Читать книгу In der Fremde glauben - Torsten W. Müller - Страница 11
1.4 Aufbau und Methode
ОглавлениеVor dem Hintergrund der oben skizzierten Forschungslage wird die folgende Untersuchung den Transformationsprozess der katholischen Kirche im Ostteil des Bistums Fulda im Hinblick auf das Einströmen der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen rekonstruieren. Für die Kirche stellten diese erzwungenen Migrationen eine besondere Herausforderung dar. Es ist zu fragen, wie die katholische Kirche damals organisiert war, welche institutionellen und personellen Strukturen bzw. Hierarchien es gab und wie Entscheidungsprozesse abliefen. Eine besondere Rolle spielen dabei der „Traditionstransfer aus dem Osten“92 sowie die Mentalitäten der unterschiedlichen Landsmannschaften, die analysierend darzustellen sind, um ihre Wirkungen in Pastoral und Liturgie in den gewachsenen oder neu entstandenen katholischen Gemeinden aufzeigen zu können.
Ziel der Arbeit wird es auch sein, darzustellen, wie die katholische Kirche auf die sich ergebenden Aufgaben, Probleme und Chancen reagierte. Unter welchen Umständen erfolgten Ankunft, Aufnahme und Eingliederung der heimatvertriebenen Katholiken, Priester und Ordensleute in diesem Territorium? Welche Rolle spielten Glaube und Kirche bei dem Prozess der allmählichen Beheimatung in den neu entstehenden Gemeinden? Dabei sollen vor allem auch personelle, strukturelle, mentale und geistlich-theologische Veränderungen der Aufnahmegemeinden dargestellt werden, die die pastorale Besonderheit des Jurisdiktionsbezirks – des heutigen Bistums Erfurt – ausmachen. Zentrale „Bausteine der konfessionellen Identität“93 und der Beheimatung werden eingehend beschrieben und anhand konkreter Fallbeispiele untersucht.
Zu den Forschungsdesideraten der zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung gehören vor allem auch die informellen Verbindungen innerhalb der Gruppe der Vertriebenen – unter Umgehung des staatlichen Koalitionsverbotes – und ihre Auswirkungen auf die Identitäten der Zugezogenen. Trotz der repressiven Grundhaltung des herrschenden Regimes konnten im ersten Nachkriegsjahrzehnt unter den Vertriebenen viele Selbstorganisations- und Kommunikationsphänomene beobachtet werden, die von der Forschung bisher nur unzureichend wahrgenommen und gewichtet worden sind.94 Außerdem lässt eine Analyse der Medien der Meinungsbildung, d.h. kirchliche Zeitungen und Literatur der (Vertriebenen-)Seelsorge, aufschlussreiche Ergebnisse erwarten.95
Es ist weiterhin auf das Phänomen einzugehen, dass große Teile der geflüchteten und vertriebenen Katholiken nach einigen Jahren offenbar ihre (äußere) Kirchenbindung verloren haben. Es wird zu untersuchen sein, wie dabei der politische Druck einerseits und der Verlust der aus der alten Heimat überkommenen Volkskirchlichkeit andererseits zusammenhängen, da im Ostteil der Diözese Fulda auch durch den Zuzug der „Neubürger“ keine Volkskirche entstehen konnte, sondern die Diasporasituation für die gesamte DDR-Zeit prägend bleiben sollte.
Die Arbeit gliedert sich in drei große Kapitel: Die Voraussetzungen der Vertriebenenseelsorge, die Wege zu Identität und Beheimatung sowie die Vorstellung kirchlicher Akteure in diesem Prozess. Im ersten Kapitel werden die verschiedenen Migrationsbewegungen nach Mitteldeutschland und die damit verbundenen Herausforderungen für die katholische Kirche beschrieben; breiteren Raum nimmt die Ankunft der Heimatvertriebenen aus Ostmitteleuropa ein. Die personellen und jurisdiktionellen Änderungen der Diasporakirche im Ostteil der Diözese Fulda stehen dabei im Mittelpunkt.
Das zweite Kapitel beschreibt die verschiedenen Wege der Identitätssuche und Versuche der Beheimatung der katholischen Heimatvertriebenen im Aufnahmegebiet. Allen voran stehen die Hilfen der Caritas, die Zugezogenen leiblich zu versorgen. Daneben war man aber ebenso bemüht, den Vertriebenen eine seelsorgliche Betreuung zukommen zu lassen. Ziel aller Seelsorge war die Sammlung der Katholiken und der Aufbau von Gemeinden. Dieser Prozess wurde geistlich begleitet von theologischen Deutungen, die man mit dem Begriffspaar „Heilige Heimat“ zu umschreiben suchte. Das Themenfeld Wallfahrten gilt es ebenso, hinsichtlich der Thematik zu untersuchen. Die Begegnungen der Konfessionen waren im Aufnahmegebiet geradezu unumgänglich, wobei die Nutzung evangelischer Kirchen für den katholischen Gottesdienst eine „räumliche Ökumene“ beförderte. Stets war man aber bemüht, einen eigenen Gottesdienstraum oder einen Kirchenneubau zu realisieren.
Die kirchlichen Akteure in diesem Prozess der Ankunft, Aufnahme und Beheimatung stehen im Mittelpunkt des dritten und letzten Kapitels: Priester, Seelsorgshelferinnen und Ordensangehörige, die nach Mitteldeutschland einströmten. Ein Resümee rundet die Arbeit ab.
Um das Thema vernetzt und perspektivisch darstellen zu können, werden verschiedene methodische Ansätze gewählt. Mit der ereignisgeschichtlichen Methode wird deskriptiv der Ablauf der Geschehnisse der Jahre 1945 bis 1955 dargestellt. Anhand der strukturgeschichtlichen Methode werden die Aufnahmegebiete näher in den Blick genommen, um gleichsam komparativ Mentalitäten, „Milieus“ sowie kirchliche und weltliche Eliten zu untersuchen. Die ideengeschichtliche/theologische Methode greift das Thema unter einem anderen Gesichtspunkt auf, wobei besonders theologische Grundüberzeugungen, seelsorgliche Konzepte und deren Auswirkungen auf die Pastoral in einer zunehmend säkularen Umwelt reflektiert und dargestellt werden.