Читать книгу Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane - Thomas West - Страница 42
Оглавление35
„Erstaunlich, wie der Mann sich macht.“ Dr. Lars Remmers studierte die Verlaufskurve seines Patienten Felix Söhnker. Die Laborergebnisse des heutigen Morgens befriedigten ihn.
„Wann war der Unfall?“
„Vor sechs Tagen“, antwortete Schwester Marianne Debras. Sie war gerade damit beschäftigt, die Saugdrainage an Söhnkers linker Brustseite neu zu verbinden.
„Er atmet schon den ganzen Vormittag ohne Maschine.“
„Spontanatmung seit sieben Uhr“, murmelte Remmers, „ich lese es gerade in der Kurve.“ Nachdenklich sah er Felix Söhnker an. Dessen Blick ruhte fragend auf dem Arzt.
„Gut“, sagte Dr. Remmers plötzlich und legte die Kurve weg, „die Sauerstoffwerte im Blut sind so gut, dass wir es wagen können.“
Er ging zu dem fahrbaren Notfalltisch und griff sich eine große Spritze.
„Kommen Sie Schwester Marianne, wir extubieren Ihren Schützling.“
„Haben Sie gehört, Herr Söhnker?“, übersetzte Marianne die gute Nachricht für Felix Söhnker, „Dr. Remmers wird Ihnen jetzt den Schlauch aus der Luftröhre ziehen, dann können Sie wieder sprechen!“
„Und hoffentlich bald auch trinken und essen“, ergänzte Remmers, während er mit der Spritze durch einen kleinen Schlauch die Luft aus dem Ballon zog, der den daumendicken Beatmungsschlauch, den sogenannten Tubus, im Inneren der Luftröhre festhielt. Marianne stellte das Absauggerät an und führte die Absaugsonde in den Tubus ein. Eine bei Extubationen obligatorische Maßnahme, um die Patienten von dem vielen Schleim zu befreien, der sich gewöhnlich bei solchen Eingriffen bildet.
Als der Schlauch gezogen war, musste Felix Söhnker heftig husten. Als er sich beruhigt hatte, gab ihm Marianne ein wenig zu trinken.
„Und, wie fühlt sich das an?“, fragte Remmers mit einem aufmunterndem Lächeln.
Söhnker versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein Krächzen zustande. So nickte er stumm.
„Schwester Marianne wird jetzt stündlich Atemübungen mit Ihnen durchführen“, erklärte Dr. Remmers, „das ist wichtig, um einer Lungenentzündung vorzubeugen. Und achten Sie auch selber darauf, immer wieder tief durchzuatmen.“
Söhnker nickte wieder. Lars Remmers warf den Tubus und seine Handschuhe in den Abfallbeutel und verabschiedete sich.
„Sie haben übrigens Glück“, grinste er Söhnker an und deutete mit dem Kopf auf Marianne, „wir haben für Sie die beste Schwester abgestellt, die wir haben.“
Dann ging er aus dem Beatmungszimmer und ließ eine errötende Schwester und einen lächelnden Patienten zurück.
Nach einer halben Stunde war Felix Söhnker soweit, dass er, halb krächzend, halb flüsternd seinen ersten zusammenhängenden Satz zustande brachte.
„Heute ist Samstag, stimmt’s?“
„Richtig“, antwortete Marianne anerkennend, „na sehen Sie, Ihre Orientierung kehrt sehr schnell zurück.“
„Es ist nur, weil Sie vorhin von sechs Tagen seit dem Unfall sprachen.“ Söhnker schloss die Augen.
Ein Schatten schien sich auf seine Miene zu legen. „Und dass ich am Montag einen wichtigen Termin in Mannheim hatte, weiß ich noch sehr genau.“
Er schwieg eine Zeitlang mit geschlossenen Augen. Plötzlich öffnete er sie und sah Marianne voll an. „Haben Sie mich von Anfang an gepflegt?“
Marianne nickte.
„So eine Situation kenne ich nur aus Filmen und aus Albträumen.“
Er sprach langsam. Seine Zunge schien noch schwer zu sein von den vielen Schmerz- und Betäubungsmitteln der letzten Tage.
„Ich hätte nie gedacht, dass eine Krankenschwester auf einer Intensivstation so einfühlsam sein kann. Sind Sie immer so?“
Sein Blick blieb auf ihr ruhen, als wollte er etwas von ihr in Erfahrung bringen. Das verstärkte Mariannes Verlegenheit noch.
„Nein“, sagte sie und wandte sich von ihm ab, „nur bei Schauspielern und Regisseuren.“ Sie versuchte ihrer Stimme einen burschikosen Klang zu geben. „Für solche Leute habe ich eine Schwäche – aber nur, solange sie krank sind.“
Unverwandt schaute Söhnker die Schwester an. Sie drehte sich um, und wieder begegneten sich ihre Blicke. „Danke“, krächzte Felix Söhnker, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Marianne war oft von männlichen Patienten angeschaut worden, und sie wusste diese Blicke sehr genau einzuordnen: Da gab es die hilfesuchenden Blicke meist älterer Männer, da gab es die ängstlichen Blicke von Beatmungs- oder Herzpatienten, es gab den ganz menschlichen Ausdruck tiefer Dankbarkeit und natürlich auch die lüsternen Blicke mancher Männer, wenn auch auf der Intensivstation weniger häufig.
Doch den einerseits traurigen, andererseits warmen und hellwachen Ausdruck in den Augen ihres jetzigen Patienten konnte Marianne nicht einordnen. Und was sie regelrecht verwirrte, war das Klopfen ihres Herzens während dieser sekundenlangen Begegnung ihrer Blicke.
Abrupt wandte sich die Schwester irgendeiner Arbeit zu. Einige Minuten sprach keiner von ihnen ein Wort. Schließlich sagte Felix Söhnker: „Können Sie mir einen Gefallen tun, Marianne?“
Sie nickte. Und sofort registrierte sie, dass sie bei ähnlichen Gelegenheiten sich zunächst nach der Art des Gefallens erkundigte.
Er bat sie, seine Frau zu besuchen und sie über die positive Entwicklung seines Zustandes zu informieren.
„Sagen Sie ihr einen Gruß, und – vielleicht hat sie mir ja auch etwas auszurichten.“
Irgendetwas war merkwürdig an dieser Botschaft. Marianne spürte es deutlich, konnte aber nicht sagen, was. Sie nickte.
„Mach ich gern für Sie, Herr Söhnker. Gleich nach der Übergabe, gegen zwei Uhr, werde ich zu Ihrer Frau gehen.“