Читать книгу Die Namenlosen - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 10

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Kapitel 6

Ich hoffe, Miss Vanstone kennt ihre Rolle?“, flüsterte Mrs. Marrable, ängstlich an Miss Garth gewandt, in einer Ecke des Theaters.

„Wenn Allüren eine Schauspielerin ausmachen, Ma’am, wird Magdalens Leistung uns alle in Erstaunen versetzen.“ Mit dieser Antwort holte Miss Garth ihre Handarbeit heraus und setzte sich auf ihren Wachposten in der Mitte des Zuschauerraumes.

Der Schauspieldirektor hockte sich mit dem Buch in der Hand auf einen Stuhl ganz vorn vor der Bühne. Er war ein lebhafter kleiner Mann mit liebenswürdigem, fröhlichem Temperament; das Signal zum Beginn gab er mit einem so geduldigen Interesse an dem Ablauf, als hätte er ihm in der Vergangenheit keine Probleme bereitet und als würde er ihm auch in Zukunft keine Schwierigkeiten machen. Die beiden Gestalten, mit deren Auftritt die Komödie „Die Rivalen“ beginnt – „Fag“ und „der Kutscher“ – betraten die Bühne. Sie wirkten um ein Vielfaches zu groß für die Leinwandkulisse, die eine „Straße in Bath“ darstellte, legten die übliche Unfähigkeit an den Tag, mit den eigenen Armen, Beinen und Stimmen umzugehen, gingen mehrmals an den falschen Stellen ab und brachten ihre völlige Zufriedenheit über das bisherige Ergebnis zum Ausdruck, indem sie hinter den Kulissen herzhaft lachten. „Ruhe, bitte, meine Herren“ mahnte der fröhliche Schauspieldirektor. „So laut Sie auf der Bühne auch sein können, das Publikum darf Sie nicht hören, wenn Sie hinter der Bühne sind. Miss Marrable bereit? Miss Vanstone bereit? Vorsicht dort mit der ‚Straße in Bath‘; sie wird sonst krumm! Schauen Sie hierher, Miss Marrable. Genau nach vorn, wenn es beliebt. Miss Vanstone…“ Er hielt plötzlich inne. „Seltsam“, sagte er zu sich selbst, „sie stellt sich von selbst genau zum Publikum!“ Lucy eröffnete die Szene mit folgenden Worten: „In der Tat, Madam, ich habe auf der Suche die halbe Stadt durchquert: Ich glaube, es gibt in Bath keine Leihbücherei, in der ich nicht gewesen bin.“ Der Schauspieldirektor fuhr von seinem Stuhl hoch. „Du meine Güte! Sie spricht laut und deutlich, ohne zu stottern!“ Der Dialog setzte sich fort. Lucy brachte die Romane für Miss Lydia Languishs private Lektüre unter ihrem Mantel zum Vorschein. Der Schauspieldirektor sprang erregt auf die Füße. Hervorragend! Keine Hektik mit den Büchern. Keines fiel zu Boden. Sie sah sich die Titel an, bevor sie sie ihrer Herrin vorlas; sie legte „Humphrey Clinker“ auf „Die Tränen der Empfindsamkeit“, wobei sie mit einem verschmitzten kleinen „Klack“ den Gegensatz deutlich machte. Im einen Augenblick kündigte sie Julias Besuch an; im nächsten ließ sie die forschen Höflichkeiten des Kammermädchens fallen; ein dritter, und sie war auf der Seite, die das Buch für sie vorsah, von der Bühne verschwunden. Der Schauspieldirektor wirbelte auf seinem Stuhl herum und sah Miss Garth durchdringend an. „Ich bitte um Verzeihung, Ma’am“, sagte er. „Bevor wir anfingen, hat Miss Marrable mir gesagt, es sei für die junge Dame das erste Mal. Das kann doch sicher nicht sein!“

„Es stimmt“, erwiderte Miss Garth, wobei sich der verblüffte Ausdruck des Schauspieldirektors auch auf ihrem Gesicht widerspiegelte. War es möglich, dass Magdalens unbegreiflicher Fleiß beim Rollenstudium einem ernsthaften Interesse an ihrer Tätigkeit entsprang – einem Interesse, das auf eine natürliche Eignung schließen ließ?

