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Kapitel 5

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Der Wolf führte sie so schnell an, dass die Stimmen und das Hundekläffen schon bald verstummten. Dessen ungeachtet dauerte es dennoch eine gefühlte Ewigkeit, bevor er ihnen die erste Rast gewährte, welche gleichzeitig die einzige in seiner Begleitung sein sollte. Als die Sonne ihren höchsten Punkt gerade überschritten hatte, erreichten sie den Wall. Es war ein für diese Gegend ungewöhnlich breiter Weg, der sich durch den Kampen von Culter nach Lava schlängelte. Er war bereits sehr alt und in besseren Zeiten von so vielen schweren Pferdefuhrwerken befahren worden, dass man an manchen Stellen einen bis zu sechs Fuß hohen Hang hinaufsteigen musste, um in den Wald zu gelangen, der ihn umgab. Dem optischen Vergleich mit einem richtigen Wall konnte er daher schon lange nicht mehr standhalten. Trüge er aber den Namen Graben, so würde jeder, der ihn suchte, sofort wissen, dass er den richtigen Weg gefunden hatte.

Der Wolf hatte sie verlassen, ohne sie eines Abschiedsblickes zu würdigen. Nun standen sie da. Allein und auf sich gestellt. Die große, weite und oftmals bedrohlich wirkende Welt vor sich. Der schneidende Culterwind schob sich unangenehm an ihren Nacken entlang, bis hin zu ihren Nasenspitzen, die diese Reizung bereits nach kürzester Zeit mit einer leichten Hautrötung sichtbar machten. Die tief stehende Imbersonne blendete sie durch das nur spärlich vorhandene Blätterdach des Weges.

Dantra wollte den ersten Schritt machen, als Tami ihn am Arm packte und zurückhielt. Sie gab ihm mit ihrer Zeichensprache zu verstehen, was E’Cellbra ihnen geraten hatte. Sie zeigte in den Wald zu ihrer Linken und hielt dann ihre Arme parallel zueinander. Anschließend stellte sie mit Zeige- und Mittelfinger Schritte nach und blickte ihren Bruder erwartungsvoll an.

„Ja, ich weiß, was sie uns gesagt hat“, antwortete er gelangweilt, „aber wir können doch wenigstens einige Hundert Schritte den Weg entlanggehen. Und wenn es nur für das Gefühl gut ist, dass wir reisen und nicht vor irgendetwas davonlaufen. Und außerdem, was soll schon passieren? Sollen sie doch ruhig versuchen, uns zu überfallen. Ich habe mich so oft im Schwertkampf geübt, dass ich nichts dagegen hätte zu sehen, ob sich der ganze Aufwand gelohnt hat. Und wenn ich wider Erwarten doch zu schlecht sein sollte, nun, dann bekommen die Angreifer eine Kraft zu spüren, die sie nicht so schnell vergessen werden.“ Er schnalzte mit der Zunge und zwinkerte ihr als Ausdruck seiner Selbstsicherheit zu.

Dann marschierten sie los. Trotz der ungewohnten Situation, ohne eine bevormundende, führende Hand an seiner Seite unterwegs und damit ganz für sich selbst verantwortlich zu sein, und von diesem kleinen unguten Gefühl in der Magengegend, ob sie den richtigen Weg finden würden, einmal abgesehen, war er bis in die Haarspitzen überglücklich. Nach so vielen Jahren der Fremdbestimmung, die seiner Ansicht nach nicht selten in die bloße Tyrannei abgerutscht war, hatte er nun das Ziel seiner Träume erreicht. Er war frei! Er verspürte ein Verlangen, seine Arme auszubreiten und laut schreiend umherzulaufen. Er wollte dem ganzen Land mitteilen, wie gut er sich in diesen Moment fühlte. Er wollte jeden und alles umarmen, nur weil niemand da war, der ihm das hätte verbieten können. Und es gab nur eines, was ihn davon abhielt: der Gesichtsausdruck seiner Schwester. Das ungewöhnlich strahlende Leuchten in ihren Augen war erloschen. Man konnte in ihrem sonst so seidenglatten Gesicht leichte Sorgenfalten erkennen. Dantra war sich wohl bewusst, dass sie, ganz egal, wie stark er auch geworden war, so viel Angst in sich tragen würde, dass diese für sie beide reichte. Und wenn überhaupt, dann würde die Furcht auch erst schwinden, wenn sie unbehelligt auf Meridies angekommen waren.

„Tami, nun lach mal wieder.“ Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt und zog sie an sich heran. „Wir werden Meridies schon sicher erreichen. Ich pass auf dich auf, versprochen.“ Zu seiner Erleichterung schaffte sie es tatsächlich, ein Lächeln aufblitzen zu lassen.

Dieses verschwand allerdings so schnell wieder, wie es gekommen war. Sie blieb abrupt stehen und zeigte mit nun noch sorgenvollerem Blick den Weg entlang, der in einiger Entfernung zu einer lang gezogenen Linkskurve ansetzte. Von dort kamen drei Reiter langsam auf sie zu. Tami versuchte, Dantra zur Seite zu drücken. Doch dieser hielt unbeeindruckt dagegen.

