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2.4 Agieren und Enactment

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Ein vertiefter Blick ist auf die Figur des Agierens zu richten (vgl. Storck, 2013). Agieren meint zunächst einmal auch in der Psychoanalyse ein Handeln, das hier aber unter Widerstandsaspekten und im Gegensatz zur Vorstellung oder Verbalisierung gebraucht wird. Freud entwickelt das Konzept im Zusammenhang seiner Reflexionen zur Behandlung mit Dora, die die analytische Behandlung abgebrochen hatte. Freud versteht dies als handlungsmäßiger, auf die Übertragung bezogener Ausdruck eines Racheimpulses ihm gegenüber: Sie »rächte […] sich an mir, wie sie sich an Herrn K. [einem Bekannten von Doras Eltern, bzgl. dem Freud von einer enttäuschten Liebe Doras ausging; TS] rächen wollte, und verließ mich, wie sie sich von ihm getäuscht und verlassen glaubte. Sie agierte so ein wesentliches Stück ihrer Erinnerungen und Phantasien, anstatt es in der Kur zu reproduzieren« (Freud, 1905e, S. 283). Freuds Gedanke ist, dass seine Patientin im Rahmen der Behandlung an aktualisierte schwierige Gefühle (und Fantasien) gelangt, diese aber, statt sie in der Analyse zu verstehen und zu bearbeiten, etwa indem sie sie Freud gegenüber verbalisiert, im Abbruch der Behandlung einen Ausdruck finden. Agieren heißt also, Gefühle, Fantasien oder Assoziationen nicht in das Sprechen im Rahmen der analytischen Beziehung und Stunde einzubeziehen, sondern sie in Szene zu setzen, ohne dass es bearbeitet werden kann.

Etwas später benennt Freud noch einen anderen Aspekt des Agierens, in dem es nicht nur darum geht, unter Agieren das zu verstehen, was jemand außerhalb der Behandlungsbeziehung tut und die Bezogenheit auf diese nicht erkennt. Sondern er formuliert, in Analysen »ohne erfreulich glatten Ablauf« könne man sagen, »der Analysierte erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen und Verdrängten, sondern er agiere es. Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es, ohne natürlich zu wissen, daß er es wiederholt. Zum Beispiel: Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere sich, daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der Eltern gewesen sei, sondern er benimmt sich in solcher Weise gegen den Arzt.« (Freud, 1914g, S. 129) Hier zeigt sich ferner die wichtige Bedeutung des Agierens für Freuds Begriff der Übertragung, denn letztlich betont er hier, das Phänomen, sich der Analytikerin gegenüber auf eine bestimmte Weise zu geben, könne seinen Ursprung in den Beziehungen zu den Eltern haben. Hier ist zumindest angedeutet, dass das Agieren nicht allein Widerstandscharakter hat, sondern auch etwas (nicht Verbalisierbares) erkennbar werden lässt.

Agieren wird von Freud zunächst dem »Erinnern« (Fantasien, Assoziationen) bzw. der Verbalisierung im Rahmen der Stunde gegenübergestellt. Ein zugrundeliegender Kerngedanke folgt der Nachbildung der analytischen Stunde gemäß der Traum-/Schlaf-Situation: Die Motorik (und motorische Abfuhr) soll ausgeschaltet sein, so dass sich Triebregungen in Fantasien umsetzen können. Was, so Freuds Überlegung, nicht somatisch-physiologisch abreagiert wird, findet einen psychischen Ausdruck und kann zum Gegenstand des analytischen Arbeitens werden. Vor allem deshalb soll die Analysandin nicht »handeln«, sondern sich ihrem Innenleben widmen und deshalb wird es von Freud in erster Linie als Widerstandsphänomen gesehen. Ein weiterer Grund für die Begrenzung des Agierens (im Sinne des handlungsmäßigen Ausdrucks konflikthafter psychischer Themen und Aktualisierungen) liegt darin, die Analysandin im Alltag davor zu schützen, dass sie sich schädigt, indem Beziehungsaspekte »am falschen Ort« in Szene gesetzt werden. Anna Freud (1968, S. 2455 f.) formuliert dazu: »Das Agieren des Patienten gegenüber dem Analytiker wird auf das Wiedererleben von Impulsen und Affekten, die Reaktivierung infantiler Ansprüche und Einstellungen beschränkt; der Weg zur Motorik soll versperrt […] bleiben […] Der Patient, der seinen Impulsen Einlaß in die Motorik gibt, reproduziert das wiederbelebte Unbewusste auch in seinem gewöhnlichen Alltag und kann sich dadurch zu Schaden bringen.«