Die Probe nahm ihren Lauf. Die stämmige Dame mit der Perücke (und dem ausgezeichneten Herz) verkörperte die empfindsame Julia aus einer unverbesserlich tragischen Sicht und brachte in der ersten Szene verstört ihr Taschentuch zum Einsatz. Die blaustrümpfige Verwandte nahm Mrs. Malaprops sprachliche Fehler so ernst und gab sich mit ihren Schnitzern eine so außerordentliche Mühe, dass sie sich mehr als alles andere wie Übungen in Vortragskunst anhörten. Der unglückliche Bursche, der in der Rolle des „Sir Anthony Absolute“ der hoffnungsloseste Fall der ganzen Truppe war, brachte das Alter und die Reizbarkeit seiner Person zum Ausdruck, indem er ständig in den Knien zitterte und mit seinem Stock über die Bühne humpelte. Langsam und schwerfällig, mit ständigen Unterbrechungen und unendlichen Fehlern, schleppte sich der erste Akt hin, bis Lucy wieder auftrat und ihn mit einem Monolog beendete, in dem sie ihre angebliche Einfältigkeit eingestand und ihre eigene Schlauheit pries.

Hier stieß Magdalen durch die künstliche Bühnensituation auf Schwierigkeiten, die ihr in der ersten Szene nicht begegnet waren – und der völlige Mangel an Erfahrung führte zu mehr als einem spürbaren Fehler. Mit einem Eifer, den er gegenüber keinem anderen Mitglied der Truppe an den Tag gelegt hatte, griff der Schauspieldirektor sofort ein und korrigierte sie. An einer Stelle sollte sie innehalten und sich auf der Bühne umdrehen – was sie tat. An einer anderen sollte sie stehen bleiben, den Kopf schütteln und keck ins Publikum blicken – was sie tat. Als sie das Blatt Papier herausnahm und die Liste der Geschenke vorlas, die sie bekommen hatte – ob sie mit dem Finger darauf klopfen könne (Ja)? Und ob sie mit einem leisen Lachen abgehen könne (Ja – nach zwei Versuchen)? Ob sie, wenn sie die verschiedenen Posten vorlas, am Ende jedes Satzes einen durchtriebenen Blick geradewegs in den Zuschauerraum werfen könne (ja, geradewegs ins Publikum, und so durchtrieben, wie es Ihnen beliebt)? Das fröhliche Gesicht des Schauspieldirektors strahlte zustimmend. Er klemmte sich das Textbuch unter den Arm und klatschte fröhlich in die Hände; die Herren, die sich hinter der Bühne versammelt hatten, folgten seinem Beispiel; die Damen sahen sich an, wobei ihnen Zweifel kamen, ob sie den Neuzugang nicht besser in der Abgeschiedenheit des Privatlebens gelassen hätten. Magdalen war zu sehr in das Bühnengeschehen vertieft, als dass sie irgendetwas davon bemerkt hätte. Sie bat darum, den Monolog noch einmal wiederholen zu dürfen, um sich ihrer eigenen Verbesserung zu versichern. Dieses Mal absolvierte sie ihn von Anfang bis Ende ohne einen einzigen Fehler; der Schauspieldirektor lobte ihre Beherzigung seiner Anweisungen mit einem Ausbruch professioneller Zustimmung, der ihm unwillkürlich entfuhr. „Sie nimmt Hinweise auf!“, rief der kleine Mann, wobei er mit der Hand herzhaft auf das Buch schlug. „Sie ist die geborene Schauspielerin, wenn es jemals eine gegeben hat!“

„Das will ich nicht hoffen“, sagte Miss Garth zu sich selbst, nahm die Handarbeit wieder auf, die auf ihren Schoß gesunken war, und blickte mit einer gewissen Verblüffung darauf hinab. Ihre schlimmste Befürchtung im Zusammenhang mit dem Theaterprojekt war die Vorahnung leichtfertiger Verhaltensweisen seitens einiger Gentlemen gewesen – aber hiermit hatte sie nicht gerechnet. Mit Magdalen in der Eigenschaft eines unbekümmerten Mädchens fertig zu werden, war relativ einfach. Mit Magdalen in Gestalt einer geborenen Schauspielerin drohten weitaus größere Schwierigkeiten.

