren involviert.
Da war die langjährige Beziehung mit Sabine, mit der Ambühl auch Kinder hatte. Das Familiending, das neben der Arbeit seinen Alltag, den Kontostand, die Ferienpläne, das tägliche Morgenritual und die meisten Abende bestimmte. Dazu gehörten die gewichtigen Schwieger- und Großeltern, Tanten, Onkel und, je länger, desto mehr, zusätzliche Nichten, Neffen, Cousinen und Cousins. Sie besaßen, seit sie sesshaft geworden waren, ein Haus mit großer Hypothek und kleinem Garten, dazu einen geleasten Familienwagen.
Lange schlafen, essen und trinken, Ausflüge und Besuche bei Freunden dominierten die Wochenenden. Unter der Woche ging es neben der Arbeit vor allem darum, dass der Tagesablauf für alle gut funktionierte. Organisieren, planen, kochen, einkaufen, plaudern, Hausaufgaben machen und sich über die Erlebnisse des Tages austauschen. Dazwischen die Kinder zum Musik- und Tanzunterricht chauffieren, mit ihnen am Frauenpilatesabend zu lange fernsehen und dafür gescholten werden und ab und zu an einem Abend selbst mit Freunden weggehen. Das alles waren keine exklusiven Aktivitäten. Sie hätten genauso gut mit und neben einem anderen Partner stattfinden können. Nur der immer weniger werdende Sex war vordergründig exklusiv.
Ambühl dachte, es ginge vielleicht darum, Exklusivität im nichtsexuellen Bereich einer Liebesbeziehung zu finden. Vieles gemeinsam zu erleben, was man mit einem anderen Menschen nicht einmal im Entferntesten tun könnte. Eindrücke und Empfindungen unterschiedlichster Art in einer geheimnisvoll verbindenden Weise aufzunehmen und ähnlich zu interpretieren. Dann aber würde die Liebe vielleicht auch transzendenter werden und bräuchte keine Exklusivität mehr, sie könnte sich sogar auf andere Menschen und die ganze Welt erstrecken. Doch für die Umsetzung solcher Gedanken gab es keinen Raum. Dafür gab es Bettina und Emilia und seit einiger Zeit auch noch Theresa.
Bettina und Emilia liebte er nicht, traf sie aber abwechselnd immer wieder zu gefälligem Sex. Mit Bettina lief das schon über zehn Jahre so. Sie war verheiratet mit fünf Kindern und verspürte nicht die geringste Absicht, ihre Familie zu verlassen. Doch sie insistierte ab und an darauf, dass es ihr nicht nur um Sex ginge, sondern darum, dass sich zwischen ihnen auch eine echte Beziehung einer anderen Art entwickelt hätte. Das hätte sie zusammen mit ihrem Therapeuten so erarbeitet. Ambühl sah das zwar nicht so, musste aber bisweilen eine beziehungsartige Gesprächsstunde investieren, um mit ihr ins Bett zu kommen.
Bei Emilia war das einfacher. Er war eigentlich gar nicht ihr Typ, denn sie stand offiziell auf Frauen. Das war in ihren Kreisen politisch so angesagt und verhalf ihr dort zu Respekt und Anerkennung. Trotzdem musste sie sich selbst ab und zu beweisen, dass sie auch Männer verführen konnte und es auch mit diesen körperlich noch funktionierte. Das behauptete sie zumindest, doch Ambühl interessierte es nicht. Er eignete sich für die ihm zugedachte Rolle dank seines einfühlsamen Charakters und der zugesicherten Verschwiegenheit, und er genoss die unbeschwerten Liebesabenteuer.
Er redete sich ein, dass es ihm die Art und Umstände der beiden Nebenbeziehungen erlaubten, sich trotz des offensichtlichen Betrugs als halbwegs anständig zu betrachten. Bei Theresa war das anders. Er hatte sie im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung kennengelernt und war von ihrer leichtfüßigen Ernsthaftigkeit und burschikosen Erscheinung fasziniert. Sie hatte ihm schnell klargemacht, dass es für sie keine Versteckspiele gab. Jede Beziehung, in jeglicher Form, war für Theresa eine bewusst gelebte Entscheidung, die sie vor niemandem verbergen wollte. Sie passte damit nicht in Ambühls Welt, das war ihm sofort klar. In seinem sorgfältig konstruierten und verdeckten Lebensgefüge gab es keinen Platz für eine wie sie. Theresa war das todsichere Sprengmittel für die fein austarierte Balance der Verlogenheit. Trotzdem oder gerade deswegen fand er es besonders reizvoll, sich auf Theresa einzulassen.
Insgesamt stand er in einer „windigen Ecke“, wie er die Situation gegenüber seinen besten Freunden beschrieb.