Читать книгу Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster - Torsten W. Burisch - Страница 20

Kapitel 7

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Dantra schreckte hoch. Da war er wieder. Sein rätselhafter Albtraum. Erst das unglaubliche Getöse irgendwo über ihm. Dann die quälend heiße Luft, die den schmalen Grubengang entlangrollte. Der tödlich verletzte Mann bei seinem letzten Atemzug. Und zum Schluss der gellend laute Schrei, der ihn schließlich weckte.

Comal, der im selben Moment unbeholfen durch die Kirschlorbeerbüsche gestolpert kam, fing sofort an, sich zu entschuldigen. „Oh, tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. War keine Absicht.“

Dantra rieb sich den Schlaf aus den Augen. „War nicht deine Schuld. Ich habe schlecht geträumt.“

Besorgt sah sein neuer Freund ihn an. „Kam ich in diesem Traum vor?“, fragte er verunsichert.

Dantra lachte kurz auf, merkte aber rasch, dass dem Nalc die Antwort anscheinend sehr wichtig war. „Nein“, beruhigte er ihn, „ich habe den Traum öfter. Er hat nichts mit dir zu tun.“

„Dann ist ja gut. Hier, ich habe uns ein paar Beeren zum Frühstück gesammelt.“ Er reichte Dantra die Schüssel, aus der er am Vorabend auch schon die Suppe gegessen hatte und die nun bis zum Rand voll mit roten und blaulila Beeren war.

„Kann man die denn alle essen?“, fragte Dantra skeptisch.

„Nun, ich weiß nicht, ob ein Nalcmagen mehr verträgt als der eines Menschen, aber vom Geschmack her werden sie dir alle munden, da bin ich mir ganz sicher. Und ich denke, wenn welche von ihnen so giftig sind, dass sie dich umbringen können, dann würde ich doch zumindest eine Magenverstimmung von deren Verzehr bekommen, oder? Aber da das bisher noch nie passiert ist: Hau rein!“

„Klingt logisch“, dachte Dantra und ließ sich von dem frischen, süßen Geschmack der Beeren begeistern.

Nachdem sie in aller Ruhe die Schüssel geleert und ihre Sachen zusammengepackt hatten, marschierten sie gemeinsam los. Nach einigen Schritten schaute der Nalc auf Dantra herab und fragte ihn: „Wo willst du eigentlich hin?“

„Wenn ich es mir recht überlege, habe ich gar kein genaues Ziel“, gestand sich Dantra ein. „Aber wenn ich ehrlich bin, will ich auch gar keins haben. Ein Ziel im Auge zu haben, bringt einem nur die Erkenntnis, gescheitert zu sein. Ich dachte, ich könnte vielleicht einige Zeit mit dir umherziehen. Also, natürlich nur, wenn dir das recht ist“, setzte Dantra unsicher hinzu.

„Aber klar ist mir das recht.“ Der Nalc schlug Dantra mit seiner riesigen Hand begeistert auf die Schulter. Eine Geste der Freude und Freundschaft. Zweifellos. Jedoch fiel sie so heftig aus, dass Dantra Mühe hatte, nicht umzufallen. „Ich will nach Blommer“, kündigte Comal an. „Dort ist morgen der größte Viehmarkt, den man hier in der Gegend finden kann. Das bedeutet viele Menschen, also viele Hände, die nur darauf warten, einen Nalc mit Gemüse und anderen Leckereien zu bewerfen.“

Der Wald wurde wieder dichter und der Pfad büßte an Breite ein. Sie waren bereits längere Zeit unterwegs und hatten schon einige Pausen entspannt hinter sich gebracht, als der Nalc Dantra den weiteren Weg erklärte. „Es kommen noch zwei Gabelungen. Halte dich immer rechts, dann kommst du irgendwann an einer kleinen Lichtung vorbei, auf der sich ein Hünengrab befindet. Dort treffen wir uns wieder.“

„Wieso gehen wir denn nicht gemeinsam weiter?“

„Ich laufe querfeldein durch den Wald. Dort habe ich bessere Chancen, uns etwas Fleisch für heute Abend zu erlegen.“ Sein Blick schweifte in die Ferne. „Vielleicht treffe ich ja auf ein Wildschwein.“ Dantra konnte es zwar nicht sehen, aber er war sich sicher, dass Comal gerade wasserfallartig selbiges im Munde zusammenlief. Ein kurzes „Bis nachher“ und schon war er im Dickicht verschwunden.

Nun war Dantra wieder alleine. Alleine mit sich, seinen Gedanken und der Stille um ihn herum. Kurz bevor ihn seine Depressionen eingeholt hatten, hörte er plötzlich wie aus dem Nichts eine leise piepsige Stimme. Sie hatte ihren Ursprung eindeutig direkt hinter ihm.

„Hallo, seid Ihr auch allein unterwegs?“ Dantra drehte sich um, sah jedoch niemanden. „Hier bin ich“, hörte er die Stimme sagen. „Hier unten.“

Als Dantra direkt vor seine Füße schaute, blickten ihn zwei große Kugelaugen an. Das Wesen vor ihm reichte ihm gerade einmal bis zum Kniegelenk. Es hatte braune Lederhaut oder war es gar ein Anzug? Der Kopf war eindeutig zu groß für den kleinen Körper. Nase und Mund wiederum zu klein für den Kopf.

