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ACHT CHARAKTERISTISCHE MOLEKÜLGRUPPEN PLUS EINS
ОглавлениеDie große Zahl der Duftmoleküle, die in jedem einzelnen Gemüse und dazu noch in mannigfaltigen Kombinationen vorliegen, erscheint auf den ersten Blick vollkommen unübersichtlich. Sie lässt sich aber aus der Sicht der Chemie – mit kulinarischem Bezug – in acht Gruppen plus eine Gruppe, Geruchs- und Strukturfamilien, einordnen. Jede dieser Gruppen von Duftstoffen zeichnet sich einerseits durch ähnlich chemische Strukturen und andererseits durch einigermaßen abgrenzbare olfaktorische Eigenschaften aus, d. h., man kann aufgrund der Gruppenzugehörigkeit schon erahnen, wie ein Aromastoff oder ein Gemüse, das diesen enthält, wohl duften wird.
Eine genauere Kenntnis der Duftstoffe erweist sich in vielen Fällen als nützlich. So eröffnen sich über die Prinzipien des Food-Pairings und des Food-Completings ( Seite 99) ganz neue und außergewöhnliche Kombinationen, wie sie bisher, je nach Kulturkreis, kaum eingesetzt werden. Tatsächlich erlaubt das Zusammenwirken kleiner Moleküle große Effekte auf den Tellern.
Acht Gruppen beinhalten Duftstoffe – sie werden hier thematisiert. Die neunte Gruppe beinhaltet Stoffe, die für einen Schärfereiz oder einen anderen trigeminalen Effekt verantwortlich sind. Als Eselsbrücke dient die Nummer der Gruppe: Je höher sie ist, desto weniger flüchtig ist ein Duft, desto „schwerer“, „tiefer würzig“ riecht er und desto hitzebeständiger ist er. Ein Überblick über alle Aromagruppen findet sich auf Seite 16, hier im Folgenden werden sie im Detail vorgestellt.
GRUPPE 1: ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE, FRUCHTESTER – WACHSIG, GRÜN, PILZIG, FRUCHTIG
HEXANAL grün, blattartig, grasig, fettig, gemüseartig, apfelartig, leicht holzig
1-OCTEN-3-ON pilzig, erdig, roher Champignon, moderig, herbal, hähnchenhautartig
ETHYLBUTANOAT fruchtig, fruchtsaftartig, ananasartig, süßlich, apfelartig, eingemachtes Obst
Aliphatische (kettenförmige) Kohlenwasserstoffe bestimmen eine ganze Reihe von Grundaromen bei Lebensmitteln, Gemüse und Gewürzen. Sie sind meist von linearer Struktur und es sind häufig Fettabkömmlinge, etwa kurzkettige Fettsäuren und deren Aldehyde, Ester oder Alkohole.
Die Komplexität der Aromachemie ist bereits an den „grünen Blattduftstoffen“ zu erkennen. Der „Generalist“ HEXANAL ist ein wesentlicher Bestandteil des Duftspektrums ( Generalisten, Seite 37), das „grüne“ Gerüche wie die von Gras ausmacht. Er dominiert den Duft von Tomaten, ist aber auch Gurken, Melonen oder Kartoffeln zu eigen und findet sich außerdem in grünen Äpfeln, Orangen, Olivenöl, Bananen, Trauben, Ananas oder in (grünen) Tees sowie in den Blütenblättern vieler Blumen. Kein Wunder also, dass sich daraus naheliegende Ansätze zum „Food-Pairing“ (Seite 99) ergeben. Ein weiterer „Generalist“ ist das nach Champignons duftende 1-OCTEN-3-ON, das zahlreichen Gemüsen einen Hauch „Pilz“ verleiht. Auch Geruchsstoffe wie das Gurkenaldehyd (E,Z)-2,6-NONADIENAL sind typische Vertreter dieser leicht flüchtigen Aromen. Aufgenommen in die Gruppe 1 wurden außerdem Fruchtester, die für viele fruchtige Düfte, etwa bei Melonen, Äpfeln, Süßkartoffeln, Tomaten, Papaya oder Brotfrucht, eine wichtige Rolle spielen. Ihr Molekulargewicht ist ähnlich, die Flüchtigkeit ebenso. Typische Beispiele sind ETHYLBUTANOAT, das fruchtig riecht und in Richtung Ananas deutet, sowie AMYLACETAT, ein Ester der Essigsäure, der stark nach Banane duftet und sich in Melone und Pepito findet.
