Читать книгу Die Namenlosen - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 19

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Kapitel 15

Am übernächsten Morgen trafen neue Nachrichten von Mr. Pendril ein. Man hatte den Wohnort von Michael Vanstone auf dem Kontinent ausfindig gemacht. Er lebte in Zürich. Und noch an dem Tag, an dem man diese Information erhalten hatte, war ein Brief an ihn aufgegeben worden. Mit einer Antwort sei im Laufe der kommenden Woche zu rechnen, und ihren Inhalt werde man den Damen in Combe-Raven unverzüglich bekannt geben.

So kurz die Wartezeit auch war, sie schleppte sich mühsam dahin. Zehn Tage verstrichen, bevor man die erwartete Antwort erhielt; und als sie endlich kam, erwies sie sich, streng genommen, als überhaupt keine Antwort. Mr. Pendril wurde nur an einen Agenten in London verwiesen, der im Besitz von Mr. Vanstones Anweisungen sei. Im Zusammenhang mit diesen Anweisungen war man auf gewisse Schwierigkeiten gestoßen, die es notwendig gemacht hatten, noch einmal nach Zürich zu schreiben. So standen „die Verhandlungen“ zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Ein zweiter Absatz in Mr. Pendrils Brief enthielt eine weitere, ganz neue Nachricht. Mr. Michael Vanstones Sohn (und einziges Kind), Mr. Noel Vanstone, sei kürzlich in London eingetroffen und habe Quartier in der Wohnung seines Vetters Mr. George Bartram bezogen. Berufliche Überlegungen hatten Mr. Pendril veranlasst, der Wohnung einen Besuch abzustatten. Er war von Mr. Bartram sehr freundlich empfangen worden, aber der Gentleman hatte ihn unterrichtet, dass sein Cousin nicht in der Verfassung sei, Besucher zu empfangen. Mr. Noel Vanstone litt schon seit einigen Jahren an einer zermürbenden, hartnäckigen Krankheit; er war insbesondere nach England gekommen, um die beste medizinische Betreuung zu erhalten, und spürte die Erschöpfung von der Reise noch so stark, dass er an sein Bett gefesselt war. Unter diesen Umständen hatte Mr. Pendril keine andere Wahl als wieder zu gehen. Ein Gespräch mit Mr. Noel Vanstone hätte einige der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Anweisungen seines Vaters ausräumen können. Wie sich die Ereignisse darstellten, blieb nichts anderes übrig, als noch einige Tage abzuwarten.

Die Tage vergingen, leere Tage der Einsamkeit und der Ungewissheit. Endlich verkündete ein dritter Brief des Anwalts den lange hinausgezögerten Abschluss der Korrespondenz. Die endgültige Antwort aus Zürich sei eingetroffen, und Mr. Pendril werde sie am Nachmittag des nächsten Tages persönlich in Combe-Raven überbringen.

Der nächste Tag war Mittwoch, der zwölfte August. Das Wetter hatte über Nacht gewechselt; die Sonne stieg wässerig zwischen Nebel und Wolken in die Höhe. Gegen Mittag war der Himmel vollständig bedeckt; die Temperatur war spürbar gesunken, und der Regen strömte senkrecht, weich und stetig auf die durstige Erde. Gegen drei Uhr betraten Miss Garth und Norah das Frühstückszimmer, um Mr. Pendrils Ankunft zu erwarten. Kurz darauf gesellte sich Magdalen zu ihnen. Eine halbe Stunde später drang das vertraute Geräusch des eisernen Riegels an ihr Ohr, der in dem Zaun hinter dem Sträuchergarten in seinen Sockel fiel. Auf dem Gartenweg kamen Mr. Pendril und Mr. Clare ins Blickfeld; Arm in Arm, durch denselben Schirm geschützt, gingen sie durch den Regen. Der Anwalt verbeugte sich, als sie an dem Fenster vorüberkamen; Mr. Clare ging, tief in seine eigenen Gedanken versunken, weiter – er bemerkte nichts.

Nach einer Verzögerung, die unendlich erschien; nach einem erschöpften Abtreten der nassen Füße auf der Matte in der Diele; nach einem rätselhaften, gemurmelten Austausch von Fragen und Antworten vor der Tür kamen die beiden herein. Mr. Clare ging voraus. Der alte Mann trat ohne vorbereitende Begrüßung geradewegs an den Tisch und sah die drei Frauen über ihn hinweg an. In seinem verwilderten runzeligen Gesicht stand ein ernstes Mitleid für sie.

„Schlechte Neuigkeiten“, sagte er. „Ich bin ein Feind jeder unnötigen Ungewissheit. Direktheit ist in einem Fall wie diesem das Freundlichste. Ich möchte freundlich sein, und ich sage Ihnen geradeheraus: schlechte Neuigkeiten.

Mr. Pendril folgte ihm. Schweigend schüttelte er Miss Garth und den beiden Schwestern die Hand, dann nahm er in ihrer Nähe Platz. Mr. Clare setzte sich ein Stück abseits auf einen Stuhl am Fenster. Das graue Licht des Regentages fiel weich und traurig auf die Gesichter von Norah und Magdalen, die ihm beide gegenübersaßen. Miss Garth hatte sich ein wenig hinter ihnen im Halbschatten positioniert; dicht neben ihr war das ruhige Gesicht des Anwalts im Profil zu sehen. So sahen die vier Anwesenden im Zimmer für Mr. Clare aus, der abseits in seiner Ecke saß, die langen, klauenähnlichen Finger auf dem Knie verschränkt, die dunklen, wachsamen Augen einmal auf dieses, ein anderes Mal auf jenes Gesicht gerichtet. Das Rauschen der Regentropfen auf den Blättern und das scharfe, unaufhörliche Ticken der Uhr auf dem Kamin machten die Minute des Schweigens, die folgte, nachdem sich die Anwesenden auf ihren Plätzen niedergelassen hatten, unbeschreiblich bedrückend. Es war für alle eine Erleichterung, als Mr. Pendril das Wort ergriff.

