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2. Diagnose in der Praxis

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22 Freilich ist die Grundlage für eine Diagnose der antisozialen Persönlichkeit alles andere als gefestigt. Angesichts der Methodenvielfalt werden unterschiedliche Diagnoseschlüssel nebeneinander eingesetzt. Von den konkurrierenden Methoden der Diagnosestellung werden bevorzugt jene verwandt, deren Kategorien möglichst klare Symptombeschreibungen enthalten, die statistisch geprüft sind und die sich auf eine breite, möglichst internationale Akzeptanz unter Forschenden stützen können. Die diagnostischen Kategorien beruhen auf Merkmalskombinationen, deren Vorhandensein bei einem Individuum auf eine psychische Störung schließen lässt. Dabei ist keine eindeutige Identifikation des Individuums möglich. Vielmehr besteht die Diagnose in der analogischen Wiedererkennung genereller Symptombeschreibungen bei einem Individuum, wobei die Symptome nur als Indizien für eine psychische Störung zu verstehen sind und ihre jeweilige graduelle Ausprägung ein Beurteilungsermessen belässt.

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Die Konzepte der antisozialen Persönlichkeitsstörungen sind keine beschreibenden, um differenzierende Wahrnehmung bemühte Begriffe, sondern zu Kontrollzwecken [110] dienende zuschreibende Definitionen: Wer die Merkmale erfüllt, bedarf danach der sorgsamen Überwachung und der Neutralisierung seines Gefährdungspotenzials. Das die Erkenntnis überlagernde Kontrollbedürfnis ist stets im Spiel, wenn es um die Beobachtung psychischer Auffälligkeit geht.

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Der Stabilität der Persönlichkeitsprägung entsprechend soll der Hang zu „antisozialem“ Verhalten vom Wandel der Lebensumstände unberührt im Lebensverlauf erhalten bleiben, bis infolge des Alterns des Organismus ein Abbau der Triebkräfte einsetzt. Demgemäß ist die Diagnose der antisozialen Persönlichkeitsstörung bei verurteilten Straftäter:innen gleichbedeutend mit der Annahme des Drohens weiterer schwerer Straftaten, die eine Sicherung der Allgemeinheit durch langandauernde Inhaftierung verlange. Die Verlässlichkeit dieser Diagnose ist umstritten.76

25 Weil die Folgen der Diagnose einer antisozialen Persönlichkeit für den Betreffenden in außerordentlichen und langandauernden Freiheitsbeschränkungen bestehen, bedarf nicht bloß die Diagnose im Einzelfall einer sorgfältigen kritischen Überprüfung, sondern mehr noch deren konzeptionelle Grundlage einer relativierenden Beurteilung. Auch die vergleichsweise ausgefeilten und erprobten Klassifizierungen von ICD-10 und DSM-5 verwenden eine nicht stets eindeutige Begrifflichkeit der diagnostischen Merkmale. Deren graduell unterschiedliche Ausprägungsstärke und ihre Kumulierbarkeit belassen Interpretationsspielräume, die je nach Vorverständnis der diagnostizierenden Person zu divergierenden Beurteilungen führen können. Besonders bei DSM-5 entstammen die Merkmale dem kulturellen Kontext der Mittelschicht und tragen Situationen sozialer Benachteiligung nicht Rechnung.

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Vielfach beziehen sich die Merkmalsbeschreibungen auf sozial bewertete Sachverhalte, die als regelwidrig und störend gelten. Dabei besteht die Gefahr eines empirisch gehaltlosen Zirkelschlusses, indem auf die Persönlichkeitsstörung, die sozial auffälliges und schädigendes Verhalten erklären soll, aus einem Verhaltensmuster geschlossen wird, das als sozial störend bewertet wird. Bei einer „antisozialen“ Persönlichkeitsstörung, die zu repetierendem, zumeist gewalttätigem kriminellen Verhalten disponiere, ist die Gefahr tautologischer Argumentation gerade wegen der Plausibilität des Zusammenhanges von Gewalttätigkeit und gestörter Persönlichkeit besonders groß. Wilhelm Busch (1832-1908) parodierend, ist man versucht zu sagen:

[111] „Es findet keine Überraschung statt, so man es schon erwartet hat.“

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Eine zirkuläre Beweisführung bei der Anwendung des Konzepts der antisozialen Persönlichkeitsstörung liegt besonders nahe, wenn die Persönlichkeitsstörung mit der Fähigkeit zur manipulatorischen Täuschung über die Sozialgefährlichkeit in Zusammenhang gebracht wird.77