Die Probe ging weiter. Lucy erschien in ihren Szenen im zweiten Akt (dem letzten, in dem sie auftrat) zusammen mit Sir Lucius und Fag auf der Bühne. Auch hier machte sich Magdalens Unerfahrenheit bemerkbar – und auch hier versetzte sie mit ihrer Entschlossenheit, die eigenen Fehler anzugehen und zu überwinden, alle in Erstaunen. „Bravo!“, riefen die Herren hinter der Bühne, als sie beharrlich einen Schnitzer nach dem anderen ausbügelte. „Lächerlich!“, sagten die Damen, „bei so einer kleinen Rolle!“ „Himmel vergib mir“, dachte Miss Garth, während sie sich widerwillig der allgemeinen Meinung anschloss. „Ich wünschte fast, wir wären Papisten, und ich könnte sie morgen in ein Kloster stecken.“ Gerade als der Gouvernante diese verzweifelte Anwandlung entschlüpfte, betrat einer von Mr. Marrables Dienern das Theater. Sie schickte den Mann sofort mit einer Nachricht hinter die Bühne: „Miss Vanstone hat ihre Rolle in der Probe gespielt; sie möchte bitte herkommen und sich zu mir setzen.“ Der Diener kehrte mit einer höflichen Entschuldigung zurück: „Miss Vanstones freundlichste Grüße, aber sie bittet darum, sie zu entschuldigen – sie souffliert gerade Mr. Clare.“ Sie soufflierte ihm so gut, dass er mit seiner Rolle tatsächlich fertig wurde. Die Darbietungen der anderen Herren waren von penetranter Dümmlichkeit. Frank war geringfügig besser – er war nur mäßig unfähig; und er gewann durch den Vergleich. „Das hat er Miss Vanstone zu verdanken“, erklärte der Schauspieldirektor, der das Soufflieren gehört hatte. „Sie hat ihn durchgeschleppt. Wir werden am Abend ganz schön fade aussehen, wenn der Vorhang nach dem zweiten Akt fällt und das Publikum sie zum letzten Mal gesehen hat. Es ist tausendmal schade, dass sie keine bessere Rolle hat!“

„Es ist tausendmal ein Segen, dass sie nicht mehr zu tun hat“, murmelte Miss Garth, die seine Worte gehört hatte. „Wie die Dinge liegen, können die Leute ihr nicht mit Applaus den Kopf verdrehen. Sie ist schon im zweiten Akt aus dem Spiel – das ist der einzige Trost!“

Kein wohlgeordneter Geist zieht Schlüsse in Eile. Miss Garth’ Geist war wohlgeordnet. Rein logisch betrachtet, hätte Miss Garth also über die Schwäche, voreilig zu Schlussfolgerungen zu gelangen, erhaben sein müssen. Dennoch hatte sie unter den gegenwärtigen Umständen diesen Fehler begangen. Einfacher gesagt, ging sie mit der tröstlichen Überlegung, die ihr gerade eingefallen war, davon aus, dass das Theaterstück alle Katastrophen hinter sich gelassen hatte und seine lange verzögerte Erfolgslaufbahn eingeschlagen hatte. Aber das Theaterstück hatte nichts Derartiges getan. Die Wege des Missgeschicks und der Familie Marrable hatten sich noch nicht getrennt.

