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XI

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So was habe ich schon geahnt“, erwiderte Bökemüller auf Rieders neueste Mitteilung. „Die Einsatzzentrale hat mich auch gleich informiert, nachdem diese Frau den Fund gemeldet hatte. Ich komme zur Insel. Ich muss sowieso mit Ihnen sprechen. Können Sie da irgendwo einen Raum mieten für ein Meeting.“

„Im Rathaus gibt es dafür nichts Passendes. Vielleicht im ‚Godewind‘?“ Das „Godewind“ war ein Hotel im Zentrum von Vitte.

Bökemüller war einverstanden. Er wollte gegen Mittag auf der Insel sein. Behm von der Spurensicherung würde mitkommen. Zuerst wollten sie sich den Fundort an der Steilküste ansehen und dann ins „Godewind“ fahren, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

„Das wird einen ganz schönen Aufruhr geben. Ich muss das Ministerium in Schwerin umgehend informieren und natürlich die hiesige Kirchenleitung“, sprach der Polizeichef von Stralsund mehr zu sich als zu Rieder ins Telefon. „Wie wird man es auf der Insel aufnehmen?“

„Keine Ahnung“, meinte Rieder. „Ich bin zu kurz auf Hiddensee, um zu wissen, welche Rolle der Pfarrer hier gespielt hat.“ Gleichzeitig fiel ihm ein, er müsste so schnell wie möglich auch Bürgermeister Durk von den neuen Entwicklungen in Kenntnis setzen. Der war äußerst empfindlich, wenn man ihn überging oder nicht sofort über Vorkommnisse auf der Insel informierte.

„Ich rede mal mit dem Bürgermeister.“

Damp stand etwas abseits, hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt. Rieder, der sich noch einmal die Abbruchkante der Steilküste in der Nähe der Fundstelle angesehen hatte, ging zu ihm. „Könnten Sie einen Raum im ‚Godewind‘ besorgen. Bökemüller will dort gegen Mittag eine Einsatzbesprechung abhalten.“

Damp drehte langsam den Kopf in Rieders Richtung. Er schaute ihn lange an. „Wieso? Sie legen sich doch so mächtig ins Zeug? Dann können Sie das doch auch selbst machen.“ Damit drehte er sich um und schlenderte davon, als ginge ihn das hier nichts an. Rieder eilte ihm hinterher. „Damp, was soll das?“

Der Inselpolizist blieb stehen. „Was das soll? Überlegen Sie mal? Sie haben sich den Fall auf Ihre Seite des Schreibtischs gezogen. Also bitte … ich muss hier nicht den Kommissar spielen.“

Ging das wieder von vorne los, dachte Rieder wütend. Schon beim letzten Fall hatten sich die beiden Hiddenseer Polizisten ständig in die Haare gekriegt.

„Okay, ich bin vielleicht etwas vorgeprescht“, räumte Rieder ein, „aber … Sie haben mich immerhin gestern hierher geschickt, wenn Sie sich erinnern.“

Damp zeigte wütend mit dem Finger auf Rieder. „Sie spielen hier den Chef. Aber: Sie sind nicht der Chef, jedenfalls nicht mein Chef, und ich bin nicht Ihr Fahrer oder Befehlsempfänger. Also suchen Sie sich die Nummer vom ‚Godewind‘ raus und bestellen Sie Ihren Tisch zum Kuscheln mit dem Chef gefällig selbst.“ Damit ließ er Rieder stehen und lief den Pfad zurück zu der Stelle, wo der Polizeiwagen stand. Dabei stieß er fast mit einem gleichgroßen dunkelhaarigen Mann mit Vollbart zusammen. „Damp!“, brüllte dieser den Polizisten an. „Warum werde ich nicht informiert?“ Das war Michael Durk, Bürgermeister von Hiddensee. Rieder konnte beobachten, wie Damp zur Salzsäule erstarrte und irgendetwas stammelte. Dabei zeigte er mit seinem Arm in Richtung Rieder. Durk schob Damp beiseite, sodass der riesige Körper des Polizisten fast ins Gestrüpp gekippt wäre. Der Bürgermeister stürmte den Weg nach oben und rief nun nach Rieder. Die umstehenden Feuerwehrleute konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, denn alle wussten um das angespannte Verhältnis zwischen den Inselpolizisten und der Inselobrigkeit. Rieder war ihm unheimlich mit seiner Vergangenheit als Ermittler einer Berliner Mordkommission. Damp störte ihn mit seiner penetranten Ordnungsliebe.

