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II

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Rieder fuhr über den Deich am Boddenufer. Da waren wenigstens keine Pferdekutschen unterwegs. Es blies ein leichter Kantenwind von Westen und dagegen gab es leicht erhöht über den Wiesen zwischen Vitte und Kloster keinen Schutz.

Über Rügen ging langsam die Sonne auf. Ihre Strahlen verbreiteten auf dem Bodden einen sanften Dunst. Geräuschlos glitt die erste Fähre von Schaprode auf Hiddensee zu. Auf den Feuchtwiesen zwischen den Inselorten Vitte und Kloster weideten Schafe, Rinder und Pferde. Dazwischen stolzierten Möwen, Reiher und Wildgänse, wenn sie nicht gerade in einem der Tümpel ein ausgiebiges Morgenbad nahmen. Rieder hatte sich angewöhnt, immer nach den schwarzen Schafen in den Herden zu suchen. Doch mehr als ein oder zwei fand er nicht.

Diese Idylle entschädigte Rieder immer wieder für die kleinen Zwistigkeiten mit seinem Kollegen. Hier auf der Insel hatte er als einstiger Stadtmensch ein völlig neues Gefühl für die Natur und den Lauf der Jahreszeiten entwickelt.

Im Hafen Kloster duftete es nach frischem Räucherfisch, der dort auf zwei alten ausrangierten Kuttern angeboten wurde. Rieders Magen rebellierte gegen das ausgefallene Frühstück. Dagegen musste er etwas unternehmen. Wahrscheinlich stand ihm auch noch eine Strandwanderung am Enddorn bevor, wenn es wirklich um die Abbrüche an der Steilküste ging. Sie waren einige Hundert Meter vom Fahrradparkplatz entfernt. Rieder bog also nach links ab, ging an der Steigung zum „Hotel Hitthim“ kurz aus dem Sattel und bremste dann vor dem kleinen Lebensmittelladen.

Gestärkt kam er am Enddorn an. Dort erwartete ihn schon ein älterer Herr, der sofort auf ihn zustürmte, nachdem er den Schriftzug „Polizei“ an der Querstange seines Rades entdeckt hatte.

„Das wird aber auch Zeit, dass Sie endlich kommen. Ich warte hier schon über eine Stunde“, maulte er anstelle einer Begrüßung. Er drängte Rieder vom Rad und machte winkende Handbewegungen, ihm an den Strand zu folgen. „Das ist eine Frechheit, was sich die Leute hier erlauben.“

Rieder versuchte, den alten Herrn zu besänftigen. „Die Natur kann man hier nicht aufhalten. Abbrüche gibt es jedes Jahr. Vor den Wellen gibt es keinen Schutz.“

Der alte Mann blieb stehen. „Was faseln Sie da von Abbrüchen, junger Mann, und den Kreidefelsen?“

„Ich dachte, es geht um die Uferabbrüche. Deshalb haben Sie doch angerufen. Der Strand ist verschüttet und man kann nicht mehr trockenen Fußes die Insel umrunden.“

Der Alte schüttelte den Kopf. „So ein Unsinn. Es geht um das Boot.“

Nun guckte Rieder verdutzt. Der Mann deutete in Richtung See und Rieder sah, was gemeint war.

Ein Boot, eine große Motorjacht, lag am Strand, hatte sich auf einige Findlinge geschoben und leicht zur Seite geneigt. Sie wirkte wie ein toter Walfisch.

„Kommen Sie, kommen Sie, schauen Sie sich die Sauerei an.“

Rieder folgte dem Mann zu dem gestrandeten Schiff. In Turnschuhen über den Strand zu laufen kostete viel Kraft, aber barfuß wäre es in diesem Gemisch aus Sand, Kies und Muschelresten eine Tortur geworden. Er staunte, woher der alte Mann seine Kondition nahm. Endlich waren sie an der Stelle angekommen, an der das Boot lag. Als Rieder sich umdrehte, um abzuschätzen, wie weit es bis zum Parkplatz Enddorn war, sah er einen großen hageren Mann in Uniform und mit Mütze den Strand entlangkommen, unverkennbar Thomas Förster, der Chef des Hiddenseer Nationalparkhauses. Rieder winkte ihm zu, dann warf er einen ersten genaueren Blick auf das Schiff. Da hatte der Bootsführer wohl nicht aufgepasst oder die Eintragungen auf der Seekarte nicht beachtet.

„Sehen Sie mal den Ölfilm auf dem Wasser, der sich gebildet hat. Diese Schweine …“

Rieder hob die Hand und versuchte weiteren Tiraden des Mannes Einhalt zu gebieten.