Fenichel (1945b) unterscheidet in der Folge deskriptiv zwischen einem Agieren innerhalb und einem Agieren außerhalb der analytischen Stunde (für die Frage der Bearbeitung natürlich ein entscheidender Unterschied) und Zeligs (1957) gebraucht in ähnlicher Weise die Differenzierung zwischen einem »acting in« (in der Stunde) und einem »acting out« (außerhalb der Stunden). Die Übersetzung von Freuds Ausdruck »Agieren« ins Englische hat einige Schwierigkeiten mit sich gebracht, da das »acting out« dann gelegentlich wieder als »Ausagieren« rückübersetzt wurde. Dann wiederum ist aber die Übersetzung des »acting in« als »Einagieren« oder ähnlich nicht sinnvoll – denn der Gedanke des Agierens ist ja gerade, dass etwas »nach außen«, in der Handlung abgeführt wird. Eine plausible Form des »acting in« als Gegenteil zum Agieren in der Handlung liegt in der zum Beispiel von Aisenstein (2006, S. 678; Übers. TS) gebrauchten Figur des »acting in in den Körper«, also eine Art von Deponieren im eigenen Körper ohne begleitende psychische Erlebnisqualität.

Zu den zentralen Merkmalen des Agierens gehört, dass es als Kompromisshandlung zu verstehen ist, es »handelt« sich dabei um ein Zeigen und ein Verbergen, ein Zusammenkommen von Wunsch/Fantasie und Abwehr, ähnlich wie auch für psychische Kompromissbildungen der Fall, nur hier auf der Ebene von Handlungen. Ferner zeigt sich im klassischen Verständnis des Agierens darin ein infantiles (unbewusstes) Konflikt-Thema und es geschieht eine Form der Triebabfuhr über die Motorik. Dabei ist entscheidend, dass der Objektbezug darin abgewehrt wird, das bedeutet, es wird abgewehrt, dass das Agieren sich auf die Übertragung bezieht, auf diese zugleich hindeutet und ihr ausweicht. Dabei ist also nicht die Handlung als solche nicht reflektiert und u.U. auch nicht die zugrundeliegenden und begleitenden Gefühle, aber es ist unbewusst, dass diese hinsichtlich der Behandlung und vor allem der Beziehung zur Analytikerin etwas bedeuten (und was). Einer Handlung als solcher ist dann auch nicht »anzusehen«, ob es sich dabei um ein Agieren handelt oder nicht, alles kann ein Agieren sein oder auch nicht. Der entscheidende Punkt ist, dass etwas zum Agieren wird, wenn die Analytikerin es insofern auf sich bezieht, als geprüft wird, in welcher Weise es im Zusammenhang der analytischen Beziehung steht. Das mag überaus selbstzentriert klingen, steht aber mit einer wichtigen Aufgabe analytischer Arbeit im Zusammenhang: das Erleben und Handeln der Analysandin auf seine Bedeutung im Kontext wichtiger Beziehungen zu befragen.

