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Sahne auf der Torte

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Anstatt meiner Haare lagen überall Geldscheine in der engen Wagontoilette herum: Zehner, Zwanziger, Fünfziger, sogar ein Hunderter. Sie waren nach dem Zählen beim Einräumen auf den Boden gesegelt. Ich hob sie rasch auf, wobei meine Hand nach vorne schnellte wie der Kopf eines hungrigen Huhns nach seinem Trockenfutter. Den letzten Zehnmarkschein knüllte ich in meine Hosentasche.

Das hohle Geräusch einer Tunneldurchfahrt. Draußen war es dunkel, das konnte ich selbst durch das Milchglas erkennen. Das Licht flackerte kurz.

Ich ließ die pralle Aldi-Plastiktüte baumeln und drehte sie mit der anderen Hand, bis ich sie verknoten konnte. Den leeren Leinensack der Sequrity-Firma faltete ich so klein wie möglich und schob ihn in eine Seitentasche.

Die Aldi-Tüte voll Geld stopfte ich in den Rucksack, zumindest versuchte ich es, denn nachdem ich das Geld gezählt hatte, nahm es mehr Platz weg.

Wieder ein Tunnel.

Unter einiger Anstrengung zerrte ich den noch feuchten und zusammengerollten gelben Regenmantel heraus und legte statt dessen das Geld hinein. Ich klappte das Fenster auf, und mit zwei Handgriffen wrang ich den Regenmantel zu einer Wurst, die durch den Fensterschlitz passte. Dann wartete ich am Fenster, mit einer Hand den Regenmantel haltend.

Was tat ich hier? Plötzlich kam ich mir vor, wie eine Figur in einem Spiel. Ich hatte wirklich gegen das Gesetz verstoßen und floh in einem Zug über die Grenzen. Flüchtig. Gesucht? Das wusste ich nicht. Im Idealfall gerieten wir nie in Verdacht.

Schlagartig wurde es laut draußen, dumpf hallte das Geräusch der Stahlräder von den Tunnelwänden wider.

Ich ließ los. Erst widerstrebte das gelbe Kleidungsstück, es fühlte sich an, als wollte der Mantel von der Druckluft hereingedrückt werden, dann wurde mir der Regenmantel vom Sog aus den Händen in den Tunnel gerissen.

Ich schmiss die Sonnenbrille hinterher und knallte das Fenster zu, schulterte den Rucksack, schaute mich um, ob noch irgendwo ein Geldschein herumlag, und verließ die Toilette.

Ich spürte mein Grinsen, während ich mit großen Schritten den Gang herunter zu unserem Abteil marschierte, vorbei an den letzten wachen Reisenden, die es sich noch nicht in ihren Kojen gemütlich gemacht hatten. Ich kämpfte gegen das Grinsen an, es tat fast weh. Jeder, der mich so sah, musste denken, ich hätte was geraucht.

Eine Kleinstadt bei Nacht flitzte vorbei.

So mussten sich erfolgreiche Verbrecher fühlen. Ich bemerkte, dass ich aufrechter ging als sonst, ich drückte meinen Rücken durch, als gäbe es endlich etwas, worauf ich stolz sein konnte.

Durch die Schiebetür sah ich Carlo auf seinem Bett liegen, er las in unserem Sprachführer, natürlich stand ein offenes Bier neben seinem Kopfende. Mit dem Kerl hatte ich das Ding gedreht. Irre.

Um nicht unnötig laut zu sein, öffnete ich die Schiebetür vorsichtig und langsamer als zuvor. Sie quietschte trotzdem, nur länger.

