Читать книгу In der Fremde glauben - Torsten W. Müller - Страница 20
ОглавлениеBereits der Blick auf die amtliche Sprachpolitik in der Einleitung dieser Untersuchung offenbart die Dynamik dieses Eingliederungsprozesses der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in der SBZ/DDR nach dem Zweiten Weltkrieg. So begann bereits 1948 das schrittweise eingeleitete Ende der spezifischen „Umsiedlerpolitik“. In jenem Jahr wurden auf Druck der Sowjets die Umsiedler-Sonderverwaltungen85 aufgelöst und in die Arbeits- und Innenverwaltung überführt.86 Einer kurzen Phase materieller Förderung mit dem Höhepunkt des DDR-Umsiedlergesetzes 1950 – einen Lastenausgleich gab es nicht, nur geringe Einmalzahlungen zur Anschaffung von Mobiliar und Hausrat87 – folgte schließlich Ende 1952/Anfang 1953 die offizielle Erklärung der DDR-Regierung, dass die Integration der „ehemaligen Umsiedler“ weitgehend abgeschlossen sei. Das Vertriebenenproblem wurde in der DDR-Öffentlichkeit und in den staatlich kontrollierten Medien nicht mehr thematisiert88 und dem gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozess untergeordnet.89 Ein SED-Funktionär hielt diesbezüglich zusammenfassend fest: „Es gibt bei uns keine Umsiedlerfrage. Die neuen Bürger haben ihre neue Heimat gefunden. Die täglichen Probleme des Aufbaus, ihre volle Einschaltung in die politischen Ereignisse lassen Sentimentalitäten nicht zu. Solch ein chauvinistischer Revanchebegriff wie ‚heimatvertrieben’ existiert nicht im Wortschatz eines Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik.“90
Ab 1952/1953 wurden die Vertriebenen und ihre Aktivitäten als Unruhepotential in der Gesellschaft (innenpolitisch) und als Störfaktor in den ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen der DDR und Polen sowie zwischen der DDR und der Tschechoslowakei definiert (außenpolitisch). Damit begann die „negative Vertriebenenpolitik“91 des SED-Regimes, die v.a. in zwei Bereichen sichtbar wurde: Zum einen in der Frage der Formierung landsmannschaftlicher Treffen bzw. Selbstorganisationsversuchen der „Umsiedler“92 und zum zweiten in der Haltung der Vertriebenen bzw. der Bevölkerung insgesamt zur Oder-Neiße-Grenze.93
Besondere Vertriebenenvereinigungen würden nämlich aus SED-Sicht automatisch zum Aufbau von „Revanchistenorganisationen“94 führen, die die Oder-Neiße-Grenze und damit den Weltfrieden95 infrage stellen.96 Landsmannschaftliche Gruppierungen, Tendenzen zur Selbstorganisation von Vertriebenen und jede kulturelle Sonderidentität wurden daher von der SED verboten und vehement verfolgt. Die Geschichte von Flucht und Vertreibung wurde tabuisiert.97
Darum nahm die Relevanz innerkirchlicher Vertriebenenorganisationen erheblich zu, und auch die Kirchen gerieten mit ihrer Tätigkeit unter verstärkte polizeistaatliche Observation des SED-Staates.98 Der Katholizismus war – zusammen mit dem Protestantismus – die einzige widerwillig geduldete weltanschauliche Alternative zum Staatssozialismus.99