„Was ist denn? Das sind nur drei Reisende wie wir. Anstatt uns zu verstecken, werden wir höflich grüßen, wenn sie an uns vorbeireiten.“ Sie schüttelte heftig den Kopf und drückte ihren Bruder erneut in Richtung des Sicherheit verheißenden Unterholzes. Doch er bewegte sich nicht einen halben Schritt von der Stelle. „Also gut“, versuchte er sie zu beschwichtigen, „sobald uns die Nächsten entgegenkommen, verstecken wir uns. Aber wenigstens dieses eine Mal möchte ich mein Gefühl von Freiheit ausleben, indem ich mich nicht verkrieche wie ein Hund, dem Prügel drohen.“

Die Sorgenfalten gruben sich noch tiefer in Tamis Gesicht. Sie zuckte leicht mit den Achseln, zog sich ihren breit gestrickten Schal über den Kopf und verhüllte so nicht nur ihr goldblondes Haar, sondern auch die Hälfte ihres Gesichts. Sie wandte sich mit gesenktem Kopf wieder dem Wegverlauf zu. Dantra wusste nicht genau, wie er ihr Schulterzucken zu deuten hatte. War es Zustimmung oder eher Resignation, da sie genau wusste, dass sie nicht gegen seine Sturheit ankommen würde? Im Grunde war es auch egal. Er straffte seine Schultern, setzte eine Miene auf, die nur so vor Selbstsicherheit strotzte und wohl auch ein wenig elegant wirken sollte. Dann schritt er mit Tami an seiner Seite auf die Reiter zu.

Je näher sie kamen und je besser Dantra seine Gegenüber, die die Sonne im Rücken hatten, erkennen konnte, desto mehr beschlich ihn das Gefühl, dass irgendetwas an ihrer ganzen Erscheinung nicht stimmte. Als sie fast auf einer Höhe waren, sah er zu den Reisenden auf und nickte jedem einzeln zu. Er fing mit dem an, der am weitesten von ihm entfernt war, bekam allerdings keine Reaktion. Auch der zweite, der ihn ebenfalls nur abfällig von oben bis unten musterte, erwiderte seinen Gruß nicht. Beim Anblick des dritten Mannes, der direkt neben Dantra vorbeiritt, stockte sein grüßendes Nicken mitten in der Bewegung. Eine Metallplatte, die das Sonnenlicht aus allen Richtungen widerspiegelte, zierte die eine Hälfte seines kahl rasierten Schädels.

Als die Reiter an ihnen vorbei waren, überschlugen sich Dantras Gedanken fast. „Was waren das für seltsam aussehende Gestalten? Wieso halten sie es nicht einmal für nötig, meinen Gruß zu erwidern? Und was ist es, das an ihnen nicht stimmt?“

Er blieb so unerwartet stehen, dass Tami, die sich bei ihm eingehakt hatte, leicht zurückgezogen wurde. „Diese Ruhe“, murmelte Dantra vor sich hin. Tamis Blick, den sie ihm aus dem Augenwinkel zuwarf, verriet, dass es auch ihr aufgefallen war. Der weiche Waldboden hatte das Aufsetzen der Pferdehufe dumpf und leise wiedergegeben. Nun war allerdings nichts mehr von ihnen zu hören, und das, obwohl sie doch gerade erst an ihnen vorbeigeritten waren. Dantra drehte seinen Kopf und blickte über seine Schulter zurück.

Alle drei hatten mit ihren Pferden kehrtgemacht und sahen nun zu ihnen herab. Der mittlere Reiter senkte etwas seinen Kopf und sagte mit überfreundlicher Stimme: „Einen wunderschönen guten Tag, der Herr!“ Dantra wandte sich ihnen zu. Seine Schwester zögerte etwas, tat es ihm aber gleich, wobei sie ihren Blick weiterhin auf ihre Füße richtete. „Weißt du, wo du hier bist?“, fragte er Dantra.

„Natürlich“, antwortete dieser selbstbewusst. „Wir sind im Kampen, und der Weg heißt Wall. Warum? Habt Ihr Euch verlaufen?“ Ihm fiel selbst auf, dass sein Tonfall nicht gerade freundlich war. Doch er hielt ihn für angebracht, denn er konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Männer ihn für dumm verkaufen wollten. Der Wald war riesig und dennoch gab es Wege wie diesen nur selten.

„Verlaufen?“ Der Fremde grinste breit und entblößte dabei seine gelbbraunen Zähne, deren beste Zeiten schon lange vorbei waren.

In diesem Moment bemerkte Dantra, was an ihrer Erscheinung widersprüchlich war. Ihre Kleidung war zum Teil verschmutzt und nicht immer in der passenden Größe, aber dennoch aus edlem Stoff und feinsten Fellen gefertigt. Ihre Gesichter, Hände und Haare allerdings sahen aus, als kennten sie klares Wasser nur vom Hörensagen.

„Wer verläuft sich in seinem eigenen Zuhause?“, fuhr der Reiter fort und betrachtete Dantra erwartungsvoll.

