Читать книгу Toter Kerl - Tim Herden - Страница 16

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HK Rieder? Hören Sie mich?“ Der Polizist schaute verschlafen auf das Display seines Mobiltelefons. „Hier ist die Einsatzzentrale Bergen.“

„Ja, hier ist Hauptkommissar Rieder, was gibt’s?“

„Abgestürzte Person am Steilufer am Swantiberg auf Hiddensee. Könnten Sie bitte übernehmen?“

Rieder schüttelte sich. „Wo in Gottes Namen ist der Swantiberg?“

„Lieber Kollege, das ist Ihr Revier, nicht unseres. Es wäre eigentlich ganz nett, wenn Sie wüssten, wo was auf Hiddensee ist. Vielleicht kann Ihnen ja der Kollege Damp weiterhelfen.“

„Ja, sicher. Super Tipp“, gab Rieder sarkastisch zurück. „Sonst noch was?“

„Eine Frau Else Bars hat den Fund gemeldet. Wir haben auch schon die freiwillige Feuerwehr und den Inselarzt informiert. Sie sind zur Fundstelle unterwegs. Ende.“

„Ende.“

„Was ist los?“, meldete sich Charlotte Dobbert von der anderen Seite des Bettes. Ihre langen Haare hatten sich wie ein Schleier über das Kopfkissen gelegt.

„Jemand ist am Steilufer abgestürzt.“

Sie richtete sich auf und fragte entsetzt: „Der Pfarrer?“

Rieder zuckte mit den Schultern, arbeitete sich aus dem Bett und schlüpfte in seine Sachen. Für eine Dusche blieb keine Zeit. Gerade darauf hatte er sich gefreut, weil sein kleines Häuschen in Vitte nicht den Luxus eines Badezimmers bot. Er setzte sich noch einmal auf die Bettkante und wählte die Nummer von Damp. Der war schon beim Frühstück, worum ihn Rieder beneidete. Denn das würde wohl wie die Dusche auch ausfallen. Damp versprach, sofort zum „Strandcafé“ zu kommen, um ihn abzuholen.

Keine drei Minuten später saß Rieder neben Damp im Wagen und mit Blaulicht und Sirene ging es in den Inselnorden. Auf dem Wiesenweg in Vitte rannten Männer in braunen Uniformen in Richtung Hafen. Dort stand das Fahrzeug der freiwilligen Feuerwehr schon vor seiner Garage und wartete auf die Reste der Rettungsmannschaft. Der rote Lkw aus DDR-Zeiten tuckerte schon. Der Auspuff über dem Fahrerhaus blies blaue Rauchwolken her­aus. Hinter Vitte, auf der Straße nach Kloster, gab Damp richtig Gas und holte noch den Jeep vom Inselarzt ein. In Kloster schloss sich ihnen der Krankenwagen an. Der kleine Konvoi durchfuhr in hohem Tempo Grieben.

Touristen und Insulaner, die so früh schon unterwegs waren, sprangen zur Seite und blickten verdutzt den Fahrzeugen hinterher. Rieder konnte im Seitenspiegel erkennen, dass einige mit Fahrrädern oder zu Fuß die Verfolgung aufnahmen. Hinter Grieben bogen die Autos links ab in den Honiggrund. Der Weg führte zu den alten Leuchtturmwärterhäuschen. Die Stoßdämpfer mussten Schwerstarbeit leisten bei der rasanten Fahrt über die alten Betonplatten. Sie kamen zu einer kleinen Lichtung kurz vor dem Steil­ufer. Dort wartete eine grauhaarige Frau in einer gelben Regenjacke und winkte ihnen hektisch zu. Damp bremste scharf. Die Polizisten, der Arzt und der Sanitäter sprangen aus ihren Fahrzeugen.

Die Frau stürmte den Männern voran den schmalen Pfad zum Swantiberg hinauf, führte sie im Laufschritt um dessen Kuppe her­um zu den Kreidefelsen. Dort deutete sie in Richtung Abgrund.

Rieder konnte zunächst nichts erkennen. „Wo soll da was sein?“, fragte er Else Bars ungeduldig. Die Frau riss sich ihr Fernglas von der Brust und reichte es Rieder. Er schaute hindurch. Da entdeckte auch er den leblosen Körper in der roten Jacke auf dem Felsvorsprung.

Inzwischen kam Feuerwehrkommandant Barnhöft mit seinen Männern am Unglücksort an. Einige hatten Seile über den Schultern.

