Читать книгу Von nichts kommt niemand - Udo Hermann - Страница 7

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1. Wir würden gerne –
aber es geht nicht!

Auf dem Schreibtisch stapeln sich die Aufträge. So einen Auftragseingang hatten wir noch nie. Ständig läutet das Telefon. „Wann soll es gemacht werden? Oh, schon in 3 Monaten – tut mir leid, da sind wir schon ausgebucht. Wir sollen mehr Leute einstellen? Würden wir gerne, wir suchen ständig, aber wir finden keine geeigneten Fachkräfte in unserem Handwerk. Was sollen wir denn machen?“

Solche Telefonate finden heute immer mehr in den Büros der Handwerksunternehmer statt. Auf der einen Seite steigen die Wünsche nach guter Handwerksleistung, auf der anderen Seite gibt es immer weniger Fachkräfte, die diese Wünsche erfüllen können. Hinzu kommt noch, dass die Erwartung an die handwerkliche Qualität in den letzten Jahren extrem zugenommen hat. Dabei ist nicht nur der Anspruch an die eigentliche Leistungserbringung gestiegen, sondern auch alles, was damit verbunden ist.

Außer Handskizzen werden aufwendige 3-D-Planungen und Visualisierungen gefordert, wenn z. B. Innenräume neu möbliert werden sollen. In manchen Ausbaugewerken ist das vielfältige Warenangebot, das auf dem Markt verfügbar ist, kaum noch zu überschauen.

Hier muss eine Auswahl getroffen werden, die dann übersichtlich und ansprechend in Ausstellungen präsentiert werden soll. Ist dann das Wunschprodukt gefunden, wird ein schnelles Angebot erwartet. Als Zeitmaßstab wird hier der Internethandel herangezogen, wo man noch am selben Tag, sei es am Wochenende, in der Urlaubszeit oder am Feiertag, eine Auftragsbestätigung im Mailpostfach hat. Leider wird oft nicht verstanden, dass viele Handwerker Unikate produzieren, bei denen aufwendig gerechnet oder Sonderteile beim Vorlieferanten angefragt werden müssen. Auf der Baustelle muss auch alles perfekt laufen. Selbstverständlich müssen Termine genau eingehalten werden. Kein Staubkorn darf nach Abschluss der Arbeiten zu finden sein. Alle Dokumente von Angebot über Auftragsbestätigung, Abnahmeprotokoll, Aufmaß, Regiebericht, Baustellentagebuch, Abrechnung, Pflegeeinweisung und, und, und müssen transparent, korrekt und zusätzlich noch ansprechend gestaltet sein. Gerade im Lebensmittelhandwerk setzt der Kunde noch weitere Dinge voraus. Hygiene, Sauberkeit, übersichtliches Warenangebot mit großer Auswahl, gepflegtes Äußeres der Mitarbeiter und ein freundliches Lächeln hinter den Theken. Diese kurze Aufzählung ist nur ein Teil der Kundenerwartung. Zudem kommt, dass gesetzliche Vorgaben und Vorschriften enorm zugenommen haben. Auch sie müssen bei der täglichen Arbeit berücksichtigt und eingehalten werden. Eine Aufzählung der bürokratischen Hürden, die derzeit auf dem gesamten Handwerk lasten, würde vermutlich den Rahmen dieses Buches sprengen. Will man Kunden und Gesetzgeber gerecht werden, so schafft man das nur mit gut ausgebildeten Fachkräften, die auch bereit sind, ihre Grundausbildung ständig zu erweitern. Dies gilt sowohl für die fachliche Qualifikation als auch für die Anpassung an Veränderungen in der Gesellschaft. Ein Beispiel: Haben wir vor 10 Jahren noch mit Metermaßstab und Schreibblock aufgemessen, so sind wir heute mit Lasermessgerät und Smartphone auf Baustellen unterwegs, wo direkt im Foto einer App die Maße abgespeichert werden.


