Читать книгу Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane - Thomas West - Страница 30
Оглавление23
„Ihr Bein ist mehrfach gebrochen.“ Lars Remmers hatte sich zu dem verbundenen Gesicht seiner Patientin herabgebeugt, um näher an ihrem Ohr zu sein.
„Wir haben Sie bis in den Abend hinein operiert, Sie sind außer Lebensgefahr.“
Edith Söhnker nickte schwach. Nur verschwommen nahm sie die Gestalten um ihr Bett wahr. Ihr Kopf tat weh, die trockene Kehle brannte vor Durst, und in ihrem linken Bein spürte sie dumpf einen drückenden Schmerz.
„Sie sind hier auf der Intensivstation“, schaltete Dr. Karin Döring sich ein, „wir werden Sie ein paar Tage überwachen, bis sich Ihr Kreislauf stabilisiert hat.“
Der Oberarzt schwieg. Mit gerunzelter Stirn studierte Dr. Höper den Operationsbericht und die Verlaufskurve der vergangenen Nacht.
Bert, der Pfleger, überprüfte die zahllosen Infusionen, die über eine ganze Batterie von Tropfenzählern in den Venenkatheder Edith Söhnkers tropften.
„Ihr Mann lebt, er liegt zwei Zimmer weiter.“ Lars Remmers war froh, das sagen zu können. Er hatte schon andere Situationen erlebt.
„Er wird es wohl auch schaffen“, sagte er, als die Frau ihn fragend anschaute. Sicher war er da keineswegs, aber er durfte seine Patientin nicht mit zusätzlichen Sorgen belasten.
Sie verließen das Zimmer. Bert, hinter den drei Ärzten, schloss die Tür. In der Monitorzentrale blieben sie stehen. Dr. Höper sah mit kritisch zusammengezogenen Brauen durch die Glasfront auf die Frau zurück. Ihr linkes Bein war auf eine Metallschiene gelagert. Mehrere Plastikschläuche ragten aus dem weißen Verband und führten zu teilweise mit roter Flüssigkeit gefüllten Flaschen, die am Bettrand befestigt waren. Durch sie wurde die Wundflüssigkeit abgesaugt und so einer Entzündung vorgebeugt.
„Warum, zum Teufel, haben Sie nicht amputiert?“ Vorwurfsvoll wandte sich Dr. Höper an Lars Remmers.
Der versuchte so sachlich wie möglich zu bleiben. „Herr Meurer und ich haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, Herr Höper.“
Dr. Remmers wusste, dass alle ihn jetzt anschauten, und er hatte die wachsende Spannung schon im Zimmer seiner Patientin gespürt.
„Wir sahen eine gute Chance, das Bein zu retten.“ Unwillkürlich musste er schlucken. Der Druck der Verantwortung hatte ihm bereits eine schlaflose Nacht bereitet.
„Verdammt noch mal!“ Dr. Höper hieb sich mit der Faust in die linke Handfläche. „Eine gute Chance, den Löffel abzugeben, hat Sie! Und das habe ich Ihnen bereits vor der Operation gesagt!“
Abrupt wandte er sich ab, verschränkte die Arme auf dem Rücken und ging unruhig im Computerraum auf und ab.
„Die Suppe, die Sie sich da eingebrockt haben, die ist so heiß, die können Sie gar nicht auslöffeln!“, schnauzte er.
Dann riss er Bert förmlich die Kurve aus der Hand. „Stündliche Temperaturkontrollen, drei Blutsenkungen am Tag, heute Abend wird eine Blutkultur abgenommen!“
Er schnarrte seine Verordnungen herunter, dass der Pfleger Mühe hatte, alles korrekt mitzuschreiben. Sämtliche Anweisungen hatten den Zweck, eine eventuelle Entzündung der Operationswunde möglichst schnell zu diagnostizieren
„Und denken Sie dran, die Fußpulse stündlich zu kontrollieren!“, wandte er sich wieder an Lars Remmers.
Eine völlig überflüssige Anordnung. Dr. Remmers erste Arbeit an diesem Morgen war es gewesen, sich davon zu überzeugen, dass Edith Söhnkers operiertes Bein bis in den Fuß hinunter durchblutet war. Er hatte sämtliche Fußpulse abgetastet.
Dr. Höper ging zu der breiten, offenen Tür zum Stationsflur. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal zu dem Stationsarzt um.
„Und eines sage ich Ihnen, Herr Remmers, bei den geringsten Entzündungszeichen kommt das Bein weg, haben wir uns verstanden?“
Karin Döring und Lars Remmers sahen sich betreten an. Sie wussten, dass Dr. Höper eben eine oberärztliche Anordnung gegeben hatte, an der es kein Vorbei gab. Sie folgten Höper durch den Gang.
Der Oberarzt öffnete energisch die Tür zum hinteren Beatmungszimmer und blieb überrascht stehen. Zwei mit blauer Schutzkleidung und Mundschutz verhüllte Gestalten standen am Bett seines Patienten. Marianne und Alexandra Heinze.
Dr. Höper fing sich rasch. Er ging zum Monitor und nahm die Verlaufskurve Felix Söhnkers von der Schreibplattform.