Rieder fragte Barnhöft: „Kommen Sie da ran?“

Lutz Barnhöft nahm die blaue Schirmmütze vom Kopf, wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich. Wenn wir hier an der Abbruchkante einen Mann abseilen, besteht die Gefahr, dass wir alle in der Tiefe landen. Die Kreidefelsen sind hier so brüchig. Da ist nix zu machen.“

„Aber irgendwie müssen wir doch rankommen? Vielleicht lebt er noch?“

„Ein Rettungshubschrauber“, warf Inselarzt Doktor Müselbeck ein. „Die könnten jemanden abseilen und die beiden dann mit einer Winde an Bord nehmen.“

„Die Rettungshubschrauber von Stralsund sind aber mit so was nicht ausgestattet“, gab Barnhöft zu bedenken. Rieder wurde ungeduldig. Er schaute sich nach Damp um. Der saß völlig erschöpft etwas abseits. Sein massiger Körper pumpte noch immer heftig. Das Gesicht war tiefrot gefärbt. Die Uniformbluse klebte ihm klatschnass am Körper. Rieder machte sich Sorgen um seinen Kollegen. „Alles okay?“

Damp winkte nur ab. Dann stieß er hervor: „Küstenwacht anfordern! Die haben so einen Hubschrauber mit Winde.“

„Genau“, sagte Barnhöft und wählte auch schon die Nummer der Einsatzzentrale.

Müselbeck trat an Rieder heran und zog ihn am Ärmel etwas zur Seite. „Ich denke, wir wissen beide, wer dort liegt“, flüsterte er dem Polizisten zu. „Pfarrer Schneider trug vorgestern so eine rote Wetterjacke. Ich habe ihn getroffen, als er auf dem Weg zu seinem Boot im Seglerhafen von Vitte war.“

Rieder nickte. „Ich denke auch, dass es Schneider ist.“ Nach ­einer kurzen Pause fragte er den Arzt: „Kann er den Sturz überlebt haben?“

Müselbeck schüttelte den Kopf. „Das sind gute fünfzehn bis zwanzig Meter. Und jetzt im Sommer ist die Kreide trocken und damit hart wie Beton. Er müsste schon viel Glück gehabt haben. Und es gibt keine Regung, kein Lebenszeichen.“

Barnhöft verkündete, dass die Küstenwacht sofort ihren in Warnemünde stationierten Helikopter nach Hiddensee losschicken würde.

Kaum zwanzig Minuten später erfüllte ein Brummen die Luft. Von der Ostsee näherte sich ein Hubschrauber. Am Heck prangte der Schriftzug „Bundespolizei“. Barnhöft dirigierte per Funk den Piloten zu der Fundstelle. Ein Notarzt ließ sich an einer Winde langsam herab in die Tiefe, untersuchte dann die leblose Person und teilte mit, es handele sich um eine tote männliche Person. Die Polizisten müssten entscheiden, ob sie den Leichnam gleich nach Rostock fliegen oder ob der Hubschrauber kurz landen sollte, um sich den Toten anzusehen.

„Kurz landen“, befahl Rieder.

Die Besatzung hatte den Toten schon in einem Leichensack verstaut.

„Kein schöner Anblick“, meinte der Pilot. Der Notarzt und ein Sanitäter öffneten den Reißverschluss des Leichensacks. Schon an den hellbraunen, dünnen Haarsträhnen erkannte Rieder den Pfarrer. Die hohe Stirn war voller Schrammen, die Gläser der Brille waren zersplittert. Der Anblick der Wangen ließ alle erschaudern, sie waren blutig und voller Löcher. Müselbeck schluckte und ging ein Stück zur Seite. „Vogelfraß. Möwen fressen, was sie kriegen können“, bemerkte der Sanitäter trocken.

„Können Sie etwas zur Todesursache sagen?“ Kopfschütteln. „Schussverletzungen?“

„Nein, habe ich nicht entdeckt. Am Hinterkopf hat er eine Wunde, kann aber eher durch den Aufprall auf den Felsen passiert sein“, sagte der Mann im olivgrünen Overall. „Näheres muss der Pathologe herausfinden.“

„Wir sollten ihn nach Greifswald bringen“, mischte sich der Pilot ein. „Das ist wohl deren Revier hier. Die melden sich dann bei Ihnen. Können Sie uns was über die Identität des Toten sagen?“

„Es ist der hiesige Pfarrer, Jens-Uwe Schneider.“

„Und wie heißt der Fundort da oben an der Steilküste?“

Rieder zuckte mit den Schultern.

„Toter Kerl“, sagte Damp.

Toter Kerl

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