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3 Lernen Sie, Stimmungen zu empfinden und auszudrücken

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Mit Emotionen gehen wir in Deutschland eher zurückhaltend um. Vielleicht liegt das daran, dass wir im Dritten Reich erfahren haben, wie stark Emotionen missbraucht werden können. Und genau das beginnt ja auch heute schon wieder, wenn der Fremdenhass geschürt wird. Welche Massenemotionen sich entwickeln können, spürt man schon im Fußballstadion. Hierbei handelt es sich allerdings um ein harmloses, in der Regel friedliches Spiel. Bei Naziaufmärschen hingegen wurden die Emotionen geradezu mystisch aufgeladen, und so Vernunft und geistige Differenzierungskraft sehr vieler Menschen schnell ausgeschaltet. Es ist also wirklich sinnvoll, sich vorrangig von seiner Vernunft und von Fakten leiten zu lassen.

Aber dennoch, Emotionen wohnen uns inne. Was sollen wir mit ihnen machen, wenn sie zu stark werden? Freude können wir natürlich nach außen bringen. Was aber ist mit den weniger positiven Emotionen?

Frustration ist eine nicht zu unterschätzende Gefühlslage, aus der heraus sich schnell Wut und Hass schüren lässt. Genau da setzt meines Erachtens der Missbrauch von Emotionen heute wieder an. Wer frustriert ist und wem es an Differenzierungskraft fehlt, der ist offen dafür, ein Feindbild aufzubauen. Und da fängt es an, gefährlich zu werden.

Die Tatsache, dass Emotionen gefährlich sein können und Menschen sich mithilfe von Emotionen manipulieren lassen, ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass sich in der westlichen Fotowelt eine völlig unemotionale Bildsprache durchgesetzt hat: die Bildsprache von Bernd und Hilla Becher und deren Schülern. Sie fanden, dass der Fotograf mit seinen Emotionen sich so weit wie möglich zurücknehmen solle. So wurde die Gegenwartsfotografie stark von dem Gedanken geprägt, möglichst unemotional zu sein.

Bilder sind aber nun einmal per se emotional. Wenn man aus Bildern die Emotionen herausnimmt, so wäre das in etwa so, als habe man eine Kuh gezüchtet, die Wasser anstatt Milch produziert, und wäre auch noch stolz darauf. Unemotionale Bilder sind kühl und distanziert.

Ich möchte daher den entgegengesetzten Weg propagieren und dafür plädieren, wieder bewusst Emotionen ins Bild zu bringen. Daher ermutige ich Sie, Ihre Stimmungen, Grundgefühle und Emotionen zu entdecken und bewusst in Bilder zu übersetzen. So sind Sie auf dem Weg zu einer eigenen Bildsprache und zu einem befriedigenden Selbstausdruck.

Nehmen Sie sich also bitte etwas Zeit und Muße, und stellen Sie sich die Frage: Wie sind Ihre Grundgefühle? Seien Sie dabei ehrlich zu sich selbst, auch wenn Sie womöglich entdecken, dass Ihre Grundgefühle nicht so positiv sind, wie sie vielleicht nach Vorgabe der Gesellschaft sein sollten. Wenn Sie entdecken, dass Ihnen Gefühle wie Trauer, Wut, Angst und Ohnmacht innewohnen, so möchte ich Sie keineswegs dazu anleiten, diese Gefühle offen nach außen zu bringen. Sie können sie aber wunderbar in Bilder übersetzen, denn Bilder sind in der Lage, diese Gefühle in sich aufzunehmen. Im Gegenzug werden Sie sich befreit fühlen, wenn Sie gerade für diese weniger heiteren Emotionen einen Weg des Ausdrucks gefunden haben.

Natürlich gibt es auch die heitere Seite. Aber Vorsicht, auf dieser Seite der Gefühlspalette landen wir schnell wieder im Bereich des Seichten und Klischeehaften.

Die Bildsprache ist ähnlich wie die Musik: Das Wesen der Musik ist es, Stimmungen aller Couleur auszudrücken. Mein Lieblingskonzert ist das berühmte Violinkonzert von Mendelssohn Bartholdy e-Moll, Opus 64, das wohl geeignet ist, auch die allerhärteste Natur zum Schmelzen zu bringen. Ich liebe aber genauso die unglaublich spirituelle Musik von Johann Sebastian Bach, die wiederum in der Lage ist, die Seele emporzuheben, egal in welcher Stimmung sie sich gerade befindet. Musik ist also fähig, Sie in die gesamte Palette von Stimmungen zu versetzen, die überhaupt nur denkbar sind.

Das Schöne ist, auch Bilder sind dazu in der Lage! Denken Sie an die berühmten Bilder von Sebastião Salgado, die einen erschauern lassen. Wohl kaum einem anderen Fotografen ist es gelungen, die menschlichen Abgründe ausdrucksstärker darzustellen. Salgado selbst konnte sich irgendwann nicht mehr weiter den tragischen Sujets widmen, weil seine Seele bei all dem Unheil, das er z. B. in Afrika gesehen hatte, zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Nach einer Auszeit beschloss er, sich den schönen Dingen zu widmen, und schuf sein Buch »Genesis«, das in atemberaubender Schönheit die noch verbleibende Ursprünglichkeit der Natur in dieser Welt zeigt. Auch wenn dieses Buch gewiss eher die Dur-Tonleiter deklinierte, ist es auf andere Weise zu einem Mahnmal geworden. Ihm ist es auf perfekte Weise gelungen, das Schöne zu zeigen, ohne ins Seichte und Flache abzugleiten. Versuchen auch Sie, sich zu sensibilisieren: Welches sind Ihre eigenen Stimmungen?

