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TRIGEMINUS – EIN UNTERSCHÄTZTER REIZ

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Neben Geruchs- und Geschmackssinn gibt es noch eine dritte, fast ebenso wichtige und oft unterschätzte Sinneswahrnehmung. Sie wird oft fälschlicherweise dem „Geschmack“ zugerechnet; sensorisch ist sie jedoch eher dem „Fühlen“ zuzuordnen: die „trigeminale Wahrnehmung“.

Bei den trigeminalen Sinnen handelt es sich um „Irritationen“, die zum einen von der Temperatur ausgelöst werden und die in Extremfällen zu Schmerz führen. So wird ein warmes Gericht als angenehm empfunden, während die heiße Kartoffel oder der Löffel zu heiße Suppe starken Schmerz auslösen. Auf der anderen Seite der Temperaturskala ist es dasselbe: Ein Eis wirkt kühlend, wird es aber zu rasch gegessen oder ist das Eis so kalt, dass die Blutzirkulation keine Wärme mehr in die Zunge nachliefern kann, schlägt die Kühlung rasch in Schmerz um, obwohl noch keine „Frostschäden“ auf der Zunge stattfanden. Detektor dieser Sinnesreize ist der Trigeminusnerv, dessen Verästelungen sich nicht nur durch die Mundhöhle, den Kiefer bis zu den Augen ziehen, sondern über den ganzen Körper. Er übermittelt außer Temperatur auch groben Druck, Schmerz und Jucken. Wahrgenommen werden diese Reize als „heiß“, „kalt“, „ätzend“, beißend“, brennend“, „stechend“, „prickelnd“ und „adstringierend“, d. h. „zusammenziehend“.

Diese Reize können durch Temperaturen ausgelöst, aber auch über Moleküle geschaltet werden. Die Klassiker sind Capsaicin oder Piperine aus Pfeffer: Die wasserunlöslichen und nicht flüchtigen Moleküle verharren auf der Zunge und reizen die Rezeptoren des Trigeminus mit entsprechender Information. Die Reaktion bei „scharf“ (englisch: „hot“) ist identisch wie bei Hitze (englisch: „hot“): Der Körper versucht, durch hohen Speichelfluss und Schweißausbruch einen kühlenden Effekt zu erzeugen. Auch viele Geruchsstoffe verursachen einen mehr oder weniger starken trigeminalen Reiz, wie etwa Rauch (beißend), Essig (stechend), Zwiebel (schmerzend kalt) und Minze (kühlend). Andere wirken „prickelnd“ oder – beim Gemüse ähnlich wichtig wie beim Genuss von Wein, Tee oder Walnüssen – adstringierend. Trigeminale Rezeptorproteine in den Zellmembranen reagieren auf bestimmte Molekülstrukturen und lösen diese Reize aus.


Die Nervenendigungen des Trigeminusnervs finden sich im gesamten Mundraum.

Wie komplex die trigeminale Wahrnehmung wirklich ist, zeigt sich allein an der molekularen Struktur mancher Verursacher. Die zu Tisch beliebten Warm-Kalt-Kontraste zum Beispiel bei einer dekonstruierten Ratatouille aus gegrillten Auberginen, rohen Zwiebeln und Knoblauch, gebratenen Zucchinischeiben, heißen Kirschtomaten und einem Eis aus grünen Gemüsepaprikas werden, selbst wenn kleine Portionen aller Zutaten auf einem Löffel in den Mund genommen werden, aufgrund der Temperaturunterschiede nur noch entfernt an den als „Eintopf“ servierten provençalischen Gemüseklassiker erinnern. Natürlich spielen auch das orale Prozessieren und die Verteilung der Aromen eine große Rolle, aber vor allem ist die unterschiedliche Temperatur entscheidend. Dabei schlägt das kalte Paprikaeis in dieselbe Kerbe wie Zwiebel und Knoblauch, während Pfeffer und die warmen Zutaten zusammenspielen.

Trigeminale Temperaturreize lassen sich geschickt einsetzen – nicht nur beim Warm-Kalt-Kontrast über die „echte“ Temperatur T, sondern über chemische Reize, denn ganz bestimmte Molekülgruppen verursachen Reaktionen derselben Rezeptoren. Bei den klassischen molekular verursachten Trigeminalreizen auf der Zunge, etwa durch Capsaicin (in Chili und Paprika) oder die unterschiedlichen Alkaloide („Piperin“) der Pfeffer, ist die Lage eindeutig: Sie reizen den Rezeptor TRPV1 und führen zu dem Eindruck der erhöhten Temperatur, die beim Capsaicin rasch zum „Hitzeschmerz“ führt. (Die vielen Rezeptoren gemeinsame Abkürzung TRP steht für „transient receptor potential channels“.)


