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ABSEITS DES GRUNDGESCHMACKS – KOKUMI

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Oft, aber nicht zwingend verbunden mit der Geschmacksrichtung „umami“ ist ein weiterer Eindruck, der ebenfalls entscheidend zum Gesamteindruck, dem „Flavour“ einer Speise beiträgt. Dieser Eindruck wird mit dem japanischen Wort „kokumi“ bezeichnet und lässt sich vereinfacht als „Mundfülle“ übersetzen. Genau genommen umfasst „kokumi“ die Eigenschaften „Impakt“ „Mundfülle“ und „Rundheit“. Der erste Zungenkontakt, der „Impakt“, stellt so etwas wie eine Summe aller vorhandenen Geschmacksrichtungen dar und ist das Ergebnis davon, wie die Speise die Geschmackknospen „attackiert“. Dazu können sofort die Trigeminusreizungen wie scharf/heiß, kalt, brennend usw. kommen ( Trigeminus, Seite 28). Geschieht dies rasch, intensiv oder gar sehr intensiv? Alles Signale, die den ersten Eindruck festlegen. Danach wird die „Mundfülle“ wahrgenommen. Dabei bedeutet „Mundfülle“ nicht unbedingt das cremig-fettige Gefühl einer süßlichen Panna cotta, sondern eher die Wahrnehmung von lang gekochten Linsen- und Bohnengerichten, z. B. Chili con carne oder die extrem mundfüllend wirkende Avocado, pur oder in Form einer Guacamole. Eine große Mundfülle wird beispielsweise ebenso durch dünnflüssige, aber intensive Brühen, Suppen oder Saucen erzeugt. Sie können regelrecht im Mundraum „explodieren“. Weiterhin entscheiden Rundheit und Balance: Sind unangenehme Geschmacksspitzen schmeckbar, stört ein Aroma, entdeckt man ein Fehlaroma, das irgendwie dort nicht hingehört – oder ist alles rund und optimal abgestimmt? Diese Vorgänge können unter „kokumi“ zusammengefasst werden.


Nicht nur Proteinbestandteile, sondern auch verschieden oxidierte Fettsäuren, sogenannte Oxylipine, etwa bei Avocado, Chicorée und anderen fettreichen Gemüsen, sorgen für eine deutliche Mundfülle.

Der gemeinsame Nenner von umami-Geschmack und kokumi-Effekt: Sind zwei oder drei Aminosäuren (hell) noch mit der Glutaminsäure (dunkel) verbunden, wird kokumi-Mundfülle ausgelöst. Freie Glutaminsäure wird dagegen Glutamat genannt – und erzeugt den herzhaften umami-Geschmack.

KOKUMI-FOND

Die Bohnensaucen der asiatischen Küche lassen sich aufgrund ihres Eigengeschmacks nicht immer verwenden. Für eine fast neutrale Kokumikomponente kocht man eingeweichte weiße Bohnen mit Rindfleisch (im Verhältnis 1:1), ohne Salz und Gewürze, lange zusammen in sehr weichem Wasser (möglichst kalkarm), bis alles sehr weich ist. Dies lässt sich nach dem Pürieren durch ein feines Sieb streichen. Die dickliche Paste ist Verdickungsmittel, Geschmacksverstärker und Geschmacksmodulator in einem und hilft ein Gericht abzurunden. Vegetarier ersetzen das Rindfleisch durch Käse. Tipp: Durch den hohen Druck im verschlossenen Dampfdruckkochtopf und die dadurch erhöhte Gartemperatur (je nach Garstufe 109 oder 119 °C) zersetzen sich die Proteine rascher und effektiver. Außerdem bilden sich – im Unterschied zum Schmoren im Ofen – keine Röstaromen, sodass die Kokumiwürze viele Glutamylpeptide bildet, aromatisch aber neutral bleibt.

Der kokumi-Eindruck ist kein Texturmerkmal, sondern – wieder einmal – eine auf bestimmte Molekülklassen zurückzuführende Angelegenheit. Der gemeinsame Nenner aller Gerichte ist die sehr lange Koch- bzw. Reifezeit. Stundenlanges Schmoren von Eintöpfen, langes Ziehenlassen von Fonds, langes Köcheln der Bolognese, langsames Garen von mexikanischen Bohneneintöpfen, hohe Reifegrade von Käse – alles geschieht auch und vor allem, um kokumi zu erzielen. Während der langen Koch- bzw. Reifezeit findet ein Prozess statt, der in der Fachsprache Hydrolyse genannt wird: Die in allen Lebensmitteln vorhandenen Proteine zerfallen langsam in immer kleinere Teile. Es bilden sich sehr kurze Bruchstücke von Proteinen mit zwei oder drei Aminosäuren, die eine Glutaminsäure enthalten, sogenannte Glutamylpeptide. Anders als Geschmacksreize werden sie nicht über Rezeptorproteine wahrgenommen – wie der kokumi-Eindruck sensorisch wahrgenommen wird, ist bisher nicht bekannt. Sie schmecken also selbst nicht, wirken aber als Geschmacksmodulatoren und Stimulatoren und sorgen für Mundfülle und Ausgewogenheit. Insbesondere bei proteinreichem Gemüse wie Trockenbohnen, die ohnehin lang gekocht werden müssen, spielen umami und kokumi eine große Rolle.

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