Читать книгу Christus - der Weg, die Wahrheit und das Leben - Till Arend Mohr - Страница 8
Оглавление1 Offenbarung
Wenn wir Gott an seinen Werken erkennen, beschreiten wir einen Weg von unten nach oben, vom Menschen zu Gott. Gegen diesen Weg ist grundsätzlich nichts einzuwenden, denn er hat mit einer Selbstbehauptung des Menschen Gott gegenüber nichts zu tun. Vielmehr entspricht er ja der Verheißung Christi: „Suchet, so werdet ihr finden!“ (Mt 7,7)
Doch müssen wir eingestehen, dass wir auf diesem Weg des persönlichen Nachdenkens ‚von unten nach oben‘ nur eine sehr begrenzte, menschliche Erkenntnis Gottes zu erreichen vermögen. Immerhin: Die Existenz des einen, allmächtigen, ewigen, unendlich weisen Gottes und Schöpfers des Universums könnten wir erkennen – und einiges mehr, wenn wir die Wahrheit überhaupt wissen wollen. Doch unsere menschlichen Erkenntnisse sind in der Regel nur kleine Bruchstücke, ungeordnete Puzzleteilchen, die von Vorurteilen und Irrtümern reichlich umgeben sind, bis sie sich langsam zu größeren, sinnvollen Zusammenhängen ordnen. Jesus wusste, von was er sprach, als er feststellte: „... niemand erkennt den Sohn als nur der Vater, und den Vater erkennt niemand als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“ (Mt 11,27)
Weil wir verglichen mit Gott unvollkommen sind, sind wir wohl beraten, wenn wir uns für die Erkenntnis Gottes und der Wahrheit dem vollkommenen Weg öffnen, dem Weg von oben nach unten, von Gott zu uns Menschen. Dies ist der Weg der Offenbarung. Denn wenn Gott selbst uns die Wahrheit offenbart, dann gründet unsere Erkenntnis auf einem unerschütterlichen Grund. Darum lohnt sich alle Mühe, zu prüfen, wie es möglich ist, dass Gott uns die Wahrheit offenbart.
Offenbarung im engeren Sinne ist göttliche Kundgabe von Wahrheit. Offenbarung kann sich auf sehr verschiedenen Wegen vollziehen. In ganz allgemeiner Weise offenbart sich Gott allen Menschen – wie wir sahen – durch die Werke seiner Schöpfung, deutlicher und eindringlicher jedoch durch Inspirationen, Auditionen, Visionen, am deutlichsten und unmissverständlichsten aber durch sein Wort. Darum soll im Folgenden untersucht werden, wie denn das überhaupt möglich ist, dass Gott zu Menschen in klaren, verständlichen Worten spricht.
Wenn Menschen einander etwas sagen wollen, die die gleiche Sprache sprechen, so ist dies ohne Weiteres möglich; denn die Schwingung des ‚Senders‘ entspricht der des ‚Empfängers‘. Auch Tiere derselben Art, selbst wenn sie so klein sind wie tanzende Bienen mit ihrer wunderbaren Körpersprache, verständigen sich untereinander auf eine für sie befriedigende Weise. Probleme entstehen erst, wenn sich zum Beispiel Menschen mit Tieren unterhalten wollen. Zwischen den einzelnen Stufen des Lebens liegen doch Welten! Und darin liegt das Problem für das Gespräch mit Gott. Damit wir Gottes Wort verstehen können, muss der Unterschied, der zwischen der höheren Schwingung des göttlichen ‚Senders‘ und der niedrigen des menschlichen ‚Empfängers‘ besteht, überwunden werden. Zwischen Gott und Mensch müssen sozusagen ‚Transformatoren‘ eingeschaltet werden. Dies kann auf ganz verschiedene Art geschehen.
Man kann die vielerlei Wege, auf denen das Wort Gottes zu uns Menschen gelangt, aufgrund der Eigenschaft des menschlichen ‚Empfängers‘ in zwei Gruppen einteilen: erstens Botschaften, die wir durch unsere äußeren Sinne aufnehmen, und zweitens Botschaften, die wir mit unseren inneren Sinnen aufnehmen.