„Wieso Zuhause? Ich sehe hier weit und breit kein Haus“, stellte Dantra fest und sah sich dabei eher ziellos als suchend um.

Als hätte der Fremde auf diese Antwort gewartet, lehnte er sich selbstzufrieden zurück und machte eine ausschweifende Handbewegung. „Der Wald ist mein Zuhause. Dieser Weg ist mein Zuhause.“ Er beugte sich wieder nach vorn und seine Stimme schlug dabei abrupt von freundlich in bedrohlich um. „Das Stück Dreck unter deinen Füßen ist mein Zuhause. Und jeder, der seinen schmutzigen Kadaver über mein Land bewegt, hat dafür zu zahlen!“

Dantra spürte, wie Tami zitterte. Leise hörte er ihr ängstliches, nervöses, schnelles Atmen. Er drückte ihren untergehakten Arm fest an sich und hoffte, dass er ihr so etwas von seiner Ruhe und Gelassenheit vermitteln konnte. Denn die Ansprache des vermeintlichen Anführers beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Nach der Missachtung seines Grußes war er froh, nun die Gelegenheit zu bekommen, ihnen ein paar passende Worte zu sagen. Und wenn diese ihnen nicht gefielen, auch gut. Mit drei Möchtegerndieben würde er jederzeit fertig werden. Und dafür würde er sich nicht einmal die Mühe machen, seine Hand ans Schwert zu legen.

„Schmutziger Kadaver?“, fing er ruhig an. „Dass so etwas von Euch kommt, wo doch Eure Pferde nicht annähernd so streng riechen wie Ihr selbst. Was uns ja wohl zu der Erkenntnis bringt, dass Ihr so dumm seid, dass Ihr von Euren Gäulen noch was lernen könnt.“ Mit großer Genugtuung nahm er die überraschten Gesichter der Fremden wahr. Sie hatten sicher schon oft die Nummer mit ihrem Zuhause zum Besten gegeben. Aber solch eine Antwort war ihnen bis zu diesem Tag wohl noch nie entgegengebracht worden. Um dem Ganzen noch die verdiente Krone aufzusetzen, fügte Dantra hinzu: „Außerdem habt Ihr leider Pech, habe ich doch gerade heute meine Geldbörse vergessen. Sonst wäre ich vielleicht gnädig gewesen und hätte Euch einen Viertelkrato vor die Füße geworfen.“ Nun schlug auch Dantras Tonfall genauso unvermittelt von freundlich in bedrohlich um wie zuvor derjenige seines Gegenübers. „Aber wenn Ihr es darauf anlegen möchtet, könnt Ihr auch, ohne dass ich Euch eine Münze vorwerfe, vor mir in Eurem Dreck kriechen!“ Er hatte seinen entschlossensten Blick aufgelegt und wartete auf die Reaktion der Räuber. Doch sie schauten alle drei nur stumm auf ihn herab. Keiner machte Anstalten, etwas zu sagen oder gar sein Schwert zu ziehen. Dantra rätselte, ob sie von dem, was er ihnen gesagt hatte, so beeindruckt waren oder ob sie tatsächlich Angst verspürten, weil er ihnen so wenig Respekt entgegengebracht hatte.

Nach einer kurzen merkwürdigen Stille beschloss Dantra, das Feld zu räumen. Er löste seinen Arm von Tami und zog sie leicht am Ellenbogen, damit sie sich umdrehte. Um die immer noch schweigend verharrenden Wegelagerer nicht aus den Augen zu verlieren, setzte er selbst nun zum Rückwärtsgehen an, wobei er Tami mit seiner Hand in ihrem Rücken vorwärtsschieben wollte. Doch diese bewegte sich nicht. Auch als er den Druck erhöhte, machte sie keine Anstalten loszugehen. Langsam drehte Dantra seinen Kopf und war bemüht, solange es ihm möglich war, die drei Berittenen im Auge zu behalten, um einem eventuellen Angriff früh genug entgegenwirken zu können. Als er schließlich seinen Blick abwandte und in ihre ursprüngliche Marschrichtung schaute, musste er feststellen, dass sich vier weitere Männer unbemerkt in ihrem Rücken aufgebaut hatten. Diese saßen nicht auf Pferden und wirkten noch schäbiger und ungepflegter als die drei anderen. Sie hielten ihre Waffen bereits kampfbereit in den Händen. Zwei waren mit Schwertern ausgerüstet, einer mit einer Streitaxt, deren Griff er erwartungsvoll in seinen Händen drehte, und der letzte hielt einen Speer, dessen Holz bis auf eine Armlänge hinter der eisernen Spitze blutrot gefärbt war. Die Neuankömmlinge standen bereits wesentlich dichter bei den Geschwistern, als die Reiter es taten. Dantra stellte sich nun seitlich auf, um alle Wegelagerer wenigstens aus dem Augenwinkel beobachten zu können.

„Bei uns hat noch jeder bezahlt“, knurrte der Anführer, „entweder mit Geld oder mit seinem Leben.“

„Und da du kein Geld hast ...“, mischte sich der Glatzkopf mit der Eisenplatte im Schädel ein und zog dabei einen massiven Holzknüppel aus der Satteltasche. Doch anstatt den Satz zu beenden, gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte auf Dantra zu. Auch die vier Räuber hinter den Geschwistern stürmten nun los.