„Warum erfahre ich als Letzter, was passiert ist?“, fuhr Durk Rieder an. Der wollte sich rechtfertigen, aber der Bürgermeister schnitt ihm das Wort ab. „Alle da unten“, damit deutete er auf die Ansammlung an den Leuchtturmwärterhäusern, „wissen, dass der Pfarrer tot aufgefunden wurde. Nur ich weiß es nicht!“

„Tut mir leid“, versuchte Rieder sich zu rechtfertigen, „aber wir mussten erst mal die Leiche bergen und …“

„Und was? Wie lange hat der Hubschrauber hierher gebraucht? Da war nicht Zeit, mal anzurufen?“ Durk holte noch mal tief Luft. „Das hat ein Nachspiel, Rieder, verlassen Sie sich drauf!“

Mit diesen Worten drehte sich Durk um und marschierte zurück. Damp hatte nicht ohne Genugtuung beobachtet, wie der Bürgermeister seinen Kollegen vor allen Leuten runtergemacht hatte. Nun sprang er zur Seite, um den immer noch wütenden Ortsvorsteher vorbeizulassen. Rieder blieb mit gebeugtem Kopf und zusammengesunkenem Oberkörper einsam zurück. Alle schienen von ihm abzurücken.

Else Bars schnappte sich ihren Rucksack mit den Malsachen. Heute würde hier kein Bild mehr entstehen. Ihr zitterten immer noch die Knie. Der jüngere der beiden Polizisten tat ihr leid. Offensichtlich war er nicht von hier und konnte es auch keinem recht machen. Ihr hatte es gefallen, wie er gleich die Initiative an sich gerissen hatte. Jetzt kam er auf sie zu.

„Ich müsste noch Ihre Aussage notieren und Sie bitten, heute Nachmittag oder morgen aufs Revier nach Vitte zu kommen, um sie zu unterschreiben. Wie war Ihr Name?“

Else Bars nannte ihren Namen, ihr Geburtsdatum. Schwieriger wurde es mit einer Adresse. Sie versuchte, Rieder mit ihrer Urlaubsanschrift auf Hiddensee und ihrer Handynummer zufriedenzustellen, denn Else Bars hatte keinen festen Wohnsitz. Im Sommer war sie auf Hiddensee, im Winter auf den Kanaren. Ihre Habe passte in einen großen Reisekoffer, ihr Arbeitsmaterial in den Rucksack. Was sie an Bildern auf der Insel nicht verkaufte, konnte sie bei Bröges unterstellen, die auch hin und wieder während ihrer Abwesenheit eines ihrer Bilder an Urlaubsgäste verkauften.

„Keinen festen Wohnsitz?“, fragte Rieder leise.

„Hat sich so ergeben“, antwortete Else Bars. „Im Sommer bin ich hier, im Winter auf La Palma. Eine Wohnung würde sowieso nur leer stehen und Kosten verursachen.“

„Okay, dann lassen wir es mal bei der Anschrift in Grieben.“

Ein Lächeln ging über ihr Gesicht. „Danke. Das hätte Damp sicher nicht akzeptiert. Der ist mir schon ein paarmal wegen einer Gewerbegenehmigung auf die Pelle gerückt. Aber Sie sind schwer in Ordnung.“

Rieder konnte diese kleine Aufmunterung gebrauchen. Er notierte, wie sie zum Swantiberg gekommen war und den Toten entdeckt hatte.