„Mr. Clare hat Ihnen bereits gesagt, dass ich der Überbringer schlechter Nachrichten bin“, begann er. „Zu meinem Bedauern muss ich sagen, Miss Garth, dass Ihre Zweifel bei unserem letzten Zusammentreffen besser begründet waren als meine Hoffnungen. Was dieser herzlose Bruder in jungen Jahren war, das ist er auch im Alter. In all meinen unseligen Erfahrungen mit der menschlichen Natur ist mir nie ein Mensch begegnet, der so vollkommen taub für jeden Gedanken an Barmherzigkeit ist wie Michael Vanstone.

„Meinen Sie damit, dass er das gesamte Vermögen seines Bruders vereinnahmt und keinerlei Regelung für die Kinder seines Bruders trifft?“, fragte Mis Garth.

„Er bietet eine Geldsumme für gegenwärtige Notfälle an“, erwiderte Mr. Pendril, „die so schäbig und erbärmlich unzureichend ist, dass ich mich schäme, sie überhaupt zu nennen.“

„Und nichts für die Zukunft?“

„Absolut nichts.“

Als er diese Antwort gab, ging der gleiche Gedanke im gleichen Augenblick sowohl Miss Garth als auch Norah durch den Kopf. Die Entscheidung, die beide Schwestern der Finanzmittel des Vermögens beraubte, war für die Jüngere der beiden noch nicht alles. Michael Vanstones gnadenlose Entscheidung hatte praktisch das Urteil über Franks Entsendung nach China gesprochen und damit vorerst alle Hoffnungen auf Magdalens Heirat zerstört. Als die Worte über die Lippen des Anwalts kamen, blickten Miss Garth und Norah ängstlich zu Magdalen. Ihr Gesicht wurde noch eine Spur blasser – aber ihre Züge regten sich nicht. Nicht ein Wort entschlüpfte ihr. Norah hielt die Hand ihrer Schwester und spürte, wie sie einen Augenblick lang zitterte und dann kalt wurde – das war alles.

„Lassen Sie mich kurz darlegen, was ich getan habe“, fuhr Mr. Pendril fort. „Mir ist sehr daran gelegen, dass Sie nicht denken, ich hätte irgendetwas unversucht gelassen. Als ich das erste Mal an Michael Vanstone schrieb, beschränkte ich mich nicht auf die übliche formelle Erklärung. Ich legte ihm geradeheraus und mit großem Ernst alle Umstände, unter denen er in den Besitz des Vermögens seines Bruders gelangt ist, im Einzelnen dar. Als ich die Antwort erhielt, mit der er mich an seine schriftlichen Anweisungen und seinen Anwalt in London verwies – und als mir eine Abschrift dieser Anweisungen übergeben wurde –, lehnte ich es, als ich mich damit vertraut gemacht hatte, nachdrücklich ab, die Entscheidung des Verfassers als endgültig zu betrachten. Ich veranlasste den Anwalt der Gegenseite, uns einen weiteren Zeitraum des Aufschubs zu gewähren, und ich bemühte mich, in London mit Mr. Noel Vanstone zusammenzutreffen mit dem Ziel, mich seiner Fürsprache zu versichern; als mir dies nicht gelungen war, schrieb ich selbst zum zweiten Mal an den Vater. Die Antwort verwies mich mit unverschämt schroffen Worten an die bereits mitgeteilten Anweisungen und lehnte jede weitere Korrespondenz mit mir ab. Das war der Beginn und das Ende der Verhandlungen. Wenn ich irgendein Mittel übersehen habe, mit dem man diesen herzlosen Mann rühren könnte – sagen Sie es mir, und das Mittel soll zur Anwendung kommen.“

Er sah Norah an. Sie drückte ihrer Schwester ermutigend die Hand und antwortete für beide.

„Ich spreche nicht nur für mich selbst, sondern auch für meine Schwester“, sagte sie. Ihr Gesicht hatte ein wenig Farbe angenommen, und die natürliche Sanftheit ihres Betragens wurde nur von einer stillen, geduldigen Traurigkeit gestreift. „Sie haben alles getan, was man tun konnte, Mr. Pendril. Wir haben uns bemüht, uns allzu zuversichtlicher Hoffnungen zu enthalten; und wir sind Ihnen zutiefst dankbar für Ihre Freundlichkeit in einer Zeit, in der wir beide der Freundlichkeit so dringend bedürfen.“

Magdalens Hand erwiderte den Druck ihrer Schwester – zog sich zurück – hantierte einen Augenblick ungeduldig an der Ordnung ihres Kleides – und zog dann den Stuhl plötzlich näher an den Tisch. Die Hand fest zur Faust geballt, stützte sie einen Arm darauf und sah hinüber zu Mr. Pendril. Ihr Gesicht, stets bemerkenswert wegen seines Mangels an Farbe, war jetzt in seiner fahlen, blutleeren Blässe verblüffend anzusehen. Aber das Licht in ihren großen grauen Augen war so hell und stetig wie immer; und ihre Stimme war, wenn auch in leisem Ton, in der Aussprache klar und entschlossen, als sie sich mit folgenden Worten an den Anwalt wandte:

„Ich habe Sie so verstanden, Mr. Pendril, dass der Bruder meines Vaters seine schriftlichen Anweisungen nach London geschickt hat und dass Sie eine Abschrift davon besitzen. Haben Sie diese aufbewahrt?“

„Natürlich.“

Haben Sie sie bei sich?“

„Ja.“

„Kann ich sie sehen?“

Mr. Pendril zögerte. Unbehaglich blickte er von Magdalen zu Miss Garth und von Miss Garth wieder zu Magdalen.

