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Kapitel 7

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Mit gemischten Gefühlen ging Dagmar Keller in Richtung Institut für Rechtsmedizin.

Einerseits war sie gespannt, was der Rechtsmediziner Bernd Ahmendt bei der Obduktion von Karsten Altgott herausgefunden hatte, andererseits machte sie sich Sorgen um ihren jungen Kollegen Gotthard.

Die forensische Analyse war nichts Besonderes. Aber direkt am Opfer und bei diesem heftigen Fall war es selbst für sie, eine erfahrene Polizistin, nicht einfach sich die Ausführung anzuschauen.

»Dagmar, grüße dich! Wie geht es dir?"

Bernd Ahmendt war ein großer, hagerer Mann. Wegen seines sonnengebräunten Gesichts und des vollen dunklen Haars war sein Alter schwer zu schätzen. Auch Dagmar Keller, die den Rechtsmediziner nun schon seit vielen Jahren kannte, wusste nicht genau, wie alt ihr Gegenüber war.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie nie die Zeit gehabt hatten, darüber zu sprechen. Bisher war es immer nur um ihre Fälle gegangen, nie um etwas Privates.

Attraktiv hatte sie ihn immer schon gefunden. Warum hatte sie nur nie die Initiative ergriffen, um ihn einmal näher kennen zu lernen?

Sie schüttelte den Kopf, drehte sich zu ihrem Kollegen um und versuchte wieder klare Gedanken zu fassen.

»Hallo Bernd, mir geht es soweit ganz gut. Danke, dass du fragst. Das ist mein Mitarbeiter Aloysius Gotthard.«

Ahmendt streckte dem jungen Polizisten freundlich die Hand entgegen.

»Darf ich vorstellen, Bernd Ahmendt, Facharzt für Rechtsmedizin und der George Clooney unserer gesamten rheinischen Forensik«, flirtete Dagmar Keller.

»Na, na, wir wollen hier mal nicht übertreiben«, erwiderte Bernd Ahmendt mit einem breiten Grinsen, wohl wissend, wie er auf Frauen wirkte und gerade heute offensichtlich auf Dagmar Keller.

Al war der Typ sofort unsympathisch, was weniger daran lag, dass er nicht freundlich war, sondern eher damit zu tun hatte, dass solche Kerle immer bei Frauen ankamen: Erfolgreich im Beruf, augenscheinlich immer das blühende Leben und das Ganze gepaart mit einem grenzenlosen Optimismus.

Der junge Polizist ertappte sich dabei, dem Mediziner mit einem Vorurteil zu begegnen.

»Tja, dann wollen wir mal. Mein Team steht schon bereit. Ist das Ihre erste Obduktion, Herr Gotthart?«, fragte der Mediziner, während die Drei zügig auf eine weiße Tür mit einem großen Guckloch zusteuerten.

»Nein, nein«, antwortete Gotthart mit einem verlegenen Lachen.

»Ich habe schon ein paar von diesen Untersuchungen hinter mich gebracht.«

Kurz vor der Tür blieb Ahmendt stehen und drehte sich um.

»So etwas noch nicht, mein junger Freund, so etwas noch nicht«, wiederholte er. »Etwas Derartiges habe selbst ich noch nie gesehen«.

Mit diesen Worten des hageren Mannes durchschritten sie die Türe und sahen ein Team von drei Leuten in weißen Kitteln, bewaffnet mit etlichen Werkzeugen, um einen Seziertisch stehen. Freundlich nickten sie den Ankommenden zu, wobei einer durch ein Kopfnicken in die entsprechende Richtung andeutete, dass sich die Polizisten auch mit weißen Kitteln bekleiden sollten, die in einer Ecke fein säuberlich auf einem Stuhl bereit lagen.

Auf dem Seziertisch lag Karsten Altgott oder vielmehr das, was von Karsten Altgott noch erkennbar war.

Bambus hatte sich aus seinem Körper herausgewunden. Man hatte ihn so gelassen, wie er in der Laube gefunden worden war. Offensichtlich hatte die oxygene Photosynthese durch die Lichtzufuhr ganze Arbeit geleistet. Der Bambus zog seine Nahrung wohl aus dem letzten Blut des Opfers, was dem ganzen Schauspiel einen noch gruseligeren Touch verlieh.

Selbst aus dem Brustkorb des Toten ragten inzwischen einige kleine Äste empor.

Bernd Ahmendt ließ sich eine Säge geben und begann augenblicklich damit in die Schädeldecke zu sägen.

Al wurde ein wenig schwarz vor Augen. Der junge Polizist taumelte gegen die Wand, dann wurde es auf einmal ganz dunkel.

Als er wieder aufwachte, befand er sich auf einer Liege in einem Untersuchungsraum. Ihm war eiskalt, obwohl man ihm eine Decke über den Körper gelegt hatte.

»Mist!«, flüsterte er, als er merkte, was passiert war und warum er hier lag. Im Nebenraum hörte er die vertraute Stimme von Dagmar Keller.

Wackelig auf den Beinen versuchte er einige Schritte in Richtung der Stimmen zu gehen. Es gelang. Lediglich diese verdammte Kälte machte ihm zu schaffen.

Er öffnete die Türe und sah den Gerichtsmediziner und die Kriminalhauptkommissarin.

»Ahh, der junge Kommissar«, bemerkte Ahmendt mit einem süffisanten Lächeln.

»Wie geht es Ihnen, wir haben uns schon Sorgen gemacht.«

»Danke, ich habe mich, glaube ich, wieder erholt. Entschuldigung, so etwas ist mir noch nie passiert«, sagte Al.

