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VI

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Rieder und Damp waren ins Revier zurückgekehrt, nachdem Gebauer und Behm mit dem Polizeiboot am Enddorn eingetroffen waren. Die Besatzungsmitglieder von Gebauers Polizeiboot hatten die Absperrung der Unglücksstelle übernommen. Behm hatte sich ausgebeten, das Schiff, die Einschüsse und die Spuren auf Deck allein zu inspizieren. „Ich kann es nicht leiden, wenn ihr mir da dauernd auf die Finger schaut oder um mich herumscharwenzelt. Habt ihr nix in eurem Revier zu tun?“

Damp hackte auf die Tasten seines Computers ein. Kaum hatte er die Entertaste gedrückt, folgten ein kurzes Klingeln und kurz danach ein heftiger Fluch des Polizisten. Seit gut einer viertel Stunde wiederholte sich dieses Schauspiel im Abstand von einer Minute. Jetzt allerdings war eine neue Eskalationsstufe erreicht. Damp hob nach dem letzten Klingeln seine Tastatur an und warf sie wieder auf den Schreibtisch. Rieder blickte erschrocken auf.

„Ich verstehe es nicht“, brüllte Damp. „Warum nimmt diese verdammte Personendatei nicht die Daten des Pfarrers an, sondern meldet mir immer ‚Zugriff verweigert‘?“

Rieder ging um den Schreibtisch herum und sah Damp über die Schulter. „Vielleicht ist Ihr Passwort abgelaufen?“

Damp blickte beleidigt zu seinem Kollegen auf. „Für wie blöd halten Sie mich eigentlich? Das habe ich natürlich schon überprüft. Aber bitte, versuchen Sie es doch selbst.“

Er schob die Tastatur zu Rieder hinüber. Der begann seine Zugangsdaten für die Personendatei einzugeben und wurde auch sofort auf die Seite mit der Suchmaske weitergeleitet. Rieder konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wo sind die Daten von Schneider?“

Damp reichte ihm einen Zettel. Rieder tippte die Daten ein und drückte „Enter“. Es folgte ein kurzes Klingeln und auf dem Bildschirm erschien der Hinweis „Zugriff verweigert“.

„Das ist ja komisch“, bemerkte Rieder, nun auch ratlos.

Damp triumphierte. „Tja, da sind Sie mit Ihrem Berliner Polizistenlatein wohl auch am Ende?“

„Vielleicht stimmt was mit der Leitung nicht“, versuchte Rieder seinen Fehlversuch zu rechtfertigen.

„Das ist unlogisch, lieber Kollege, dann würde die Datei auch nicht unsere Zugangsdaten akzeptieren, oder?“

Rieder nickte. Er stützte sein Kinn auf seine Hand und starrte in den Computer. „Irgendetwas stimmt hier nicht.“

In diesem Moment betrat Behm das kleine Revierzimmer im Hiddenseer Rathaus. Er hatte noch die letzten Worte von Rieder gehört.

„Da habt ihr recht, hier stimmt etwas nicht!“

Er holte ein kleines Tütchen aus seiner Jackentasche, in dem sich zwei Projektile befanden, und zeigte sie den beiden Inselpolizisten.

„Ich musste ziemlich lange in meinen schlauen Dateien kramen, bis ich ein Vergleichsstück für diese Munition gefunden hatte. Die ist nämlich steinalt, aber original, stammt aus den Dreißigerjahren und passt nur zu einer Waffe, einer Luger P08.“

„Eine Luger P08? Was soll das sein?“, fragte Damp.

„Eine Armeepistole, verwendet bis Ende der Dreißigerjahre. Wer heute noch so eine besitzt, verwendet sie eigentlich nicht zum Schießen, sondern verwahrt sie in einer Vitrine. Und soweit es meine ersten Untersuchungen zeigen, wurde auch die hier benutzte Luger wahrscheinlich gehegt und gepflegt.“

Rieder und Damp waren einigermaßen beeindruckt von Behms Vortrag.