„Ich bin ein Wurzeltroll“, sagte das Geschöpf erklärend, als hätte es gewusst, dass Dantra gerade danach fragen wollte. „Ich heiße Zorg und bin auf dem Weg nach Blommer.“

„Da will ich auch hin. Und mein Name ist im Übrigen Dantra“, antwortete er ihm.

„Was für ein Zufall“, freute sich der Wurzeltroll und klatschte begeistert in seine schmalen, aber dafür umso längeren Hände. „Sag mal, Dantra“, Zorg stockte kurz, als wäre ihm die folgende Frage peinlich, „ich bin schon so lange unterwegs und ich könnte mit meinen kurzen Beinen ohnehin nicht mit dir Schritt halten. Hättest du was dagegen, wenn ich mich auf deine Schulter setze und du mich trägst? Ich wiege auch fast nichts. Außerdem befürchte ich, dass es mir sonst gar nicht möglich ist, pünktlich zum Viehmarkt morgen in Blommer zu sein.“ Kaum hatte der Kleine seine Bitte beendet, senkte er auch schon sein Haupt, als erwartete er eine rüde Absage.

„Aber klar doch“, sagte Dantra. Nicht nur, dass er diesem kleinen Häufchen Troll, so geknickt, wie er dastand, ohnehin nichts abschlagen konnte, er war auch froh, einen neuen Weggefährten getroffen zu haben. Er hätte noch ganz anderes dafür getan, um während Comals Jagdausflug nicht alleine weitermarschieren zu müssen. Und schwer sah der Troll wirklich nicht aus. Dieser drückte seine Freude über Dantras entgegenkommende Antwort in Form eines Jauchzens und erneuten Klatschens aus. Dann zog er sich geschickt an Dantras Sachen hoch und setzte sich auf dessen linke Schulter. Zorg hatte nicht übertrieben. Dantra spürte kaum, dass er auf ihm hockte. Er fühlte lediglich seine kalte Hand am Hals, dort wo er sich an ihm festhielt. Munter schritten sie weiter und es dauerte nicht lange, bis sie in ein Gespräch vertieft waren, als würden sie sich schon seit Jahren kennen.

Die Sonne stand bereits so tief, dass sie aus dem Wald heraus nicht mehr zu sehen war, als den beiden eine Gestalt entgegenkam. Bisher waren es immer zwei oder noch mehr gewesen, die zusammen reisten. Dass aber jemand ganz alleine unterwegs war, von Zorg einmal abgesehen, war bis dahin noch nicht vorgekommen. Die Person war etwas kleiner als Dantra und zierlicher gebaut. Die Kapuze des schwarzen Umhangs, die dunkelgrün abgesetzt war, hing so tief nach vorn, dass man unmöglich das Gesicht erkennen konnte. In der Hand hielt sie einen Bogen, allerdings nicht kampfbereit mit der Sehne nach hinten, sondern entspannt herunterhängend. Und da keine Pfeile zu sehen waren, ging Dantra nicht von einer Gefahr aus. Er hatte seiner Meinung nach viel aus seinen Fehlern gelernt und fühlte sich bei seiner Einschätzung der Lage daher sehr sicher. Aber dennoch oder gerade deswegen würde er die Person nicht aus den Augen lassen, bis sie an ihnen vorbei war. Genau wie er jeden anderen gewissenhaft beobachtet hatte, dem er heute schon begegnet war. Egal, ob Mann oder Frau. Und selbst Kinder hatten keinen naturgemäßen Vertrauensbonus bei ihm. Und das, obwohl es, während er mit Comal an seiner Seite unterwegs war, keinen Grund für seinen Argwohn gab. Eher im Gegenteil, denn die meisten, die ihren Weg gekreuzt hatten, waren einige Schritte in den Wald hinein verschwunden, wo sie ängstlich gewartet hatten, bis der Nalc und er vorüber waren.

Dantra schielte zu Zorg. Der hatte abermals sein Haupt gesenkt und kratzte sich dabei die Stirn, als wollte er unauffällig sein Gesicht verbergen. Den Blick wieder nach vorne gerichtet, sah Dantra noch für den Bruchteil einer Sekunde eine Pfeilspitze auf sich zujagen. Unfähig, noch auszuweichen oder gar Gegenmaßnahmen zu ergreifen, nahm er das markerschütternde Geräusch war, welches entstand, wenn ein Pfeil in Fleisch, Muskeln und Knochen eintrat. Und wieder wartete er auf den unausweichlichen Schmerz, der zu seiner Erleichterung aber auch dieses Mal ausblieb. Stattdessen nahm er im Augenwinkel wahr, wie Zorg leblos von seiner Schulter fiel. Er schaute auf ihn hinab. Der Wurzeltroll lag auf dem Rücken, während der hochragende Pfeilschaft seine breite Stirn bizarr entstellte. Dantra fasste instinktiv nach dem Griff seines Schwertes. Doch im selben Moment wurde er zu Boden geworfen. Allerdings weniger durch Kraft als vielmehr durch Geschick und Schnelligkeit. Er fand sich in einer Umklammerung wieder, die es ihm unmöglich machte, sich zu drehen, geschweige denn aufzustehen. Mit einem hässlichen Knacken wurde Zorg der Pfeil aus dem Schädel gezogen und sogleich stieg leichter, gelbgoldener Rauch aus der Wunde empor. Ehe Dantra sich versah, wurde er schon mit geöffnetem Mund auf das qualmende Loch gedrückt. Abermals begann er, mit seinem Brechreiz zu kämpfen. Er wollte die Luft anhalten, um nichts von dem ekelerregenden Rauch in sich aufzunehmen, ein gezielt angesetzter Fingerdruck an seinem Hals ließ ihn jedoch ungewollt tief einatmen. Erst jetzt wurde der Griff gelöst und Dantra drehte sich hustend um. Wieder fuhr seine Hand zum Schwert. Oder besser dahin, wo es eigentlich sein sollte. „Wo ist mein Schwert?“, dachte er. Dantra sah auf. Der Angreifer stand mit gezogenem Schwert vor ihm. Unter normalen Umständen wäre es spätestens jetzt an der Zeit gewesen, seine magische Kraft einzusetzen. Aber sein Gegenüber bedrohte ihn nicht mit der Waffe, er betrachtete sie nur, als hätte er noch nie zuvor etwas Derartiges gesehen. Das Schwert, das er in den Händen hielt, hatte exakt dieselbe Länge wie das von Dantra. Auch der Griff hatte die gleiche Form. Nur war dieser aus Stahl, überzogen von glänzendem Gold und Silber. Und wenn Dantra seinen Augen trauen konnte, so umgab die Klinge eine Art Diamantenstaub. Denn sie funkelte und leuchtete wie ein in die Länge gezogener Stern. Es war ein Anblick, der staunende Bewunderung und Furcht vor der Unbesiegbarkeit im gleichen Maße hervorrief. Es war eine von purer Magie erfüllte Szene.