Als die Probe vorüber war, bemerkte niemand, dass die stämmige Dame mit der Perücke sich in aller Stille aus der Gesellschaft zurückgezogen hatte; und als man sie anschließend an dem Tisch mit Erfrischungen vermisste, den der gastfreundliche Mr. Marrable in einem Zimmer nicht weit von dem Theater bereit hielt, konnte sich niemand vorstellen, dass ihre Abwesenheit einen schwer wiegenden Grund hatte. Erst als die Damen und Herren zur nächsten Probe zusammenkamen, prägte sich der wahre Zustand der Verhältnisse in den Köpfen der Truppe ein. Zur vorgesehenen Stunde erschien keine Julia. An ihrer Stelle näherte sich Mrs. Marrable bedeutungsschwer der Bühne, einen geöffneten Brief in der Hand. Ihre Natur war die einer Dame von sanftester guter Erziehung: Sie beherrschte jede platte Konventionalität der englischen Sprache – aber Katastrophen und dramatische Eindrücke gemeinsam brachten selbst diese harmlose Hausmutter aus dem Gleichgewicht. Zum ersten Mal in ihrem Leben ließ sich Mrs. Marrable zu ungestümen Gesten hinreißen und bediente sich einer energischen Sprache. Ernst und auf Armeslänge reichte sie den Brief ihrer Tochter. „Mein Liebling“, sagte sie mit einem Hauch von entsetzlicher Gefasstheit, „wir stehen unter einem Fluch.“ Noch bevor die verblüffte Theatertruppe um eine Erklärung bitten konnte, drehte sie sich um und verließ den Raum. Die professionellen Blicke des Schauspieldirektors folgten ihr voller Respekt – es sah aus, als heiße er den Abgang aus theatralischer Sicht gut.

Welches neue Missgeschick war über die Theateraufführung hereingebrochen? Das letzte und schlimmste aller Missgeschicke hatte sie ereilt. Die stämmige Dame hatte ihre Rolle zurückgegeben.

Es war nicht aus Boshaftigkeit geschehen. Ihr Herz, das die ganze Zeit am rechten Fleck gewesen war, blieb auch jetzt unbeugsam an seinem Platz. Das bewiesen zumindest ihre Erklärungen der Umstände. Der Brief begann mit einer Feststellung: Sie hatte bei der letzten Probe (ganz unabsichtlich) persönliche Bemerkungen mitgehört, deren Gegenstand sie war. Sie könnten sich auf ihre – Haare – und ihre – Figur – bezogen haben oder auch nicht. Sie wolle Mrs. Marrable nicht dadurch bekümmern, dass sie die Worte wiederholte. Ebenso werde sie keine Namen nennen, denn Schlimmes noch schlimmer zu machen, sei ihrem Wesen fremd. Die einzige Handlungsweise, die sich mit ihrer Selbstachtung vereinbaren lasse, sei der Rücktritt von der Rolle. Entsprechend füge sie diese für Mrs. Marrable bei mit vielmaliger Entschuldigung, dass sie sich angemaßt habe, in ihrem – wie ein Gentleman es mit Vergnügen bezeichnen würde: Alter – eine jugendliche Rolle zu übernehmen, und das mit den Nachteilen, wie zwei Damen es unhöflicherweise genannt hätten, von – Haaren und Figur. Man werde zweifellos eine jüngere, attraktivere Darstellerin der Julia finden. Gleichzeitig verzeihe sie vollständig allen betroffenen Personen, wozu sie nur noch ihre besten und freundlichsten Wünsche für den Erfolg des Stückes hinzuzufügen habe.

Das Stück sollte in vier Tagen aufgeführt werden. Wenn jemals eine Unternehmung von Menschen der guten Wünsche bedurft hatte, dann war es zweifellos die Theaterunterhaltung in Evergreen Lodge!

Ein Sessel wurde auf die Bühne gebracht. In diesen Sessel sank Miss Marrable in Vorbereitung eines Anfalls von Hysterie. Bei den ersten Zuckungen trat Magdalen vor, riss Miss Marrable den Brief aus der Hand und hielt die drohende Katastrophe auf.

„Sie ist eine hässliche, kahlköpfige, boshafte alte Hexe!“, sagte Magdalen, riss den Brief in Stücke und warf sie über die Köpfe der Truppe. „Aber eines kann ich ihr sagen – sie wird die Aufführung nicht verderben. Ich werde die Julia spielen.“

„Bravo!“, rief der Chor der Gentlemen – und am lautesten (neben Mr. Francis Clare) rief der anonyme Gentleman, der zu dem Unheil beigetragen hatte.

„Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, ich schrecke nicht davor zurück, sie einzugestehen“, fuhr Magdalen fort. „Ich bin eine von den Damen, die sie meint. Ich habe gesagt, sie hätte einen Kopf wie einen Wischmopp und eine Taille wie eine Nackenrolle. Und das stimmt auch.“

„Ich bin die andere Dame“, sagte die blaustrümpfige Verwandte. „Aber ich habe nur gesagt, sie sei zu stämmig für die Rolle.“

„Ich bin der Gentleman“, stimmte Frank, angeregt durch das Vorbild, ein. „Ich habe nichts gesagt – ich habe nur den Damen zugestimmt.“

Jetzt ergriff Miss Garth die Gelegenheit und wandte sich vom Zuschauerraum aus lautstark an die Bühne.

„Halt! Halt!“, sagte sie. „Auf diese Weise können Sie die Schwierigkeiten nicht beilegen. Wenn Magdalen die Julia spielt, wer spielt denn dann die Lucy?“

Miss Marrable sank wieder in den Sessel und gab sich dem zweiten Anfall hin.

„Dummes Geschwätz!“, rief Magdalen. „Das ist doch ganz einfach. Ich werde sowohl die Julia als auch die Lucy spielen.“

Sofort wurde der Schauspieldirektor befragt. Lucys ersten Auftritt wegzulassen und den kurzen Dialog über die Romane zu einem Monolog der Lydia Languish zu machen, waren anscheinend die einzigen nennenswerten Veränderungen, die notwendig waren, um Magdalens Vorhaben in die Tat umzusetzen. Lucys beide Szenen am Ende des ersten und zweiten Aktes waren von Julias Auftritten so weit entfernt, dass Julia selbstverständlich die Zeit für den notwendigen Wechsel der Kleidung haben würde. Und obwohl Miss Garth sich alle Mühe gab, fand auch sie keine neuen Hindernisse, die sie hätte in den Weg legen können. Die Frage war in fünf Minuten geklärt, und die Probe wurde fortgesetzt; Magdalen lernte Julias Auftritte mit dem Buch in der Hand und gab anschließend auf dem Heimweg bekannt, sie werde die ganze Nacht aufbleiben und die neue Rolle studieren. Daraufhin brachte Frank seine Befürchtung zum Ausdruck, sie werde keine Zeit mehr haben, um ihm über seine theatralischen Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Sie klopfte ihm kokett mit ihrem Rollenbuch auf die Schulter. „Du dummer Junge, wie soll ich denn ohne dich zurechtkommen? Du bist Julias eifersüchtiger Liebhaber; du bringst Julia immer zum Weinen. Komm’ heute Abend und bring’ mich beim Tee zum Weinen. Du musst jetzt nicht mehr mit einer giftigen alten Frau mit Perücke spielen. Du sollst mir das Herz brechen – und natürlich werde ich dir beibringen, wie man das macht.“

Die vier verbliebenen Tage vergingen voller Geschäftigkeit mit ständigen öffentlichen und privaten Proben. Der Tag der Aufführung kam; die Gäste trafen ein; das große dramatische Experiment stand vor seiner Bewährungsprobe. Magdalen hatte aus den Gelegenheiten das Beste gemacht; sie hatte alles gelernt, was der Schauspieldirektor ihr in der kurzen Zeit hatte beibringen können. Miss Garth verließ sie, als die Ouvertüre begann. Magdalen saß abseits in einer Ecke hinter der Bühne, ernst und schweigend, die Riechflasche in der einen Hand, das Buch in der anderen, und übte entschlossen bis zuletzt für die bevorstehende Bewährungsprobe.

