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Das Böse in der Welt
ОглавлениеIm Hinduismus wird eine schöne, poetische, ergreifende Sicht des Seins vermittelt: Brahman ist der Anfang allen Seienden. Brahman ist nicht Gott, er ist bereits vor allen Göttern und vor der Welt.
Brahman ist nicht der Schöpfer im Sinne der westlichen Theologie. Er ist der Anfang von allem, die Weltseele, um das mit einem westlichen Wort auszudrücken. Aus ihm geht alles hervor: die Materie, die zahlreichen Atman der Natur und des Menschen und das Bewusstsein. Er ist der Anfang aller Dinge, nicht ihr Schöpfer, sondern ihr Ursprung, aus dem alles herausströmt.
Der einzelne Atman (in unserer Sprache: die Seele eines Wesen) ist ein Teilchen vom ursprünglichen Bewusststein, aus dem alles hervorgeht, und jeder Atman, wenn er dem Gesetz des Samsara entflieht und nicht mehr geboren werden muss, vereinigt sich wieder mit seinem Ursprung, dem Brahman.
Es ist eine grandiose Sicht des Universums, die poetisch und tiefgründig ist, die mir bildlich sehr gut gefällt. Sie impliziert allerdings auch die Schlussfolgerung, dass alles, Gutes und Schlechtes, in Brahman seinen Anfang hat.
Eine Variante dieser Vision des Universums ist der Pantheismus, die Meinung, dass Gott in allem sei und alles (wiederum) göttlich sei. Auch der Pantheismus lässt die Schlussfolgerung zu, dass Gott und die Welt beides, das Gute und das Böse, enthalten und letztlich das Gute und das Böse sind.
Die Frage, ob die hinduistische Religion und der Pantheismus der Frage nach dem Bösen in der Welt eine ausreichende Antwort geben, bekommt allerdings keine befriedigende Antwort. Deren Antwort heißt einfach: Die Welt ist so, wie sie ist. Ob sie gleichzeitig Gott ist (Pantheismus) oder in Brahman ihren Ursprung hat, ist für ihren jetzigen Zustand gleichgültig.
Besonders die westliche Philosophie, die der Westen von Griechenland geerbt hat, und besonders die westliche christliche Theologie, die griechische philosophische Kategorien importiert und getauft hat, konnte sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben.
Für alle Religionen, die keinen weltimmanenten Gott, sondern einen oder mehrere Götter außerhalb oder sogar jenseits dieser Welt bekennen, ist es charakteristisch, das innerweltliche Denkschema und Erklärungsmodell der Kausalität auf Gott zu übertragen. In unserer Welt hat jedes Phänomen eine Ursache. Die Menschen erklären sich das, was sich in der Welt ereignet, durch eine Ursache, die außerhalb des Ereignisses selbst liegt.
Nichts scheint einfacher, als wichtige Weltereignisse einer außerweltlichen Ursache, Gott oder den Göttern, zuzuschreiben: die Welt selbst, ihre Existenz und ihre Grundstrukturen.
Dieses Erklärungsschema wird im Alltag als Grundmuster zur Erklärung aller irdischen und kosmischen Phänomene angewendet, es wird aber auch philosophisch begründet und verfeinert. Am Gründlichsten haben sich im Gefolge ihres großen Meisters Aristoteles die Scholastik und ihr Lehrer, Thomas von Aquin, damit befasst.
Thomas von Aquin sah das Kausalitätsprinzip als einen der fünf Wege, die den Menschen zur Annahme der Existenz Gottes führen können. Vorsichtig war Thomas auf jeden Fall, denn er sprach nicht von Gottesbeweisen, sondern von Spuren und Wegen, von Analogien, die uns zur Annahme führen können, dass Gott existiert.
Thomas schrieb, im ganzen Universum hat jedes Ding, jedes Wesen, das entsteht und vergeht, eine Ursache. Dieses Prinzip, die kausale Verkettung der Ereignisse kann man aber nicht ins Unendliche führen. Irgendwann muss es ein Wesen, ein Etwas geben, das alles verursacht, aber selbst nicht verursacht ist: eine causa non causata, eine causa prima, eine Erste Ursache, die selbst keine Ursache hat.
Viel weiter als Aristoteles kam Thomas von Aquin mit seinen Überlegungen aber auch nicht. Denn schon Aristoteles hatte von einem ersten unbewegten Bewegenden gesprochen, also von einem in sich ruhenden Wesen, dass alles in Bewegung setzt. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Aristoteles und Thomas: Bei Aristoteles ist der unbewegte Bewegende nicht Gott. Aristoteles hatte von den griechischen Göttern nicht unbedingt die beste Meinung. Es dachte an ein Etwas, das wie ein stiller Motor das Universum in Gang setzt. Dieser ‚Motor’ kann Gutes und Böses in Gang setzen.
Bei Thomas ist die Erste Ursache Gott. Der Gott der Christen hatte sich weit von den griechischen Göttern entwickelt: Er war rein geworden, zur Zeit von Thomas von Aquin längst christlich getauft, war keine zänkische, keine launische Gottheit mehr, der christliche Gott war das Gute in Person: Es musste also logischerweise ausgeschlossen sein, dass er auch die erste Ursache des Bösen ist.
Es ist ein ehrenhafter Versuch, Gott von allen Spuren des Bösen zu befreien. Um das Böse zu erklären, mussten andere Ursachen in Betracht gezogen werden. Es halfen die Mythen: Der Satan, der Luzifer, der Urdrache, die Schlange. Aber letztlich musste sich der Mensch selbst diesen Schuh anziehen. Er wurde vom Gott Jahwe selbst als Ursache seines schlechten Schicksals erklärt. Der Ungehorsam von Adam und Eva gegen Jahwe hat dem Bösen und letztlich dem Tod Tür und Tor geöffnet.