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a) Anspruchsprüfung durch den MD

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Da die Krankenkasse den Versicherungsfall, d.h. die medizinischen Voraussetzungen und die Geeignetheit von medizinischen Verfahren, häufig nicht beurteilen kann, hat sie sich bei Zweifeln insoweit des Medizinischen Dienstes zu bedienen. § 275 Abs. 1 und 2 SGB V normiert eine gesetzliche Pflicht. An die gutachterliche Stellungnahme ist die Krankenkasse gleichwohl nicht gebunden.[37]

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Mit dem MDK-Reformgesetz v. 14.12.2019 hat der Gesetzgeber weitreichende materielle Änderungen vorgenommen.[38] Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung wurden organisatorisch von den Krankenkassen getrennt,[39] was sich bereits im Namen sichtbar macht; sie stellen künftig keine Arbeitsgemeinschaften der Krankenkassen mehr dar, sondern werden als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts einheitlich unter der Bezeichnung „Medizinischer Dienst“ (MD) geführt.

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Zentrale Änderung stellt die Durchführung und der gesetzliche Umfang von Prüfungen bei Krankenhausbehandlung durch den Medizinischen Dienst gemäß § 275c SGB V dar. Für das Jahr 2020 gilt eine pauschale Prüfquote bis zu 12,5 Prozent (vormals 10 Prozent). Um die Prüfverfahren von Klinikrechnungen zu verringern, gelten ab 2021 quartalsbezogene Prüfquoten je Krankenhaus. Dadurch wird nicht mehr jede möglicherweise falsche Krankenhausrechnung überprüft. Der Prüfumfang durch die von den Krankenkassen beauftragten Medizinischen Dienste korreliert mit der Qualität der Krankenhausabrechnungen. Je höher der Anteil korrekter Rechnungen ist, desto niedriger fällt die Prüfquote im Folgezeitraum aus und umgekehrt (§ 275c Abs. 2 SGB V).[40] Zudem wurde eine Strafzahlung für die Krankenhäuser eingeführt, wenn eine Abrechnung vom MD beanstandet wird (§ 275c Abs. 3 SGB V). Mit der MDKRefG wurde § 275 Abs. 1c SGB V gestrichen. Dieser hatte zum Gegenstand, dass die Prüfung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse zu beantragen und durch den MDK anzuzeigen war. Nunmehr wurde diese Frist auf vier Monate extendiert, um den Kostenträgern mehr Zeit zu gewähren eine gezielte Auswahl der durch den MD zu prüfenden Rechnungen treffen zu können. Unbeschadet der Reform obliegt dem MD im Innenverhältnis zur entscheidenden Krankenkasse alleine die medizinische fachliche Konkretisierung des Leistungsrechts der Versicherten. Ebenfalls neu hinzugekommen sind die sog. Strukturprüfungen nach § 275d SGB V. Bisher wurden strukturelle Voraussetzungen der Leistungserbringung, z.B. die Verfügbarkeit bestimmter Diagnose- oder Behandlungsmöglichkeiten regelhaft im Rahmen von Einzelfallprüfungen durch den MDK geprüft. Dies führte zu erheblichem Aufwand und teils auch zu fehlender Planbarkeit bei den Krankenhäusern wie den Krankenkassen bezüglich der Abrechnungsbefugnis für bestimmte Leistungen. Die Prüfung, ob ein Krankenhaus erforderliche strukturelle Voraussetzungen der Leistungserbringung erfüllt, wird vom MD daher künftig nicht mehr in jedem Einzelfall vorgenommen, sondern in Strukturprüfungen, die in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden (§ 275c Abs. 6 Nr. 2 SGB V). Krankenhäuser, die nach einer Strukturprüfung die strukturellen Anforderungen nicht erfüllen, dürfen die Leistungen nicht vereinbaren und nicht abrechnen.

