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Die Sackgasse der Erkenntnis Die Grenzen der Sprache
ОглавлениеDer religiöse Mensch glaubt sich von Gott begleitet und geschützt: „Wo ich gehe, wo ich stehe, ist der liebe Gott bei mir. Wenn ich ihn auch niemals sehe, weiß ich dennoch, Gott ist hier.“ Gleiches gilt im Christentum auch für Jesus, den Heiland und Sohn Gottes: „Jeden Schritt und jeden Tritt geh du, lieber Heiland, mit. Gehe mit uns ein und aus, führe du uns selbst nach Haus.“
Eine lange Zeit lang bezweifelte ich den Inhalt solcher Gebete nicht unbedingt. Ich akzeptierte deren verborgenen, nicht realistischen Sinn und fühlte mich dabei irgendwie auch wohl. Ich wusste aber seit immer: diese Gebete sind nicht wörtlich, eigentlich gar nicht erst zu nehmen.
Im Laufe der Zeit, besonders beeinflusst durch die selektive Handlungsweise Gottes, der dem einen Glück, dem anderen Unglück beschert, wurden meine Zweifel immer offenkundiger und eindeutiger zur Sprache gebracht. Interessanterweise wurden die Zweifel nicht nur durch die Begegnung mit der Philosophie, speziell mit der Philosophie der religiösen Sprache, größer, sondern besonders durch die vertiefte Beschäftigung mit der Bibel.
Dass gerade durch die Bibel Zweifel an der Richtigkeit der Rede über Gott entstehen können, kann nur im ersten Augenblick verwundern. Tatsächlich ist die biblische Sprache ein Steinbruch von archäologischen Resten des Gottesglaubens, die eine langsame Entwicklung der Rede der Menschen über Gott – vom Polytheismus bis zum späten Monotheismus - zum Vorschein bringen.
Viele unserer heutigen Alltagssätze über Gott besagen, dass Gott gut ist und für die Menschen sorgt. In der Bibel ist der Gott Israels nicht immer gut oder zumindest nicht zu allen gut. Der Gott Israels ist zu Israel gut, er ist allerdings eifersüchtig, kann zornig werden, bestraft die Anbeter anderer Götter, befielt die Tötung derer Frauen und Kinder, bestraft Menschen, die aus Mitleid seine grausamen Befehle nicht genau und vollständig befolgen... In der Bibel liest man vielerlei über Gott, und die dort aufscheinenden Gottesbilder sind nicht immer erbaulich.
Es kann also vorkommen, dass man Zweifel bekommt, ob die allgemeine menschliche Rede von Gott, auch die, die in der Bibel nachzulesen ist, eine echte Aussage über Gott selbst oder nur eine menschliche Ansicht über Gott ist, die sich im Laufe der Zeit sogar stark gewandelt hat. Nur wer durch den religiösen, frommen Eifer so benommen ist, dass er sich jegliche Nachfrage über die Aussagen der Menschen über Gott verbietet, kann das, was in der Bibel über Gott gesagt wird, ungefiltert als die Wahrheit über Gott ansehen.
Vor wenigen Jahrzehnten hat sich die halbe Welt mit der Sprachphilosophie beschäftigt. Mich interessierte diese philosophische Richtung auch, besonders die Philosophie der religiösen Sprache, die mir, fast gleichzeitig mit dem Bibelstudium, ein weites Werkzeug zur Hand gab, um den Sinn religiöser Ausdrücke herauszuarbeiten. Ich habe dieses Werkzeug allerdings in den letzten Jahren nicht mehr in Anspruch genommen, weil es sich als ungenügend oder teilweise überflüssig erwiesen hat. Bereits der Gründer der Sprachphilosophie, Ludwig Wittgenstein, spürte die Grenzen dieser Methode und schilderte sie in seinem Tractatus logicus philosophicus.
Die ursprüngliche Fragestellung der Sprachphilosophen bezog sich auf die Sprache allgemein und nicht allein auf die religiöse Sprache. Sie fragte danach, welche Aussagen des Alltags und der Wissenschaft ‚wahr’ seien. Die Methode, um die ‚Wahrheit’ der Sätze festzustellen, stammte aus dem Neopositivismus: die Verifikation (das Verifikationsprinzip wurde später in den Naturwissenschaften durch das Prinzip der Falsifikation ersetzt).
Wittgenstein schrieb in seinem Tractatus: „Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft.“ Für Wittgenstein und seine Schule blieb dementsprechend kein Raum übrig für sinnvolle wissenschaftliche Sätze über Gott oder für Beschreibungen von Gott. Für ihn bedeutete das aber lediglich, dass Sätze über Gott nichts über Gott selbst aussagen können. Wittgenstein schloss daraus keinesfalls, dass nur das existiert, was beschreibbar ist. Schon in seinem ersten Werk, im Tractatus, erkennt er die Grenzen zwischen dem Sagbaren (das ist unsere Welt) und dem Unaussprechlichen.
Er schreibt einerseits: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ (5.6) und „Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen. Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also nicht sagen, was wir nicht denken können“ (5.61). Andererseits muss er eingestehen: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“(6.522) „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.“ (6.44) „Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das Mystische.“ (6.45) „Wie die Welt ist, ist für das Höhere völlig gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt“. (6.432)
Und das ist seine Schlussfolgerung: „Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft.“ (6.53) Und „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. (7)“
Diese Zitate sind hier aus verschiedenen Originalstellen zusammengefügt. Das macht hier durchaus Sinn. Wittgenstein meint, unsere Sprache gibt nur das her, was wir in unserer Welt beobachten. Mehr noch: Lediglich das, was wir sagen können, ist unsere Welt, unsere Sprache umzäunt das, was wir die Welt nennen. Was nicht mit unserer Sprache beschrieben werden kann, ist nicht unsere Welt. Da sich Gott nicht in unserer Welt offenbart, gehört er nicht zu unserer Welt, ihm ist unsere Welt (nur sprachlich?) gleichgültig.
