Читать книгу Mein ist der Schmerz - Thomas Strehl - Страница 12
Kapitel 10
ОглавлениеJil Schwarz stand vor dem Spiegel. Sie neigte ihren Kopf, spielte mit ihren langen rotbraunen Haaren und rückte ihr 75 DD Dekolleté zurecht.
Heute Abend würde sie ihn bekommen, das stand für sie fest. Stefan König war ihr nächstes »Opfer«. Er würde keine Chance haben. Genauso wenig wie die anderen vor ihm. Sie lachte ihr Spiegelbild an.
Viele Frauen beneideten sie um ihre Figur, um ihr Lolitagesicht, ihre üppige Oberweite und ihre Ausstrahlung.
Jil wusste, dass sie mit ihren 31 Jahren verdammt gut aussah. Ihre Strategie, wenn es überhaupt eine gab, ging immer auf. Sie nahm sich einfach, wen sie wollte. Mit ihrem Egoismus übertrieb sie es manchmal und brachte so die eine oder andere Freundin zur Weißglut. Doch Jil war es egal. Sollten sich die anderen Mädels doch mit den ganzen Losern abgeben. Sie schnappte sich immer das Alphatier und heute sollte es Stefan König sein.
Sie waren sich auf einer Party in der Gladbacher Altstadt begegnet. Nach kurzem Zögern seinerseits, welches sie, angesichts ihrer Reize, schon für eine reife Leistung hielt, hatte er ihr seine Adresse gegeben. Natürlich war ihr klar, wen sie dort vor sich hatte. Der Musikproduzent war schon eine echte Nummer, aber wer sollte ihr schon widerstehen können?
»Zeit für einen Überraschungsbesuch!«, sprach sie mit der Frau im Spiegel, drehte sich um und verließ das Haus.
Ihr Golf Cabriolet fuhr problemlos durch seine Einfahrt.
Komisch!, dachte sich Jil. Normalerweise ist doch das Haus eines Promis bestimmt viel besser gesichert.
Kurz vor dem Haus hielt sie an, öffnete die Fahrertür und ließ ihre langen Beine langsam aus dem Auto gleiten, so dass es aussah als würden ihre High Heels auf den Boden schweben.
Vielleicht stand er ja am Fenster und beobachtete, wer dort urplötzlich, mitten in der Nacht, bei ihm auftauchte.
Die Haustür stand einen Spalt offen.
Jil war etwas mulmig zumute. Hatte er sie schon von Weitem kommen sehen? Aber er kannte doch ihr Auto gar nicht.
Etwas schüchtern rief sie durch den Spalt ein leises »Hallo«.
Nichts!
»Hallo?«, hauchte Jil noch einmal.
Wenn das hier ein Scherz war, dann verstand sie definitiv keinen Spaß.
Sie drückte leicht gegen die Tür, so dass diese ein wenig weiter aufschwang.
Augenblicklich knallte irgendwo in der Wohnung etwas auf den Boden. Jil schrie. Sie lief zu ihrem Auto, nestelte ihr Handy aus dem Handschuhfach und rief in ihrer aufkommenden Panik den Notruf.
Die Wanderratten hatten tagelang nichts mehr gefressen. Von den einst zehn ihrer Gattung lebten nur noch sechs. Trotz ihres ausgeprägtem Sozialverhaltens und der gleichen Rudelzugehörigkeit hatten sie damit begonnen, sich gegenseitig zu fressen.
Sie waren eingesperrt. Die Wand um sie herum war zu robust, selbst für ihre starken Zähne. Ihr Tod schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Doch dann öffnete sich eine Klappe. Endlich: Ein Loch, ein Durchgang in die Freiheit. Sie begannen zu rennen, schnell zu rennen. Den vermeintlichen Ausgang vor Augen rasten sie wie von Sinnen in diese Richtung. Egal was ihnen nun noch im Weg stand, sie würden sich durch alles durchfressen. Nichts konnte sie halten!
Es war stockfinster. Stefan dröhnte der Schädel. Er wusste weder wo er war, noch war ihm so richtig klar, was passiert war. Irgendein Nachbar oder so ähnlich war auf ihn zugekommen und…wo war er überhaupt?
Er versuchte sich zu orientieren.
Ihm fiel auf, dass er sich kaum bewegen konnte. Nach besten Kräften versuchte er, sich zu drehen und sich aufzusetzen, alles vergebens. Immer stieß er auf einen Widerstand.
Seine Müdigkeit verflog und machte einer unbeschreiblichen Angst Platz.
Panisch versuchte er, wenigstens seine Beine auszustrecken. Zu seiner Überraschung gelang es.
Ansonsten aber blieb er fast bewegungslos. Er war eingesperrt, umgeben von Finsternis. Sofort überfielen ihn Horrorvisionen. Hatte man ihn lebendig begraben?
Stefan König reflektierte noch einmal die vorangegangene Zeit. Dann fiel es ihm wieder ein.
Klar der Typ mit dem Zauselbart und eine… Er schnappte entsetzt nach Luft. Eine Spritze, verdammt!
Was hatte der Kerl denn vor?
»Hilfe!«, begann Stefan zu schreien. »Hilfe verdammt, helft mir hier raus!«
Er begann, hysterisch zu werden. Die stickige Luft, seine gedämpfte Stimme und die unerträgliche Ungewissheit machten ihn wahnsinnig. Hunderte von Gedanken schossen ihm auf einmal durch den Kopf und seine Schreie wurden immer lauter. Er musste hier raus. Schweiß rann ihm über die Stirn. Er hatte das Gefühl zu ersticken.
»Hilfe, Hilfe!«, immer wieder flehte er die Dunkelheit an, bettelte um Licht, um Luft, um Erlösung aus diesem Albtraum, doch sie blieb stur.
Wimmernd ergab er sich vorerst dem, was da mit ihm geschehen war. Vielleicht sammelte er auch nur Kraft für einen nächsten Schrei.
Dann plötzlich hörte er ein Klappern. Er musste eingeschlafen sein. Das Geräusch kam aus der Richtung in der seine Füße ein wenig Bewegungsfreiheit hatten.
»Hallo, Hilfe! Ich bin hier. Ist da jemand?«
Statt einer Antwort hörte er ein immer lauter werdendes Fiepen, spürte eine Berührung wie von kleinen pelzigen Körpern an seinen Füßen.
»Um Gottes Willen!«, entfuhr es Stefan König als ihm klar wurde, was da gerade Angriff auf seine Zehen nahm.
Etwas kitzelte an seinem linken Fuß, dann: Ein Biss durch die Socke in die Ferse.
Wie wild begann er wieder zu schreien. Sich windend versuchte er auszuweichen, doch die Enge ließ ihm keine Chance. Bisse in seine Zehen, die Fußballen und Fußknochen verursachten unbeschreibliche Schmerzen. Das Fiepsen wurde immer grauenvoller und lauter. Scharfe Zähne gruben sich in seine Unterschenkel und fraßen sich von dort aus weiter.
RATTEN!
Stefan König litt unvorstellbare Qualen. Kurz, ehe die verdammten Viecher seine Leistengegend erreichten, meinte er plötzlich etwas wahrzunehmen: Ein Licht, das Öffnen einer Klappe. Die Hoffnung stirbt zuletzt, schoss es ihm durch den Kopf, bevor ihm Schmerz und Grauen eine gnädige Ohnmacht schenkten.