Mit einem leisen Zischen wurde das Schwert zurück in die Scheide geschoben, die ihrerseits in glänzendem Schwarz gehalten war, veredelt mit silbernen Verzierungen und Runen. „Wem hast du das Schwert gestohlen?“ Die Stimme, die unter der immer noch tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervorkam, klang eindeutig zu hoch für einen Mann.

„Ich habe es nicht geklaut!“, antwortete Dantra beleidigt, während er sich noch immer suchend nach besagter Waffe umsah.

„Vermisst du irgendetwas?“, wollte die weibliche Stimme wissen.

„Würde ich sonst suchen?“, brummelte Dantra zurück. „Ich kann mein Schwert nicht finden.“

Nach einer kurzen Pause des Schweigens richtete sie erneut das Wort an ihn. „Hast du bis gestern in irgendeinem dunklen Kellerloch gelebt?“

Eine Frage, die Dantra eigentlich ruhigen Gewissens mit Ja hätte beantworten können. Da er die Frage allerdings eher als Beleidigung und nicht als ernst gemeint auffasste, antwortete er nur gereizt: „Erwecke ich irgendwie den Eindruck?“

„Würde ich sonst fragen?“, bekam er ebenfalls gereizt zu hören. „Hier hast du das Schwert wieder, von dem du behauptest, es sei deines.“ Die geheimnisvolle Fremde warf ihm die wunderschön gearbeitete Waffe zu, die sie eben so genau inspiziert hatte. Noch während diese den kurzen Weg zu seinen Händen durch die Luft zurücklegte, veränderte sie sich und Dantra fing sein altes, zerbrechlich aussehendes Schwert auf. Nun war er es, der die Klinge ansah, als hielte er sie zum ersten Mal in den Händen. „Bist du eine Magierin?“, fragte er fasziniert und bewundernd zugleich.

„Nein, ich bin nur das, was ich bin.“

„Und was bist du?“ Dantra war aufgestanden und versuchte vergebens, ein Gesicht unter der Kapuze zu entdecken.

„Im Moment bin ich hauptsächlich genervt.“ Eine Antwort, die Dantra in Tonfall und Aussagekraft stark an E’Cellbra erinnerte. Er wollte gerade etwas erwidern, als die Fremde ihre Kapuze abstreifte und ihm damit den Blick auf ihr Gesicht gewährte. Sie hatte blaue Augen, die einen Hauch Bedrohlichkeit ausdrückten, da sie mit schwarzer Farbe dezent untermalt waren. Er bemerkte die Perfektion von Nase und Mund sowie ein leicht markantes Kinn, und das alles war umhüllt von rotbraunem, glattem Haar.

„Also sag schon“, schimpfte sie erneut los, „warum irrst du herum, ohne zu wissen, was für Gefahren hier lauern und wie man sich gegen sie schützt?“

„Ich weiß um die Gefahren, und glaub mir, wenn ich wirklich will, kann ich mich auch jederzeit gegen sie zur Wehr setzen“, motzte Dantra gekränkt zurück.

„Ach ja? Und warum bitte läufst du dann mit einem Hautgnom auf der Schulter durch den Wald?“

„Hautgnom? Quatsch. Das war ein liebenswerter und freundlicher Wurzeltroll. Zumindest, bis du ihn ermordet hast.“

„Wurzeltrolle sind nicht größer als dein Daumen. Und du kannst sie hervorragend an ihrer Intelligenz erkennen, die deine um ein Vielfaches übersteigt.“ Dantra öffnete schon den Mund, um sich zu rechtfertigen, kam aber nicht dazu. „Das hier ist ein Hautgnom. Er ernährt sich von deiner Lebenskraft, die er dir aus dem Körper saugt, indem er einfach nur deine Haut berührt. Du wirst älter und älter. Noch ein, zwei Stunden länger und du wärst tot zusammengebrochen.“

Dies war eine Vorstellung, die Dantra gar nicht behagte. Mit Sorgenfalten auf der Stirn sah er auf den Leichnam hinunter und fragte bekümmert: „Meinst du, er hat mir schon viel Zeit geraubt?“