Tami ging instinktiv in die Hocke, sodass Dantra seine Kraft ungehindert auf die Angreifer schleudern konnte. Als Erstes riss es den Glatzkopf aus dem Sattel. Selbst sein Pferd warf die Druckwelle der Magie auf den Rücken. Die nächste fast zeitgleiche Salve traf drei der vier Schergen, die bereits bis auf drei Schritte an sie herangekommen waren. Leider hatte Dantra seine Kraft nicht weit genug gefächert, um auch den vierten zu erwischen. Dieser setzte mit vorgehaltenem Speer und Kampfgeschrei zum tödlichen Stoß an. Doch Dantra hatte sein Schwert bereits gezogen und parierte den Angriff blitzschnell. Die anschließende, gut gezielte Ladung magischer Kraft gab dem Widersacher den Rest.

Mit einem Anflug von Freude bemerkte Dantra, dass noch mehr Männer aus dem Wald die Hänge herunter auf sie zugestürmt kamen. Angriffsgebrüll und Schmerzensschreie gingen ineinander über. Dantra war in seinem Element. Die Beherrschung der Kraft, die in ihm schlummerte, hatte er dank E’Cellbras Übungen perfektioniert. Die Magie fiel über seine Kontrahenten her wie eine unsichtbare Lawine. Mühelos hielt er sich die Banditen vom Leib. Er war nach anfänglichen Schwierigkeiten nun so zielsicher geworden, dass er einzelne Männer, die im Begriff waren, ihre Kampfhaltung von Neuem einzunehmen, sofort wieder von den Füßen riss. Doch plötzlich durchfuhr ihn ein Ruck. Seine Beine schlugen hoch. Der Wald, der Himmel, die Angreifer, alles flog vor seinen Augen durcheinander. Für einen Moment dachte er, seine Kraft hätte ihn selbst umgeworfen. Dieser Gedanke fand allerdings ein jähes Ende, als er einen heftigen Stoß bekam. Es war Tami. Auch sie war hochgeschleudert worden und ihre Köpfe waren dabei unglücklich aneinandergeprallt. Dantra hatte das Gefühl, sie würden schwebend durch die Luft wirbeln. Und noch bevor er richtig begriff, dass er in einem Netz hing, verließ sie beide jeglicher Halt und sie schlugen äußerst unsanft auf dem Waldboden auf. Seine Wahrnehmung wurde für einen kurzen Augenblick klarer.

„Wir müssen bereits auf dem Netz gestanden haben, ohne es zu bemerken“, dachte er. „Es war eine Falle, sie ...“ Ein unglaublich stechender Schmerz ließ seinen Kopf erneut erzittern und ihm wurde, nachdem die kleinen funkelnden Punkte erloschen waren, schwarz vor Augen. Seine Sinne und Gedanken verloren sich in einer tiefen Bewusstlosigkeit.

Eisige Kälte durchfuhr ihn. Sie zog in seine Kleidung und lief bis in seine Schuhe. Schäbiges Gelächter war das Nächste, was er wahrnahm. Dann dieser beißende Gestank nach verwesendem Kadaver. Als sich seine Augen an das zurückkehrende Tageslicht gewöhnt hatten, erkannte er Erniedrigung, Aussichtslosigkeit und den Tod vor sich.

Er war an einen Baumstumpf gefesselt, der eine Schwertlänge über seinem Kopf endete. Ein kleiner Mann, der ihm höchstens bis zum Gürtel reichte und mit einer unglaublich großen Hakennase gestraft war, hatte ihn mit einem Eimer Wasser aus seiner Bewusstlosigkeit zurückgeholt. Das triefende Nass, das von Dantras Haaren kommend auf dem Weg zu seinen Füßen über seine Lippen quoll, hinterließ einen blutigen Beigeschmack. Er musste sich eine starke Kopfverletzung zugezogen haben. Zumindest hoffte Dantra, dass es sein Blut war. Denn so sauber wie ein Eimer, der ausschließlich für Wasser genutzt wurde, war das Gefäß, mit dem der Zwerg nun langsam aus seinem Blickfeld davonschlurfte, nicht.

Gut ein Dutzend Männer von kräftiger Statur stand am Rande der nach einer Abholzung entstandenen Waldlichtung knapp 30 Schritte von ihm entfernt. Es schien ihnen Vergnügen zu bereiten zuzusehen, wie er gefesselt und frierend dastand. Als einer der Räuber das Wort an Dantra richtete, erkannte dieser den Anführer in ihm wieder. „Eins lass dir gesagt sein, solltest du noch mal deine dunkle Magie gegen einen meiner Männer richten, wirst du es bereuen.“

Dunkle Magie? Das war für Dantra das Stichwort. Er war zwar gefesselt, aber noch lange nicht wehrlos. Als Erstes würde er die lustige Runde vor sich auflösen und anschließend versuchen, mit einem kleinen, gezielten Druck seine Fesseln zu lösen. Aber noch bevor er seine Gedanken in die Tat umsetzen konnte, machte ihm der Anführer klar, dass das ein Riesenfehler wäre.