Durch die ‚Erkenntnis’, dass Gott sich nicht in der Welt offenbart, ist jeder Versuch, über Gott zu reden, ohne ‚Sinn’, in der Diktion der Sprachphilosophie heißt das: ohne ‚Bezug’ auf irgendeine Realität, in unserem Fall: auf eine Realität, die man Gott nennt, ohne sie zu kennen. Das Sprechen über das Unaussprechliche ist also leer, ohne Inhalt und ohne ‚Sinn’.
Wittgenstein glaubt zu wissen, dass das Sagbare nicht unbedingt alles ist. Er lässt offen, ob der Gegenstand des Unaussprechlichen, zum Beispiel Gott, das Mystische, was nicht von der Sprache beschieben werden kann, existiert oder nicht. Seine Empfehlung an uns ist allerdings: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Das ist ein sehr weiser Satz, der vielen Menschen, besonders den Berufstheologen und Predigern aller Art sehr ans Herz zu legen ist. Das Schweigen ist ein Zeichen, dass unsere Welt beschränkt ist, und markiert die Grenze zwischen dem Wort und dem Mystischen.
Wittgensteins Schüler dachten weiter und fragten sich, welche Funktion religiöse Satze dann haben können, wenn sie nichts über Gott aussagen. Sie kommen zum Schluss, dass religiöse Sätze Ausdruck eines Gefühls oder einer Absicht der Menschen sind.
Paul van Buren schreibt in seinem Werk ‚The Edges Of Language’: „A religious belief is neither more nor less than an intention to behave in a certain way, together with the rehearsal or remembrance of particular religious stories.„ (S. 35) Der religiöse Glaube (oder: eine religiöse Aussage) ist nichts anderes als der Ausdruck einer Absicht, sich so oder so zu verhalten, meistens verbunden mit dem Gedenken einer eigenen religiösen Tradition.
Wir kommen später auf die Sprachphilosophie erneut zurück. Hier plädiere ich weder dafür, dass sie nur Wahres, noch dafür, dass sie nur Falsches behauptet. Ich wollte hier nur die Funktion dieser philosophischen Richtung bei der Entstehung meiner Zweifel an den Aussagen über Gott schildern: Sie kann auf jeden Fall helfen, über religiöse Aussagen nachzudenken und sie analytisch in Frage zu stellen.
Was man mit der Sprachphilosophie teilen kann, ist die Auffassung, dass wir Gott nicht beschreiben können, weil wir ihn nicht kennen und mit unseren Sinnen nicht erfahren können. Das ist aber längst keine neue Erkenntnis, die der Sprachphilosophie zuzuschreiben wäre. Schon im Johannesevangelium steht: „Gott hat niemand jemals gesehen“ (Joh 1,18). Und selbst Mose durfte die Herrlichkeit Gottes nicht schauen. „Mein Angesicht kannst du nicht schauen, denn kein Mensch sieht mich und bleibt am Leben.“(Ex 33,20)
Mose hätte fragen können, ob das Sprechen mit Gott weniger gefährlich sei als dessen Angesicht anzuschauen, denn Jahwe sprach gern und lange mit Mose auf dem Berg Horeb. Das Antlitz Gottes, seine Herrlichkeit, die den Menschen und dessen Verstand blendet, ist mit dem Wesen Gottes gleichzusetzen. Der Mensch vermag das Wesen Gottes nicht zu ‚sehen’, zu ergründen, ohne daran zugrunde zu gehen. Aber auch das ist menschliche Rede über Gott.
Diese Erkenntnis ist eigentlich uralt, und dass die Menschen trotzdem meinen, über Gott allerlei sagen zu können, ist genau so alt. Mose selbst, nach der Erfahrung seiner Unfähigkeit, Gott zu erkennen, konnte sich nicht vorstellen, nicht von Gott zu erzählen. Denn er hatte lange mit ihm auf dem Berg Sinai fabuliert. Da er aber nicht das Angesicht, sondern nur den Rücken Jahwes schauen durfte, konnte er doch nicht wissen, ob die Worte, die er zu hören glaubte, tatsächlich von Jahwes Mund gesprochen wurden.
Ähnlich ist es bei den heutigen religiösen Führern, Propheten und Verkündern: Religiöse Sprache, besonders die Aussagen über Gott und seine Eigenschaften, nimmt zeitweilig den Charakter langweiliger Geschwätzigkeit an. Berufstheologen, die die Aufgabe zu haben glauben, den Menschen zu erklären, wie Gott ist und was er von den Menschen will, lassen sich von der Erkenntnis, die auch sie haben dürften, dass auch sie von Gott nichts wissen, nicht beeindrucken und den Mund verbieten.
Deshalb ist es ein sehr wichtiges Anliegen, herauszufinden, welchen Sinn, welche Funktion religiöse Sprache hat, wenn sie schon über Gott wahrscheinlich nichts aussagt. Sind unsere Aussagen über Gott, unsere Gottesbilder, lediglich Aussagen über uns, eigene Selbstbildnisse, geistige Selfies mit Blitzlicht?