GRUPPE 2: LINEARE SCHWEFEL- UND STICKSTOFFVERBINDUNGEN – SCHWEFELIGE, STECHENDE DÜFTE NACH KOHL, ZWIEBELN UND MEERRETTICH
METHANTHIOL schwefelig, gekochter Kohl, lauchartig, ölig, gekochte Eier, schweißig
DIMETHYLSULFID schwefelig, zwiebelartig, radieschenblätterartig, kohlartig, fischartig, maisartig, spargelartig, ein Hauch gekochte Milch/Sahne
4-(METHYLTHIO)BUTYLISOTHIOCYANAT schwefelig, stechend, brokkoliartig, rettichartig, kohlartig
Eine weitere Gruppe (die in den ersten Auflagen von „Aroma — Die Kunst des Würzens“ noch in die erste Gruppe integriert war) umfasst die einfachen schwefeligen Duftstoffe, die eine ähnliche Molekularstruktur aufweisen wie die Aromen in Gruppe 1. Sie spielen in Lauch, Zwiebel, Schnittlauch, Rucola, Kressen und in allen Kohlsorten die Hauptrolle und finden sich auch in vielen Rüben. „Senföle“ gehören zu dieser Kategorie. Ein typisches Molekül ist das extrem duftaktive, stark flüchtige METHANTHIOL, dessen Geruch sich nur durch ein vielschichtiges Duftattribut wie „schwefelig, knoblauchartig, gekochter Kohl, lauchartig, ölig, gekochte Eier, herzhaft-fleischartig, reifer Käse“ beschreiben lässt – kein Wunder, denn es findet sich in Gemüsen wie Blumenkohl, Brokkoli, Speiserübe, Spinat, Wurzelpetersilie und Zwiebel. Ein ebenso allgegenwärtiger und sehr duftaktiver Geruchsstoff ist DIMETHYLSULFID, das mit seinen Duftattributen „schwefelig, zwiebelartig, radieschenblätterartig, kohlartig, fischartig, maisartig, spargelartig, ein Hauch gekochte Milch/Sahne“ einen Großteil der Gemüse und Lebensmittel aufzählt, deren Duft es mehr oder weniger stark mitbestimmt. Es kommt in zahlreichen Gemüsen bereits roh vor (u. a. Blumenkohl, Chinakohl, Grünkohl, Haferwurzel, Kartoffel, Tomate, Zwiebel), in anderen – etwa in Aubergine, Fenchel oder Hülsenfrüchten – und in tierischen Lebensmitteln wie Eiern und Milch entsteht es erst beim Erhitzen. In vielen Gemüsen tritt es zusammen mit dem „Generalisten“ ( Seite 37) METHIONAL auf und zeigt typische „gekochte“ Gerüche. Ein weiterer Vertreter ist DIALLYLDISULFID mit seinem schwefeligen Duft, der an Lauch und Zwiebeln, in höheren Konzentrationen auch an Meerrettich erinnert.
In dieser Gruppe werden Isothiocyanate mit eingeschlossen. Moleküle mit diesen S=C=N-Gruppen sind in Kohl- und Zwiebelgewächsen häufig zu finden. Sie weisen neben den typischen Schwefeldüften stechende Komponenten auf, wie sie in Rettichen und Radieschen, aber auch in Senfblättern, Mizuna und Rucola vorkommen, beispielsweise das 4-(METHYLTHIO)BUTYLISOTHIOCYANAT. Viele Moleküle dieser Gruppe weisen neben ihrer Geruchsaktivität eine stark trigeminale Wirkung auf, die sich in schmerzenden Kältereizen äußert.
GRUPPE 3: ACYCLISCHE TERPENE – ZITRUSARTIG, FRUCHTIG, BLUMIG
LINALOOL floral, zitrusartig, rosenholzartig, grün, orangenartig, zitronenartig, leicht wachsig, holzig
MYRCEN würzig, floral, balsamisch, kräuterartig, holzig, möhrenartig, fruchtig, mangoartig
Die Gruppe der acyclischen Terpene (ohne Ringstruktur) bestimmt den Großteil der leicht flüchtigen blumigen Aromastoffe. Moleküle dieser Familie duften nach Blumen, Rosen und Zitrusfrüchten. Ein typischer Vertreter ist etwa das florale und nach Zitrusfrüchten duftende LINALOOL. Diese Duftstoffe kommen in erster Linie in den verschiedensten Kräutern und Gewürzen vor, finden sich aber auch in Gemüse, etwa in Tomaten, in Taro und im Hintergrund mancher Kartoffelsorten. In süßlich anmutendem Wurzelgemüse, etwa der Kerbelrübe, sind diese Blütenduftstoffe ebenfalls zu finden. MYRCEN, das holzig und nach Blüten duftet, findet sich in Avocado, Chinakohl, Erbsen, Rhabarber, Speiserübe, Wurzelpetersilie, in der Fenchelknolle oder in Kaktusfeigen, in der Kichererbse und in Karotten. Das nach Zitrusfrüchten und gleichzeitig nach Kiefernharz riechende OCIMEN spielt nicht nur in blumig wirkenden Kräutern, etwa Basilikum oder Lavendel, eine wesentliche Rolle, es findet sich auch im Duft von Pastinaken und Zucchini. Auch bei den acyclischen Monoterpenen verändern kleine Modifikationen der chemischen Strukturen den Geruch. Der Monoterpenalkohol GERANIOL riecht blumig, das Aldehyd Geranial zitronenartig – nur, weil sich eine funktionelle Endgruppe ändert.
