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5. Kapitel AkteneinsichtF. Das Akteneinsichtsrecht des Verletzten gem. § 406e Abs. 1 StPO › I. Voraussetzungen

I. Voraussetzungen

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Gem. § 406e Abs. 1 S. 1 StPO kann für den Verletzten ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt.

1. Verletzter

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Den Begriff des Verletzten bestimmt das Gesetz nicht; er ist vielmehr aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang abzuleiten.[1] Für die §§ 406d ff. StPO gilt derselbe Verletztenbegriff wie bei der Anwendung des § 172 StPO.[2] Der Begriff ist zwar weit auszulegen, gleichwohl genügt eine nur mittelbare Rechtsbeeinträchtigung nicht.[3] Erforderlich ist vielmehr eine unmittelbare Rechtsverletzung durch die vorgeworfene Straftat. Verletzter ist mithin ausschließlich diejenige (natürliche oder juristische) Person, die durch die behauptete Tat – ihre tatsächliche Begehung unterstellt – unmittelbar in ihrem Rechtsgut verletzt ist.[4] Diese Rechtsgutsverletzung ist in jeden Einzelfall zu prüfen.

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Hierbei ist nach zutreffender Auffassung maßgeblich (auch) auf den Schutzbereich der verletzten Strafrechtsnorm abzustellen. Verletzter i.S.d. §§ 406d ff. StPO kann danach nur sein, wer in einem rechtlich geschützten Interesse durch eine Straftat beeinträchtigt wird, soweit die verletzte Strafrechtsnorm dabei auch seinem Schutz dient.[5] Das OLG Stuttgart hat hierzu in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 zutreffend ausgeführt: In Zweifelsfällen ist auf die Schutzzwecklehre zurückzugreifen. Danach kann jemand durch eine Tat nur dann verletzt sein, wenn seine Rechte durch die (angeblich) übertretene Norm – jedenfalls auch – geschützt werden sollen.[6] Nach der vom OLG Hamburg vertretenen Gegenauffassung erfasst der Verletztenbegriff in § 406d ff. StPO hingegen auch den Verletzten i.S.d. Adhäsionsverfahrens nach § 403 StPO. Danach käme die Gewährung von Akteneinsicht im Strafverfahren auch gegenüber solchen Antragstellern in Betracht, die von der verletzten Strafnorm nicht geschützt werden, wenn diesem aber möglicherweise zivilrechtliche Schadensersatzansprüche zustehen.[7]

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Der Verletzte kann das Akteinsichtsrecht – ebenso wie der Beschuldigte – nur durch einen Rechtsanwalt geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn der Verletzte selbst Rechtsanwalt ist.[8]

2. Berechtigtes Interesse

a) Grundsätzliches

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Die Akteneinsicht setzt die schlüssige Darlegung eines berechtigten Interesses voraus. Das ergibt sich – neben dem Wortlaut des § 406e Abs. 1 S. 1 StPO – auch aus gesetzessystematischen Erwägungen: Bereits ein Umkehrschluss aus § 406e Abs. 1 S. 2 StPO zeigt, dass das Gesetz grundsätzlich das Bestehen eines berechtigten Interesses als selbstständige Voraussetzung des Akteneinsichtsrechts erachtet. Lediglich zu Gunsten des Nebenklagebefugten unterstellt das Gesetz, dass dieser mit der Akteneinsicht stets rechtlich anerkannte Zwecke, nämlich die Durchführung eines Strafverfahrens, verfolgt. Das Risiko eines Missbrauchs des Akteneinsichtsrechts ist in diesem Bereich wesentlich geringer, zumal auch die Zahl derjenigen, die Akteneinsicht begehren, wegen der Höchstpersönlichkeit der betroffenen Güter deutlich beschränkt bleibt. Insbesondere aber im Bereich der Vermögensstraftaten, die gerade nicht zur Nebenklage berechtigen, besteht wegen der mit einem solchen Delikt typischerweise verbundenen Weiterungen auf eine Vielzahl von Betroffenen ein erhöhtes Missbrauchsrisiko, das es im Interesse der Wahrung der Belange des Beschuldigten einzudämmen gilt.[9]