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Oft ist die Vertretbarkeit universaler und konsistenter Eigenschaften von delinquenten Persönlichkeiten fraglich. Individuelle Dispositionen bestehen gleichermaßen zur Verhaltenskonstanz wie zur Verhaltensflexibilität. Die auf allgemeine Wesenszüge der Persönlichkeit bezogene Kriminalitätserklärung dürfte den komplexen Wechselwirkungen von Person und Situation nicht ausreichend Rechnung tragen. Geht man davon aus, dass Eigenschaften von Personen durch soziale Interaktion gebildet und verfestigt werden, so sind Beschreibungen von Täter:innenpersönlichkeiten das Ergebnis der sozialen Aushandlung von Kriminalität durch rückblickend „stimmige“ Deutungen des Kriminalitätsereignisses. Effekte der Stigmatisierung und der Prisonisierung können zu Veränderungen des Ichbildes im Sinne der Übernahme einer Rolle als abweichende Person führen („sich selbst erfüllende Prophezeiung“, → § 13 Rn 14). Soweit Persönlichkeitsunterschiede zwischen sozial Unauffälligen und später Verurteilten bereits vor der offiziellen Registrierung von Kriminalität vorgefunden wurden, lassen sich diese mit vorangegangen Interaktionen erklären, in denen soziale Auffälligkeiten bestimmt werden, die ihrerseits die spätere offizielle Registrierung, den Verlauf der Strafverfolgung und die Sanktionierung beeinflussen.78

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Wer in der Strafrechtspflege tätig ist, wird unschwer bei der typischen Klientel der wiederholt rückfälligen Sexual- und Gewaltstraftäter:innen die beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale wiederfinden. Die Übereinstimmung persönlichkeitstheoretischer Befunde mit forensischer Alltagserfahrung bedeutet jedoch keine Bestätigung auf Plausibilitätsniveau. Die Berufserfahrung der Strafrichter:innen und Staatsanwält:innen bezieht sich nicht auf einen Menschenschlag, der zu Straftaten disponiert ist, sondern auf Personen, die gewöhnlich wiederholt und wegen bestimmter gravierender Delikte vor Gericht stehen und einem höheren Strafverfolgungsdruck ausgesetzt sind. Über die Vielzahl der Personen, die unerkannt Straftaten verüben, weiß die Justiz nichts. Auch ist der Blick vom Richtendenstuhl höchst selektiv. Angeklagte Wirtschaftskriminelle erscheinen [112] als „Personen ohne Eigenschaften“, bei denen die Annahme eines Zusammenhanges zwischen Persönlichkeit und Delikt fernliegt. Man erinnert sich nur derer, die regelmäßig vor Gericht erscheinen, mehr noch: deren Rückkehr als Angeklagte absehbar ist. Für die Annahme, dass „es so kommen musste“, bietet sich die Erklärung einer durch die Persönlichkeit der Angeklagten disponierten Verhaltenskonstanz zwanglos an. Diese Annahme ist bequem, weil sie von desozialisierenden Einflüssen vorangegangener Sanktionierungen absieht und damit die Strafjustiz von Verantwortung entlastet. Doch sind bequeme Antworten nicht immer überzeugend.

30 Die Verhaltenskontinuität von manchen Angeklagten ist nicht befremdlich. Wir alle sind in Routinen gefangen, haben ein Bedürfnis nach Stabilität unserer Lebensweise und Schwierigkeiten, die einmal erworbene soziale Rolle abzustreifen. Da der „Rückfall“ im sozialen Verhalten typisch ist, ist seine persönlichkeitsbezogene Erklärungsbedürftigkeit nur und gerade im Bereich devianten Sozialverhaltens schwer einzusehen. Dies gilt umso mehr, als die Rückfallkriminalität nicht ausschließlich durch eine kriminelle Verhaltenskonstanz des Individuums bedingt ist. Der Rückfall wird für die Strafjustiz erst wahrnehmbar durch das Zusammenspiel zwischen Kontinuität des beurteilten rechtswidrigen Verhaltens und Kontinuität der institutionellen Reaktion auf die Rechtsverletzung. Der Beharrlichkeit des Rechtsbrechenden folgt eine beharrliche Reaktion, die förmlich die Rückfälligkeit feststellt und diskreditiert. Mit rückfallbeeinflussenden Faktoren ist demnach nicht nur auf der individuellen Verhaltensebene der Straffälligen, sondern auch auf der Ebene des Kontrollverhaltens zu rechnen. Schon von Liszt veranlasst das Studium der Reichskriminalstatistik zu der Aussage:

„Wenn ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ein Verbrechen begeht und wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder ein Verbrechen begeht, geringer, als wenn wir ihn bestrafen.“79