„Halt mal! Haben Sie denn jemanden an Bord gesehen. Es kann sich auch um einen Unglücksfall handeln. Vielleicht ist jemand verletzt?“

„Da hat sich nix bewegt, obwohl ich ein paarmal gerufen und auch Steine geworfen habe. Wahrscheinlich pennen die in der Kajüte ihren Rausch aus.“

Rieder zog die Augenbrauen nach oben. „Das mit den Steinen will ich besser nicht gehört haben.“

Nun war auch Förster angekommen. „Hallo, Rieder. Was ist los?“

Rieder zeigte in Richtung Boot. „Offenbar gestrandet. Öl ist ausgelaufen!“

„Das ist echt eine Sauerei“, schnaubte Förster, „der kann sich auf einen schönen Bußgeldbescheid freuen.“

„Moment“, rief der Polizist, „erst mal müssen wir klären, ob jemand an Bord und vielleicht verletzt ist. Okay?“

Rieder zog die Schuhe aus, krempelte die Hosenbeine hoch und watete zum Heck des Schiffes. Dort waren die Aufbauten deutlich niedriger und man konnte über die Reling auf das Deck klettern. Die Tür zur Kabine war geöffnet. Rieder stieg über die Sitzbänke und schaute vorsichtig ins Innere des Schiffes. Es war ein lang gestreckter Salon. In der Mitte befand sich ein langer schmaler Holztisch, an den Seiten Sitzbänke. Aber niemand war zu entdecken. „Hallo, ist da jemand?“, rief Rieder in den Raum. Keine Antwort.

Rieder zwängte sich am Tisch vorbei. Hinter dem Salon ging es in eine kleine Schiffsküche mit Hängeschränken, Herd, Kühlschrank, alles aus braunem Schichtholz gearbeitet oder in solches eingefasst. Rechts war eine Schiebetür. Rieder schob sie vorsichtig auf: das Bad, mit Waschbecken, Toilette und sogar einer Dusche. Nicht schlecht, dachte sich der Polizist. Auf einem kleinen Brett unter dem Spiegel über dem Waschbecken standen ein Kulturbeutel und Becher mit Zahnbürsten. Er setzte seine Entdeckungstour durch das Boot fort. Ein paar Stufen führten nach oben in ein richtiges Führerhaus, mit Steuerrad, Radargerät und allen möglichen technischen Armaturen. In der Mitte gab es eine kleine Klappe. Rieder schaute hindurch. Sie stellte sich als Einstieg in eine weitere kleine dreieckige Koje im Bug des Bootes heraus, ausgefüllt mit einem riesigen Bett. Durch die beiden Luken in der Decke konnte man bestimmt wunderbar in den Himmel schauen, dachte sich Rieder. Aber keine Spur von einer Menschenseele.

Rieder kletterte wieder von Bord und ging zu Förster und dem alten Herrn zurück.

„Keiner da.“

Da fiel dem Polizisten ein, dass er den Mann noch gar nicht nach seinem Namen gefragt hatte.

„Thilo Preil. Dr. Thilo Preil“, antwortete dieser beflissen, „und ich möchte hier auf der Stelle gleich Anzeige gegen den Besitzer dieses Bootes erstatten wegen Umweltverschmutzung …“

„Das ist ein gutes Stichwort“, meinte Rieder, „ich werde erst mal feststellen, wer überhaupt der Besitzer des Schiffes ist. Nach dem Schiffskennzeichen könnte es ja einer von der Insel sein.“

Am weißen Bug des Bootes stand „RÜG-JJ 1913“ und daneben der Name „Antonie“.

Rieder nahm sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer des Reviers. Sein Kollege meldete sich.

„Was gibt’s?“

„Sie sind noch im Büro?“

„Äh … ich wollte gerade los, nach Kloster“, stotterte Damp in den Hörer.

„Ach so …“ Von wegen in Kloster Schäden durch den Übertragungswagen aufnehmen, dachte sich Rieder. Punkt für mich. „Könnten Sie bitte mal einen Bootseigentümer überprüfen?“

„Okay, höre.“

„Der Kahn heißt ,Antonie‘, Kennzeichen …“

Da hakte Damp schon ein. „Dafür muss ich nicht den Computer anwerfen. Das ist das Boot von Schneider, Jens-Uwe Schneider, dem Pfarrer.“

„Aha.“

„Was ist denn damit?“, fragte sein Kollege.

„Es ist hier auf Grund gelaufen, oder besser gesagt, gestrandet. Hängt auf ein paar Steinen fest. Aber es ist keiner an Bord. Haben Sie eine Nummer von Schneider?“

„Ich schau mal nach.“

Rieder hörte Rascheln in der Leitung, wahrscheinlich schlug Damp in den Akten nach, die er für die Preisverleihung angelegt hatte.

„Die kann ich Ihnen auch geben“, mischte sich Förster ein.

„Lassen Sie, Damp. Förster hat die Nummer“, rief Rieder ins Telefon.

Förster suchte schon im Nummernverzeichnis seines Telefons und tippte auf die grüne Hörertaste. „Der kann sich auf was gefasst machen!“, grummelte der Naturschützer.

Vom Boot her hörten sie das Klingeln eines alten Telefons. Immer wieder. Doch niemand meldete sich.

Toter Kerl

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