Welche Pendants zu Ihren Stimmungen können Sie in der Außenwelt finden? An welchen Orten und bei welchen Wetterlagen können Sie Ihre Stimmungen am besten ausdrücken? Denken Sie darüber nach, und machen Sie sich mit Ihrer Kamera auf!


Licht ist der Grundbaustein jeder Fotografie, und das Licht ist auch für jede Stimmung im Bild verantwortlich. Das große Bild zeigt einen Strand auf Lanzarote und seine Spiegelung bei Gegenlicht. Die Felswand und ihre Spiegelung sind sehr dunkel, der Himmel mit seinen Schäfchenwolken wirkt hell und freundlich. Dieselbe Felswand, also dieselbe Materie, erscheint auf dem kleineren Bild sehr hell, der Himmel dagegen dunkel, denn er wurde mit der Rotfilterfunktion von Silver Efex abgedunkelt. Pechschwarz mit künstlichen Lichtpunkten stellt sich die Felswand bei Nacht dar. Das große Bild wirkt heiter, das kleine Bild oben mystisch und die Nachtaufnahme fast schon unheimlich. Derselbe Gegenstand – in drei verschiedene Stimmungen getaucht. Einziger Akteur: das Licht!

Großes Bild: 20 mm, Blende 11, 1/60 Sekunde, ISO 200

Kleines Bild oben: 17 mm, Blende 11, 1/40 Sekunde, ISO 200

Kleines Bild unten: 24 mm, Blende 8, 62 Sekunde, ISO 200


Sie müssen nicht weit reisen, um Ihre Stimmungen auszudrücken: Ein Nebeltag, z. B. im Harz, kann schon ausreichend sein. Nebel senkt sich über die Welt und lässt sie geheimnisvoll erscheinen, verfremdet sie. Hier galt es, interessante Formen zu entdecken. Die Äste des vorderen Baums haben die markante Form eines Bogens, die Bäume dahinter wirken so, als wären sie nur dahingehaucht. Das Foto könnte fast gezeichnet sein. Die Stimmung ist eindeutig eine Stimmung in Dur.

40 mm (60 mm im Vollformat), Blende 7,1, 1/50 Sekunde, ISO 400


Die Grundstimmung dieses Fotos dagegen ist Moll. Ich habe es am selben Tag aufgenommen wie das Foto auf der linken Seite, aber die Dämmerung senkte sich schon über den Wald und die Tonwerte sind völlig andere. Der hellste Ton ist ein mittleres Grau, alle anderen Tonwerte entwickeln sich in die Dunkelheit hinein. Welches von beiden Bildern spricht Sie mehr an? Möchten Sie lieber in Dur oder in Moll fotografieren? Gerade im November, dem verrufensten Monat, lassen sich oft sehr stimmungsvolle Aufnahmen in Moll erarbeiten.

21 mm (31,5 mm im Vollformat), Blende 3,7, 1/20 Sekunde, ISO 1600


Bedrohliche Stimmungen lassen sich auch mithilfe der Fotografie erzeugen. Das Bankenviertel von Frankfurt am Main strahlt nicht gerade Wärme und Behaglichkeit aus. Die Enge mancher Hochhäuser zueinander kann bedrückend wirken. Steht man in der engen Schlucht zwischen dem Commerzbank-Hochhaus und dem Global Tower, fühlt man sich klein und unbedeutend. Diese Stimmung habe ich mit Silver Efex und Photoshop verstärkt, indem ich die Tonwerte des Bildes von der Mitte zu den Rändern hin noch abgedunkelt habe. Ist die Macht der Finanzgiganten über die Politik nicht auch wirklich zu einer Bedrohung von Umwelt und Menschlichkeit geworden?

18 mm, Blende 6,3, 1/50 Sekunde, ISO 200


Welch ein schönes Art-déco-Gebäude sich doch vor dem Trump Tower in New York befindet! Hier wird der Kontrast von einem Gebäude mit Seele und Charakter zu einem kalten, glatten Funktionsbau besonders deutlich. Auch hier habe ich mit Silver Efex und Photoshop die etwas düstere und bedrohliche Stimmung verstärkt. Auch Sie können in Ihrer Bildsprache bedrohliche Stimmungen erzeugen, wenn Sie das möchten. Ganz viel hängt von den Tonwerten Ihrer Schwarzweißfotografie ab, die Sie heutzutage dank genialer Bildbearbeitungsprogramme noch besser steuern können, als es in analogen Zeiten in der Dunkelkammer möglich war.

116 mm, Blende 13, 1/200 Sekunde, ISO 200

Die Magie der Schwarzweißfotografie

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