Rieder nahm das Tütchen und hielt es gegen das Fenster. „Eine alte Waffe und eine breite Streuung der Einschüsse. Vielleicht auch ein alter Schütze?“

Behm winkte ab. „Das ist gut kombiniert, aber kein Beweis. Die Luger P08 galt nicht unbedingt als Präzisionswaffe und ihr schlechtes Treffverhalten auf größere Entfernungen führte zu ihrem Ende als Dienstwaffe im deutschen Militär.“

„Was ist mit dem Blut?“

„Da müsst ihr euch gedulden. Ich habe die Blutspur gesichert. Auf dem Holm über der Kabinendecke fanden sich auch noch einige Haare. Ich werde sie mit denen von einer Bürste vergleichen, die ich im Kulturbeutel im Bad auf dem Boot gefunden habe. Ich nehme an, dass die Sachen von Schneider stammen. Aber die Staatsanwaltschaft wird wohl kaum einem DNA-Test zustimmen, wenn nicht auch ein Verbrechen vorliegt. Das könnte also dauern. Noch Fragen?“

„Wie bist du eigentlich hierhergekommen?“

„Dein Nachbar.“

„Malte?“

„Genau. Er kam mit seinem Motorboot vorbei. Da ihr den Strand gesperrt habt, kommen die Schaulustigen mit allem, was schwimmen kann, und beobachten unser Treiben rund um den gestrandeten Pott eben von der Ostsee aus. Fittkau traute sich am nächsten heran. Da habe ich ihn gefragt, ob er mich nach Vitte bringen kann. Zwanzig Euro und die Sache war perfekt.“

Rieder grinste über die Geschäftstüchtigkeit seines Nachbarn. Eigentlich betrieb er eine kleine Ferienpension, aber den einen oder anderen Euro verdiente er noch nebenbei mit selbst gemachter Marmelade, geräuchertem Aal oder „neuen“ Marktlücken, wie dem Transport von Polizisten mit dem eigenen Boot.

„Gebauer ist weiter vor Ort, um das Boot freizuschleppen, wenn das mit den Luftkissen klappen sollte. Sieht aber gut aus. Der Wind hat gedreht und der Wasserstand steigt. Die Feuerwehrleute sind jedenfalls Feuer und Flamme.“ Behm lachte über seinen Gag, allerdings allein. „Ihr seid ja echt gut drauf. Aber ich mache euch noch eine Freude.“

Holm Behm zog eine Plastikfolie aus seiner Jacke. Darin befanden sich ein Briefumschlag und ein Schreiben. „Ich habe das sicherheitshalber gleich mal eingetütet, falls es zum Äußersten kommt und unter mein Mikroskop geschoben wird.“ Damit reichte er die Hülle Rieder. Damp stand auf, um auch einen Blick auf das mutmaßliche Beweisstück zu erhaschen.

Der Briefumschlag war an Jens-Uwe Schneider adressiert, der Poststempel stammte aus Stralsund. Aber es gab keinen Absender. Rieder las laut vor, was auf dem weißen Briefbogen stand: „Darum bekenne ich dir meine Sünde und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Sünden bekennen.“

Rieder sah Behm fragend an. „Der Anfang einer Predigt vielleicht?“

„Und den hat sich der Herr Pfarrer selbst mit der Post geschickt.“ Behm tat so, als müsste er sich schütteln. „Rieder, enttäusch mich nicht! So lange bist du doch noch nicht auf der Insel. Allerdings trennt sich hier die Spreu vom Weizen, oder besser gesagt, der Atheist vom Christen.“

„Ist aus der Bibel“, mischte sich nun Damp zum Erstaunen Rieders ein. „Weiß jetzt nicht ganz genau wo. Aber ist aus der Bibel. Ganz bestimmt.“

„Eins! Setzen!“, spottete Behm, hob aber gleichzeitig anerkennend den Daumen.

„Wo hast du’s gefunden?“, fragte Rieder.

„In dem Buch, das auf dem Tisch lag.“

Rieder las den Text noch einmal. „Na ja, Schneider war Pfarrer.“

Behm wiegte seinen Kopf hin und her. „Keine Erklärung dazu. Keine Notizen, ob er es in eine Predigt einfügen wollte. Ich will ja mal nicht die Pferde scheu machen, aber das wirkt für mich eher wie ein Drohbrief.“

„Wer sollte Schneider drohen?“, überlegte Rieder. „Einer der verrissenen Schriftsteller?“

Behm zuckte mit den Schultern. „Das ist ja wohl eher euer Job, das herauszufinden.“ Damit wollte sich Behm verabschieden. „Ich würde versuchen, die Fähre nach Stralsund zu bekommen.“

„Wart mal … Wir wollten Schneiders Daten abgleichen, um nachzuforschen, ob er noch Angehörige hat“, erzählte Rieder, „aber wir bekommen keinen Zugriff auf die Personendatei. Vielleicht ein technisches Problem?“

„Gebt mir die Daten. Ich schaue, ob ich von unserem Computer in Stralsund mehr Glück habe.“

Damp kopierte den Zettel und gab ihn Behm. „Melde mich ab. Falls es was Neues gibt, ruft mich an. Irgendwie ist das eine komische Geschichte.“

Toter Kerl

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