Denn unter den Ursachen des Rückfalls

„nehmen die Fehler unseres Strafgesetzbuchs, unserer Strafrechtspflege, unseres Strafvollzugs weitaus die erste Stelle ein“.80

31 [113] Für eine Prognosestellung werden mittlerweile empirisch validierte Kriterienlisten als Leitfaden eingesetzt (s. auch → § 22 Rn 9 ff.).81 Dabei wird die prognostische Einzelfallbeurteilung anhand von Kriterienlisten vorgenommen, welche relevante Risikofaktoren benennen und gewichten.82 Solche Listen dienen zum einen als Arbeitsinstrument für die fachpsychiatrische Individualbeurteilung, zum anderen ermöglichen sie Lai:innen, erstellte Prognosegutachten auf ihre Plausibilität zu überprüfen.83 In der Schweiz ist bei der Prüfung einer Entlassung aus dem Massnahmenvollzug und der Gemeingefährlichkeit vor Gewährung von Vollzugslockerungen eine Kommission aus Vertreter:innen der Strafverfolgungsbehörden, der Vollzugsbehörden sowie der Psychiatrie anzuhören (Art. 62d Abs. 2, 75a Abs. 1, 2 StGB [CH]), welche eine solche Kriterienliste verwendet und mit ihrem Vorschlag die von der Behörde zu treffende Entscheidung oft faktisch vorwegnimmt.84 Die in den Kriterienlisten aufgeführten Risikofaktoren beruhen stets auf retrospektiven Studien über die persönlichen und sozialen Zusammenhänge mit schwerer Rückfallkriminalität. Prospektiv wurden Prognosekriterien bislang noch nicht auf ihre Validität überprüft.85

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Zu den bekanntesten Kriterienlisten zählt der in Kanada zur Prognose von Gewaltdelikten bei psychisch auffälligen oder persönlichkeitsgestörten Personen entwickelte HCR-2086. Mit diesem Prognoseinstrument werden 20 Kriterien geprüft, die sich auf die Vorgeschichte (Historical), das gegenwärtige Störungsbild (Clinical) sowie auf die künftig zu erwartenden äußeren Umstände (Risk) beziehen. In Deutschland wurde der HCR-20 von Norbert Nedopil (*1947) in eine erweiterte Liste von Risikovariablen (ILRV) integriert.87 Daneben ist der ebenfalls aus Kanada stammende SVR-20 zur Vorhersage sexueller Gewalttaten88 gebräuchlich. HCR-20 wie SVR-20 verwenden Kriterien des PCL-R (Psychopathy Checklist Revised), einem Instrument zur Ermittlung des klinischen Störungsbildes psychopathy, das sich nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt.89

[114] Integrierte Liste von Risikovariablen nach Nedopil

A. Ausgangsdelikt

1. Statistische Rückfallwahrscheinlichkeit.

2. Bedeutung situativer Faktoren für das Delikt.

3. Einfluss einer vorübergehenden Krankheit.

4. Zusammenhang mit einer Persönlichkeitsstörung.

5. Erkennbarkeit motivationaler Zusammenhänge.

B. Anamnestische Daten (Vorgeschichte)

1. Frühere Gewaltanwendung.

2. Alter bei erster Gewalttat.

3. Stabilität von Partnerbeziehungen.

4. Stabilität in Arbeitsverhältnissen.

5. Alkohol- / Drogenmissbrauch.

6. Psychische Störung.

7. Frühe Anpassungsstörungen.

8. Persönlichkeitsstörung.

9. Frühere Verstöße gegen Bewährungsauflagen.

C. Postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung (klinische Variablen)

1. Krankheitseinsicht und Therapiemotivation.

2. Selbstkritischer Umgang mit bisheriger Delinquenz.

3. Besserung psychopathologischer Auffälligkeiten.

4. Pro- / antisoziale Lebenseinstellung.

5. Emotionale Stabilität.

6. Entwicklung von Coping-(Bewältigungs-)Mechanismen.

7. Widerstand gegen Folgeschäden durch Institutionalisierung.

D. Sozialer Empfangsraum (Risikovariablen)

1. Arbeit.

2. Unterkunft.

3. Soziale Beziehungen mit Kontrollfunktion.

4. Offizielle Kontrollmöglichkeiten.

5. Verfügbarkeit von Opfern.

6. Zugangsmöglichkeiten zu Risiken (destabilisierende Einflüsse).

7. Compliance (Bereitschaft zur Mitarbeit an therapeutischen Maßnahmen).

8. Stressoren (mögliche belastende Anforderungen).

E. PCL-R Wert

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Die Prognosestellung mit Hilfe von Kriterienlisten ist transparenter als die herkömmliche Individualprognose und erlaubt es den Gerichten, die Sachverständigenbeurteilung zumindest auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Freilich ist auch deren prognostische Verlässlichkeit umstritten.90 Nach Nedopil ist es [115] allein bei therapiebedürftigen Testpersonen mit spezifischen Defiziten mithilfe eines hypothesengeleiteten Therapieprogrammes, dessen Interventionen kontinuierlich überprüft und korrigiert werden, „in Ansätzen“ möglich, Risikoeinschätzungen zu erarbeiten, die „einem gewissen“ wissenschaftlichen Anspruch genügen.91