Das Stück begann mit allen obligatorischen Begleiterscheinungen einer Theateraufführung im privaten Rahmen: mit einem überfüllten Zuschauerraum, afrikanischen Temperaturen, platzenden heißen Lampengläsern und Schwierigkeiten beim Hochziehen des Vorhangs. „Fag“ und „der Kutscher“ wurden in der Eröffnungsszene von ihrer Erinnerung verlassen, sobald sie die Bühne betraten; sie ließen die Hälfte ihres Dialogs unausgesprochen; legten eine lange Pause ein; wurden von dem unsichtbaren Schauspieldirektor hörbar zum „Weitermachen“ aufgefordert, und waren bei ihrem entsprechenden Abgang in jeder Hinsicht traurigere und klügere Männer als zuvor. Die nächste Szene zeigte Miss Marrable als „Lydia Languish“: anmutig sitzend, sehr hübsch und wunderschön gekleidet, beherrschte sie jedes Wort ihrer Rolle und besaß, kurz gesagt, alle persönlichen Fähigkeiten – außer ihrer Stimme. Die Damen bewunderten, die Herren applaudierten. Niemand hörte etwas außer den Worten „Sprechen Sie, Miss“, geflüstert von derselben Stimme, die zuvor schon „Fag“ und den „Kutscher“ zum „Weitermachen“ aufgefordert hatte. Unter den jüngeren Zuschauern erhob sich daraufhin ein Gekicher, das sofort durch großmütigen Applaus eingedämmt wurde. Die Temperatur unter den Zuschauern stieg zum Siedepunkt – aber das nationale Gespür für Fairness war noch nicht aus ihnen herausgekocht.

Inmitten des ganzen Spektakels hatte Magdalen in aller Stille ihren ersten Auftritt als „Julia“. Sie war sehr schlicht in dunkle Farben gekleidet und trug ihre eigenen Haare; alle Bühnenhilfsmittel und Abwandlungen (mit Ausnahme des geringstmöglichen Hauches von Rouge auf den Wangen) hatte man sich aufgespart, um sie in ihrer zweiten Rolle umso wirkungsvoller verkleiden zu können. Die Anmut und Einfachheit ihres Kostüms, das ruhige Selbstbewusstsein, mit dem sie den Blick über die Reihen gespannter Gesichter vor sich schweifen ließ, gaben den Anlass zu einem leisen Summen der Zustimmung und Erwartung. Sie sprach – nachdem sie ein vorübergehendes Zittern unterdrückt hatte – mit einer ruhigen Deutlichkeit der Aussprache, die alle Ohren erreichte und den vorteilhaften Eindruck, den schon ihr Auftritt geweckt hatte, bestätigte. Die Einzige im Publikum, die ihr kühl zusah und zuhörte, war ihre ältere Schwester. Die Schauspielerin des Abends stand noch keine fünf Minuten auf der Bühne, da bemerkte Norah zu ihrem eigenen unbeschreiblichen Erstaunen, dass Magdalen der Gestalt der „Julia“ und ihrer zarten Liebenswürdigkeit kühn einen individuellen Charakter verliehen hatte, und als Vorbild hatte sie sich niemand anderen gewählt als sie selbst. Sie sah, wie alle ihre kleinen, persönlichen Besonderheiten frech kopiert wurden. Selbst der Ton ihrer Stimme wurde hin und wieder so genau nachgeahmt, dass die Betonung ihr vorkam, als spreche sie selbst und höre das Echo von der Bühne. Diese kühle Aneignung von Norahs Identität zu theatralischen Zwecken hatte beim Publikum – das nur die Ergebnisse sah – eine Wirkung, die sich bei Magdalens Abgang in einem Beifallssturm entlud. Schon in ihrer ersten Szene hatte sie zwei unumstrittene Triumphe gefeiert. Durch einen geschickten Akt der Nachahmung hatte sie einer der abgeschmacktesten Gestalten des englischen Dramas eine lebendige Realität verliehen; und sie hatte die Begeisterung in einem Publikum von zweihundert Personen geweckt, die den Segnungen der Lüftung entsagen mussten und in ihrer eigenen animalischen Hitze schmorten. Welche Berufsschauspielerin hätte unter solchen Umständen mehr erreichen können?

