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Die Grenzen des Menschen

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Eine zweite Methode, religiöse Sprache und Bilder zu analysieren, ist, den Inhalt der religiösen Aussagen rein logisch, dialektisch und antithetisch zu hinterfragen. Man betrachtet die Rede von Gott als eine Metapher. Sie überträgt auf ein unbekanntes Wesen Eigenschaften, die Menschen der beobachtbaren Welt entnehmen. Jeder Metapher wohnt nicht nur eine bejahende Aussage, sondern auch deren Negation inne. Wenn man z.B. sagt: „Dieser Mann ist ein Bär“, meint man etwa, dass der Mann Bärenkräfte besitzt oder so aussieht wie ein Bär. Man meint allerdings keinesfalls, dass der Mann tatsächlich ein Bär ist.

Aussagen über Gott sind grundsätzlich metaphorischer Art. Sie haben einen ästhetischen, bejahenden Sinn. Wenn man ‚der liebe Gott’ sagt, fühlt man sich erfüllt von seiner Liebe und geschützt von einem höheren Wesen. Allerdings sagt uns die Wirklichkeit selbst, dass der liebe Gott nicht so lieb sein kann, wie einzelne von uns meinen. Die Wirklichkeit ist so voll von Ungereimtheiten, dass man an der Liebe Gottes für die Welt zweifeln und verzweifeln kann.

Das Ergebnis ist also nicht großartig anders als bei den Sprachphilosophen: Es bleibt an dem, was man meint, über Gott sagen zu können, nicht viel übrig.

Dass Gottes Wirken in der Welt, und zwar nicht nur naturwissenschaftlich, nicht feststellbar ist, sollte heute ziemlich allgemein anerkannt sein. Allerdings lassen sich die Menschen nicht nur von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen inspirieren: Mit Sicherheit spielt das Gefühl im Leben aller Menschen eine noch größere Rolle als Logik und rationale Erkenntnis, und das Kuschelgefühl der Geborgenheit in der Nähe und in den Armen eines als real geglaubten Gottes ist öfter stärker als die rationale Erkenntnis, dass Gott wissenschaftlich nicht erfahrbar ist.

Das versteht allerdings der Gläubige sogar als einen Vorzug des Göttlichen: Gott ist nicht fassbar, nicht festhaltbar, genau weil er Gott ist. Nur, der Gläubige ‚weiß’ immer noch nicht, wie und was Gott sein soll.

Auch in der Zeit, als die Sprachphilosophie in aller Munde war, konnte man feststellen, dass sie in der deutschen Universitätstheologie keine sichtbaren Spuren hinterließ, geschweige denn beim kirchlichen Personal, bei den Pfarrern und den Kaplänen. Letzteres ist nicht wirklich verwunderlich. Man kann nicht so naiv sein, sich vorzustellen, dass hauptamtliche Seelsorger aller religiösen Richtungen und Bekenntnisse - deren Hauptberuf es ist, über Gott zu sprechen - sich von irgendeinem Sprachphilosophen den Mund verbieten lassen. Aber die wissenschaftliche Theologie, sie hätte sich mit dieser Infragestellung des theologischen Konstrukts durchaus nachhaltiger befassen können. Aber auch an den theologischen Fakultäten waren keine Spuren davon zu entdecken.

Der Grund scheint allerdings klar zu sein: Der Mensch denkt über das, was seine Grenzen übersteigt, nach. Die Erfahrung der eigenen Grenze lässt vermuten, analog zur empirischen Erfahrung, dass jenseits eines Zauns ein neues Feld beginnt, dass jenseits unserer Grenzen eine andere Welt existiert. Vielleicht gibt es im Menschen eine innewohnende Notwendigkeit, über sich selbst hinaus zu denken, gerade weil er sich als beschränkt und begrenzt erfährt.

Die Rede über das, was den Menschen übersteigt, kann aber nicht gleich als wahre Beschreibung einer Realität verstanden werden, die der Mensch gar nicht kennt, deren hypothetischer Charakter die Gefahr in sich birgt, dass es diese ‚Realität’ gar nicht gibt.

Die sogenannte religiöse Sprache könnte also lediglich ein Ausdruck der menschlichen Erfahrung der eigenen Grenzen sein. Religiöse Sprache wäre dann eine Rede von Menschen über sich selbst sein. Sie enthielte in ihrem Kern durchaus einen Sinn, aber keinen, der den Menschen übersteigt.

Es ist für den Menschen eine bittere Erkenntnis, sich selbst als begrenzt zu erfahren. Diese zunächst reine philosophische Einsicht ist längst nicht so bitter wie die tagtägliche existentielle Erfahrung, dass der Mensch nicht alles kann, was er möchte, dass er nicht alles erreichen kann, was er erreichen möchte, nicht alles versteht, nicht alles begreift, nicht immer gesund ist, nicht immer zufrieden und glücklich ist, dass so viel gegen seine Interessen, seinen Willen geschieht, dass immer wieder Gefahren und Bedrohungen für sein Leben entstehen und überwunden werden müssen. Und überhaupt ist er sich bewusst, auch wenn er es zu verdrängen versucht: Die größte Beschränkung seines Daseins ist das sicher auf ihn zurollende Ende seines Lebens, der Tod. Der Tod ist die schmerzlichste existentielle Erfahrung, die erst dann hingenommen wird, wenn man das Leben, aus irgendeinem Grund, satt hat.

Den Tod kann der Mensch vielleicht hinnehmen, verstehen tut er ihn nicht. Und er versteht nicht, warum ein Gott, der die Welt und den Menschen erschaffen haben soll, nicht nur den Menschen, sondern alles, was lebt, und vielleicht das ganze Universum, sterblich erschaffen hat.

Das ist nur ein Aspekt des sogenannten Problems des Bösen, das folgendermaßen formuliert werden kann: Wie kann Gott, der angeblich gut ist, das Schlechte und das Böse erlauben? Die Allgegenwart des Bösen in der Welt in seinen zahlreichen Erscheinungsformen ist die größte Herausforderung für alle positiven Aussagen über Gott, sie ist deren Negation.

Der liebe Gott Allahu akbar

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