„Und gestern haben Sie hier auch gemalt? Da ist Ihnen nichts aufgefallen?“

„Gestern habe ich dort oben auf dem Gipfel des Swantiberges gemalt. Von da kann man nicht die Steilküste herabblicken. Die Sanddornbüsche mit ihren gelben Beeren wollte ich mit auf dem Bild haben.“

„Wie lang waren Sie hier?“

„So von acht Uhr morgens bis mittags. Genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Wenn ich fertig bin und das Bild trocken, packe ich meine Sachen. Spätestens 14 Uhr muss ich in Kloster stehen. Dann kommen die Reisegruppen zurück von ihren Inselrundfahrten. Das ist die beste Geschäftszeit, so bis 16.30 Uhr. Dann herrscht Flaute. Nur freitags läuft dann noch was. Die Urlauber, die am nächsten Tag abreisen, kaufen oft Bilder auf der Suche nach einem Souvenir der Insel. Sozusagen Last Minute, wie man neudeutsch sagt.“

„Und der Pfarrer ist während dieser Zeit am Vormittag nicht vorbeigekommen …“

„… und dann abgestürzt oder in die Tiefe gesprungen, ohne dass ich es gemerkt hätte? Lieber Mann, ich bin zwar etwas älter, aber noch nicht taub oder blind. Hier war es sehr ruhig. Montags kommen nicht so viele Touristen vorbei. Vielen ist der Weg bis auf den Berg zu beschwerlich. Und die Fuhrwerke fahren nur bis zur Lichtung hinter den Leuchtturmwärterhäuschen und drehen dort.“

„Kannten Sie den Pfarrer?“

„Ich war ein paarmal in der Kirche zum Gottesdienst. Wenn es am Sonntag geregnet hat. War kein Gewinn. Predigen konnte der nicht, kaum zu glauben, wenn man jetzt hört, was der so verfasst haben soll und dafür sogar einen Preis kriegt … Komisch nicht?“

Rieder wusste nicht, was er darauf antworten sollte und überspielte seine Verlegenheit, indem er sein Notizbuch zusammenklappte und eine Visitenkarte aus der Brieftasche zog. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich doch bitte an.“

Jetzt musste er im „Godewind“ anrufen, um den Raum für Bökemüller zu reservieren, und dann dafür sorgen, dass im Pfarrhaus die Zimmer versiegelt wurden. Damp war nirgendwo zu sehen.

Diesen plagte ein wenig das schlechte Gewissen. Vielleicht war er etwas zu hart mit Rieder umgesprungen. Warum musste der Neue auch immer so den Chef raushängen lassen?

Der Polizist saß im Hiddenseer Streifenwagen, der neben dem Inselfriedhof vor der örtlichen Informationstafel, genau gegenüber vom Pfarrhaus stand. Vielleicht war es auch nicht in Ordnung gewesen, so einfach von der Steilküste hierher zu fahren, ohne Rieder Bescheid zu sagen. Aber er wollte ihm einfach mal zeigen, dass er auch sein Handwerk gelernt hatte. Er versuchte, seine Kleidung zu ordnen. Seine Uniform hatte bei der Hetzerei durch das Gestrüpp am Steilufer gelitten. Er roch an seinen Achselhöhlen und verzog das Gesicht. Damp öffnete das Handschuhfach. Nach einigem Wühlen kam ein Deospray zum Vorschein. Großzügig sprühte er sich damit den Oberkörper ein und bekam von den ausströmenden Gasen einen Hustenanfall. Er kurbelte das Seitenfenster herunter, um wieder Luft zu bekommen.

Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, stieg er aus, setzte ordentlich die Dienstmütze auf den Kopf und ging zum Pfarrhaus. Er drückte den Klingelknopf neben der Tür.

Birgit Thurow öffnete. Ihre Augen waren gerötet. Sie trug heute einen eng anliegenden kurzärmligen schwarzen Rollkragenpullover und Damps Blick glitt unwillkürlich auf den sich abzeichnenden vollen Busen. Doch er riss sich zusammen.

Ehe er etwas sagen konnte, sagte die Küsterin: „Ich habe es schon gehört.“ Dann gab sie den Weg frei und Damp trat ein.