„Ja.“ Die Antwort war nicht nur ehrlich, sondern auch hart. Dantra schluckte. „Aber da ich dich über die Eintrittswunde des Pfeils gedrückt habe, hast du die gestohlene Lebenskraft mit dem Einatmen wieder aufgesaugt.“

Erleichterung machte sich auf Dantras Gesicht breit. „Woher weißt du das alles? Und wie kann man sich eigentlich gegen so ein Ding schützen, wenn man in der Nacht schläft? Und bist du wirklich keine Magierin?“

„Deine Fragerei nervt!“

„Tja, das höre ich nicht zum ersten Mal. Aber dass ich keine Ahnung davon habe, wie man sicher reist, ohne ununterbrochen um sein Leben bangen zu müssen, liegt wohl daran, dass ich nie Antworten auf meine zahllosen Fragen erhalte, sondern immer nur die Aussage, dass ich nerve! Und das nervt mich!“ Er untermalte seine Ansprache eindrucksvoll mit erhobenem Zeigefinger.

Sie sah ihn erst einen Moment lang schweigend an, dann antwortete sie, ohne dabei mehr Wörter zu benutzen als unbedingt nötig. „Ich weiß das alles, weil ich schon viele Jahre unterwegs bin. Ein Hautgnom kann dir nur die Lebenskraft stehlen, wenn du ihm erlaubst, dich zu berühren. Und nein, ich bin keine Magierin! So, nun bist du dran. Woher hast du das Schwert?“

Eine Information, mit der Dantra eigentlich nicht hausieren gehen wollte. Die Bekanntschaft einer Hexe zuzugeben, war nicht ungefährlich. Und um kein Risiko einzugehen, wollte er ihr auch nicht E’Cellbras Namen nennen. Also antwortete er ebenfalls mit Zurückhaltung. „Ich habe es geschenkt bekommen.“

„Ich fragte nicht, wie du es bekommen hast, sondern woher du es hast.“

„Von einem guten Freund.“

„Dein Verhältnis zu der Person ist ebenfalls belanglos. Zumal es sehr ungewöhnlich ist, dass man einem anderen ein Elbenschwert schenkt, egal, wie gut man befreundet ist. Also sag schon den Namen oder hast du es doch gestohlen und kennst den wahren Besitzer gar nicht?“ Ihr Ton war nun zynischer, was ihn seinerseits gereizter klingen ließ.

„Ich stehle nicht! Und selbst wenn, dann sicher nicht ein Schwert, das in meinen Händen aussieht, als wäre es keinen Krato mehr wert. Und im Übrigen wird E’Cellbra ihre Gründe gehabt haben, es mir zu schenken. Ganz gleich, wie ungewöhnlich so etwas ist!“ Im selben Moment dachte er: „Verdammt, jetzt habe ich ihr doch den Namen genannt.“

Dantra war so sehr mit stillen Beschimpfungen wegen seiner eigenen Dummheit beschäftigt, dass ihm ihr überraschter Blick gar nicht auffiel. Erst als sie ihn ungläubig fragte: „Du kennst E’Cellbra?“, betrachtete er sie wieder, nun ebenfalls überrascht.

„Du etwa auch?“

„Nein! Ich hatte nie die Ehre, sie zu treffen.“ Man merkte ihr sofort an, dass es ihr missfiel, dass Dantra ihr in diesem Punkt etwas voraushatte. „Ich habe allerdings sehr viel über sie gehört. Was sie für ein Mensch ist, was sie alles in früheren Tagen getan hat und was für eine begnadete Hexe sie ist.“ Aus ihrer grenzenlosen Bewunderung machte die Fremde keinen Hehl. Es schien, als würde sie nichts auf E’Cellbra kommen lassen, bis sie ihre abschließende Bemerkung von sich gab. „Möchte wissen, welche Kreatur aus dunklen Tagen ihr so einen Schock versetzt hat, dass sie sich mit so einem Möchtegernweltenbezwinger wie dir abgegeben hat.“

„Du bist ja nur neidisch“, warf ihr Dantra spöttisch und beleidigt entgegen, ließ dann aber wieder seine Neugierde das Wort an sie richten. „Von wem hast du all die Sachen über E’Cellbra gehört? Wer hat dir von ihr erzählt?“

„Meine Eltern“, antwortete sie knapp. „Wollen wir jetzt endlich weitergehen?“

„Weitergehen?“ Dantra war verwirrt. „Du bist mir doch entgegengekommen. Wieso willst du nun mit mir in die Richtung gehen, aus der du kommst?“

„Ich hab es mir eben anders überlegt. Ist das ein Problem für dich? Oder ist dir die Gesellschaft eines Hautgnoms lieber als meine?“

„Nein, nein“, beschwichtigte Dantra sie. „Ich habe mich nur gewundert. Ich heiße übrigens Dantra und du?“

„Akinna.“

„Also gut, Akinna. Du musst wissen, ich treffe mich gleich mit einem Freund. Er ist ganz schön groß und sieht auch recht gefährlich aus. Aber wenn man ihn näher kennt, dann ist er ziemlich nett. Du brauchst also nicht gleich in Panik zu geraten und wegzurennen, wenn du ihn siehst.“

Sie blickte, während sie nebeneinanderher gingen, zu ihm hinüber und sagte mit fester Stimme: „Ich laufe nie vor irgendetwas davon. Niemals!“ Dann zog sie sich ihre Kapuze wieder tief ins Gesicht. Das waren Worte, die einem leicht über die Lippen kamen. Doch Dantra hatte ihre Augen gesehen, als sie sie aussprach. Sie hätte ihm in diesem Moment erzählen können, was sie wollte, in so einem Blick, in dem so viel Entschlossenheit und Mut lagen, konnte man nicht den geringsten Anflug von Übertreibung oder haltlose Angeberei ausfindig machen. Die Aussage war genauso ernst gemeint wie gesagt. Dantra hielt noch einmal inne. „Wir haben Zorg vergessen“, stellte er fest und sah sich nach ihm um. Der kleine leblose Körper lag noch immer dort auf dem Weg, wo ihn der Pfeil niedergestreckt hatte.