GRUPPE 4: CYCLISCHE TERPENE – BALSAMISCH, KAMPFERARTIG, HOLZIG
α-PINEN herbal, kampferig, pinienartig, stark holzig, erdig, terpentinartig, holzig-würzig
1,8-CINEOL herbal, eukalyptusartig, kampferig, minzig, trigeminal kühlend
Die Gruppe der cyclischen Terpene lässt sich unterteilen in einfache monocyclische Terpene (eine Ringstruktur) und in höhercyclische Terpene (mehrere Ringstrukturen). Diese Unterteilung ist in der organischen und Naturstoffchemie nicht zwingend erforderlich, mit Blick auf kulinarische Anwendungen allerdings durchaus sinnvoll. Monocyclische Terpene sind in den meisten Kräutern und vielen Gewürzen enthalten. Sie sind, ähnlich wie die acyclischen Terpene, relativ leicht flüchtig und daher für den ersten nasalen Dufteindruck bestimmend. Sie duften „terpentinartig“, nach Minze und mitunter „würzig“ und sind in ihrem Duft daher schon etwas „schwerer“ als die acyclischen Monoterpene. Ein typischer Vertreter ist der Monoterpenalkohol MENTHOL, der neben seinem minzigen Duft noch trigeminal kühlende Wirkung aufweist. TERPINOLEN und beide Isomere des PHELLANDREN sind in vielen Gemüsen duftbestimmend, vor allem in Wurzelgemüse wie Karotte, Pastinake, Topinambur, Wurzelpetersilie, aber auch in Blattsalaten. Des Weiteren sind α-PINEN und β-PINEN wichtige Vertreter, sie kommen in Bohne, Fenchel, Grünkohl, Karotte, Kartoffel, Kerbelrübe, Kichererbse, Kürbis, Papaya, Pastinake, Sellerie, Speiserübe, Topinambur und Zucchini vor. Diese mono- und bicyclischen Terpene sind häufig auch für kampferartige, leicht holzige und harzige Aromen verantwortlich. Die Moleküle sind komplexer aufgebaut und in ihrer Struktur reichhaltiger. Manche dieser Terpene lösen angenehme trigeminale Reize im Temperaturbereich zwischen 30 °C und 38 °C aus, also in dem üblichen „Wohlfühlbereich“, aber auch in dem für den Mund angenehm kühlen Bereich zwischen 18 und 27 °C, wie das MENTHOL der Minze. Derartig trigeminale Reize sind, wenn sie gezielt eingesetzt werden, ein willkommener Mehrwert. Ein weiterer wichtiger Vertreter ist 1,8-CINEOL, das im Geruchsspektrum von Erbse, Fenchel, Gartenbohne, Kerbelrübe, Linse, Okra, Rotkohl und Zucchini vorkommt. Bicyclische Terpene definieren im Gemüse harzige, kräuterige Duftnoten. Sie sind aromaführend in Blattsalaten, deutlich zu riechen im Löwenzahn, Mangold und Spinat, aber auch in vielen Wurzelgemüsen, wie Karotten, Pastinaken, Sellerie, Topinambur oder Wurzelpetersilie.
