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KAPITEL ZWEI Die Ökologie eines Gärtners
ОглавлениеEtwas raubte das Essen der Bullock-Brüder. Joe, Douglas und Sam Bullock waren in den frühen 1980er Jahren auf die San Juan Islands in Washington gezogen und fingen an, einen Nahrungswald zu pflanzen. Sie bauten den Boden ihres Grundstücks auf und pflanzten Obstbäume, Nussbäume und Hunderte anderer Arten, die alle dazu gedacht waren, die Artenvielfalt und Üppigkeit dieses einst verbuschten, brombeerüberwucherten Grundstücks zu fördern. Zehn Jahre später beschatteten Walnussbäume und Bambushaine die Wege. Pflaumen, Pfirsiche, Kirschen und Äpfel hingen in dichten Girlanden von ausladenden Ästen, und unter ihnen breiteten sich über jeden Zentimeter Boden Blumen, Beeren, essbares Grünzeug und bodenbildende Pflanzen aus. Die Bullocks hatten ein sich selbst erneuerndes Ökosystem geschaffen, das ihre Familien und Besucher ernährte, Baumschulbestände für ihre Landschaftsgestaltungsfirma lieferte und örtlichen Wildtieren Schutz bot.
Eine Randzone ihres Grundstücks grenzte an ein Feuchtgebiet, das ein paar Jahre zuvor aus aufgegebenen landwirtschaftlichen Flächen zurückgewonnen worden war. Am Rande der Marsch wuchsen Rohrkolben in dicken Beständen. Junge Rohrkolbentriebe sind eine leckere Wildnahrung und für mehrere Jahre hatten die Brüder im Frühling und Sommer die Babytriebe geerntet, gedämpft oder sautiert und sie in ihre Mahlzeiten integriert. Doch in einem Jahr konnten sie keine Sprossen finden, nur raue, reife Rohrkolbenstängel. Ihre natürliche Nahrungsquelle war versiegt und die Brüder wollten wissen, warum.
Bei näherer Betrachtung der Marsch stellte sich heraus, dass ein Tier die jungen Schösslinge kurz über dem Wasserspiegel abnagte.
Die Diebe waren gründlich. Es blieb nichts für die Bullock-Brüder und ihre Familien übrig.
Schnell war klar, wer sich hier gütlich tat. »Wir hatten festgestellt, dass mit der Entwicklung des Sumpfs, während er immer produktiver wurde, die Bisamrattenpopulation richtig in Fahrt kam«, berichtete Douglas Bullock. Die Brüder hatten Gartenbeete gebaut, die bis ins Sumpfland reichten, d. h. sie kopierten eine Idee der alten Azteken. Sie hatten Halbinseln erzeugt, indem sie Stroh und Äste anhäuften, die wie Finger in den See hineinreichten, bedeckten sie mit nährstoffreichem Sumpfschlamm und bepflanzten diese sich selbst bewässernden Gartenbeete, oder Chinampas, mit Nahrungs- und Wildpflanzen. Die Tiere vor Ort, die bereits das neue Feuchtgebiet genossen, reagierten auf den verbesserten Lebensraum der Chinampas mit explosiver Vermehrung. Enten, Eisvögel, Reiher und andere Wasservögel gab es nun im Überfluss, aber eben auch Bisamratten. »Plötzlich sah der Sumpf wie ein geschäftiger Hafen aus, durchzogen von den Blasenspuren der Bisamratten«, erzählte Douglas. Ganze Flotten von Bisamratten gruben am Rand der Marsch Tunnel in den nährstoffreichen Boden und knabberten an den Rohrkolbentrieben. Die weniger flinken Menschen hatten keine Chance gegenüber den fleißigen Nagern.
Die Brüder beklagten den Verlust ihrer Wildnahrung, weigerten sich aber, die Schuldigen auszurotten. »Erstens töten wir nicht die Wildtiere, die wir selbst angelockt haben«, erklärte Douglas. »Zweitens hätten wir wochenlang Bisamratten schießen können, aber sie hätten sich einfach weiter vermehrt. Der Lebensraum war zu gut.«
Ein oder zwei Jahre ohne Rohrkolben gingen vorbei. Dann waren die leckeren Sprossen plötzlich wieder da und der einst so geschäftige »Hafen« war ruhiger geworden. Die Bisamrattenpopulation hatte abgenommen. Was war geschehen?
»Es waren Otter eingezogen«, sagte Douglas. »Die Bisamratten waren eine leckere neue Nahrungsquelle. Wir hatten noch nie zuvor Otter gesehen. Und es kamen nicht nur Otter. Wir hatten andere Raubtiere: Weißkopfseeadler, Habichte, Eulen. Sie räumten auf.« Statt vergeblich zu versuchen, die sich rasch vermehrenden Bisamratten zu beseitigen, hatten sich die Bullocks zurückgelehnt und der Natur die Arbeit überlassen. Die Brüder boten einfach ein reichhaltiges, breit gefächertes Habitat, wo sich ein lebhaftes Nahrungsnetz – das auch Raubtiere beinhaltete – entwickeln und Unausgewogenheiten wie eine Horde hungriger Bisamratten wieder richten konnte.