Die Trigeminusempfindung eines Gerichts lässt sich innerhalb eines dreidimensionalen Raumes verorten. Je mittiger der Reiz, desto ausgewogener ist er – je stärker die Tendenz zu einer Ecke hin, desto prägnanter ist diese eine Empfindung.

Das Terpen MENTHOL aus der Minze hingegen wirkt auf zwei Ebenen: Es kühlt erheblich, spricht aber gleichzeitig das Riechsystem an, ebenso wie das Terpen 1,8 CINEOL, das zwar schwächer als MENTHOL kühlt, aber immer noch spürbare Reize auslöst. Diese Moleküle docken an den „Menthol-Kühlrezeptor“ TRPM8 des Trigeminalsystems an. Manche Schwefelstoffe wie das ALLICIN aus Zwiebeln und Lauchgewächsen oder das ZIMTALDEHYD verursachen schmerzhafte Kältereize, ähnlich wie bei sehr kaltem Eis (oder bei so manch unsachgemäß zubereiteten Molekularküchentricks aus dem flüssigen Stickstoff). Verantwortlich dafür ist der Kälterezeptor TRPA1. Auch der Geruchsstoff EUGENOL aus der Nelke, der ebenfalls in Artischocke, Bambussprosse, Blumenkohl, Gemüsepaprika, Haferwurzel, Karotte, Kartoffel, Kerbelrübe, Kichererbsen, Rhabarber, Tomatillo oder Zucchini vorkommt, löst diesen Reiz aus, wenngleich in manchen Gemüsen nur verhalten und unterschwellig. Die verschiedenen Trigeminus-Rezeptoren sind je für unterschiedliche Temperaturbereiche zuständig, wie aus der Abbildung Seite 29 ersichtlich ist.


Der trigeminale Reiz löst ein Wärmegefühl“ aus, das sich in Temperaturgraden beschreiben lässt: So löst Zimt ein „Wärmegrad“ von 10 °C aus, Chili von ca. 50 °C.

Beim Essen, während des oralen Prozessierens ( Seite 34), treten trigeminale Reize im Mund und in der Nase auf. Im Mund sind es a) wasserlösliche Verbindungen wie die Gallussäure, die adstringierend wirkt, und b) fettlösliche, aber nicht flüchtige Substanzen, wie die bereits erwähnten Capsaicin oder Piperin. In der Nase wirken – ortho- und retronasal – viele flüchtige Geruchsstoffe wie etwa das bereits erwähnte MENTHOL, die sowohl olfaktorisch aktiv sind als auch gleichzeitig den Nervus Trigeminus reizen. Festgestellt hat man diese Doppelwirkung der Aromastoffe bereits vor 40 Jahren, als in einem medizinischen Versuch bei 15 Patienten mit starken Beeinträchtigungen des Riechvermögens Duftstoffe getestet wurden (siehe Tabelle links). Die höchste Erkennungsrate zeigte MENTHOL, dessen kühlender Effekt klar im Vordergrund steht, selbst wenn das Riechvermögen gar nicht mehr vorhanden ist. Kaum wahrgenommen wurden hingegen PHENYLETHANOL (das sich in Gemüsepaprika, Haferwurzel, Rucola, Tomate findet), GERANIOL oder EUGENOL in geringen Konzentrationen. VANILLIN (in Cardy, Erdmandel, Gemüsepaprika, Gurke, Kochbanane, Rettich, Zucchini) wurde von keinem der Patienten über trigeminale Reize erkannt. Das liegt daran, dass VANILLIN gleichzeitig Reize am Kälte- und am Wärmerezeptor auslöst, die sich gegenseitig aufheben. Es wird somit zum „reinen Riechstoff“.

Riechstoff Erkennung
Vanillin 0 / 15
Phenylethanol 1 / 15
Eugenol 1 / 15
Geraniol 2 / 15
Limonen 6 / 15
Anethol 8 / 15
Methylsalicylat 9 / 15
Linalool 13 / 15
Menthol 15 / 15
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