„Was machen Sie denn hier, Frau Kollegin?“, brummte er mürrisch, ohne vom Kurvenblatt aufzusehen. „Es ist doch noch nicht mal sieben Uhr?“
„Ich wollte sehen, wie er die Nacht überstanden hat“, antwortete Alexandra Heinze, „immerhin habe ich ihn gestern von der Autobahn geholt.“
Ihr Blick traf sich kurz mit dem Schwester Mariannes. Niemand brauchte zu wissen, dass sie in erster Linie wegen der jungen Frau so früh gekommen war. Es war der Notärztin klar, dass diese Visite keine leichte Hürde für die Schwester sein würde.
„So, so“, brummte Höper schlecht gelaunt und immer noch, ohne von den Kurvenblättern aufzusehen, „Sie wissen doch, dass ich es nicht liebe, wenn Personal von fremden Abteilungen meinen Frischoperierten zu nahe kommt!“
Jetzt schaute er der Ärztin voll ins Gesicht. „Die Infektionsgefahr ist einfach zu groß!“
Alexandra Heinze wich seinem Blick keinen Moment aus. Sie wies mit einer Geste auf ihre sterile Schutzkleidung hin. Jede Anspielung auf den Umstand, dass der Oberarzt selber ohne Schutzkleidung im Zimmer war, vermied sie. Stattdessen versuchte sie, das Thema zu wechseln.
„Wie verlief die Operation?“
Höper ging darauf ein und berichtete. „Leberriss, aber nicht die Welt. Ein paar kleinere Arterien musste ich zusammenflicken. Hat Glück gehabt.“
Er reichte ihr die Kurve, trat ans Bett und leuchtete mit einer in seinen Kugelschreiber integrierten Taschenlampe in Felix Söhnkers Augen.
„Allerdings eine Schädelfraktur, und was das Hirn abbekommen hat, ist schwer zu beurteilen. Die Pupillen sind verdammt groß und reagieren kaum.“
Mit einem missmutigen Seitenblick auf Schwester Marianne berichtete er weiter. „Vier Rippen gebrochen. Natürlich Luft im Pleuraspalt.“
Er zeigte auf einen fingerdicken, durchsichtigen Schlauch, der mit einem großen Pflasterverband an der rechten Brustseite Felix Söhnkers befestigt war. Der Schlauch war mit einer mit Wasser gefüllten, blubbernden Pumpe verbunden, die unter dem Bett stand. Mit ihr wurde ein Sog auf den Spalt zwischen Lunge und Rippenfell ausgeübt, damit der Lungenflügel sich wieder entfalten konnte.
„Die Vakuumpumpe wird er wohl länger brauchen als das Beatmungsgerät.“ Wieder beobachtete er Marianne. „Wenn wir ihn überhaupt über den Berg bringen.“
Marianne war damit beschäftigt, den Patienten abzusaugen. Halbstündlich musste der Bronchialschleim auf diese Weise entfernt werden, um einer Lungenentzündung vorzubeugen.
„Wer wird für die Pflege verantwortlich sein?“
Wie ein Pfeil schoss Höper diese Frage auf Marianne ab. Jeder im Raum hatte sie erwartet. Niemandem war entgangen, wie misstrauisch der Arzt die Schwester beobachtet hatte.
Auch Marianne Debras hatte auf diese Frage gewartet. Sie stellte das Absauggerät aus, befestigte die Beatmungsschläuche am Tubus, dem weichen Kunststoffröhrchen, das in der Luftröhre des Bewusstlosen lag. Sie zog sich die Einmalhandschuhe aus, ständig bemüht, das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Erst dann sah sie den Oberarzt an.
„Ich.“
Höper fixierte sie mit lauerndem Blick. „Sie?“, rief er mit gespielter Überraschung aus. Er bemerkte, dass Alexandra Heinze die junge Schwester nicht aus den Augen ließ. Das stille Einverständnis zwischen den beiden Frauen entging ihm nicht.
„Wenn ich mich recht entsinne, gehört die Pflege von Unfallopfern seit einem Jahr nicht mehr zu ihren Spezialitäten.“
Marianne musste schlucken. Der Seitenhieb gab ihr einen Stich ins Herz. Sie wich dem Blick des Arztes aus und sah, dass Dr. Heinze beschwichtigend mit den Kopf schüttelte. Als wollte sie sagen: „Gar nicht darauf eingehen.“
Jetzt platzte Lars Remmers der Kragen.
„Schwester Marianne ist eine erfahrene Schwester!“ Nur mühsam gelang es ihm, die Lautstärke seiner Stimme zu kontrollieren. „Außerdem hat sie die Schichtleitung. Es ist doch klar, Herr Höper, dass sie den Patienten übernimmt!“
Höper schaute seine Kollegen nacheinander an. Seine Augen funkelten feindselig. Deutlich empfand er die Ablehnung, die ihm entgegenschlug.
„Darüber ist wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen“, schnarrte er kühl.
Er nahm Alexandra Heinze die Kurven aus der Hand und blätterte nervös darin herum. Ohne Marianne anzusehen, sagte er: „Ich erwarte eine engmaschige Überwachung des Patienten. Peinlich genaue Dokumentation aller Veränderungen ist absolutes Muss!“
Jetzt erst sah er auf. Sein kühler Blick traf Marianne. „Jeder noch so kleine Fehler wird Konsequenzen nach sich ziehen, habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Schwester Marianne?“