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„Sie ist ziemlich schläfrig und rührt sich kaum von der Stelle.“ Hilde Heinzes Stimme klang besorgt.

„Hat sie denn etwas gefressen?“ Alexandra Heinze telefonierte vom Aufwachraum des chirurgischen Operationstraktes aus. Es war kurz vor acht.

„Ich habe ihr einen Napf mit Hackfleisch hingestellt“, erzählte Hilde Heinze, „aber Anuschka hat es noch nicht angerührt.“

Die Ärztin seufzte. „Nun gut, mach dir nicht so viele Sorgen, Mutter. Wir müssen abwarten.“

Sie verabschiedete sich von ihrer Schwiegermutter und hängte den Hörer ein. Alles was man für Anuschka tun konnte, war getan. Sie hatten tatsächlich keine andere Wahl, als abzuwarten. Die Ärztin hoffte inbrünstig, die Hündin würde stark genug sein, mit der unbekannten Giftdosis fertig zu werden.

Alexandra Heinze wandte sich dem aktuellen Operationsplan zu. Keine besonders komplizierten Sachen standen auf dem Programm. Der Chef und der Oberarzt würden um acht Uhr mit ihren ersten Operationen beginnen.

Sie trat auf den langen Flur des Traktes. Überall huschten grün gekleidete Gestalten geschäftig hin und her. Gegenüber, im Waschraum, sah Alexandra Heinze Professor Streithuber und Dr. Höper beim Händewaschen. Offenbar hatten sie eine Auseinandersetzung, denn Höpers Stimme klang ziemlich erregt. Alexandra Heinze ahnte nichts Gutes. Sie gab sich einen Ruck und betrat den Waschraum.

„Ich brauche Personal, auf das ich mich verlassen kann!“, hörte sie Dr. Höper sagen. „Bei diesem Patienten können wir uns keinen Fehler ...“ Er verstummte, als er bemerkte, dass Alexandra Heinze im Türrahmen stand.

Ihr war sofort klar, worum es ging.

„Guten Morgen Frau Heinze“, begrüßte sie der Professor, „der Herr Kollege will partout, dass ich mit einer chefärztlichen Anweisung Schwester Marianne vom Bett seines Beatmungspatienten verbanne.“

Schwester Betty, die neugierig die Ohren spitzte, reichte ihm ein Paar sterile Handschuhe an.

„Was sagen Sie dazu?“

„Ich glaube kaum, dass Frau Heinze das beurteilen kann und will“, schnauzte Höper.

„Da bin ich nicht so sicher“, antwortete Professor Streithuber und wandte sich an die Ärztin. Seine weißen, buschigen Augenbrauen waren fragend hochgezogen.

Wieder unterbrach Höper. „Herr Streithuber, ich bitte Sie! Die Schwester konnte gestern die Dienstschicht wegen eines Kreislaufkollapses nicht zu Ende führen!“ Der Oberarzt hob beschwörend die Hände. „Stellen Sie sich das vor! Und jetzt will sie meinen problematischsten Patienten versorgen!“

„Ach – haben Sie davon gehört Frau Heinze?“ Der Professor ließ sich den grünen Chirurgenkittel von Betty zubinden und hielt dabei die Hände in Schulterhöhe von sich gestreckt.

„Ja, Herr Professor, gestern Vormittag. Ich habe sie sogar behandelt und nach Hause geschickt.“

„Na, sehen Sie!“, unterbrach Höper und erntete dafür einen unwilligen Blick seines Chefs.

„Eine kleine Schwäche, nichts Ernstes“, fuhr Alexandra Heinze fort, „am Nachmittag habe ich sie noch einmal besucht. Es ging ihr wieder gut. Sie ist heute morgen voll arbeitsfähig.“

„Davon konnte sich im Laufe des letzten Jahres jeder ein Bild machen, wie arbeitsfähig sie ist!“ Höpers Stimme klang höhnisch.