2.1 Die inneren Wahrnehmungsorgane des Menschen
Der Mensch hat nicht nur äußere Sinne (Augen, Ohren, Nase usw.), sondern auch innere, die den äußeren entsprechen. Dies lässt sich durch folgende Selbstbeobachtung leicht feststellen: Jedes Bild, das wir durch unsere äußeren, materiellen Augen wahrnehmen, können wir auch bei geschlossenen äußeren Augen mit unseren inneren Augen betrachten und sogar noch nach langer Zeit aus unserem Gedächtnis wieder hervorholen. Ja wir könnten gar keine äußeren Dinge wahrnehmen, wenn wir sie nicht auch mit unseren inneren Sinnen erfassen würden! Ein Fotoapparat zum Beispiel ist blind, auch wenn er mit seinem materiellen ‚Auge‘ die schärfsten Bilder macht; denn er weiß nichts davon, dass er Bilder macht, und kann sie auch nicht wieder nach Belieben ins Bewusstsein rufen – er ist eben eine tote Maschine. Der Mensch aber weiß, was er sieht. Er besitzt Bewusstsein. Er kann sich über das Wahrgenommene freuen oder ärgern. Er kann darauf ganz verschieden reagieren. Ja, er kann frei darüber befinden, was er wahrnehmen will und was nicht. Er besteht nicht nur aus einem toten Leib, sondern auch aus Seele und Geist, die den Leib mit bewusstem Leben erfüllen.[1] Das Wesen des Menschen ist also mehrschichtig: Wie er äußere Sinne besitzt, so besitzt er auch innere.
a) Vision
Nur so ist es ja auch erklärlich, dass wir sogar im Schlaf mit geschlossenen Augen während eines Traumes Dinge erleben, die wir nur mit unseren geistigen Augen, Ohren und sonstigen geistigen Sinnen wahrnehmen. Dabei ist nicht jeder Traum für uns wichtig. In den meisten Träumen verarbeitet die Seele nur das, was sie selbst beschäftigt. Und Albträume können zu einer rechten Plage werden. Da empfiehlt es sich, vor dem Einschlafen um Schutz durch die Gotteswelt zu bitten. Und es gibt auch in die Irre und ins Unheil führende, eitle, falsche Träume falscher Propheten, vor denen die Bibel warnt (Jer 23,25–32; 29,8 f.; Sir 34,5–7). Doch wie es auch die wahren, Gott dienenden Propheten und mediale, feinfühlige Menschen mit hoher Gesinnung gibt, so gibt es auch gute Träume, Wahrträume, welche von Gott durch seine heiligen Engel bewirkt werden. Sie warnen uns vor Unheil. Sie trösten uns und stehen uns bei, schwere Prüfungen zu bestehen. Sie künden Dinge an, die dann auch wirklich eintreffen. Daran erkennt man sie als Wahrträume, wie ich aus eigener, reicher Erfahrung weiß.