Das dunkle Gemeindebüro wurde nur vom Schein einer riesigen brennenden Kerze auf dem Schreibtisch erhellt. Birgit Thurow blieb davor stehen. Damp wusste nicht so recht, wie er es anfangen sollte.

„Frau Thurow …“ Er machte eine Pause, bemerkte, dass er noch die Mütze auf dem Kopf hatte, und riss sie augenblicklich herunter. „Eh … es tut mir leid. Mein Beileid. .Ich müsste die Räume des Pfarrhauses versiegeln.“

Sie schaute ihn mit leerem Blick an, als hätte sie ihn nicht verstanden.

„Verstehen Sie mich nicht falsch. Der Tod von Herrn Schneider geht auch mir nah … aber die Spurensicherung will die Räume untersuchen, auch die Zimmer des Pfarrers in der oberen Etage.“

Statt zu antworten, brach Birgit Thurow in einen heftigen Weinkrampf aus. Sie warf sich auf einen Stuhl. Damp war hin und her gerissen. Gern hätte er die Frau jetzt getröstet. Er wollte aber auch nicht seine Rolle als Polizeibeamter verlassen.

„Soll ich Ihren Mann informieren, dass er Sie abholt?“

Birgit Thurow schüttelte den Kopf. Da klingelte Damps Handy. Mit gedämpfter Stimme meldete er sich. „Wo sind Sie?“, rief ihm Rieder aus dem Hörer entgegen.

„Im Pfarrhaus.“

„Was? Was tun Sie dort?“

Damp straffte sich etwas, als müsste er sich für die Antwort an seinen Kollegen rüsten. Er flüsterte: „Ich wollte die Räumlichkeiten versiegeln, damit keine Spuren verwischt werden.“

Im Hörer herrschte plötzlich Stille. Dann gab es ein kurzes Räuspern.

„Sehr gut … Können Sie bitte Bökemüller und Behm vom Hafen in Kloster abholen und hierher bringen, zum Toten Kerl?“

Damp konnte sich, trotz der Situation, ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. „Ja, gern. Wenn ich das hier geklärt habe.“

„Okay.“

Damit beendeten beide das Gespräch.

Birgt Thurow war aufgestanden und hatte einige Unterlagen auf dem Schreibtisch zusammengesammelt. „Ich werde am besten erst mal mit dem Gemeindebüro in die Galerie am Torbogen umziehen.“ Die Galerie am Torbogen war früher das Küsterhaus der Hiddenseer Kirchengemeinde gewesen, aber vor einigen Jahren umgebaut worden. Der Name bezog sich auf ein kleines Backsteinportal, das gleich neben dem Gebäude am Weißen Weg stand und die letzte Spur des einstigen Klosters auf Hiddensee war. Im Erdgeschoss befanden sich Ausstellungsräume, im Obergeschoss ein Zimmer, das sowohl als Beratungsraum, Büro oder Bleibe für die ausstellenden Künstler diente.

Damp nickte zustimmend. Als Birgit Thurow die Unterlagen in die Tasche schieben wollte, hielt der Polizist seine Hand dazwischen. „Verzeihen Sie, aber ich muss sehen, was Sie mitnehmen.“ Die Küsterin überließ sie ihm. Damp schaute sie kurz durch, konnte aber nichts entdecken, was mit Schneider zu tun gehabt hätte.

„Sagen Sie, kennen Sie die Angehörigen des Pfarrers?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Seine Eltern sind tot. Sie liegen auf dem Inselfriedhof. Geschwister hatte er keine. Und sonst hatte er, soweit ich weiß, keinen Kontakt zu Verwandten. Wenn es überhaupt jemanden geben sollte.“

Damp notierte sich die Information, während Birgit Thurow noch ein Hinweisschild schrieb, das sie beim Verlassen des Pfarrhauses an die Tür heftete. Damp holte ein papiernes Dienstsiegel aus seiner Tasche und klebte es quer über Türschloss und Türrahmen. Grußlos ging Birgit Thurow davon. Damp blickte ihr nicht ohne Wehmut hinterher.

Toter Kerl

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