„Deine Schwester steht ebenfalls gefesselt zehn Schritte hinter dir. Seltsam, sie hat doch sicher ein bezauberndes Lächeln. Warum sie uns wohl keines schenkt?“ Er machte eine kurze Pause, um den anderen die Gelegenheit zu geben, über seine scherzhafte Bemerkung zu lachen, was diese auch aus vollem Hals taten. Dann fuhr er, nun allerdings in drohender Stimmlage, fort: „Liegt wohl daran, dass sie ein Messer an ihrer Kehle hat. Und nur für den Fall, dass du glaubst, dass ich bluffe, sieh mal genau hin.“

In diesem Moment schritt der Glatzkopf von hinten an ihn heran. Er hielt Dantra seine dreckige und stinkende geschlossene Hand unter die Nase und flüsterte ihm krächzend ins Ohr: „Wir hätten sie zum Beweis, dass wir es ernst meinen, auch einfach schreien lassen können. Doch leider bekommt die Kleine ja keinen einzigen Ton zustande.“

Er öffnete seine Hand und Dantra wurde augenblicklich übel, als sein Blick auf einen blutigen, abgetrennten Finger fiel. Der Finger seiner Schwester! Diejenige, die ihm geraten hatte, auf E’Cellbra zu hören. Die ihn gedrängt hatte, den Weg zu verlassen und im Schutze des Waldes zu reisen. Sie, die schon so viel Angst in sich hatte, noch bevor sie überhaupt in Gefahr geraten waren. Und nun stand sie da, ihren Peinigern schutzlos ausgeliefert. Blutend und zu allem Überfluss auch noch unfähig, wenigstens um einen schnellen Tod zu flehen. Und all das nur wegen seines verdammten Hochmutes. Seines unbesiegbaren Dickkopfs. Seiner unendlichen Dummheit.

Dantra riss, soweit ihm das möglich war, an seinen Fesseln. An den Stellen, wo der borstige, harte Strick nicht auf dem Stoff seiner Kleidung lag, wetzte er sich die Haut vom Fleisch. Doch die Schmerzen bemerkte er gar nicht. Er war blind vor Wut. Der Hass gegenüber seinen Folterern ließ ihn fast wahnsinnig werden. Doch am meisten hasste er sich selbst. Sein törichtes Verhalten, seine Schuld, Tami in diese grausame Lage gebracht zu haben.

Das erneute grölende Lachen ließ seinen letzten Funken Verstand wider Erwarten nicht erlöschen. Ihm war klar, ließe er seinem Zorn freien Lauf, würde das hämische Gebrüll zwar schnell ersticken, doch das stumme Schreien seiner Schwester, wenn man ihr einen weiteren Finger abschnitt oder gar die ganze Hand abhackte, würde ihm unheilbar die Seele zerreißen. Während die Männer vor ihm ihre Köpfe zusammensteckten und über irgendetwas zu diskutieren schienen, überlegte Dantra fieberhaft, wie er sich und vor allem Tami vielleicht doch noch retten konnte. Ideenlos schaute er sich um, als hoffte er, jemanden oder etwas zu sehen, das ihm dabei helfen konnte.

Erst in diesem Augenblick nahm er die Umgebung bewusst wahr. Um ihn herum waren noch weitere ausgewachsene Bäume auf derselben Höhe abgeschlagen worden wie der, an den er gefesselt war. Vor den meisten war ein Erdloch ausgehoben und in einigen der Stämme steckten Pfeile, zum Teil ganz, zum Teil abgebrochen. Schaudernd erkannte Dantra, dass an ausnahmslos allen Stämmen Blut klebte. Einerseits altes, verkrustetes, aber andererseits auch frisches Blut, das noch in der Sonne glänzte. Er senkte seinen Kopf, soweit der Strick um seinen Hals es zuließ, und musste mit Entsetzen feststellen, dass auch vor seinen eigenen Füßen ein Loch in den braunen Lehmboden gegraben worden war. Es war gerade so groß, dass ein ausgewachsener Mann darin liegen konnte. Diesen Vergleich konnte Dantra mit absoluter Sicherheit aufstellen, denn der Grund für den übel riechenden Verwesungsgestank lag in Form eines Männerleichnams direkt vor ihm. Pfeilspitzen ragten aus seinem Rücken, seinen Beinen und seinem Hals. Vermutlich hatten sie sich durch ihn durchgerammt, als er in das Grab geworfen wurde. Und auch wenn Dantra wohl bewusst war, dass er selbst lange tot wäre, bevor sie ihn ebenfalls dort hineinwerfen würden, so bereiteten ihm die bedrohlich hoch stehenden Eisenspitzen dennoch eine höllische Angst.