„Bitte erweisen Sie mir einen Gefallen und beharren Sie nicht auf Ihrer Bitte“, sagte er. „Es reicht doch sicher aus, dass Sie das Ergebnis der Anweisungen kennen. Warum wollen Sie sich beunruhigen, indem Sie sie zweckloserweise lesen? Sie sind so grausam formuliert und zeigen einen so abscheulichen Mangel an Gefühl, dass ich es wirklich nicht über mich bringen kann, sie Ihnen zu zeigen.“

„Ich weiß Ihre Freundlichkeit zu schätzen, Mr. Pendril, dass Sie mir den Schmerz ersparen wollen. Aber ich kann Schmerzen ertragen; ich verspreche, dass ich niemandem Kummer bereiten werde. Würden Sie es mir nachsehen, wenn ich meine Bitte wiederhole?“

Sie streckte die Hand aus – jene weiche, weiße, jungfräuliche Hand, die noch nichts berührt hatte, was sie beschmutzen oder hart machen könnte.

„Ach, Magdalen, überlege es dir noch einmal!“, sagte Norah.

„Du bereitest Mr. Pendril Kummer“, fügte Miss Garth hinzu. „Du bereitest uns allen Kummer.“

„Damit ist kein Nutzen zu erzielen“, beschwor sie der Anwalt. „Bitte verzeihen Sie mir, dass ich es sage, aber es ist wirklich kein nützliches Ziel damit zu erreichen, wenn ich Ihnen die Anweisungen zeige.“

(„Dummköpfe“, sagte Mr. Clare zu sich selbst. „Haben sie denn keine Augen um zu sehen, dass sie ihren Kopf durchsetzen will?“)

„Irgendetwas sagt mir, dass damit doch ein Nutzen zu erzielen ist“, beharrte Magdalen. „Dies ist eine sehr ernste Entscheidung. Für mich ist sie noch ernster…“ Sie drehte sich um und sah Mr. Clare an, der sie genau beobachtete, und erwiderte augenblicklich seinen Blick. Es war bisher das erste Mal, dass sie nach außen hin Gefühle verriet. „Sie ist aus privaten Gründen für mich noch ernster als für meine Schwester“, fuhr sie fort. „Ich weiß bisher noch nicht mehr als dass der Bruder unseres Vaters uns unser Vermögen weggenommen hat. Für ein solches Benehmen muss er seine eigenen Beweggründe haben. Es ist ihm gegenüber und uns gegenüber nicht fair, diese Beweggründe zu verheimlichen. Er hat Norah absichtlich beraubt, und er hat mich beraubt; ich glaube, wir haben ein Recht, zu wissen warum, wenn wir es wissen wollen.“

„Ich will es nicht“, sagte Norah.

„Ich schon“, sagte Magdalen und streckte wieder die Hand aus.

Als es so weit war, erhob sich Mr. Clare und mischte sich zum ersten Mal ein.

„Sie haben Ihr Gewissen erleichtert“, sagte er, an den Anwalt gewandt. „Gewähren Sie ihr das Recht, das sie fordert. Es ist ihr Recht – wenn sie es haben will.“

Mr. Pendril zog schweigend die schriftlichen Anweisungen aus der Tasche. „Ich habe Sie gewarnt“, sagte er – und reichte die Papiere ohne ein weiteres Wort über den Tisch. Eine Seite des Schriftstücks war an einer Ecke umgeknickt; auf dieser gefalteten Seite öffnete sich das Manuskript, als Magdalen die Seiten zum ersten Mal umblätterte. „Ist das die Stelle, die von meiner Schwester und mir handelt?“, fragte sie. Mr. Pendril neigte den Kopf; und Magdalen strich das Manuskript vor sich auf dem Tisch glatt.

„Entscheide du, Norah“, sagte sie zu ihrer Schwester. „Soll ich es laut vorlesen oder soll ich es für mich lesen?“

„Für dich“, sagte Miss Garth; sie antwortete für Norah, die sie in stummer Ratlosigkeit und Verzweiflung ansah.

„Wie Sie wünschen“, sagte Magdalen. Mit dieser Antwort wandte sie sich wieder dem Schriftstück zu und las folgende Zeilen:

„…Sie sind jetzt im Besitz meiner Wünsche in Bezug auf das Eigentum in Form von Geld sowie auf den Verkauf von Möbeln, Kutschen, Pferden und so weiter. Der letzte Punkt, zu dem es notwendig ist, Ihnen Anweisung zu erteilen, betrifft die Personen, die in dem Haus wohnen, und gewisse lächerliche Ansprüche zu ihren Gunsten, die von einem Anwalt namens Pendril erhoben werden. Dieser hat zweifellos eigene interessierte Gründe, sich an mich zu wenden.

Ich nehme zur Kenntnis, dass mein verstorbener Bruder zwei uneheliche Kinder hinterlassen hat; beide sind junge Frauen und alt genug, um sich selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Von dem Anwalt, der diese Personen vertritt, wurden verschiedene gleichermaßen regelwidrige Überlegungen vorgetragen. Seien Sie so freundlich und sagen Sie ihm, dass weder Sie noch ich irgendetwas mit Fragen der bloßen Sentimentalität zu tun haben. Und dann erklären Sie zu seiner besseren Unterrichtung, von welchen Beweggründen ich mich mit meinem Verhalten leiten lasse und welche Regelungen für die beiden jungen Frauen zu treffen ich mich gerechtfertigt fühle. Die Anweisungen zu diesen beiden Punkten finden Sie im Detail im nachfolgenden Absatz.