GRUPPE 5: SESQUITERPENE – DUNKEL, SCHWER-FLORAL
α-CARYOPHYLLEN holzig, süßlich-herbal, kampferig, leicht pfefferig, mit Zitrushintergrund
α-BISABOLEN holzig, fruchtig, zitrusartig
Sesquiterpene sind von ihrer Struktur her noch komplexer und damit noch weniger flüchtig. Bei den Gerüchen herrschen dunkle, warme Töne vor, wie sie in der Küche etwa mit Gewürznelken und Pfeffer oder auch Rosmarin assoziiert werden können. Zu dieser Gruppe gehören monocyclische Biterpene wie BISABOLEN oder die Sesquiterpene CARDINEN und CARYOPHYLLEN, die durch harzige bis erdige Töne bestechen. Sesquiterpene spielen in vielen Wurzelgemüsen eine wesentliche Rolle, etwa in Karotten, Pastinaken, Sellerie, Speiserüben und Schwarzwurzel. Auch die Haferwurzel verströmt im gegarten Zustand einen hohen Anteil an diesem von Sesquiterpenen verursachten holzigen, würzigen Duft, der im Geschmack die Erwartung an einen deutlichen Bitterton auslöst. In Salaten, wie Kopfsalat, Frisée und Löwenzahn, ist der Sesquiterpenanteil im Geruch ebenfalls sehr stark. Lineare Sesquiterpene, wie NEROLIDOL, FARNESOL oder DAMESCENON liefern floral-holzige und würzig-beerenartige Düfte, wie sie von Rosen, Rosenholz oder Waldblüten bekannt sind. Diese findet man in der Roten Bete, der Kerbelrübe oder den Kaktusblättern, in Rhabarber, Papaya, Süßkartoffeln und Tomatillos.
GRUPPE 6: AROMATEN – TIEF UND AROMATISCH
PHENYLACETALDEHYD aromatisch, grün, honigartig, floral, hyazinthenartig, kakaoartig, schokoladig, leicht erdig
BENZYLISOTHIOCYANAT aromatisch, brunnenkresseartig, medizinal, ölig, meerrettichartig
Der Begriff der „Aromaten“ hat zunächst wenig mit dem alltäglichen Begriff „aromatisch“ zu tun. In diesem Buch wird der Begriff „aromatisch“ stets im Zusammenhang mit Molekülen einer bestimmten chemischen Struktur, dem Benzolring, verwendet. Die Intensität der Gerüche aus dieser Gruppe ist noch stärker, sie werden als „schwer“, „tief“, „rauchig“, „nussig“, „phenolisch“ oder „bitter“ beschrieben – wobei besonders „bitter“ im übertragenen Sinne zu verstehen ist, denn „bitter“ ist eine Geschmacksrichtung, die mit Aromen zunächst einmal nichts zu tun hat – oder eben kurz: als „aromatisch“.
Paradebeispiel für eine duftintensive aromatische Verbindung ist das BENZALDEHYD, das den typischen Geruch von Bittermandeln erzeugt. Das VANILLIN der Vanille gehört zu den Aromaten, ebenso wie ANISALDEHYD, das in Anis, aber auch in Fenchel, Bambussprossen, Kochbananen und sogar Gartenbohnen vorkommt. Diese Auflistung zeigt, wie breit das Spektrum der Aromaten ist.
Weitere Vertreter sind das aromatisch-grün und nach Honig, Kakao und Schokolade duftende PHENYLACETALDEHYD, das sich in zahlreichen und so unterschiedlichen Gemüsearten wie Artischocke, Chinakohl, Kartoffel, Papaya und Gurke findet, und das BENZYLACETAT, das das „chemisch“ aromatische Grundmuster vieler (süßer) Melonensorten definiert. Das terpentinartige P-CYMOL lässt sich in Kartoffeln und Kichererbsen erahnen, das kampferartig und balsamisch duftende METHYLSALICYLAT ist vor allem in der Kerbelwurzel, Speiserüben und Tomatillos sehr präsent.
Typische Raucharomaten, wie GUAIACOL, Kresole, 4-VINYLGUAIACOL oder NAPHTALIN finden sich in Linsen, Lotuswurzeln, in Feldsalat, Gemüsepaprika oder Tomatillos. In vielen Fällen bilden sich Aromaten erst nach dem Erhitzen, beim Kochen und Braten aus. In geräucherten Lebensmitteln und Gemüsen, auch in jenen, die bei Tisch mit der Räucherpfeife geräuchert werden, gehören die Aromaten zu einer Hauptkomponente des „Gewürzes“ Rauch. Beim Erhitzen bilden sich außerdem häufig aromatische Schwefelstoffe. Sie verbinden eine lineare Kette mit einem Benzolring (und werden deswegen nicht zur Gruppe 2 gezählt). Ein typischer Vertreter ist BENZYLISOTHIOCYANAT, das mit seinen Attributen „aromatisch, brunnenkresseartig, medizinal, ölig, meerrettichartig“ auf eine eindrucksvoll riechbare Weise die „Aromatik des Benzolrings“ mit typischen Gerüchen der Schwefel-Stickstoffverbindungen aus der Gruppe 2 verbindet. Des Weiteren fügt es leichte trigeminale Reize bei.