Das Tuscheln der Gruppe ebbte ab, und die Räuber wandten sich wieder ihm zu. Einer der Männer löste sich etwas von den anderen. Er trug einen Bogen mit sich, der Dantra vom Kopf bis zu den Knien reichen würde, und der Köcher auf seinem Rücken war bis zum Bersten gefüllt. Er sah etwas gepflegter aus als seine Kameraden und auch seine Bewegungen schienen flüssiger und einen Hauch eleganter. Doch seine Augen waren, soweit Dantra das auf die Entfernung erkennen konnte, ausdruckslos und leer. Der Mann wirkte auf ihn, als hätte er wegen seiner folgenden Handlung, was immer diese auch sein würde, keinerlei Skrupel. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn behutsam auf die Sehne, spannte diese und zielte auf ihn. Dann verharrte er in dieser Stellung wie eine Statue. Dantra spürte eine leichte Brise des eisigen Culterwindes an seiner Wange. In dem Moment, als sie erstarb, verließ der Pfeil den Bogen. Den Atem anhaltend schloss er seine Augen. Was sollte er auch anderes machen? Setzte er seine Kraft ein, um die Richtung des Pfeils zu verändern, würden sie es sicher bemerken. Die drohenden Folgen dafür ließen keine Argumentation zu, es dennoch zu versuchen. Und so verschwendete er auch keinen weiteren Gedanken daran, Tami noch mehr leiden zu lassen, nur um sein eigenes jämmerliches Leben kurzzeitig zu verlängern.

Es kam ihm unendlich lange vor, bis der Pfeil mit einem Geräusch, als hätte man den tiefsten Ton einer Kirchenorgel angeschlagen, im Holz zum Stillstand kam. Noch während er auf den unerträglichen Schmerz wartete, nahm er schon wieder das Gegröle der Männer vor sich wahr. Er sah, soweit es ihm möglich war, an sich hinunter, nach einer blutenden Wunde Ausschau haltend. Dabei fiel ihm auf, dass der Pfeil zwischen seinen Beinen, auf Höhe seiner Knöchel, die Fesseln durchtrennt hatte. Allerdings konnte er zu seinem großen Bedauern nicht feststellen, dass sich dadurch die übrigen Stricke gelockert hätten. Jede Schlaufe, die seinen Körper unerbittlich an den Baumstumpf kettete, schien ein eigenes Seil zu sein.

Dantras Blick fiel noch einmal auf die anderen Stämme um ihn herum. Dabei erkannte er, was sie alle gemeinsam hatten. Die Pfeile, die noch in ihnen steckten, hatten sich in regelmäßigen Abständen ins Holz gebohrt. Wobei die unteren fast alle noch ganz waren und die, die ab Bauchhöhe im Stamm steckten, abgebrochen oder ganz herausgerissen waren. Dantra wurde nun klar, dass seine Entführer ihn nicht nur einfach umbringen wollten, sondern ein Zielschießen auf ihn veranstalteten, um ihn damit zu quälen. Und er wusste jetzt auch, um was es ging, wenn sie ihre Köpfe zusammensteckten, so wie sie es gerade wieder taten. Sie wetteten darauf, ob der Bogenschütze das vereinbarte Ziel treffen würde oder nicht. Und so wie sich die Situation für Dantra darstellte, würde er am Ende des Wettbewerbs mit seinem Leben bezahlen. Er würde es nicht einmal mehr mitbekommen, wenn der letzte Strick durchtrennt wäre. Denn das war zweifellos derjenige, den er um seinen Hals trug. Bevor dieser an der Reihe wäre, hätte er bereits vier Pfeile in seinem Oberkörper. Natürlich vorausgesetzt, der Schütze träfe alle Stricke beim ersten Versuch.

Noch bevor der zweite Pfeil auf die Sehne gesetzt wurde, brach die Wut über diese Herabwürdigung eines Menschenlebens, das in diesem Fall zufällig sein eigenes war, aus ihm heraus. „Ihr verfluchten Kreaturen veranstaltet ein Wettschießen auf einen lebenden Menschen? Wie krank muss man sein, dass einem so etwas Spaß macht?“ Das Tuscheln ebbte ab und die Gestalten sahen ihren Gefangenen ohne erkennbare Regung stumm an. Doch die trügerische Stille war nicht von langer Dauer. Der Anführer brach als Erster in Gelächter aus. Die anderen ließen nicht lange auf sich warten und stimmten sogleich mit ein.

Dantra keifte erneut los: „Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, wenn man so dumm ist, dass man nicht erkennt, wie menschenverachtend das eigene Handeln ist. Eure Gewissenlosigkeit widert mich an.“ Anstatt die Banditen mit seiner Aussage zum Schweigen zu bringen oder gar zum Überdenken ihrer Taten, erreichte Dantra nur, dass das Gelächter noch lauter und schäbiger wurde.