Entlang der Weiterentwicklungen des Begriffs des Agierens lässt sich nicht nur die Weiterentwicklung des Übertragungsbegriffs nachzeichnen, sondern auch die des Begriffs der Gegenübertragung. Das Agieren steht im Kontext der Übertragungsbeziehung, das heißt jedoch auch, dass die Analytikerin daran beteiligt ist, nicht nur als diejenige, zu welcher der Bezug abgewehrt ist, sondern auch als jemand, die Szenen mitgestaltet. Diese Gedanken finden sich in unterschiedlichen Konzepten wieder, etwa der Bereitschaft zur Rollenübernahme (Sandler, 1976), der Übertragung als »Gesamtsituation«, der Szene bzw. Situation (Argelander, 1970; Lorenzer, 1970) oder dem Handlungsdialog (Klüwer, 1983). Deutlicher als zuvor wird dabei neben der Abwehr- bzw. Widerstandsfunktion des Agierens auch dessen Kommunikationsform betont. Ein Gedanke dabei ist, dass es für die Analytikerin unmöglich ist, das Agieren der Analysandin nicht zu beantworten (oder dass vielmehr sogar unklar ist, wer auf wen reagiert). Zum einen ist im Rahmen einer allenfalls rudimentär vorhandenen psychoanalytischen Handlungstheorie zu beachten, dass auch das Reden (und das Schweigen) während des Auf-der-Couch-Liegens als eine Handlung zu gelten hat. Zum anderen ist es dann auch eine »handelnde« Antwort der Analytikerin, im Sessel sitzen zu bleiben, wenn ihre Analysandin im Verlauf der Stunde von der Couch aufsteht. Auch dann entsteht eine Szene aus Handeln und handelnder Beantwortung.

Konsequenterweise ist während der vergangenen Jahrzehnte das Konzept des Agierens in Richtung des sog. Enactments erweitert worden. Jacobs (1986, S. 286; Übers. TS) meint, dass »jene subtilen, oft kaum sichtbaren Gegenübertragungsreaktionen« den »größten Einfluss auf unser analytisches Arbeiten« haben, und begründet in diesem Zusammenhang das Konzept des Enactments als Gesamtheit des Agierens der Analysandin und der Beantwortung dessen durch die Analytikerin. Jimenez und Fonagy (2011; Übers. TS) schreiben dazu: »Eine unbewusste Fantasie wird in der Übertragung aktualisiert, der Druck wird durch projektive Identifizierung übermittelt und die Gegenübertragungsprobleme des Analytikers werden nicht gelöst, so dass sich beim ihm ein »acting in« ergibt. Bei Ivey (2008, S. 20; Übers. TS) heißt es: »Man sagt, dass es zu einem Enactment gekommen ist, wenn der Patient unbewusst die subjektive Prädisposition des Analytikers, in bestimmter Weise zu fühlen und zu antworten, in Anspruch nimmt, indem er sich auch eine Art verhält, die eine emotionale Reaktion des Analytikers hervorrufen soll, die eine Übertragungsfantasie bestätigt.« Die Analysandin aktualisiert etwas und aktiviert dabei in der Analytikerin etwas, so dass beide gemeinsam eine Szene gestalten.

Manchmal wird hier von einem »Mitagieren« der Analytikerin gesprochen, was aus meiner Sicht aus zwei Gründen problematisch ist. Zum einen zeigt sich (auch) darin die Neigung, die Analytikerin als reagierend statt von Beginn an mitgestaltend zu betrachten, zum anderen sollte das, was die Analytikerin tut, nicht von einem abgewehrten Objektbezug gekennzeichnet sein, was oben ja als eines der zentralen Merkmale des Agierens benannt worden ist. Zwar muss die Analytikerin über ihr Sprechen und sonstiges Handeln nicht notwendigerweise immer schon im Voraus genau Bescheid wissen (das ist schwer möglich und würde auch in einem denkbar künstlichen und unspontanen Sprechen resultieren), aber ihr darf das Gewahrsein, dass sie in ihrem Handeln und Sprechen auf die Analysandin als Analysandin bezogen ist, nicht verloren gehen. Das dürfte als die zentrale ethische Dimension der psychoanalytischen Technik gelten. Deshalb sollte man meiner Auffassung nach nicht von einem Mitagieren der Analytikerin sprechen (und terminologisch nicht parallelisieren), sondern eher von einer (u.U. auch handlungsmäßigen) Beantwortung des Agierens durch die Analytikerin.