So wurden Jakob in Bethel durch einen Wahrtraum die Augen für Gott, die Wirklichkeit des Reiches Gottes und seiner Engel und für seine und des Gottesvolkes Zukunft tröstlich und verheißungsvoll geöffnet (1 Mose 28,10 ff.). Und es gibt auch die Gabe der rechten Traumdeutung, so wie Josef, der Sohn Jakobs, nicht nur selbst Wahrträume hatte, sondern auch die Gabe besaß, sie wahrheitsgemäß z. B. seinen Mitgefangenen und dem Pharao zu deuten (1 Mose 37; 40–42). Auch der Prophet Daniel besaß diese Gabe (Dan 1–7).Vor der Geburt Christi erschien dem Joseph ein Engel, der ihn aufrief, Maria zu sich zu nehmen, und der ihm die Augen für den öffnete, der bald zur Welt kommen sollte (Mt 1,18 ff.). Auch die drei Weisen erhielten im Traum die Weisung, nicht zu Herodes zurückzukehren, der den neugeborenen König töten wollte (Mt 2,12). Wegen dieser großen Lebensgefahr für den noch kleinen Messias erschien der Engel des Herrn erneut dem Joseph und mahnte ihn, mit Frau und Kind nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13). Dort, nach dem Tod des Herodes, erhielt Josef erneut eine Weisung durch den Engel des Herrn im Traum, nach Israel zurückzukehren (Mt 2,19), und dort, nach Galiläa zu gehen (Mt 2,22). Nicht zuletzt sei an die Frau des Pilatus erinnert, eine Römerin, die in einem Wahrtraum um Jesu willen viel gelitten hatte. Denn klarer als alle Schriftgelehrten und Pharisäer, Herodes Antipas und Pilatus erkannte sie Jesus dadurch als einen Gerechten und wollte Pilatus warnen, ihm irgendein Unrecht anzutun (Mt 27,19). Kaum auszudenken, was geschehen wäre, wenn Pilatus wirklich auf seine Frau und letztlich auf Gottes Wort und Offenbarung gehört hätte! – Was nützt es, die Hände zu waschen, wenn man einen Gerechten trotzdem dem Kreuzestod preisgibt?[2] Dies Beispiel zeigt, dass Wahrträume nicht nur auf das Gottesvolk Israel oder die Christen beschränkt sind, sondern jedem Menschen widerfahren können, wenn Gott ihn dieser besonderen Gnade für würdig erachtet. Bei dieser Form der Offenbarung, wie sie zu jeder Zeit auch heute in jedem Volk geschehen kann, sehen wir mit unseren inneren Augen die Wahrheit viel klarer und tiefer, als es uns mit den äußeren Augen des materiellen Leibes möglich wäre. So erlebte Marc Chagall 1910 in St. Petersburg einen Traum, in welchem ihm ein Engel erschien. Diese Erscheinung inspirierte sein gesamtes weiteres Werk.[3]
Ja, sogar im Komazustand, wenn nachweislich keinerlei Gehirntätigkeit mehr vorliegt, kann der vom materiellen Leib gelöste Geist mit seinen geistigen Sinnen sehen und hören, nicht nur die reale, materielle Umwelt, sondern auch sich selbst in der feinstofflichen Gestalt und geistige Wesen wie verstorbene Verwandte oder gar leuchtende Himmelswesen. Ob wir nun durch unsere äußeren Sinne wahrnehmen oder nur durch unsere inneren: In jedem Fall benötigen wir dazu unsere inneren. Sie sind unentbehrlich für jede bewusste Wahrnehmung.
Wenn Gott nun durch ‚Transformatoren‘ oder Vermittler die inneren Sinne des Menschen anspricht, so interessiert uns vor allem das, was wir durch unsere inneren Augen und Ohren wahrnehmen. Empfangen wir eine Offenbarung (in erster Linie) durch die inneren Augen, so sprechen wir von einer Vision. Empfangen wir eine Offenbarung (in erster Linie) durch unsere inneren Ohren, so sprechen wir von einer Audition. Bei einer Vision oder einer Audition können die äußeren Sinne (Auge und Ohr) entweder ganz ausgeschaltet oder unterschiedlich stark mitbeteiligt sein.