Screenshot www.handwerkerradar.de

Auch aus Kundensicht hat sich durch die Technik die Wahl des „passenden“ Handwerkers komplett verändert. Auf Webseiten, in Apps oder in sozialen Netzwerken wird nach dem richtigen Profi für die eigenen Wünsche gesucht. Zur Erfüllung der gestiegenen Kundenerwartung und allem, was damit verbunden ist, den gestiegenen bürokratischen Aufgaben und dem Schritthalten mit technischen Neuerungen, kommt jetzt noch eine weitere Herausforderung auf den Handwerksunternehmer zu: Fachkräfte finden, wertschätzend führen und für die Ansprüche des Marktes formen. Qualität gibt es nur mit Qualifikation!

1.1 Viele Aufträge, wenig Fachkräfte

Kürzlich habe ich mir einen TED-Vortrag im Netz angeschaut. In 12 Minuten verdeutlicht Rainer Strack (weiterführende Informationen zur Person am Ende des Kapitels) das ganze Dilemma, in dem wir stecken.

Bevor ich dieses Referat gesehen habe, dachte ich mir, es wird schlimm. Nun weiß ich, es wird noch viel schlimmer. Ein paar Zahlen aus den Studien, die bei TED.com zu sehen sind. In Deutschland droht bis zum Jahre 2030 eine Lücke von 10 Millionen Erwerbstätigen. Die Auswirkung dieser Entwicklung wird für das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Nation bedrohlich.

Umsatzeinbußen bzw. nicht realisierte Umsätze mittelständischer Unternehmen aufgrund von Fachkräftemangel (in Mio. Euro)


Quelle: Ernst & Young

1.2 Erschreckende Zahlen

Eine Hochrechnung des Beratungsunternehmens Ernst & Young (Quelle: www.wdt.de/​wirtschaft) geht davon aus, dass schon jetzt über 30 Milliarden Euro Umsatz in mittelständischen Unternehmen nicht erzielt werden, da hierfür die Fachkräfte fehlen. „Wenn 2030 die Babyboomer in Rente gehen, werden wir vor einer globalen Talentknappheit stehen.“ Im Ausbauhandwerk gibt es eine aktuelle Umfrage: Stellt der Fachkräftemangel in den kommenden 12 Monaten ein Risiko für Ihren Betrieb dar? Hier haben 51 % mit „Ja“ geantwortet.

Spüren Sie in Ihrem Unternehmen bereits den Fachkräftemangel?


Quelle: FW Köln (Consult GmbH)

Ich frage mich, was kommt dann erst nach diesen 12 Monaten? Ein existenzielles Risiko für alle Handwerksbetriebe in Deutschland? Die Auswirkungen sind schon jetzt erschreckend. Strack macht deutlich, dass jedes Land und jedes Unternehmen eine neue Personalstrategie benötigt. Da im Handwerk eine weitere Technisierung schnell an Grenzen stoßen wird, bleibt nur, in das – im Handwerk unersetzliche – Kapital Mitarbeiter zu investieren. In der Industrie können voraussichtlich einige Prozesse, an denen heute Menschen beteiligt sind, durch den Einsatz von weiteren Robotern automatisiert werden. Im Handwerk geht das nicht – zum Glück! Ich bin überzeugt davon, dass aus diesem Grund die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber dem herstellenden und dienstleistenden Handwerk massiv zunehmen wird. Wir können sehr gespannt darauf sein, welche Auswirkungen das auf die Preise für Handwerksleistungen haben wird. Sicher ist, dass diejenigen Handwerksfirmen, die über ein gutes (Mitarbeiter-)Team verfügen, vor riesigen Chancen stehen.

Bis 2030 ist es nicht mehr lange. Darum gilt es, ab sofort die richtigen Weichen für die vielversprechende Zukunft des Handwerks zu stellen.