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Mitunter führt die Prognose zur Annahme einer „Therapieresistenz“92. Für dieses Verdikt, das dem im 19. Jahrhundert durch von Liszt entworfenen Konzept des unverbesserlichen – und daher dauerhaft unschädlich zu machenden – Rückfallverbrechers entspricht, gibt es keine empirische Entsprechung in Befundtatsachen. Vielmehr handelt es sich dabei um ein begriffliches Konstrukt, das die Gründe für die Undurchführbarkeit einer Therapie ausschließlich in der Testperson verortet und diese mit dem apodiktischen Verdikt der Unverbesserlichkeit belegt, das sich erst recht dazu eignet, „Therapieresistenz“ zu fördern. Mitunter liegt die „Untherapierbarkeit“ schlicht daran, dass geeignete Therapiemöglichkeiten und -einrichtungen fehlen. Das Urteil der „Untherapierbarkeit“, besser bezeichnet als „Nicht-Entlassbarkeit“93, ist jedenfalls nur vorläufig für überschaubare Zeiträume gültig.94 Zudem weist die begriffliche Konstruktion von „Therapieresistenz“ einen politischen Zuschnitt auf, der den resozialisierenden Behandlungsvollzug delegitimiert (→ § 20 Rn 53 ff.) und das populistisch vereinfachte Rezept, gefährliche Straftäter:innen einzusperren und den Schlüssel wegzuwerfen, stützt.

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Darüber hinaus entspricht die „Therapieresistenz“ dem generellen Schema der von Persönlichkeitstheorien vorausgesagten Verhaltensstabilität. Ebendarum ist hier die Gefahr einer Fehleinschätzung, die bestätigt findet, was der Ansatz von vornherein erwarten ließ, besonders groß.

„Die diagnostischen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen, ebenso wie die Prognoseinstrumente für Rückfälligkeit in Delinquenz, betonen die statischen Elemente bei derartigen Störungen und implizieren damit, dass eine Änderung der Prognose durch Therapie oder durch Zeitablauf nicht zu erwarten ist. Bei einem Verharren in diesen Annahmen erscheint eine Therapie von vornherein aussichtslos, weil das diagnostische und prognostische Instrument eine Änderung nicht zulässt bzw. nicht erkennen kann. Trotz dieser Vorannahmen haben persönlichkeitsgestörte Probanden nur eine relativ kurze Aufenthaltsdauer im [116] Maßregelvollzug. Daraus ließe sich ableiten, dass sich die Prognose von der Einweisung in den Maßregelvollzug bis zur Entlassung aus dem Maßregelvollzug in kurzer Zeit erheblich verbessert hat, ein Ergebnis, welches den Vorannahmen widerspricht. Es erscheint wichtig, Prognoseparameter in die Entscheidung über die Entlassung aufzunehmen, die eine Änderung erfassen und eine Verbesserung der Prognose widerspiegeln können.“95

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Das Erstarken persönlichkeitsbezogener Erklärungen von Kriminalität in den vergangenen 30 Jahren geht mit einer Veränderung des kriminalpolitischen Klimas einher. Zuvor herrschte die Auffassung, dass das Individuum durch in seinem sozialen Umfeld erlernte Gewohnheiten geprägt sei (→ § 10). Dieser Vorstellung entsprach eine offizielle Kriminalpolitik, welche die kulturellen Gewohnheiten straffälliger Personen durch eine breite Palette drohender, strafender und sozial stützender Interventionen zu verändern trachtete. Die (zu) großen Erwartungen an die aufwendigen Bemühungen um eine teils erzwingende, teils helfende Verhaltenskorrektur erfüllten sich nicht. Gerade bei sozial gefährlichen Mehrfachtäter:innen, auf die sich die Anstrengungen konzentrierten, wurde der Ertrag der Interventionsbemühungen als enttäuschend empfunden (→ § 20 Rn 46 ff.). Wie so oft, wenn Versuche der externen Verhaltenskorrektur scheitern oder auch nur hinter zu hohen Erwartungen zurückbleiben, liegt es nahe, die interne Beschaffenheit des Individuums für die kriminelle Verhaltenskonstanz verantwortlich zu machen.

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