Wenn wir alle Arten der Offenbarung besprechen und erklären wollten, würde dies den Rahmen dieser Einführung bei Weitem sprengen. Vision und Audition sind hier nur als sehr verbreitete Erscheinungen genannt. Wer sich noch ein deutlicheres Bild von der Vision machen möchte, sei auf das Buch von Ernst Benz[4] hingewiesen, in welchem aufgrund von drei Jahrzehnten Forschungsarbeit auf dem Gebiet der visionären Erfahrungen auf über 650 Seiten mit reichem Belegmaterial ein umfassendes Bild von der Vision entworfen wird. Dieses von hohem Sachverstand zeugende Buch ist eine wahre Fundgrube: „Wenn man erst einmal anfängt, die Kirchengeschichte nach Visionären zu durchsuchen, so merkt man mit Staunen und Schrecken, in welchen Mengen sie zu allen Zeiten aufgetreten sind. Schließlich findet man Visionäre an allen Ecken und Enden.“ (Benz, a. a. O., S. 13) In seiner Schlussbetrachtung stellt Benz fest: „Die Schau der Wirklichkeit der Überwelt, die dem Visionär zuteilwird, ist unendlich mannigfaltiger als jede dogmatisch formulierte Aussage über diese Überwelt; hat doch der Visionär die Empfindung, mit allen Sinnen an der Wirklichkeit dieser Überwelt teilzuhaben, in ihr zu leben, von ihr zu essen und zu trinken, ja mit ihr sich zu vermählen. Vor allem ist er von dem unwiderleglichen Bewusstsein erfüllt, dass diese Wirklichkeit der von ihm erfahrenen Überwelt die wahre Wirklichkeit ist, gegenüber der alle irdische Wirklichkeit verblasst und wertlos wird …“ (Benz, S. 641)
Das könnte der hochbegnadete, hellsichtige Pfarrer von Ars, Jean-Marie Vianney (8.5.1776–4.8.1859), nur bestätigen. Und es sind keine leeren Worte, wenn er bezeugt: „Das vom Heiligen Geist erleuchtete Auge des wahren Christen aber sieht viel weiter, über Zeit und Raum hinaus, bis in die Tiefen der Ewigkeit.“[5] Er empfing, nachdem er schwere Kämpfe mit den bösen Mächten und deren menschlichen Werkzeugen bestanden hatte, nicht nur einen Geist der Heilkraft, sondern auch die Gabe des Hellsehens in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.[6] Wie Pfr. Johann Christoph Blumhardt konnte er den inneren Zustand eines Menschen hellsehend wahrnehmen. Er sah den Tod von einzelnen Menschen und sie betreffende ferne Ereignisse zutreffend voraus oder Gegenwärtiges wie den Brand eines Hauses, sodass er den Betreffenden umgehend nach Hause schickte. Er sah die innersten Gedanken der ihm beichtenden oder Rat suchenden Personen und erkannte sofort, wenn etwas nicht stimmte, was sie ihm sagten. So erkannte er genau die eigentlichen Sünden der Menschen. Ja, er konnte auch über Distanz aus der Ferne Menschen, die bei ihm Hilfe suchten, heilen, beraten, trösten und bekehren. So suchten ihn immer mehr Menschen aus entfernten Bezirken, ja sogar auch aus dem Ausland auf. Zigtausenden vermochte er durch seine überragenden Gnadengaben echte Hilfe, Heilung und Trost zu vermitteln. Durch seine Fürbitte ereigneten sich auch echte, vielfach bezeugte Wunder wie Nahrungsmittelvermehrungen! (a. a. O., S. 216) Er gehört wohl zu den größten, segensreichsten Seelsorgern und Beichtvätern nicht nur Frankreichs im 19. Jahrhundert. Sein strahlendes Vorbild ist der schönste Beweis für die Wahrheit, dass die herrlichen Geistesgaben des Himmels zu allen Zeiten und auch heute uns Menschen, wenn wir ihrer würdig sind, geschenkt werden können. Mehr als alles andere werden diese Gaben zum Aufbau der wahren, lebendigen Kirche Christi zum Heile der Menschheit beitragen.
Da das Wort der wichtigste Offenbarungsträger ist, wollen wir uns im Folgenden mit der Audition beschäftigen, um ein vertieftes Verständnis dessen zu gewinnen, was Offenbarung ist.
[1] Dies wird in Kapitel 3 „Die Wirklichkeit der geistigen Welt“ noch deutlicher ausgeführt werden.
[2] Vgl. zu dem Thema „Träume“ das Heft „Traum – Gottes Rede in der Nacht?“ in: Welt und Umwelt der Bibel 3/2019 (Kath. Bibelwerk e. V., Stuttgart).
[3] Vgl. Claudia Lardon-Kattenbusch, Von Engeln begleitet – Träume. Begegnungen. Gedanken (Leib & Seele, Zürich 1994), S. 12 f.
[4] Ernst Benz, Die Vision. Erfahrungsformen und Bilderwelt (Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1969).
[5] Leonz Niderberger, Hl. Pfarrer von Ars, S. 146.
[6] Johannes, Greber, Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes, S. 211 ff.