„Herr Höper, ich muss doch sehr bitten!“ Peinlich berührt sah der Chefarzt um sich. „Wenn Frau Heinze Schwester Marianne für einsatzfähig hält, sollten wir uns darauf verlassen.“

Jetzt griff der Oberarzt Dr. Heinze an. „Das ist doch wieder so ein sozialpädagogischer Sondereinsatz von Ihnen, Frau Kollegin!“

Höper fuchtelte ärgerlich mit den Händen, und Betty hatte Mühe, ihm die Handschuhe überzustreifen.

„Wir sind hier aber kein Sozialamt, sondern eine Klinik! Und ich muss die Verantwortung für den Mann da oben tragen! Der ist Regisseur, Theaterregisseur, was glauben Sie, was die Presse ...“

„Herr Dr. Höper!“, unterbrach Streithuber streng. „Meine chefärztliche Anweisung lautet: Kein weiteres Wort mehr in dieser Sache!“

Die ungehaltene Miene des Chefs machte allen Anwesenden deutlich, dass er keinen Widerspruch mehr dulden würde. „Schwester Marianne ist arbeitsfähig und wird Ihren Patienten betreuen!“

Energisch schritt er auf die Schwelle des Operationssaales zu. Bevor er eintrat, drehte er sich noch einmal zu Alexandra Heinze um. „Und Sie, Frau Doktor, stehen mir dafür gerade, dass die Schwester ihre Sache gut macht!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er im Saal.

Alexandra Heinze hatte keine Lust auf weitere Auseinandersetzungen mit dem Oberarzt. Ohne sich zu verabschieden, verließ sie den Operationstrakt. Als sich die Tür hinter ihr schloss, musste sie erst einmal tief durchatmen. Der Oberarzt konnte verdammt unangenehm werden. Doch diesmal hatte sie gewonnen.

Sie hatte schon den Fuß auf der Treppe, um hinunter in das Notarztzimmer zu gehen. Einen Augenblick verharrte sie, drehte sich dann um und sprang die Treppe hinauf. Sie musste noch einmal nach Schwester Marianne sehen.

Nach diesem Streit fühlte sie sich erst recht verantwortlich für die Schwester und ihren Beatmungspatienten. Zweifel stiegen in ihr auf, als sie die Tür zur Intensivstation aufstieß.

Ob es richtig war, Marianne zur Übernahme dieser heiklen Pflege zu ermutigen? Gestern Abend hatte Werner am Telefon große Bedenken geäußert. Eine Psychotherapie würde der jungen Frau seiner Meinung nach eher helfen. Aber Alexandra war bei ihrer Einschätzung geblieben: Marianne Debras musste mitten hinein in die Situation, die sie seit einem Jahr nicht wahrhaben wollte. Sie musste sich so hautnah wie möglich mit ihrem Schicksal und dem Tod ihres Partners auseinandersetzen. Und was war besser dazu geeignet als die Pflege eines Menschen in einer ähnlichen Situation?

„Hoffentlich habe ich sie nicht überfordert“, murmelte die Ärztin leise, als sie über den Gang der Intensivstation eilte. Ganz ließ sich der leise Zweifel doch nicht zum Schweigen bringen.

Aber der Blick in die offenstehende Tür des Beatmungszimmers beruhigte sie: Schwester Marianne war damit beschäftigt, die Gesichtswunden des Bewusstlosen zu versorgen. Sie wirkte ruhig und ausgeglichen.

Dr. Heinze betrat das Zimmer. „Wie geht es?“

Die Schwester trug einen Mundschutz. Sie sah die Ärztin mit ihren großen, braunen Augen an.

„Der Kreislauf ist stabil, doch er liegt tief im Koma ...“

„Ich meine Sie, Marianne, wie geht es Ihnen?“

Überraschung spiegelte sich im Blick Mariannes. Dann lächelte sie. „Danke, Frau Dr. Heinze, mir ist ein bisschen flau, aber ich glaube, ich schaffe es.“


Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane

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