Ich wünsche, dass die betroffenen Personen ein für alle Mal wissen, wie ich die Umstände betrachte, die das Vermögen meines verstorbenen Bruders in meine Verfügungsgewalt gebracht haben. Sie sollen wissen, dass ich diese Umstände für einen Eingriff der Vorsehung halte, die mir das Erbe wiedergegeben hat, das mir immer hätte gehören sollen. Ich erhalte das Geld nicht nur, weil es mein Recht ist, sondern auch als angemessene Wiedergutmachung für die Ungerechtigkeit, die mir von meinem Vater widerfahren ist, und als angemessene Strafe für meinen jüngeren Bruder wegen der boshaften Intrige, mit der es ihm gelungen ist, mich zu enterben. Sein Betragen als junger Mann war in allen Beziehungen des Lebens gleichermaßen anrüchig, und wie es damals war, so war es (wie sein eigener juristischer Vertreter mir dargelegt hat) auch weiterhin, nachdem ich jeden Umgang mit ihm eingestellt hatte. Offensichtlich hat er der Gesellschaft systematisch eine Frau als seine Ehefrau vorgestellt, die nicht seine Ehefrau war, und hat das moralische Ärgernis noch vollendet, indem er sie später geheiratet hat. Schon mit einem solchen Betragen hat er das Gericht über sich und seine Kinder gebracht. Ich will nicht die Strafe auf mein eigenes Haupt laden, indem ich diese Kinder darin unterstütze, die von ihren Eltern praktizierte Zumutung fortzusetzen, und indem ich ihnen helfe, in der Welt einen Platz einzunehmen, der ihnen nicht zusteht. Sollen sie, wie es sich angesichts ihrer Herkunft schickt, ihr Brot mit Arbeit verdienen. Wenn sie sich geneigt zeigen, die ihnen zukommende Stellung anzuerkennen, werde ich ihnen mit einem Geschenk von jeweils einhundert Pfund helfen, im Leben einen tugendhaften Anfang zu machen. Ich ermächtige Sie, diese Summe auf ihren persönlichen Antrag hin auszuzahlen; dies geschieht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Quittung und mit der ausdrücklichen Abmachung, dass die derart abgeschlossene Transaktion der Anfang und das Ende meiner Verbindung zu ihnen ist. Die Regelungen, nach denen sie das Haus verlassen, überlasse ich Ihrem Ermessen; ich habe nur noch hinzuzufügen, dass meine Entscheidung in dieser Angelegenheit wie in allen anderen Angelegenheiten definitiv und endgültig ist.“

Zeile für Zeile und ohne auch nur einmal von den vor ihr liegenden Seiten aufzublicken, las Magdalen die abscheulichen Sätze von Anfang bis Ende. Die anderen im Zimmer versammelten Personen sahen sie alle eifrig an und bemerkten, wie das Kleid über ihrer Brust sich schnell und schneller hob und senkte – bemerkten, wie die Hand, mit der sie das Schriftstück anfangs locker festgehalten hatte, sich unbewusst eng um das Papier schloss und es knüllte, während sie sich mehr und mehr dem Ende näherte – aber sonst entdeckten sie keine äußeren Anzeichen für das, was in ihr vorging. Sobald sie fertig war, schob sie das Schriftstück schweigend von sich und schlug ganz plötzlich die Hände vor das Gesicht. Als sie sie wieder wegzog, sahen alle vier Personen im Zimmer eine Veränderung an ihr. Irgendetwas in ihrem Ausdruck hatte sich subtil und lautlos geändert, irgendetwas ließ die vertrauten Gesichtszüge selbst für ihre Schwester und Miss Garth plötzlich fremd aussehen; es war etwas, das auch in allen späteren Jahren in Verbindung mit diesem Tag nie mehr in Vergessenheit geraten sollte – und nie beschrieben wurde.

Als sie sprach, richtete sie die ersten Worte an Mr. Pendril.

„Darf ich Sie noch um einen weiteren Gefallen bitten, bevor Sie Ihre geschäftlichen Regelungen treffen?“, fragte sie.

Mr. Pendril antwortete förmlich mit einer Geste der Zustimmung. Magdalens Entschlossenheit, sich in den Besitz der Anweisungen zu bringen, hatte offenbar bei dem Anwalt keinen günstigen Eindruck hinterlassen.

„Sie haben erwähnt, was Sie freundlicherweise in unserem Interesse getan haben, als sie zum ersten Mal an Mr. Michael Vanstone schrieben“, fuhr sie fort. „Sie sagten, Sie hätten ihm alle Umstände dargelegt. Ich möchte – wenn Sie gestatten – ganz sicher sein, was er wirklich über uns wusste, als er diese Anweisungen an seinen Anwalt geschickt hat. Wusste er, dass mein Vater ein Testament gemacht hatte und dass er sein Vermögen meiner Schwester und mir vermacht hat?“

„Das wusste er“, sagte Mr. Pendril.