Sein Blick fiel auf Dagmar Keller, die peinlich berührt in ihre Kaffeetasse starrte.

Ahmendt tätschelte Als Schultern.

»Das kann jedem passieren. Ich habe hier schon Kerle, die wie Bäume aussahen, umkippen sehen. Sie sind weiß Gott kein Einzelfall. Hier braucht Ihnen nichts leid zu tun.«

Die Worte von Bernd Ahmendt klangen ehrlich und ungekünstelt. Vielleicht waren meine Vorurteile doch falsch, dachte Al. Er räusperte sich.

»Also ich denke, dass Karsten Altgott an multiplem Organversagen gestorben ist«, warf Gotthart ein, um überhaupt irgendetwas Sinnvolles zu sagen, ohne zu wissen, dass dies schon der nächste Fauxpas war.

Dagmar Keller rieb sich mit ihren Fingern die Schläfen, so als hätte sie auf einmal wahnsinnige Kopfschmerzen.

»Ähem…«, zögerte Ahmendt. Man merkte ihm an, dass er den Polizisten nicht bloßstellen wollte.

»Nun ja, im Prinzip haben sie Recht. Eigentlich ist jeder Tod im Endeffekt ein Versagen der Organe. Ich bin halt nur nicht befugt, das so auf den Totenschein zu schreiben. Man erwartet schon eine Kausalitätsprüfung. Spinnen wir die Sache mal etwas weiter…«

Al merkte wie der Arzt langsam mit seiner Ausführung in Fahrt kam. Dagmar Keller, die etwas abseits stand und immer noch ihren Kaffee schlürfte, hing an seinen Lippen.

»Ich habe mir den Polizeibericht sehr genau durchgelesen und wenn Gott uns Menschen erschaffen hat, dann hat ihn bei unserem Mörder wohl der Teufel vertreten.

Das Opfer wurde gefesselt. Auf einem Holzstuhl mit einem Loch. Durch dieses Loch wurde der Spross der Pflanze von unten getränkt und wuchs in den Anus des Mannes. Stellen Sie sich den Anfang wie eine Hämorrhoidenbehandlung vor, wie eine etwas schlimmere Hämorrhoidenbehandlung ehrlich gesagt, eher ähnlich wie eine Gummiringligatur, wobei die Krampfader mit einer Schlinge versehen und abgequetscht wird. Sehr unangenehm sage ich Ihnen. Von dort gelangte der Bambus logischerweise in den Enddarm beziehungsweise Mastdarm, den er perforiert haben muss, was allerdings nicht zum Tod geführt hat. Ich denke, er hat die ganze Tortur circa drei bis fünf Tage durchleiden müssen. Da der Bambus nicht nur durch das Innere des Darms gewachsen ist, sondern gestreut hat, werden auch die ersten Dünndarmschlingen betroffen gewesen sein. Die Schmerzen sind dann nicht mehr auszuhalten und man fällt in eine Art Ohnmacht. Irgendwann gibt dann das Gehirn wieder das Signal, hier stimmt was nicht, und man wacht unwillkürlich wieder auf.

Spätestens durch den Austritt von Darmflüssigkeit in den Blutkreislauf wird es zu einer massiven Bauchfellentzündung gekommen sein. Doch auch dies war nicht die Todesursache. Der Mann musste sich übergeben. Da sein Mund zugeklebt und nur ein kleines Loch in der Folie war, ist er schließlich an seinem Erbrochenem erstickt.«

Al pustete erst einmal durch. Auch Dagmar Keller atmete hörbar aus, wobei sie sich immer noch krampfhaft an ihrer Kaffeetasse festhielt.

»Nicht, dass Sie mir jetzt jede Woche einen solchen Wahnsinn hier anschleppen«, sagte Ahmendt, gefolgt von einem lauten herzhaftem Lachen.

»Der erste Fall war ja auch nicht ohne. Dieser…dieser…«, er kam ins Stocken.

»Mark Peters«, half ihm Dagmar Keller.

»Genau, Mark Peters. Eigentlich ein ähnlicher Fall. Zwar ist die Ausführung eine völlig andere, aber die Brutalität und der Umstand, dass der Mörder in beiden Fällen nicht selbst letzte Hand angelegt hat, lassen denselben Täter vermuten.«

Seine Ausführungen bestätigten, was Keller ohnehin annahm. Es musste sich um einen Einzeltäter handeln.

Ein Einzeltäter der irre, aber nicht dumm war. Im ersten Fall hatten sämtliche Spuren nichts ergeben außer Latexspuren an der Jute. Ungewöhnlich war immer noch die Vorgehensweise. Dieser Mörder oder vielleicht sogar diese Mörderin ließ morden.

Sie betrachtete den gut aussehenden Arzt nachdenklich. Er hatte seine Sache gut gemacht und seine Erklärungen klangen schlüssig. Jetzt lag es an ihr und vielleicht auch zu einem geringen Teil an Al, diesen Fall weiter in die richtige Richtung zu führen.

Die Polizisten verabschiedeten sich von Bernd Ahmendt und das Küsschen auf die Wange von Dagmar Keller wurde zu einem schmatzenden Knutscher. Dagmar lachte, drehte sich, während die beiden in Richtung Ausgang gingen, noch einmal um und zwinkerte Ahmendt zu.

Ihr nächster Besuch galt den Profilern.

Von Quincy zu Criminal Minds, dachte Dagmar Keller.

Ihr Blick ging zu Aloysius Gotthart, der sich heute nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte.

Mein ist der Schmerz

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