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Ein berechtigtes Interesse ist ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse.[10] Die Darlegung eines berechtigten Interesses verlangt einen Tatsachenvortrag, der Grund und Umfang eines bestimmten Interesses an der beantragten Auskunft erkennen lässt.[11] Für die Darlegung eines berechtigten Interesses ist daher entsprechend dem zivilprozessualen Verständnis ein schlüssiger Tatsachenvortrag erforderlich, aus dem sich das berechtigte Interesse ergibt. Eine Glaubhaftmachung ist nach h.M.[12] nicht erforderlich.

b) Prüfung, Geltendmachung oder Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche als berechtigtes Interesse

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Wichtigster Anwendungsfall des berechtigten Interesses an der Akteneinsicht ist in Wirtschaftsstrafverfahren die Prüfung bzw. Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche des Verletzten und die Abwehr von Ansprüchen. Dies ist im Grundsatz unumstritten.[13] Zugleich wird aber auch zutreffend betont, dass eine beantragte Einsichtnahme allein zur Ausforschung der Betroffenen oder zu einer nach materiellem Zivilrecht unzulässigen Beweisgewinnung nicht gewährt werden darf.[14] Akteneinsicht darf daher nach zutreffender Auffassung nur dann gewährt werden, wenn der Antragsteller einen entsprechenden zivilrechtlichen oder zivilprozessualen Auskunftsanspruch hat. Nur in diesem Fall besteht ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht.[15] Einem Antragsteller ohne einen derartigen Anspruch Akteneinsicht zu gewähren, würde bedeuten, die privatrechtliche Risikoverteilung, die in der zivilprozessualen Substantiierungslast zum Ausdruck kommt, auf den Kopf zu stellen.

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Nach einer zutreffenden, von der Rechtsprechung indes nicht aufgegriffenen, Literaturauffassung[16] soll Akteneinsicht zum Zwecke der Prüfung und Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche erst dann gewährt werden dürfen, wenn die Täterschaft rechtskräftig festgestellt wurde. Diese Ansicht hat Velten wie folgt begründet: Akteneinsicht zu einem früheren Zeitpunkt (welche die Waffengleichheit auch im Verhältnis zu den unschuldig Angeklagten verschiebt) ist vielfach nicht erforderlich. Ist sie ausnahmsweise angesichts der ungewöhnlichen Dauer des Strafverfahrens geeignet und notwendig, so stehen die überwiegenden Interessen des potenziell Unschuldigen entgegen. Diese Schranke verhindert eine Instrumentalisierung des Strafverfahrens zur Ausforschung des Beschuldigten.[17]

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In jedem Fall eine genaue Prüfung erfordert die Frage, an der Einsicht in welche Aktenbestandteile der Verletzte ein berechtigtes Interesse hat. Denn es ist allgemein anerkannt, dass kein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht besteht, soweit die begehrte Einsicht keinen Bezug zu der den Verletzten betreffenden Tat hat.[18] Daher sind von der Akteneinsicht jene Aktenbestandteile auszunehmen, die sich nicht in personeller und materieller Hinsicht auf den Tatverdacht beziehen, der die Verletzteneigenschaft der Akteneinsicht begehrenden Person begründet.[19] Klarstellend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Umfang der Akten als solches und die möglicherweise für eine Trennung der Akten notwendige Bindung von Ressourcen eine vollständige Versagung der Akteneinsicht nicht begründen können. Ressourcenengpässe der Justiz dürfen nicht zu Lasten eines Akteneinsichtsrechtes eines Verletzten gehen.[20]

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Nicht abschließend geklärt ist, ob ein berechtigtes Interesse des Verletzten auch dann vorliegt, wenn dieser zivilrechtliche Ansprüche nicht gegen den Beschuldigten, sondern ausschließlich gegen Dritte – wie etwa eine vom Beschuldigten vertretene Gesellschaft – geltend macht. Jedenfalls bedarf es bei dieser „Drei-Personen-Konstellation“ einer besonders präzisen Prüfung der entgegenstehenden Interessen des Beschuldigten wie auch des (ggf. unbeteiligten) Dritten. Für den Fall, dass dem Verletzten Akteneinsicht gem. § 406e Abs. 1 StPO gewährt werden sollte, erscheint es zunächst naheliegend, dem Dritten – aus Gründen der Waffengleichheit – einen eigenen Anspruch auf Akteneinsicht aus § 475 StPO zuzubilligen. Andererseits handelt es sich hier um einen weiteren Informationseingriff zu Lasten des Beschuldigten (und ggf. weiterer Betroffener), so dass auf eine eigenständige Prüfung der Voraussetzungen des Akteneinsichtsrechts des Dritten nicht verzichtet werden kann.

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