Zum Umgang mit dem Agieren ist ferner zu sagen, dass ein Primat der Deutung bei gleichzeitiger Versagung einer andersartigen Beantwortung heute nicht mehr wie früher behandlungstechnisch maßgeblich ist. Fragt also etwa eine Analysandin zu Beginn der Stunde: »Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?«, dann wird die Analytikerin vermutlich in der Regel und den meisten Kontexten ein Glas Wasser zur Verfügung stellen. Das ist durchaus ein Enactment. Die Analysandin sagt nicht: »Ich brauche Sie heute als jemanden, der erkennt, wie ausgedürstet ich bin« und die Analytikerin antwortet auch nicht mit: »Heute sind Ihre Versorgungswünsche wieder sichtbar«, sondern es wird wechselseitig eine Handlung eingeleitet und ausgeübt, die aber nichtsdestoweniger auch psychodynamisch und in ihrem Charakter als gemeinsame Inszenierung verstanden werden kann. Maßgeblich ist nicht (mehr), dass nicht agiert werden darf, sondern dass nicht agiert werden sollte, ohne dass dem Agieren bzw. Enactment eine verstehende Reflexion folgt.

Nichtsdestoweniger herrscht nicht überall Einigkeit über die Einschätzung von Enactments, wie die sog. Enactment Controversies (Ivey, 2008) zwischen der Freud-Klein-Richtung und der relationalen Psychoanalyse abbilden, in denen es wesentlich um die Frage geht, ob die Beteiligung der Analytikerin am Enactment unvermeidlich, aber unerwünscht ist, da es auf ihrer Seite ein fehlgeschlagenes Containment und mangelnde Spannungstoleranz anzeigt (also ein Zusammenbrechen ihrer analytischen Funktion), oder ob Enactments die entscheidenden Momente in einer Behandlung und eine notwendige Voraussetzung für Veränderung sind, und ob die Analytikerin darin »mit offenen Karten spielen« (Renik, 1999) sollte.

Mittlerweile wird das Agieren also offener betrachtet als zu Beginn der Konzeptentwicklung, heute steht der kommunikative Aspekt im Zentrum. Dabei wird anerkannt, dass manche Analysandinnen eben nicht immer sagen können, was los ist, sondern stattdessen machen, was los ist. Auch darin sind aktualisierte Beziehungsszenen und Fantasien enthalten. Bereits Lacan (1962/63, S. 159) bezeichnet das Agieren dabei als »wilde Übertragung« und bei Greenson (1967, S. 260) taucht das Agieren als »Griff nach dem Objekt« auf. Der (auch) abgewehrte Objektbezug darin verdeutlicht die Ambivalenz gegenüber Beziehungen. Ich habe daher den Vorschlag gemacht (Storck, 2013), einige Bemerkungen Freuds (1911b, S. 233) umzuwenden, in denen er vom Denken als Probe-Handeln spricht: »Die notwendig gewordene Aufhaltung der motorischen Abfuhr (des Handelns) wurde durch den Denkprozeß besorgt, welcher sich aus dem Vorstellen herausbildete. Das Denken wurde mit Eigenschaften ausgestattet, welche dem seelischen Apparat das Ertragen der erhöhten Reizspannung während des Aufschubs der Abfuhr ermöglichten. Es ist im wesentlichen ein Probehandeln mit Verschiebung kleinerer Besetzungsquantitäten, unter geringer Verausgabung (Abfuhr) derselben.«

Für das Agieren kann demgegenüber von einem »Handeln als Probe-Denken« gesprochen werden. Hier entscheiden die Folgen der motorischen Aktion, der Handlung also, darüber, was gedacht werden kann, d. h. was psychisch tolerabel ist und welches die Folgen des In-Beziehung-Stehens sind. Dabei wird im Agieren etwas ver-handelt, und zwar nicht irgendwas, sondern es geht konkret um eine an die Handlung delegierte Form des Herantastens an die Ambivalenz in Relation zur Analytikerin, weil eine Angst vor innerer Überflutung vorherrscht. Wie Beziehungen sich anfühlen, muss ausprobiert werden.

Abwehr und Widerstand

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