„Haben Sie ihm berichtet, wie es kam, dass wir in diese hilflose Lage geraten sind?“

„Ich habe ihm berichtet, dass Ihr Vater sich bei seiner Eheschließung nicht der Notwendigkeit bewusst war, ein neues Testament zu machen.“

„Und dass nach seinem Besuch bei Mr. Clare ein neues Testament verfasst worden wäre, wenn nicht das grausige Unglück seines Todes eingetreten wäre?“

„Auch das wusste er.“

„Wusste er, dass die unermüdliche Güte und Freundlichkeit meines Vaters gegenüber uns beiden…“

Zum ersten Mal versagte ihr die Stimme; sie seufzte und legte die Hand ermattet an den Kopf. Norah redete beschwörend auf sie ein; Miss Garth redete beschwörend auf sie ein; Mr. Clare saß schweigend da und sah sie mit wachsendem Ernst an. Sie beantwortete die Vorhaltungen ihrer Schwester mit einem schwachen Lächeln. „Ich werde mein Versprechen halten“, sagte sie. „Ich werde niemandem Kummer bereiten.“ Mit dieser Antwort wandte sie sich wieder an Mr. Pendril und wiederholte standhaft die Frage – wenn auch mit anderen Worten.

„Wusste Mr. Michael Vanstone, dass es das große Anliegen meines Vaters war, die Versorgung für meine Schwester und mich sicherzustellen?“

„Er wusste es aus den eigenen Worten Ihres Vaters. Ich habe ihm einen Auszug aus dem letzten Brief Ihres Vaters an mich geschickt.“

„Aus dem Brief, in dem er Sie bat, um Gottes Willen schnell zu kommen und ihm von dem entsetzlichen Gedanken zu befreien, dass für seine Töchter nicht gesorgt ist? Aus dem Brief, in dem er geschrieben hat, er werde im Grab keine Ruhe finden, wenn er uns ohne Erbe zurückließe?“

„Aus diesem Brief und diese Worte.“

Sie schwieg, hielt aber die Blicke immer noch standhaft auf das Gesicht des Anwalts gerichtet.

„Ich möchte das alles in meinem Kopf festhalten, bevor ich fortfahre“, sagte sie. „Mr. Michael Vanstone wusste von dem ersten Testament; er wusste, was die Niederschrift des zweiten Testaments verhindert hat; er wusste von dem Brief und hat die Worte gelesen. Was wusste er außerdem noch? Haben Sie ihn über die letzte Krankheit meiner Mutter in Kenntnis gesetzt? Haben Sie ihm mitgeteilt, dass sie uns ihren Anteil an dem Geld hinterlassen hätte, wenn sie in Ihrer Gegenwart noch einmal ihre sterbende Hand hätte heben können? Haben Sie zu erreichen versucht, dass er sich wegen des grausamen Gesetzes schämt, das Mädchen in unserer Lage Niemandes Kinder nennt und das es ihm erlaubt, uns so zu benutzen, wie er uns jetzt benutzt?“

„Ich habe ihm alle diese Überlegungen vorgetragen. Ich habe nichts davon im Unklaren gelassen; ich habe nichts davon ausgelassen.“

Langsam streckte sie die Hand nach den Anweisungen aus und faltete sie wieder zu der Form zusammen, in der sie ihr übergeben worden waren. „Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Mr. Pendril.“ Mit diesen Worten verbeugte sie sich und schob das Schriftstück sanft über den Tisch zurück; dann wandte sie sich an ihre Schwester.

„Norah“, sagte sie, „wenn wir beide lange leben und alt werden, und wenn du jemals vergessen solltest, was wir Michael Vanstone verdanken – dann komm’ zu mir, und ich werde dich daran erinnern.“

Sie erhob sich und ging allein durch das Zimmer zum Fenster. Als sie an Mr. Clare vorüberkam, streckte der alte Mann seine Klauenfinger aus und bekam sie fest am Arm zu fassen, bevor sie sich seiner bewusst wurde.

„Was verbirgt sich hinter Ihrer Maske?“, fragte er, wobei er sie zwang, sich zu ihm hinunterzubeugen, und ihr eindringlich ins Gesicht sah. „Aus welchen Extremen der menschlichen Temperatur kommt Ihr Mut – aus der tödlichen Kälte oder der glühenden Hitze?“

Sie zuckte zurück und wandte schweigend das Gesicht ab. Jedem anderen lebenden Mann als Franks Vater hätte sie einen solchen bedenkenlosen Einbruch in ihre eigenen Gedanken übelgenommen. Er ließ ihren Arm ebenso plötzlich fallen, wie er ihn ergriffen hatte, so dass sie zum Fenster gehen konnte. „Nein“, sagte er zu sich selbst, „was es auch sein mag, die extreme Kälte ist es nicht. Umso schlimmer für sie und für alle, die zu ihr gehören.“

Eine kurze Pause trat ein. Wieder füllten das tropfende Rascheln des Regens und das beständige Ticken der Uhr die Leere des Schweigens. Mr. Pendril schob die Anweisungen wieder in seine Tasche, dachte ein wenig nach, wandte sich dann an Norah und Miss Garth und lenkte ihre Aufmerksamkeit sowohl auf die Gegenwart als auch auf die drängenden Notwendigkeiten der nächsten Zeit.

„Unsere Beratung hat sich durch schmerzliche Erwähnungen der Vergangenheit unnötig in die Länge gezogen“, sagte er. „Wir hätten uns besser damit beschäftigt, unsere Regelungen für die Zukunft zu treffen. Ich bin genötigt, noch heute Abend nach London zurückzukehren. Bitte lassen Sie mich hören, wie ich Sie am besten unterstützen kann; bitte sagen Sie mir, welche Mühen und Verantwortlichkeiten ich Ihnen abnehmen kann.“