Akinna ging zu ihm zurück, hob den Gnom am Kragen hoch und sprach ihn mitleidig an: „Zorg, mein alter Freund, wie konnten wir dich nur vergessen?“ Sie war dabei an Dantra herangetreten und hielt ihm den schlaff herunterhängenden Körper entgegen. „Wenn du ihn behalten willst, musst du ihn aber auch tragen“, forderte sie ihn auf.

„Haha.“ Dantra war natürlich bewusst, dass sie ihn zum Narren hielt. „Ich wollte ihn nicht mitnehmen, sondern beerdigen.“

„Beerdigen? Ach so. Sag das doch gleich.“ Ihr Verständnis war natürlich geheuchelt. „Ich habe eben gar nicht weit von hier ein totes Karnickel gesehen. Willst du das auch beerdigen?“

„Natürlich nicht!“, motzte Dantra sie an. „Aber mit dem Karnickel habe ich mich auch nicht bis gerade eben noch unterhalten.“

„Dafür wollte das Karnickel dich aber auch nicht umbringen“, entgegnete Akinna ihm im gleichen unbeherrschten Tonfall.

„Also gut, du hast recht“, gab Dantra klein bei, „aber einfach liegen lassen können wir ihn ja wohl auch nicht. Hier kommen schließlich auch Kinder vorbei. Und in einigen Tagen sieht er nicht nur tot aus, sondern halb verwest.“

Akinna würdigte den Gnom eines letzten angewiderten Blicks, dann warf sie ihn hinter die Wurzel eines umgestürzten Baumes. „So, damit muss für heute niemand mehr seinen Anblick ertragen. Und bis morgen ist ohnehin nichts mehr von ihm da, was verwesen könnte. Dafür werden die Spalfs schon sorgen.“ Dantras Gesichtsausdruck schaffte es, ihr ein zusätzliches erklärendes Wort zu entlocken, bevor sie wieder ihren Schritt aufnahm. „Aasfresser. Und jetzt lass und endlich weitergehen.“

Nachdem sie einige Zeit schweigend nebeneinanderher marschiert waren, brach Dantra die Stille in der Hoffnung, noch ein paar weitere Antworten von ihr zu bekommen. „Seit wann bist du denn schon unterwegs? Und wohin willst du überhaupt? Warum bist du nicht bei deinen Eltern? Wie alt bist du eigentlich?“

„Du musst dir dringend abgewöhnen, so viele Fragen auf einmal zu stellen. Selbst wenn es darum geht, deinen Horizont zu erweitern, so lässt es doch auf einen Hang zur Maßlosigkeit schließen.“

Nach ihrer berechtigten Zurechtweisung folgte zu Dantras Freude doch noch die erhoffte Antwort. „Wie dem auch sei“, fuhr sie fort, „ich bin seit drei Jahren unterwegs, meine Eltern sind tot und ich bin in deiner Zeitrechnung 18 Jahre alt.“

Was die Kritik an seiner Gesprächseröffnung anbelangte, so hatte Dantra sie zwar verstanden, aber zum Beherzigen fehlte ihm ganz einfach die Zeit. Und so brachen weitere Fragen aus ihm heraus, während er sie erwartungsvoll von der Seite musterte. Doch sie schwieg.

Er wiederholte seine Fragen und redete dabei etwas langsamer, was am Resultat aber nichts änderte. Sie schwieg. Er holte tief Luft, um sich abermals lautstark darüber zu beschweren, dass er nichts wissen konnte, wenn er kein Wissen vermittelt bekäme. Doch noch bevor er dazu kam, begann Akinna Fragen zu stellen, allerdings eine nach der anderen.

„Was hast du bei E’Cellbra gemacht?“

Kurz dachte Dantra daran, nun ebenfalls zu schweigen, aber das hätte wohl jede Hoffnung auf weitere Antworten zunichtegemacht. „Ich habe von E’Cellbra gelernt.“

„Du willst mir doch wohl nicht weismachen, dass du ein Hexer bist?“

„Nein, will ich nicht.“

„Und was hast du dann von ihr gelernt? Viel kann es ja nicht gewesen sein, wenn du nicht einmal weißt, was ein Hautgnom ist.“ Wie kurz zuvor nahm mit der Dauer des Gespräches die Boshaftigkeit auf beiden Seiten zu.

„Sie hat mich Wichtigeres gelehrt. Aber was weißt du schon? Und außerdem hätte sie mir all diese Sachen sicher noch beigebracht, wenn wir nicht übereilt hätten abreisen müssen.“

„Wir? Wer ist wir?“

„Meine Schwester und ich.“ Dantras Stimme wurde nun wieder leiser. Sein Blick wandte sich von Akinna ab und verlor sich auf dem knochenharten Lehmbodenweg, auf dem sie voranschritten.