Nachdem auch der Letzte sich wieder beruhigt hatte, antwortete der Anführer immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Mein Kompliment! Nur die wenigsten kapieren schon nach dem ersten Pfeil, worum es geht. Die meisten brauchen ihr ganzes restliches Leben, um es zu verstehen. Was aber auch nicht so viel länger ist, als du jetzt gebraucht hast.“ Erneut kringelten sich die sonst so furchterregend wirkenden Männer wie kleine Kinder. „Aber um auf deine Frage zurückzukommen“, fuhr der Mann halb lachend fort, „von wegen Wettschießen auf einen lebenden Menschen. Zielten wir auf Tote, würde uns das um die Zusatzwette bringen.“ Er sah Dantra erwartungsvoll an. Doch der tat ihm den Gefallen nicht. Er fragte nicht nach, was das für eine Zusatzwette war, von der er da redete. Denn die Antwort, auch wenn er sie nicht kannte, wäre ohnehin nur ein weiterer Anlass, sich über ihn lustig zu machen. Der Anführer jedoch setzte unbeirrt nach: „Willst du nicht wissen, wovon ich rede?“

„Nein, will ich nicht!“, schrie Dantra mit so viel Verachtung in der Stimme, wie er nur aufbringen konnte.

„Gut“, antwortete der Anführer ruhig, „ich sage es dir aber trotzdem. Wir wetten darauf, ab welchem Pfeil du dir in die Hosen pisst.“ Das Gegröle und Gelächter schallte nun noch lauter und dreckiger durch den Wald als bisher.

Dantra hatte Mühe, seine Magie nicht in einem unkontrollierten Ausbruch freizusetzen. Seiner Zunge jedoch ließ er freien Lauf. „Ihr verdammten Bastarde, ihr stinkenden Sumpfschweine, ihr seid es nicht wert zu leben! Ihr verschmutzt den Wald allein durch eure Anwesenheit! Soll euch der Blitz erschlagen! Jeden Einzelnen von euch!“ Noch während Dantra weiter wüste Beschimpfungen in ihre Richtung schleuderte, feuerten sie erneut einen Pfeil auf ihn ab. Er war zwar bemüht, ihn zu ignorieren, sein Unterbewusstsein schlug jedoch Alarm. Irgendetwas war anders an diesem Pfeil. In dem Moment, als das Geschoss Dantra mit voller Wucht in den Bauch traf und ihn ein heftiger Schmerz durchfuhr, der seinen kargen Mageninhalt bedrohlich weit die Speiseröhre hochdrückte, wurde ihm schlagartig bewusst, was diesen Pfeil von den anderen unterschied. Anstatt einer Spitze war ihm eine Art Stoffball aufgesetzt worden, der seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Dantra war, als wäre sämtliche Luft aus seinem Körper gewichen. An weitere Beschimpfungen war vorläufig nicht mehr zu denken. Erst nachdem die zwei folgenden Geschosse die beiden verbliebenen Stricke, die über seine Beine liefen, zertrennt hatten, war er wieder imstande, seine Stimme in voller Lautstärke zu nutzen.

Während er mit der Übelkeit gekämpft hatte, war in ihm eine Idee aufgekeimt, an deren Ernte er seine Widersacher gerne teilhaben lassen wollte. Er hatte einen Entschluss gefasst, der sein eigenes Leben und das von Tami sofort beenden würde. Aber nicht nur ihres. Auch alle anderen, seine Peiniger vor ihm, der Kerl mit der Eisenplatte im Kopf hinter ihm, ja, selbst der Zwerg, der ihn so unsanft in diese grausame Realität geholt hatte, sie alle mussten hier und jetzt ihren Tribut zahlen. Denn keiner, der so eine Folter wie diese guthieß oder durch Schweigen nicht einmal den Versuch unternahm, sie zu beenden, hatte es verdient weiterzuleben und damit womöglich das Privileg zu besitzen, dem Tod nur friedlich im Schlaf zu begegnen. Dantra holte tief Luft, überlegte sich die richtigen Worte und schrie sie dann so laut heraus, dass ihm der Hals dabei brannte, als hätte man ihn gezwungen, pure Essigsäure zu trinken. „Ihr Drachen dieser Welt! Ihr seid nichts weiter als fliegende Maultiere, die Feuer spucken können! Wir werden euch jagen wie Wildschweine, abschlachten wie Kojoten und ausweiden wie Karnickel! Ihr seid nicht mehr wert als verlauste Straßenköter! Und das gilt ganz besonders für dich, Condire! Sollen deine stinkenden Überreste die Ratten fressen!“

Bevor Dantra mit seinen Beleidigungen fortfuhr, gönnte er sich einen Blick in die Gesichter der nun schweigenden Banditen. Er wurde nicht enttäuscht. Darin stand das blanke Entsetzen. Ausnahmslos. Keiner von ihnen hatte mehr ein Grinsen im Gesicht. Selbst die von zu viel Alkohol rot gefärbten Wangen und Nasen waren so blass geworden wie die Haut des verwesenden Mannes im Loch vor ihm.

Erst als einer der Räuber sich abwandte und zur Flucht ansetzte, gewann der Anführer seine Fassung zurück. Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel und warf ihn dem Flüchtigen in den Rücken. Nachdem dieser mit einem kurzen Aufschrei zu Boden gefallen war, richtete er das Wort an die anderen. „Flucht ist zwecklos. Wir müssen den Zorn der Drachen besänftigen. Tötet ihn!“ Bei diesem Befehl zeigte er in Dantras Richtung und sogleich wurden mehrere Pfeile auf ihn abgeschossen.