Aber das eigentliche Ereignis des Abends stand noch bevor. Als Magdalen am Ende des Aktes verkleidet in Gestalt der „Lucy“ wieder auftrat – mit falschen Haaren und falschen Augenbrauen, mit leuchtend rotem Teint und Flecken auf den Wangen, mit einer Kleidung, in der die fröhlichsten Farben prangten, und mit der schrillsten Lebhaftigkeit in Stimme und Betragen –, war das Publikum wahrhaft verblüfft. Sie blickten auf ihre Programmzettel, auf denen die Darstellerin der Lucy mit einem angenommenen Namen aufgeführt war; blickten wieder auf die Bühne; durchschauten die Verkleidung; und machten ihrem Erstaunen mit einem neuen Sturm des Applauses Luft, der noch lauter und herzlicher war als der letzte. Selbst Norah konnte dieses Mal nicht leugnen, dass der anerkennende Beifall wohl verdient war. Hier bahnte sich stetig, durch alle Schwächen der Unerfahrenheit und sichtbar noch für die stumpfsinnigsten unter den Zuschauern, die seltene Fähigkeit der dramatischen Verkörperung ihren Weg, fand ihren Ausdruck in jedem Blick und jeder Bewegung dieses Mädchens von achtzehn Jahren, das hier zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Bühne stand. Auch wenn sie in vielen kleineren Anforderungen der doppelten Aufgabe, die sie auf sich genommen hatte, versagte, meisterte sie erfolgreich die eine wichtige Notwendigkeit, die charakteristischen Eigenheiten der beiden Gestalten getrennt zu halten. Alle erkannten, dass darin die Schwierigkeit lag, alle erkannten, dass die Schwierigkeit überwunden wurde, und alle teilten die Begeisterung des Schauspieldirektors, der sie schon bei der Probe eine geborene Schauspielerin genannt hatte.

Als der Zwischenvorhang zum ersten Mal fiel, hatte Magdalen in sich das ganze Interesse und die Aufmerksamkeit für das Stück gebündelt. Das Publikum applaudierte höflich Miss Marrable, wie es sich für Gäste gehörte, die sich im Haus ihres Vaters versammelt hatten. Gutmütig ermutigte man auch die übrigen Darsteller, um ihnen bei der Bewältigung einer Aufgabe zu helfen, für die sie alle mehr oder weniger spürbar ungeeignet waren. Aber als das Stück weiterging, riss nichts sie zu einem Ausdruck echten Interesses hin, wenn Magdalen nicht auf der Bühne stand. Es war nicht zu verbergen: Miss Marrable und ihre Busenfreundinnen wurden hoffnungslos in den Schatten gestellt von der Novizin, die zur Unterstützung hinzugezogen worden war, nachdem man schon alle Hoffnung aufgegeben hatte. Und das an Miss Marrables Geburtstag! Im Hause ihres Vaters! Und nach den unaussprechlichen Opfern der letzten sechs Wochen! Unter allen häuslichen Katastrophen, die das undankbare Theaterprojekt über die Familie Marrable gebracht hatte, vollendete sich nun das krönende Missgeschick in Magdalens Erfolg.

Als das Stück zu Ende war, mischten sich Mr. Vanstone und Norah unter die Gäste im Esszimmer. Miss Garth ließ sie dort allein und begab sich hinter die Kulissen, angeblich um zu sehen, ob sie irgendwie von Nutzen sein könnte; in Wirklichkeit wollte sie sich aber vergewissern, ob der Triumph des Abends Magdalen den Kopf verdreht hatte. Es hätte Miss Garth nicht überrascht, wenn sie herausgefunden hätte, dass ihre Schülerin mit dem Schauspieldirektor Verabredungen über ihren zukünftigen Auftritt in einem öffentlichen Theater traf. Aber wie sich herausstellte, war Magdalen in Wirklichkeit auf der Bühne und nahm mit anmutigem Lächeln eine Karte entgegen, die der Schauspieldirektor ihr mit einer professionellen Verbeugung überreichte. Als der gesittete kleine Mann Miss Garth’ fragenden Blick bemerkte, beeilte er sich zu erklären, dass es sich um seine eigene Karte handelte und dass er Miss Vanstone nur um den Gefallen bitten wolle, ihn bei zukünftigen Gelegenheiten weiterzuempfehlen.