„Du hast eine Schwester? Wo ist sie?“

„Tot.“

„Seit wann?“

„Seit gestern.“

„Wie ist das passiert?“

Dantra schaute ruckartig zu ihr auf. „Du kannst mit deiner Fragerei aber auch ganz schön nerven“, raunzte er sie an.

„Entschuldigung, aber ich dachte, du wolltest vielleicht drüber reden. So was kann manchmal echt helfen.“ Auch wenn es Akinna sicher schwerfiel, nicht zurückzuschnauzen, so blieb ihr Ton doch weiter ruhig und einfühlsam.

Nach einer kurzen Bedenkpause ließ Dantra die schmerzlichen Erinnerungen Revue passieren und erzählte, was geschehen war. Er begann mit seiner Selbstüberschätzung, wobei er es allerdings für besser hielt, das Detail seiner magischen Kraft auszulassen und stattdessen nur von seinen Fähigkeiten am Schwert zu berichten. So kam er ziemlich schnell an den Punkt, an dem er von der Entscheidung erzählte, ihrer beiden Leben zu beenden, und zwar mit dem provozierten Drachenangriff. Als er mit der Erklärung, wie er denselben überleben konnte, fertig war, blieb Akinna abrupt stehen.

„Du willst mir jetzt tatsächlich erzählen, dass du einen Drachenangriff überlebt hast?“

Dantras Ton verschärfte sich umgehend. „Ja, das will ich. Denn das habe ich. Willst du mich, nachdem du mich schon als Dieb beschimpft hast, nun auch noch als Lügner hinstellen?“

„Nun komm mal wieder runter“, beschwichtigte sie ihn. „Dass ein Angriff stattgefunden hat, habe ich mitbekommen. So was hört man noch in ziemlich großer Entfernung. Aber dass jemand so einem todbringenden Inferno entkommen kann, der nicht einmal das Wissen um die alltäglichen Gefahren besitzt und nur mit einem Schwert bewaffnet ist, hört sich doch wohl ziemlich“, sie suchte kurz nach dem richtigen Wort, damit Dantra nicht gleich wieder ausflippte, „abenteuerlich an.“

„Was hört sich denn daran abenteuerlich an, wenn man fast an seiner eigenen Kotze erstickt und anschließend auch noch von einem umherfliegenden Pferd getroffen wird?“

Akinna gab ein seltsames Geräusch von sich, das dem eines unterdrückten Lachens sehr nahe kam. Aber sie marschierte so rasch los, wie sie gestoppt hatte, und ihre Kapuze nahm Dantra die Möglichkeit, ihr Gesicht zu sehen. Also starrte er nur bockig nach vorn und ließ sich seine Beschreibung der Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen. Dabei musste er sich eingestehen, dass es sich hier und da und vor allem mit dem fehlenden Wissen um seine magische Kraft wirklich etwas merkwürdig anhörte, was er ihr gerade erzählt hatte. Es ihr gegenüber eingestehen, wollte er aber auch nicht. Das hätte ihr nur wieder Aufwind für ihre Theorie gegeben, dass er das Geschehene nicht erlebt, sondern erfunden hatte. So ließ er einige Zeit verstreichen, bevor er nochmals einen Versuch startete, einige seiner vielen Fragen an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen. Jedoch packte sie ihn bereits nach den ersten zwei Wörtern am Arm und blieb stehen. „Hörst du das?“, fragte sie flüsternd, während sie mit ihren Augen die Umgebung absuchte.

„Nein“, antwortete Dantra achselzuckend und sah sich dabei ebenfalls um.

„Komm mit“, forderte Akinna ihn auf und zog ihn dabei hektisch am Ärmel hinter sich her. Sie liefen noch ein ganzes Stück den Weg entlang und bogen, kurz bevor der Pfad einen Knick nach rechts machte und gleich darauf hinter einem Hügel verschwand, ins Unterholz ab.

Ab jetzt bewegten sie sich nur noch ganz langsam voran, um so leise wie möglich zu sein. Auch Dantra hörte nun Stimmen. Die beiden blieben hinter einem dicken auf dem Boden liegenden Baumstamm in Deckung und spähten über ihn hinweg. Vor ihnen lag eine kleine Lichtung, auf der ein Hünengrab zu sehen war. Fünf Männer, die offensichtlich ihr Geld nicht für den Erwerb ordentlicher und gepflegter Kleidung ausgegeben, sondern es lieber in Waffen und Kampfausrüstung angelegt hatten, standen drohend und schimpfend um einen Nalc herum.

„Was ist das denn?“, fragte Akinna leise. Sie staunte ebenfalls, wie auch schon Dantra am Vortag, so tief im Culter einen Nalc zu sehen.

„Das ist mein Freund Comal!“, antwortete Dantra unaufgefordert und stürmte sofort los. „Haut ab! Widerliches Gesindel! Und lasst meinen Freund in Ruhe!“

Alle fünf und auch Comal sahen ihn überrascht an. „Wo kommt der denn her?“, rief einer von ihnen.

„Keine Ahnung“, erwiderte derjenige, der Comal seinen Speer direkt unter die Nase hielt. Er hatte eine tiefe Stimme und sprach mit einem starken Dialekt. „Nomar, Reburg und ich halten dieses Monster in Schach, ihr beide kümmert euch um den Spinner“, befahl er.