Das nervenaufreibende Geräusch war noch nicht vorbei, da schaute Carlo auf, „Mensch, du solltest dich sehen, unglaublich, wie eine ... wie ein Fremder.“

„Soll ja auch so sein.“

„Ja. Und?“

Ich antwortete nicht sofort, „29.“

Carlo pfiff leise durch die Zähne, „Zusammen einundsechzig. Mehr als erwartet.“

„11.000 Trinkgeld.“

Wir lächelten uns an, und ich zog die Tür hinter mir zu, „Muss eine prima Woche gewesen sein für den Laden.“

„Und wir haben ihnen auf die Cornflakes gepinkelt“, sagte Carlo zufrieden und griff sich sein Bier.

Ich schmiss den Rucksack auf mein Bett, „Übrigens, mein Regenmantel liegt schon in einem der letzten Tunnel.“

„Echt!? Gut. Dann werde ich gleich auch noch mal austreten. Dann haben wir das alles hinter uns.“

„Hast du umgepackt?“, fragte er.

„Ja, hat alles in die Aldi-Tüte gepasst. Den Leinensack habe ich eingesteckt.“

„Gut, ich auch“, sagte Carlo und nippte am Bier.

„Wenn ich so drüber nachdenke ...“, ich schüttelte den Kopf, mir fiel plötzlich eine Zeitungsüberschrift ein: Die ehrliche Finderin.

„Was?“

„Ich habe mal 1.000 Mark gefunden.“

„Was? Wie, gefunden?“, er setzte ab.

„Gefunden, zehn Blaue.“

„Die lagen da rum?!“

„Im Portemonnaie.“

„Einfach so“, sagte Carlo.

„Einfach so“, sagte ich.

„Wo?“

„Auf der Straße, bei uns, wo ich früher gewohnt habe, in der Gosse, im Rinnstein.“

„Abgefahren. Hattest du dir damit deinen Portugal-Trip finanziert?!“

„Nein.“

„Was denn?“

„Nix. Ich habe es abgegeben.“

„Wann war das?“

„Als ich zwölf war.“

„Ach so. Und wem hast du es gegeben?“

„Na, dem Besitzer.“

„Einem Zuhälter?! Wer schleppt denn sonst so viel Kohle mit sich rum“, sagte Carlo.

„Der Schornsteinfeger in unserer Straße.“

„Nein. Was hat der denn noch für einen Service? Kokain dealen? Schwarz-Weiß passt irgendwie. Salt and Pepper Enterprise.“

„Das war sein Monatslohn. Den hatte er abgehoben bei der Bank.“

„Klar.“

„Ja.“

„So viel?!“

„Ja!“

„Finderlohn?“

„Ein Hunni.“

„Zehn Prozent sind korrekt.“

„Richtig. Die waren superglücklich, er und seine Frau, saßen da am Esstisch.“

Carlo musterte mich, „Du hast aber nicht vor, unser Geld dem Baumarkt zurückzugeben?!“

„Nein.“

„Bist du ein Risiko?“

„Nein. Das fiel mir nur gerade ein, komisch. Damals war ich als superehrliche Finderin in der Lokalzeitung. Und jetzt ... irgendwie ironisch.“

„Ironisch wären 6.000 Tacken, zehn Prozent von 60.000.“

„Keine Angst.“

„Das hoffe ich.“

Ich trank mein Bier.

Carlo schaute in den albanischen Sprachführer und fragte mich, „Na dann, was heißt: Haben Sie eine Unterkunft für zwei Personen?“

„Akeni nje dhome per dy personae.”

„Na, so ähnlich, aber ich lasse das mal gelten.“

„Frag mich was Einfacheres.“

„Was heißt: Danke!“

„Falemenderit.“

„Perfekt. Sogar richtig betont, wenn ich das richtig aus der Lautschrift herauslese.“

Seit zwei Monaten paukten wir albanische Vokabeln. Albanien war unser Ziel. Von Mailand würden wir einen weiteren Zug nach Bari im Süden Italiens nehmen, und von Bari die Fähre nach Dürres, Albanien. Dort wollten wir untertauchen. In Albanien würde uns mit Sicherheit niemand suchen. Wir wollten alles anders machen.

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