Für den Augenblick war anscheinend weder Norah noch Miss Garth in der Lage, ihm zu antworten. Beiden waren gleichermaßen fassungslos und bestürzt über Magdalens Reaktion auf die Nachrichten, die die Heiratsaussichten zunichte machten, welche ihr Vater ihr vor noch nicht einem Monat eröffnet hatte. Sie hatten allen Mut zusammengenommen, um dem Schreck ihrer leidenschaftlichen Trauer zu begegnen oder sich der noch härteren Prüfung zu stellen und Zeugen ihrer sprachlosen Verzweiflung zu werden. Aber auf ihre unerschütterliche Entschlossenheit, die Anweisungen zu lesen, waren sie ebenso wenig vorbereitet gewesen wie auf die schrecklichen Fragen, die sie dem Anwalt gestellt hatte, oder auf ihre unnachgiebige Entschlossenheit, in ihrem Kopf alle Umstände festzuhalten, unter denen Michael Vanstones Entscheidung getroffen worden war. So stand sie am Fenster: ein undurchschaubares Rätsel für ihre Schwester, die unzertrennlich mit ihr gewesen war, und für die Gouvernante, die sie von Kindesbeinen an erzogen hatte. Miss Garth erinnerte sich daran, welche düsteren Zweifel ihr an dem Tag durch den Sinn gegangen waren, als sie Magdalen im Garten getroffen hatte. Norah blickte nach vorn auf die kommende Zeit, und das wegen ihrer Schwester mit der ersten ernsten Furcht, die sie in ihrem Leben empfunden hatte. Beide waren bisher passiv geblieben, weil sie in ihrer Verzweiflung nicht wussten, was sie tun sollten. Beide schwiegen jetzt, weil sie in ihrer Verzweiflung nicht wussten, was sie sagen sollten.

Geduldig und freundlich half ihnen Mr. Pendril, indem er zum zweiten Mal auf das Thema ihrer Zukunftspläne zu sprechen kam.

„Ich bedaure, Sie mit geschäftlichen Angelegenheiten bedrängen zu müssen“, sagte er, „obwohl Sie zwangsläufig nicht in der Lage sind, sich damit zu befassen. Aber ich muss meine Anweisungen heute Abend mit nach London nehmen. Dies betrifft an erster Stelle das schäbige finanzielle Angebot, auf das ich bereits angespielt habe. Die jüngere Miss Vanstone hat die Anweisungen gelesen und braucht keine weitere Unterrichtung aus meinem Mund. Die ältere wird mir, so hoffe ich, verzeihen, wenn ich ihr sage (was ich mich eigentlich schämen sollte, ihr zu sagen, aber es ist eine Frage der Notwendigkeit), dass die Versorgung von Mr. Michael Vanstone mit einem Angebot von einhundert Pfund für jede von ihnen beginnt und endet.“

Norahs Gesicht wurde vor Empörung dunkelrot. Sie sprang auf die Füße, als ob Michael Vanstone im Zimmer wäre und sie persönlich beleidigt hätte.

„Ich weiß“, sagte der Anwalt in dem Wunsch, sie zu schonen; „ich könnte Mr. Michael Vanstone mitteilen, dass Sie das Geld ablehnen.“

„Teilen Sie ihm mit“, brach es leidenschaftlich aus ihr heraus, „dass ich selbst dann, wenn ich am Straßenrand verhungern müsste, keinen Farthing davon anrühren würde!“

„Soll ich auch Ihre Ablehnung übermitteln?“, fragte Mr. Pendril, der sich dabei als Nächstes an Magdalen gewandt hatte.

Sie drehte sich am Fenster um, hielt aber ihr Gesicht im Schatten, indem sie dicht daneben mit dem Rücken zum Licht stand.

„Teilen Sie ihm von meiner Seite mit“, sagte sie, „dass er noch einmal nachdenken soll, bevor er mich mit hundert Pfund ins Leben entlässt. Ich werde ihm Bedenkzeit geben.“ Diese eigenartigen Worte sprach sie mit ausgeprägtem Nachdruck, und indem sie sich schnell wieder zum Fenster wandte, verbarg sie ihr Gesicht vor der Beobachtung aller, die im Zimmer waren.

„Sie lehnen also beide das Angebot ab“, sagte Mr. Pendril, zog seinen Bleistift heraus und machte sich seine offizielle Notiz über die Entscheidung. Als er sein Notizbuch zuschlug, blickte er zweifelnd zu Magdalen. Sie hatte in ihm das versteckte Misstrauen geweckt, das die zweite Natur eines Anwalts ist: Er hatte seine Vermutungen über ihre Blicke; er hatte seine Vermutungen über ihre Sprache. Ihre Schwester schien mehr Einfluss auf sie zu haben als Miss Garth. Er entschloss sich, unter vier Augen mit Norah zu sprechen, bevor er ging.

Während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, beanspruchte eine weitere Frage von Magdalen seine Aufmerksamkeit.

„Ist er ein alter Mann?“, fragte sie plötzlich, ohne sich vom Fenster anzuwenden.

„Wenn Sie Mr. Michael Vanstone meinen – er ist fünfundsiebzig oder sechsundsiebzig Jahre alt.“

„Sie haben vor einiger Zeit von seinem Sohn gesprochen. Hat er noch andere Söhne – oder Töchter?“

„Nein, keine.“

„Wissen Sie irgendetwas über seine Frau?“

„Sie ist schon seit vielen Jahren tot.“

Eine Pause trat ein. „Warum stellst du solche Fragen?“, sagte Norah.

„Ich bitte um Verzeihung“, sagte Magdalen leise; „ich werde nichts mehr fragen.“

Mr. Pendril kam zum dritten Mal auf die geschäftliche Seite des Gesprächs zurück.