Stellt der Fachkräftemangel in den kommenden zwölf Monaten ein Risiko für Ihre Unternehmen dar? (Anteile der zustimmenden Unternehmen nach Branchen)


Quelle: DIHK

1.3 Fachkräftemangel haben diejenigen, die weitermachen wie bisher

Viele Unternehmer, die einen klassischen Handwerksbetrieb leiten, sind sich noch nicht ganz bewusst, wie schnell sich derzeit der Wandel vollzieht. Die wenigen geeigneten Bewerber, die es jetzt noch gibt, suchen sich den Betrieb aus, in dem sie arbeiten möchten.

Vor wenigen Jahren war das noch umgekehrt. Da konnte man aus zahlreichen Bewerbern den passenden wählen und einstellen. Noch ist das Handwerk nicht gewohnt, sich um Nachwuchs kümmern zu müssen. Dr. Christian Wenzler, Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes Schreinerhandwerk Bayern, hat das auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Fachkräftemangel so formuliert: „Das Handwerk hat eine dramatische Umstrukturierung im technischen Bereich erlebt. Jetzt findet diese Umstrukturierung auf dem Fachkräftemarkt statt. Wir sind mittlerweile hochtechnisiert, und hochqualifizierte Arbeitnehmer arbeiten im Schreinerhandwerk mit modernsten CNC-Maschinen. Aber die meisten Menschen haben noch das Pumuckl-Image im Kopf. Ich sehe im Handwerk große Probleme beim Thema ‚Image‘. Handwerker? Mein Kind soll es einmal besser haben! Diese Denkweisen sind für das Handwerk in Zeiten des Fachkräftemangels tödlich. Wir können nicht mehr weitermachen wie bisher. Wer seine Stellenanzeigen formuliert wie bisher, wer unvorbereitet in Vorstellungsgespräche geht oder wer es nicht schafft, Verantwortung auf Mitarbeiter zu übertragen, wird bald ein Schild an die Werkstatttüre hängen müssen: ‚Heute wegen gestern geschlossen.‘“

Info zur Person Prof . Dr . Rainer Strack

Rainer Strack ist Senior Partner und Managing Director im Düsseldorfer Büro der Boston Consulting Group. Er leitet die Praxisgruppe Organisation, Change Management und Human Resources (HR) in Deutschland und Europa und das HR Topic weltweit. Seit 2008 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten/​Herdecke.

Prof. Dr. Rainer Strack hat es mit seinem Vortrag zur globalen Entwicklung der Arbeitskräfte auf die renommierte Internetplattform TED.com geschafft. Bei einer Konferenz TED@BCG der Boston Consulting Group mit mehr als 450 Teilnehmern in Berlin im Oktober 2014 stellte er klar: „Wenn 2030 die Babyboomer in Rente gehen, werden wir vor einer globalen Talentknappheit stehen.“ Strack analysierte die 15 größten Volkswirtschaften weltweit – auch drei der vier BRIC-Länder, nämlich Brasilien, Russland und China, sind von diesem demografischen Wandel betroffen. Außerdem werden in dem Vortrag die Auswirkungen von Technologie und Robotern beschrieben. „Wenn Talente die knappe Ressource sind, muss man dieses Talent viel besser verstehen.“ So fokussiert der zweite Teil des Vortrags auf eine aktuelle Studie zu den Vorlieben von 200.000 Jobsuchenden weltweit. Abschließend wird sehr plakativ dargestellt, dass jedes Unternehmen, aber auch jedes Land eine Personal-Strategie benötigt.

Rainer Strack ist damit einer der ganz wenigen Deutschen, die bei TED. com überhaupt aufgenommen wurden. Und sein Vortrag wurde bereits mehr als 340.000-mal aufgerufen. Er ist zwölf Minuten lang und laut TED ein „data-filled and quite charming talk“ (Quelle: www.uni-wh.de).

Von nichts kommt niemand

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