„Dies ist nicht das letzte Mal, dass die junge Dame bei privaten Theateraufführungen mitwirken wird, dafür lege ich meine Hand ins Feuer“, sagte der Schauspieldirektor. „Und wenn das nächste Mal ein Regisseur gebraucht wird, hat sie freundlicherweise versprochen, ein gutes Wort für mich einzulegen. Ich bin immer unter dieser Adresse zu erreichen, Miss.“ Mit diesen Worten verbeugte er sich noch einmal und verschwand diskret.

Im Geist von Miss Garth machten sich vage Verdächtigungen breit und veranlassten sie, unbedingt einen Blick auf die Karte zu werfen. Kein harmloseres Stückchen Karton war jemals von Hand zu Hand gegangen. Auf der Karte stand nichts außer dem Namen des Schauspieldirektors und darunter der Name und die Adresse eines Theateragenten in London.

„Es lohnt sich nicht, sie aufzuheben“, sagte Miss Garth.

Magdalen griff nach ihrer Hand, bevor sie die Karte wegwerfen konnte, brachte sich im nächsten Augenblick in deren Besitz und steckte sie in die Tasche.

„Ich habe versprochen, ihn zu empfehlen“, sagte sie. „Schon das ist ein Grund, die Karte aufzuheben. Und wenn sie sonst nichts bewirkt, wird sie mich zumindest an den glücklichsten Abend in meinem Leben erinnern – das ist der zweite. Kommen Sie!“, rief sie, wobei sie in fiebriger Fröhlichkeit die Arme um Miss Garth legte. „Gratulieren Sie mir zu meinem Erfolg!“

„Ich werde dir gratulieren, wenn du darüber hinweg bist“, sagte Miss Garth.

Eine halbe Stunde später hatte Magdalen sich umgezogen; hatte sich zu den Gästen gesellt; und war in einer Atmosphäre der Glückwünsche hoch über die Reichweite jedes kotrollierenden Einflusses emporgesegelt, den Miss Garth hätte ausüben können. Frank, der in allem, was er tat, zögerlich war, verließ als letzter aus der Theatertruppe den Bereich um die Bühne. Er unternahm keinen Versuch, sich im Esszimmer zu Magdalen zu gesellen, stand aber später in der Diele mit ihrem Mantel bereit, als die Kutschen vorfuhren und die Gesellschaft aufbrach.

„Ach, Frank!“, sagte sie und sah sich zu ihm um, als er ihr den Mantel um die Schultern legte. „Es tut mir so leid, dass alles vorüber ist! Komm’ doch morgen früh und lass uns allein darüber sprechen.“

„Um zehn Uhr im Sträuchergarten?“, fragte Frank im Flüsterton.

Sie zog die Kapuze ihres Mantels hoch und nickte ihm fröhlich zu. Miss Garth stand in der Nähe und bemerkte, welche Blicke zwischen den beiden gewechselt wurden, aber der Lärm der abfahrenden Gäste verhinderte, dass sie die Worte hörte. Hinter Magdalens vordergründig fröhlichem Benehmen stand eine weiche Zärtlichkeit – da war eine plötzliche Nachdenklichkeit in ihrem Gesicht, eine vertrauliche Bereitschaft in ihrer Hand, als sie Franks Arm nahm und hinaus zum Wagen ging. Was hatte das zu bedeuten? Hatte ihr flüchtiges Interesse an ihm als ihrem Schauspielschüler den Samen für ein tieferes Interesse an ihm als Mann gelegt? Hatte das nutzlose Theaterprojekt jetzt, da es vorüber war, schwerwiegendere Folgen, mit denen es umzugehen galt, als nur eine mutwillige Zeitverschwendung?

Die Linien in Miss Garth’ Gesicht wurden tiefer und härter. Verlassen stand sie in der Menge, die um sie wogte. Ihr fielen die warnenden Worte ein, die Norah im Garten an Mrs. Vanstone gerichtet hatte – und zum ersten Mal kam ihr die Idee, dass Norah die Folgen in ihrem wahren Licht gesehen hatte.

Die Namenlosen

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