Dantra machte keine Anstalten, sein Schwert zu ziehen. Er konzentrierte sich ganz auf seine magische Kraft. Die beiden, die auf ihn zueilten, bekamen sie als Erstes zu spüren. Seine übereilte Vorgehensweise schien ein Indiz dafür sein, dass er aus seinen Fehlern doch nichts gelernt hatte, aber die extreme Wucht, mit der er seine Kraft einsetzte, ließ ganz klar erkennen, dass die Experimentierphase vorbei war. Die Gefahr, seine Angreifer zu verletzen, nahm er nicht nur in Kauf, er beabsichtigte es sogar. Von den anderen drei Räubern brauchte er nur noch einem die Kunst des unkontrollierten Fliegens beizubringen, denn die letzten beiden ergriffen bereits die Flucht. Und auch ihre drei Kumpane rappelten sich auf und suchten das Weite. Die Situation schien unter Kontrolle. Ein Gefühl der Erleichterung und des Triumphs erfasste Dantra, als plötzlich Pfeile durch die Luft flogen.

Sie wurden aber nicht auf ihn oder Comal abgeschossen, sondern streckten gezielt die fünf flüchtenden Wegelagerer nieder. Nun kam auch Akinna aus dem Dickicht, in dessen Schutz sie sich gerade eben noch an die Szene herangeschlichen hatten. Als sie an dem ersten Toten vorbeiging, zog sie ihm, als wäre es die normalste Sache der Welt, mit einer geschickten Handbewegung den Pfeil aus dem Genick.

Dantra war entsetzt. Während sie einen Leichnam nach dem anderen abging, schrie er sie empört an: „Was soll das?! Warum hast du sie getötet? Die Sache war doch längst geklärt! Was bist du nur für ein Mensch, dass du andere einfach tötest, obwohl sie bereits auf der Flucht sind?“

„Du bist wirklich einmalig“, erwiderte Akinna gelassen, nachdem sie wieder vor ihm stand. „Du hast eine magische Gabe, bist aber nicht intelligenter als ein gewöhnlicher Tagelöhner.“ Es war unübersehbar, dass Dantra die Zornesröte ins Gesicht stieg. Akinna jedoch wartete nicht auf eine Retourkutsche von ihm, sondern drehte sich zu Comal um, zog sich die Kapuze vom Kopf, neigte diesen dabei bewusst leicht auf die Seite und hielt dem Nalc ihre Hand hin. „Hallo, ich bin Akinna. Dantra sagt, ihr seid Freunde?“

Nach einem kurzen, kaum merklichen Zögern reichte ihr Comal seine riesige Pranke und schüttelte behutsam die zierliche Hand. „Ja, das stimmt wohl“, murmelte er, „ich bin Comal.“

„Ist eine ungewöhnliche Gegend hier für einen Nalc, nicht?“

„Ist ’ne lange Geschichte“, brummte er.

„Kannst sie mir ja mal irgendwann erzählen, wenn du willst.“ Akinna löste den Händedruck, zog sich ihre Kapuze wieder über und ging langsam zurück ins Unterholz.

Dantra, der bis dahin wohl noch verarbeiten musste, was gerade geschehen war, schimpfte nun erneut los: „Wieso sollte Comal dir irgendwann irgendetwas erzählen? Du glaubst doch nicht, dass wir nach der Sache gerade irgendwo mit dir zusammen hingehen?! Du kannst froh sein, wenn du mit heiler Haut davonkommst. Eigentlich sollte Comal dir die Arme ausreißen, damit du so etwas Niederträchtiges nie wieder machen kannst.“

Dantra wandte sich nun an den Nalc. „Du hast doch bestimmt schon einigen Menschen die Arme oder gar Beine ausgerissen, oder? Wäre für dich doch ein Kinderspiel, nicht?“ Erwartungsvoll sah er seinen riesigen Freund an.

„Nein, so etwas habe ich noch nie getan. Und um ehrlich zu sein, ich hätte auch keine Chance gegen sie“, antwortete er in seiner ruhigen, brummigen Art und sah Akinna dabei nach.

„Willst du mich jetzt veräppeln? Sie ist nicht einmal die Hälfte von dir.“ Dantra war fassungslos.

„Ich schätze, sie hat recht“, sagte Comal.

„Womit?“, fragte Dantra.

„Damit, dass dein Wissen dem eines Tagelöhners ungefähr gleichkommt.“ Comal sah auf Dantra hinunter, und noch bevor dieser abermals wütend losschimpfen konnte, offenbarte er ihm: „Sie ist eine Elbin!“

Die gerade noch im Übermaß vorhandene Röte in Dantras Gesicht wechselte nun wie aufs Stichwort in ein aschfahles Grauweiß. Seine verblüfft dreinblickenden Augen auf Akinna geheftet, flüsterte er Comal leise zu: „Sie? Eine Elbin? Bist du dir da sicher? Woher weißt du das?“

Comal antwortete ihm in gewohnter Lautstärke. „Man sieht es an den Ohren.“

„An den Ohren?“ Dantra starrte nun Comal an. „Ich habe ihre Ohren bisher noch nicht sehen können. Denn entweder hat sie ihre Kapuze auf, oder ihre langen Haare verdecken sie.“

„Aber als sie sich gerade bei mir vorgestellt hat, war es ihr sehr wichtig, dass ich eines ihrer Ohren sehe. Sie wollte, dass ich sofort weiß, woran ich bei ihr bin.“

„Ach, und wieso hat sie mir keines ihrer Ohren gezeigt? Bin ich vielleicht nicht wichtig genug, um sofort erkennen zu müssen, mit wem ich es zu tun habe?“ Dantras wütend rote Gesichtsfarbe war so schnell zurückgekehrt, wie sie zuvor verschwunden war.

