Читать книгу halbtote schmetterlinge - Thomas Schadler - Страница 11
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Ambühl saß im „Parlamento degli Angeli“, einem italienischen Restaurant, und wartete auf seine Tochter, die nebenan in der Yogaschule trainierte. Bei Fischsuppe und einem Glas Primitivo schweiften seine Gedanken ab zu Theresa und der Liebesgeschichte, die gerade begonnen hatte.
Theresa war Kulturwissenschaftlerin und arbeitete für eine Stiftung, die sich der Aufarbeitung der Zeit des deutschen Kolonialismus widmete. Ambühl war fasziniert von ihrer Kompetenz und Begeisterung für die Aufgabe. Es war nicht nur eine historische Betrachtung, mit der sich die Stiftung beschäftigte. Aktuell stand ein sehr politisches Thema zur Diskussion, nämlich die Frage, wie man mit den verbliebenen Symbolen des Kolonialismus umgehen sollte: sie stehen lassen, einordnen und erklären oder entfernen, abreißen und vernichten – oder gar wiedergutmachen? Die Thematik wies Parallelen auf zu seiner eigenen Situation und den großen Veränderungen, die gerade auf ihn zukamen. Was tun mit dem Verbliebenen der persönlichen Vergangenheit? Theresa neigte dazu, auch private und persönliche Probleme sehr strukturiert anzugehen. Sie analysierte den jeweiligen Sachverhalt eher nüchtern, dachte verschiedene Lösungsmöglichkeiten durch und entschied sich dann für den Weg, den sie gehen wollte. Dennoch blieb auch viel Raum für Emotionen, und Ambühl hatte nicht selten den Eindruck, sie schützte sich einfach mit all ihrer intellektuellen Gewandtheit, um die eigenen Unsicherheiten zu verbergen und nicht verletzt zu werden.
Es überraschte ihn nicht, dass es ihn so hart getroffen hatte. Erstens war sie eine schöne, faszinierende und belebende Frau und zweitens hatte es in den letzten Jahren nicht viele wirklich leidenschaftliche Höhepunkte in seinem Leben gegeben. Zu sehr war dieses Leben vom erfolgreichen Funktionieren als fleißiges und effizientes Team bei der gemeinsamen Bewältigung des Alltags geprägt. Es war klar, dass eine mächtige Liebesgeschichte wie eine Bombe einschlagen würde, denn Ambühl nahm sich dank Theresa selbst wieder ganz neu wahr – unbeschwert, stark, sinnlich und voller Daseinslust. Er suchte nach Erklärungen und benutzte diese kläglich, um seine Beziehung zu Sabine noch kritischer zu betrachten als zuvor, nur um dann die Situation mit ihr abschließend als ausweglos zu bewerten. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, funktionierte dieses Gedankengebilde nicht, weder im Kopf noch in seinem Herzen.
Letzten Endes ging es um die Frage seiner Bereitschaft, alles über Bord zu werfen und das Leben erneut als ein fragiles Kontinuum zu akzeptieren. Ein Kontinuum, das stets neue Wendungen und Überraschungen mit sich bringen würde, ohne eindeutige Ziele, ohne einen Anfang und ein Ende zu haben.
Also weiter im Spiel? Oder mit viel Gepäck zurück auf Feld eins?
Es war nicht der Wechsel der Frau, der ihn glücklich machen würde, sondern das Ablegen der Normen und Konventionen, die sein Leben bisher, oberflächlich betrachtet, recht erfolgreich gemacht hatten. Es würde jetzt sowieso ein wilder Ritt werden, sagte sich Ambühl, selbst wenn er sich dazu entschloss, alles zu stoppen, um in sein altes Leben zurückzukehren. Dieses alte Leben existierte seit der ersten Begegnung mit Theresa ohnehin nicht mehr.