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7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung › F. Tendenz

F. Tendenz

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Ein abnehmender Finanzierungsstrom aus Mitgliedsbeiträgen und eine durch Forschung und Technik ermöglichte Ausweitung von Behandlungsmöglichkeiten führt seit Jahrzehnten weiter verschärfend zu Eingrenzungen des Leistungsanspruchs der gesetzlich Krankenversicherten. Zu enge Vorgaben wurden immer wieder vom BVerfG in Frage gestellt und haben zu praktisch konkordanten Leistungsweisen beispielsweise im Off-Label-Use geführt. Gleiches gilt für den Einsatz bislang nicht anerkannter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Eine verfassungsrechtlich konsistente und systematische Grenzziehung gegenüber Leistungsausgrenzungen ist – wie am Beispiel der Hör- und Sehhilfen gezeigt wurde – dennoch bislang nicht gelungen. Die Konkretisierungen und Eingrenzungen im Leistungsrecht sind leider häufig solche des gesetzgeberischen Zufalls oder eines spontanen Einsparaktivismus, ohne dass ein durchgehendes System erkennbar wäre.

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Eine mit Leistungsbegrenzungen verbundene Verobjektivierung von Leistungsansprüchen führt an Schnittstellen der Krankenhaus-, Reha- oder ambulanten Versorgung zu im Einzelfall nicht lösbaren Problemen. Soll z.B. eine demente Patientin für die der Krankenhausbedarf entfallen ist, zwingend binnen 24 Stunden entlassen werden, gleichgültig von der Frage, wohin diese Entlassung erfolgt? Übergaberegularien nach § 11 Abs. 4 SGB V greifen weder flächendeckend, noch sektorenübergreifend, noch auf den Einzelfall bezogen, obwohl mit diesen Übergabeinstrumenten nach dem Willen des Gesetzgebers Härten vermieden werden sollen und häufig auch können. So hilft häufig nach dem Ende eines objektiv legitimierten Behandlungsgeschehens nur ein Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung, auf den Gesundheitsschutz des Art. 2 Abs. 2 GG, das Willkürverbot des Art. 3 GG und zuletzt ein Rückgriff auf den aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Verhältnismäßigkeitsgebot von Treu und Glauben, um dem Auftrag des Sozialgesetzes gerecht zu werden.

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Nur so kann vermieden werden, dass gesetzlich Krankenversicherte hilfsbedürftige Patienten als Folge des Bestehens von Sektorengrenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung, unterschiedlicher Kosten- und Leistungsträger im Sozialversicherungsrecht allgemein zum Objekt des Verwaltungshandelns werden.

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Nicht unerwähnt bleiben darf die immer stärkere Digitalisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, z.B. durch das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), und die Vorstöße des Gesetzgebers, das neokorporatistischen Modell der GKV zu transformieren, bspw. durch das HHVG, TSVG und EIRD. In wie weit die neuen digitalen Angebote einen medizinischen Nutzen stiften und die Gesundheitsversorgung für die Patienten relevant verbessern werden sowie die strukturellen Änderungen Effizienzreserven und Synergien heben können, wird sich zeigen müssen.

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