„Man darf die Dienstboten nicht vergessen“, sagte er. „Sie müssen ausgezahlt und entlassen werden. Ich werde ihnen die notwendigen Erklärungen geben, bevor ich gehe. Was das Haus angeht, brauchen Sie sich nicht zu beunruhigen. Die Kutschen und Pferde, Möbel und Geschirr müssen einfach an Ort und Stelle bleiben, bis Mr. Michael Vanstone weitere Anweisungen gibt. Aber über alle Besitztümer, Miss Vanstone, die Ihnen oder Ihrer Schwester persönlich gehören – Schmuck und Kleidung, aber auch kleine Geschenke, die man Ihnen gemacht hat – können Sie in vollem Umfang verfügen. Was den Zeitpunkt Ihrer Abreise angeht, so wird nach meiner Kenntnis mindestens ein Monat vergehen, bis Mr. Michael Vanstone Zürich verlassen kann; und ich bin sicher, dass ich seinem Anwalt nur Gerechtigkeit widerfahren lasse, wenn ich sage…“ „Verzeihen Sie, Mr. Pendril“, warf Norah ein, „ich glaube, nach dem, was Sie gerade gesagt haben, habe ich verstanden, dass unser Haus und alles, was darin ist, jetzt wem gehört…?“ Sie verstummte, als sei es ihr ein Gräuel, den Namen des Mannes auch nur auszusprechen.

„Michael Vanstone“, sagte Mr. Pendril. „Das Haus geht mit dem übrigen Vermögen an ihn.“

„Dann bin ich für mein Teil bereit, es morgen zu verlassen.“

Magdalen fuhr am Fenster herum, als ihre Schwester sprach. Mit den ersten deutlichen Anzeichen von Angst und Beunruhigung, die sie bisher gezeigt hatte, sah sie Mr. Clare an.

„Seien Sie mir nicht böse“, flüsterte sie, wobei sie sich mit einer plötzlichen Demut im Blick und einer plötzlichen Nervosität zu dem alten Mann hinunterbeugte. „Ich kann nicht gehen, ohne vorher Frank zu sehen!“

„Sie sollen ihn sehen“, erwiderte Mr. Clare. „Ich bin hier, um mit Ihnen darüber zu sprechen, wenn das Geschäftliche erledigt ist.“

„Es ist ganz unnötig, dass Sie sich mit Ihrer Abreise so beeilen, wie Sie es vorgeschlagen haben“, sagte Mr. Pendril, an Norah gewandt. „Ich kann Ihnen versichern, dass heute in einer Woche noch früh genug ist.“

„Wenn das hier Mr. Michael Vanstones Haus ist, bin ich bereit, es morgen zu verlassen“, versetzte Norah.

Sie stand ungeduldig von ihrem Stuhl auf und setzte sich weiter weg auf das Sofa. Als sie die Hand auf die Rückenlehne legte, veränderte sich ihr Gesicht. Dort, am oberen Ende des Sofas, lagen die Kissen, die ihre Mutter gestützt hatten, als sie sich das letzte Mal zum Ausruhen hingelegt hatte. Dort, am Fuß des Sofas, stand der klobige alte Armsessel, der an Regentagen der Lieblingsplatz ihres Vaters gewesen war, während sie und ihre Schwester ihn erfreuten, indem sie am Klavier gegenüber seine Lieblingsmelodien gespielt hatten. Ein schweres Seufzen, das sie vergeblich zu unterdrücken versuchte, entrang sich ihren Lippen. „Ach“, dachte sie, „ich hatte diese alten Freunde vergessen. Wie sollen wir uns von ihnen verabschieden, wenn die Zeit gekommen ist?“

„Darf ich fragen, Miss Vanstone, ob Sie und Ihre Schwester schon irgendwelche konkreten Pläne für die Zukunft haben?“, fragte Mr. Pendril. „Haben Sie an einen bestimmten Wohnort gedacht?“

„Ich darf es wohl übernehmen, Ihre Frage für die beiden zu beantworten, Sir“, sagte Miss Garth. „Wenn sie dieses Haus verlassen, verlassen sie es mit mir. Mein Haus ist ihr Haus, und mein Brot ist ihr Brot. Ihre Eltern haben mich geehrt, mir vertraut und mich geliebt. Zwölf glückliche Jahre lang haben sie mich nie spüren lassen, dass ich ihre Gouvernante war; sie ließen nur zu, dass ich mich als ihre Gefährtin und Freundin betrachtete. Meine Erinnerung an sie ist die Erinnerung an beständige Freundlichkeit und Großzügigkeit; und mein Leben soll die Schulden meiner Dankbarkeit an ihre verwaisten Kinder zurückzahlen.“

Norah erhob sich hastig vom Sofa, und Magdalen verließ ungestüm das Fenster. Dieses Mal gab es im Betragen der Schwestern keinen Gegensatz. Dieses Mal bewegte der gleiche Impuls ihre Herzen, gab das gleiche ernste Gefühl den Anlass zu ihren Worten. Miss Garth wartete, bis der erste Gefühlsausbruch vorüber war; dann stand sie auf, und indem sie Norah und Magdalen an der Hand nahm, wandte sie sich an Mr. Pendril und Mr. Clare. Sie sprach mit vollkommener Selbstbeherrschung, stark in der kunstlosen Unkenntnis ihres eigenen guten Werkes.