„Weiterschreien!“, brüllte eine Stimme in seinem Kopf, deren Aufforderung er sogleich nachkam. Gleichzeitig konzentrierte er sich auf die Pfeile, denen er seine Kraft entgegenwarf, um so ihre Richtung zu verändern. Eine weitere Salve folgte und einige der Männer stürmten mit gezogenen Waffen auf ihn zu.

Dann ging alles unglaublich schnell. Im Augenwinkel sah Dantra den Kerl mit der Eisenplatte im Kopf auf einem Pferd an ihm vorbeireiten. Im Schlepptau hatte er ein weiteres Ross, auf das der Anführer eilig zulief. Er schien von seinen eigenen Worten, dass man die Drachen besänftigen könne, wohl nicht überzeugt zu sein. Im selben Augenblick, als er das Pferd erreichte, nahm Dantra einen Schatten wahr. Er sah ihn nur einen Wimpernschlag lang. Doch das reichte, um zu erkennen, dass die Gestalt, zu der er gehörte, riesig sein musste. Sie besaß offenbar einen unglaublich wuchtigen Kopf, der mit einer Krone verziert war. Noch bevor Dantra den nächsten Gedanken fassen konnte, brach eine Feuerwalze los, die die auf ihn zustürmenden Männer unter sich begrub. Die letzten Schreie, bevor das dazugehörige Leben erstarb, drangen an Dantras Ohren.

Dann ein Stoß in seinen Rücken. So heftig, so kraftvoll, dass er das Gefühl hatte, sein Rückgrat würde brechen. Er fiel mit dem Stamm, den es samt Wurzel aus der Erde gerissen hatte, vornüber. Der obere Teil des Baumstumpfes schlug über das Loch hinweg auf dem harten Waldboden auf. Was auch immer es war, das den Stamm umgeworfen hatte, es hatte bei dieser Aktion die Fesseln, die um Dantras Oberkörper geschlungen waren, beschädigt. Mit dem Ruck des Aufschlags waren sie endgültig gerissen und er fiel mit den Füßen voran in das Loch, wobei er auf dem dort liegenden Leichnam landete.

Wie durch ein Wunder hatte ihn dabei keine der aufragenden Pfeilspitzen erwischt. Eine Tatsache, über die sich Dantra aber nur wenig freuen konnte, da der Strick um seinen Hals noch genauso fest saß wie zuvor und nun im Begriff war, ihn zu erdrosseln. Selbst seine frei gewordenen Hände waren ihm keine große Hilfe. Kein Ziehen und kein Zerren ließen die tödliche Schlinge auch nur einen Hauch lockerer werden. Röchelnd und bereits vereinzelt funkelnde Punkte vor seinem inneren Auge sehend, zog er sich einen seiner Schuhe aus und brach mit dem Zeh eine bereits angeknackste Pfeilspitze ab. Er bugsierte sie in seine Hand und durchstach damit jede Faser des Strickes einzeln. Und das, so schnell es ging, was aber zwangsläufig immer noch extrem langsam war. Seine Atemnot stieg und stieg. Als ihm bewusst wurde, dass er dafür Stunden bräuchte, fingen seine Finger unkontrollierbar an zu zittern. Nur selten traf die Pfeilspitze noch ihr Ziel. Meistens stach sich Dantra in seiner Panik den Eisendorn in den Hals. Die dadurch entstehenden Schmerzen und das Blut, das aus den kleinen Verletzungen floss, bemerkte er allerdings nicht mehr. Als sein Körper förmlich nach Luft schrie und er in seiner maßlosen Panik keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, schleuderte er die Spitze weg und zerrte abermals vergeblich an der Schlinge.

Erst nachdem eine unglaubliche Hitzewelle über ihn hinwegrollte, zog es ihn zurück in das Geschehen, das über ihm tobte. Noch bevor ihm bewusst wurde, was dort gerade passierte, gab der Strick um seinen Hals nach und er fiel, wobei er sich geistesgegenwärtig an die Grubenwand drückte, um nicht doch noch von den bedrohlich aufgerichteten Pfeilspitzen aufgespießt zu werden.

Dantra holte so tief Luft, wie er nur konnte. Er saugte sie in sich hinein wie das pure Leben. Allerdings war es leider der Tod, den er einatmete. Und so wurde nun doch noch seine Magensäure samt dem letzten dort verbliebenen Frühstücksbrocken zutage gefördert. Es war ein Teufelskreis. Immer noch unter Atemnot leidend, saugte er den verfaulten Verwesungsgestank, der hier unten noch wesentlich intensiver war als oberhalb der Grube, in sich auf und erbrach sich daraufhin erneut, was seinen Luftvorrat wiederholt schwinden ließ. Er versuchte sich aufzurichten, den rettenden Grubenrand zu erreichen, um endlich frische Luft atmen zu können. Doch nach einem ohrenbetäubenden Krachen wurde er sofort wieder unsanft hinuntergedrückt. Das Tageslicht erlosch und ein harter Schlag gegen seinen Kopf ließ seine Sinne zum zweiten Mal am heutigen Tag schwinden.

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