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Die Krankenkassen haben lediglich Anspruch auf die in § 301 SGB V genannten Sozialdaten, keine weiter gehenden Informationsansprüche. Weder Vertragsärzte noch Krankenhäuser haben eine Berichtspflicht gegenüber der Krankenkasse. Diese eingeschränkten Informationsmöglichkeiten sind strafbewehrt nach § 203 StGB. Die fachlich-medizinische Überprüfung der Behandlungsbedürftigkeit ist dem MD überantwortet. Dieser kann nach § 276 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB V die entsprechenden Sozialdaten anfordern, Auskünfte einholen, Untersuchungen vornehmen und hat der Krankenkasse dann nach § 277 Abs. 1 SGB V die Prüfungsergebnisse zu übermitteln. Auch § 100 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X gibt kein weiter gehendes Recht. Die Krankenkassen haben kein Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen.[41] Soweit Krankenkassen also eigene Bewilligungsentscheidungen durch Verwaltungsakte treffen,[42] haben sie den MD fachlich-medizinisch herbeizuziehen, wenn die ihnen vorliegenden Sozialdaten zur Beurteilung nicht ausreichen.

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Ob der MD die Ergebnisse der Behandlungsfehlerbegutachtung[43] nach § 277 SGB V an die Leistungserbringer offenbaren muss[44], oder nicht[45], ist gegenwärtig umstritten. Für die Beschränkung der Mitteilungspflicht auf sozialmedizinische Begutachtung spricht die verwendete Terminologie in § 277 Abs. 1 SGB V bzgl. Begrifflichkeiten „Ergebnis“ und „Befund“. Beim Ersteren handelt es sich um das Ergebnis hinsichtlich der in Betracht kommenden Leistungen bzw. Leistungsentscheidungen[46], beim Befund um medizinische Angaben, die für die konkrete Leistungsgewährung erforderlich sind.[47] Bei der Beurteilung von Behandlungsfehlern sind aber weder ein „Ergebnis“ hinsichtlich der konkreten Leistung noch sind medizinische Angaben (Befund) die für eine Leistungsgewährung erforderlich sind von Relevanz, sodass die Tatbestandvoraussetzungen der Mitteilungspflicht bei der Begutachtung von Behandlungsfehlern nicht vorlägen. Ferner könne die Ratio der Norm gegen eine Mitteilungspflicht sprechen. In solchen Fällen, in denen der MD einen Behandlungsfehler verneint und hierüber den Leistungserbringer informiert, führe dies dazu, dass dieser als Verursacher eines Schadens über umfassende und weitergehende Informationen verfüge als der/die Geschädigte. In der Folge wäre davon auszugehen, dass die Haftpflichtversicherung eine außergerichtliche Einigung verweigert und den Versicherten der Rechtsweg der außergerichtlichen Klärung faktisch entzogen wird mit der Folge, dass einzig der Klageweg verbleibe. Aber auch im Klageverfahren wirke sich ein negatives Gutachten, welches durch die Haftpflichtversicherung in den Prozess eingeführt wird, für die Versicherten schlecht aus. Dies wiege um so schwerer, da ein solches Gutachten aufgrund einer ergänzenden Fragestellung im anschließenden Ergänzungsgutachten zu einem positiven Gutachten werden könne, dem Versicherten aber faktisch kaum gelingen wird, ein bereits existierendes negatives Gutachten zu entkräften. Gleiches gelte für ein positives Gutachten des MD, welches fachlich fehlerhaft ist und somit zu einem „falsch-positiven“ Gutachten wird. Hier könnten potenzielle Gerichtsverfahren vermieden werden. Im Ergebnis wären Versicherte, die sich an ihre Krankenkasse wenden schlechter gestellt als solche, die ihre Ansprüche eigenständig gegenüber der Versicherung geltend machen, was der Ratio des § 66 SGB V zuwiderliefe.

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Tipp

Versicherte sollten über ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die damit verbunden Möglichkeit, der Übermittlung des Befundes an den Vertragsarzt oder andere Leistungserbringer gemäß § 277 Abs. 1 S. 3 SGB V zu widersprechen, hingewiesen werden.

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