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4 Entdecken Sie die Schönheit der Melancholie

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Wenn wir in Urlaub fahren, wünschen wir uns natürlich »schönes Wetter«, am liebsten mit blauem Himmel. Nicht umsonst zieht es so viele Menschen in den sonnigen Süden. Nordeuropäische Winter sind lang, dunkel und grau und können massiv auf die Stimmung drücken. Aber gerade bei diesem trüben Wetter lassen sich oft richtig stimmungsvolle Bilder gestalten – Bilder, die Poesie enthalten.

In unseren westlichen Gesellschaften sollten wir »gut drauf sein« und Spaß haben, so diktiert es der Mainstream. Was aber, wenn wir nicht »gut drauf«, sondern eher melancholisch gestimmt sind? Melancholie muss gar nichts Schlechtes sein!

Der kürzlich verstorbene bekannte Schriftsteller Günter Kunert bezeichnete sich als heiteren Melancholiker. Zu Leonardo da Vincis Zeiten war die »Melancholia« eine Haltung, die sich von der Oberflächlichkeit der Welt abwandte und Tiefe versprach, auch im Sinne von tieferen Einsichten. Die »Melancholia« galt als eine positive, fast schon wissenschaftliche Grundhaltung, die Forschern und Künstlern eigen war, und sie dazu befähigte, entweder wissenschaftlich objektiv oder künstlerisch subjektiv die Welt zu erforschen.

Melancholie lässt sich wunderbar in Bilder kleiden und sie wirkt niemals seicht. Wenn Sie also manchmal dem oberflächlichen Mainstream zum Trotz melancholisch sind, so möchte ich Ihnen ans Herz legen, gerade dann die Kamera zur Hand zu nehmen und einen Ausdruck für Ihre Stimmung zu finden – einen Ausdruck, der dem Mainstream entgegengesetzt ist.

Der berühmte Künstler Friedensreich Hundertwasser z. B. liebte den Regen, er nannte sein Boot »Regentag«. Mir geht es oft ähnlich, ich setze mich manchmal auf die Terrasse und tue nichts weiter, als dem Regen zuzuschauen. Dabei komme ich meist sehr leicht zur Ruhe. Regen mit der Kamera einzufangen ist allerdings sehr schwierig.

Meist funktioniert das nur bei Gegenlicht, ansonsten erscheint der Regen selbst kaum auf einem Foto. Daher macht es Sinn, Regen besonders in Form von Regentropfen auf Fensterscheiben zu fotografieren oder seine Spiegelungen in Regenpfützen zu zeigen.

Versuchen Sie, einen eigenen poetischen Ausdruck für die melancholische Seite des Daseins zu finden. Gehen Sie z. B. dann auf die Straße, wenn alle Instagramer zu Hause bleiben – bei Regen. Setzen Sie die Kamera aufs Stativ und schützen Sie sie mit dem Regenschirm. Sie werden erstaunt sein, welch stimmungsvolle Ergebnisse Sie mit nach Hause bringen.


Ist diese Stimmung nicht schön? Schöner als manches Bild von einem Sonnenaufgang? Die »Fäden« des Regens sind allerdings bei normalem Licht nur vor einem dunklen Hintergrund zu erahnen, aber der Mann mit dem Schirm zeigt auf diesem Bild eindeutig den Regen an. Es handelt sich um die Abtei der Hildegard von Bingen in Rüdesheim, ein Kloster, in dem man früher Stille fand, das heute aber durch viele Touristengruppen, die dort abgeladen werden, entweiht und kommerzialisiert worden ist.

Leica CL, 23 mm (34,5 mm im Vollformat), Blende 5, 1/200 Sekunde, ISO 400


Die einzige Chance, die Brooklyn Bridge in normalen Zeiten – jenseits von Corona – noch ohne Touristenmassen vorzufinden, ist wie hier bei Regen. Hat es nicht gerade einen besonderen Charme, wie sich die Lichter der Lampen auf den Holzbrettern des Fußgängerwegs spiegeln? Eine Frau mit Handtasche geht ohne Schirm über die berühmte Brücke in New York. Sie wirkt einsam, obwohl sie von Millionen von Menschen in diesem Lichtermeer umgeben ist. Auch dies ist ein poetisch-melancholisches Foto, das sicherlich mehr Atmosphäre vermittelt, als wenn es an einem sonnigen Tag aufgenommen worden wäre. Da man auf einer vibrierenden Brücke nicht mit Stativ arbeiten kann, musste ich hier den ISO-Wert auf 1600 erhöhen. Dabei verlängerte sich die Belichtungszeit mit der 18-mm-Brennweite bei offener Blende 4 auf 1/13 Sekunde. Mit dem guten Bildstabilisator von Canon wurde das Bild dennoch gestochen scharf.

18 mm, Blende 4, 1/13 Sekunde, ISO 1600


Hinter der verregneten Fensterscheibe befindet sich das Häusermeer von Manhattan, auszumachen durch die unverkennbare Form des Empire State Buildings. Dieses Bild hat etwas Heimeliges, denn der Betrachter bzw. der Fotograf befindet sich ja hinter der verregneten Fensterscheibe im Schutz einer gemütlichen Bar. Für mich hat New York bei Regen und Schnee einen besonderen Zauber. Man denke an die großartigen Winterfotos des berühmten Fotografen Saul Leiter. Die Aufnahme ist bei relativ offener Blende 4,5 mit 1/25 Sekunde fotografiert, damit der Hintergrund in Unschärfe getaucht wird.

32 mm, Blende 4,5, 1/25 Sekunde, ISO 400


Melancholie und Trauer lassen sich auch durch einen Menschen ausdrücken, der diese Gefühle verkörpert. Diese alte Dame war dement. Sie litt relativ kurz vor ihrem Tod sehr und faltete oft die Hände und vergrub ihr Gesicht darin. Das Bild erinnert einen daran, dass das Leben endlich ist, und daran, wie wichtig es ist, sich nicht von lauter Nebensächlichkeiten die Lebenszeit stehlen zu lassen. Der Fotograf Walter Schels beispielsweise hat sich intensiv mit Bildern von Menschen kurz vor ihrem Tod auseinandergesetzt.

85 mm, Blende 5,6, 1/25 Sekunde, ISO 3200


Melancholie in Irland: Dieses Bild symbolisiert die Vergänglichkeit im doppelten Sinne: Zum einen erinnert ein Grabmal immer an die Vergänglichkeit des Lebens und mahnt die Lebenden, ihr Leben sinnvoll und erfüllend zu führen; zum anderen erinnert der zerbrochene Grabstein an die Vergänglichkeit des Materiellen: Hat das Leben schon keinen Bestand, so hat es noch nicht einmal jeder Grabstein. Also, das Leben und Genießen im Hier und Jetzt schlägt der Vergänglichkeit noch am besten ein Schnippchen. Um Schärfentiefe zu bekommen, habe ich das Bild mit Blende 16 und 1/50 Sekunde belichtet.

25 mm, Blende 16, 1/50 Sekunde, ISO 400

Die Magie der Schwarzweißfotografie

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