Comal jedoch zuckte nur mit den Schultern und sagte entschuldigend: „Du bist eben doch nur ein Mensch.“

„Das ist es nicht!“, mischte sich Akinna ein, die ein ganzes Stück abseits gestanden hatte, um dort das Blut an ihren Pfeilen mit den großen, rauen Blättern eines Schirmstängelstrauches abzuputzen, und nun wieder zu ihnen zurückkam. „Mir war klar, dass jemand, der einen Hautgnom auf seiner Schulter trägt, sowieso nicht weiß, dass die Form meiner Ohren verrät, dass ich dem Volk der Elben angehöre. Also wieso sollte ich sie dir zeigen? Damit du noch mehr dumme Fragen stellen kannst?“

„Du hattest einen Hautgnom auf deiner Schulter?“, brummte Comal besorgt.

Doch Dantra winkte ab. „War ’ne Verwechslung und außerdem hat er bekommen, was er verdient hat.“ Er wandte sich wieder Akinna zu. „Ich weiß sehr wohl, dass man einen Elb an seinen Ohren erkennen kann.“

„Ja, sicher“, schnauzte sie zurück, „genauso wie du weißt, dass meine Ohren nicht diese Form haben, damit man mich als Elbin erkennt, sondern weil sie mir die Fähigkeit verleihen, damit besser zu hören als irgendeine andere Spezies in Umbrarus. Doch wenn dein Wissen so umfassend ist, dann frag ich mich, warum du gerade geflüstert hast? Denn dann wüsstest du doch genau, dass ich dich dennoch hören kann!“

„Nun spiel dich mal nicht so auf!“, polterte Dantra ungehalten zurück. „Ich weiß mehr, als du denkst. Zum Beispiel, dass es sehr wohl ein Geschöpf gibt, welches ein weitaus besseres Gehör hat als du. Es ist übrigens gar nicht lang her, dass wir darüber geredet haben.“

„Ach, und wer bitte soll das sein?“

„Der Drache, bei dessen Angriff ich fast umgekommen wäre.“

Bei dem Wort Drachen sahen sich Akinna und Comal besorgt um. „Psst!“ Akinna hatte ihren Zeigefinger auf den Mund gelegt und flüsterte: „Also erstens ...“

Comal fiel ihr ins Wort: „Rede nie so laut von oder über einen Drachen, wie du es gerade eben getan hast!“

Akinna nickte zustimmend und fuhr fort: „Und zweitens ...“

Comal mischte sich abermals ein: „Der besagte Drache hört nicht, wenn jemand ihn oder seinesgleichen beleidigt, er spürt es. Seine Drachengabe verrät es ihm.“ Akinna nickte auch dieses Mal zustimmend.

Dantra sah die beiden skeptisch an. „Habt ihr diese Nummer, die ihr gerade abgezogen habt, einstudiert oder war das spontan?“

„Du solltest die Sache ernst nehmen!“, ermahnte Akinna ihn verärgert.

„Für mich ist die Sache todernst. Ich habe bei dem Drachenangriff meine Schwester getötet und noch mindestens 50 weitere Menschen. Und nun hört endlich auf, mich zu bevormunden. Lasst uns stattdessen lieber zurück zum eigentlichen Thema kommen. Warum hast du diese Männer getötet?“

„Da können wir gleich beim Thema bleiben. Wenn du mit einer magischen Kraft, wie du sie zweifelsohne besitzt, hausieren gehst, dann dauert es nicht lange, bis die Schergen der Feuerspucker dich holen kommen, in ein dunkles Loch stecken oder gleich kopfüber aufhängen und dich wie ein Tier ausbluten lassen. Also musste ich sie töten. Denn nur Tote halten ihr Wort, wenn sie versprechen, dass sie niemals ein Sterbenswörtchen verraten! Also sag schön Danke und schweig! So, und nun lasst uns endlich weitergehen. Dieses Pack fängt langsam an zu stinken.“ Sie drehte sich um und marschierte los. Dantra und Comal folgten ihr wortlos.

Kurz vor Sonnenuntergang hatten sie Blommer erreicht. Sie ließen sich, zwei Felder von den imposanten Stadtmauern entfernt, in einem kleinen Heuunterstand nieder. Comal zauberte wieder eine unglaublich gut schmeckende Suppe, nur dieses Mal wie versprochen mit einer ordentlichen Fleischeinlage.

Nach dem Essen berichteten Comal und Akinna Dantra noch von einigen Wesen, Pflanzen und Gegenden, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Da aber ziemlich schnell deutlich wurde, dass Comal einen wesentlich besseren Draht zu Dantra aufbauen konnte, was Verhaltensregeln betraf, beschloss Akinna, sich früh schlafen zu legen. Zuvor aber verschwand sie für einige Zeit in dem nahe gelegenen Wald, aus dem sie zuvor gekommen waren. Nach ihrer Rückkehr zog sie sich wortlos in eine Ecke des Unterstandes zurück und umhüllte sich völlig mit ihrem Umhang. Dieser schien die Farbe des braunen Holzes hinter ihr anzunehmen. Wenn Dantra nicht gewusst hätte, dass sie dort lag, hätte er sie wahrscheinlich übersehen. Einige Erklärungen und Warnungen später legten sich auch Comal und Dantra zum Schlafen ins weiche Heu.

Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster

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