„Selbst eine solche Kleinigkeit wie meine eigene Geschichte, sagte sie, „ist in einem Augenblick wie diesem von einer gewissen Wichtigkeit. Ich wünsche, Gentlemen, dass Sie beide verstehen, dass ich den Töchtern Ihres alten Freundes nicht mehr verspreche als ich zu leisten imstande bin. Als ich in dieses Haus kam, betrat ich es in unabhängigen Verhältnissen, wie sie im Leben von Gouvernanten nicht üblich sind. In meinen jüngeren Jahren war ich mit meiner älteren Schwester durch die Lehrtätigkeit verbunden: Wir gründeten in London eine Schule, die zu einem großen, florierenden Unternehmen heranwuchs. Ich verließ sie nur deshalb und wurde Privatgouvernante, weil die schwere Verantwortung der Schule mehr war, als meine Kraft tragen konnte. Ich ließ meinen Anteil an den Gewinnen unangetastet und habe an unserer Einrichtung bis heute eine finanzielle Beteiligung. Das ist in kurzen Worten meine Geschichte. Wenn wir dieses Haus verlassen, schlage ich vor, dass wir zurück zu der Schule in London gehen, die noch heute floriert und von meiner älteren Schwester geleitet wird. Dort können wir so ruhig leben, wie es uns beliebt, bis die Zeit uns geholfen hat, unser Leid besser zu ertragen, als wir es jetzt ertragen können. Wenn Norahs und Magdalens veränderte Zukunftsaussichten sie zwingen, ihre eigenen Mittel zu verdienen, kann ich ihnen dabei helfen, sie so zu verdienen, wie die Töchter eines Gentleman es tun sollten. Die besten Familien dieses Landes schätzen sich glücklich, meine Schwester um Rat zu fragen, wenn es um die häusliche Ausbildung ihrer Kinder geht; und für ihr von Herzen kommendes Bestreben, Mr. Vanstones Töchtern zu dienen, verbürge ich mich im Voraus genauso, wie ich mich für mein eigenes verbürge. Das ist die Zukunft, die meine Dankbarkeit gegenüber ihrem Vater und ihrer Mutter und meine Liebe für sie selbst ihnen anzubieten hat. Wenn Sie, Gentlemen, meinen Vorschlag für einen geeigneten und gerechten Vorschlag halten – und ich sehe an Ihren Gesichtern, dass das der Fall ist –, wollen wir uns die harten Notwendigkeiten unserer Lage nicht noch schwerer machen, indem wir es unnütz hinausschieben, uns ihnen sofort zu stellen. Lassen Sie uns tun, was getan werden muss; lassen Sie uns Norahs Entscheidung in die Tat umsetzen und dieses Haus morgen verlassen. Sie haben schon die Dienstboten erwähnt, Mr. Pendril: Ich bin bereit, sie im Nachbarzimmer zusammenzurufen und Ihnen bei der Befriedigung ihrer Ansprüche zu helfen, wann immer es Ihnen beliebt.“

Ohne die Antwort des Anwalts abzuwarten, ohne den Schwestern Zeit zu lassen, sich über ihre eigene entsetzliche Situation klar zu werden, ging sie sofort in Richtung der Tür. Es war ihr kluger Entschluss, die bevorstehende Prüfung zu bewältigen, indem sie viel tat und wenig redete. Bevor sie das Zimmer verlassen konnte, folgte ihr Mr. Clare und hielt sie auf der Schwelle zurück.

„Ich habe noch nie eine Frau um ihre Gefühle beneidet“, sagte der alte Mann. „Es wird Sie vielleicht überraschen, das zu hören, aber ich beneide Sie um die Ihren. Warten Sie! Ich habe noch mehr zu sagen. Ein Hindernis bleibt noch: das immerwährende Hindernis Frank. Helfen Sie mir, es auszuräumen. Nehmen Sie die ältere Schwester und den Anwalt mit und lassen Sie mich hier mit der jüngeren allein. Ich will wissen, aus welchem Holz sie wirklich geschnitzt ist.“

Während Mr. Clare diese Worte an Miss Garth richtete, hatte Mr. Pendril die Gelegenheit ergriffen, mit Norah zu sprechen. „Bevor ich wieder nach London fahre, möchte ich kurz mit Ihnen unter vier Augen sprechen“, sagte er. „Nach allem, was heute geschehen ist, Miss Vanstone, habe ich eine sehr hohe Meinung von Ihrer Diskretion; und als alter Freund Ihres Vaters möchte ich mir die Freiheit herausnehmen, mit Ihnen über Ihre Schwester zu sprechen.“

Bevor Norah noch antworten konnte, wurde sie in Übereinstimmung mit Mr. Clares Bitte zu dem Gespräch mit den Dienstboten gebeten. Mr. Pendril folgte natürlich Miss Garth. Als die drei draußen in der Diele waren, kam Mr. Clare zurück ins Zimmer, schloss die Tür und bedeutete Magdalen energisch, sie solle sich setzen.

Sie gehorchte schweigend. Er ging einmal im Zimmer auf und ab, die Hände in den Seitentaschen des langen, lockeren, formlosen Mantels, den er gewöhnlich zu tragen pflegte.

„Wie alt sind Sie?“, fragte er, wobei er plötzlich stehen blieb und sie über die ganze Breite des zwischen ihnen liegenden Zimmers ansprach.

„Ich bin bei meinem letzten Geburtstag achtzehn geworden“, erwiderte sie bescheiden, ohne ihn anzusehen.

„Für ein achtzehnjähriges Mädchen haben Sie einen außergewöhnlichen Mut bewiesen. Haben Sie von diesem Mut noch etwas übrig?“

Sie krampfte die Hände zusammen und rang sie heftig. Ein paar Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen ihr langsam über die Wangen.

„Ich kann Frank nicht aufgeben“, sagte sie schwach. „An mir liegt Ihnen nichts, das weiß ich. Aber Ihnen hat etwas an meinem Vater gelegen. Würden Sie um eines Vaters willen freundlich zu mir sein?“

Die letzten Worte erstarben in einem Flüstern; mehr brachte sie nicht heraus. Nie hatte sie so wie jetzt gespürt, in welch grenzenlosem Maße die Liebe einer Frau jedes andere Ereignis, jede Freude und jeden Kummer in sich aufnehmen kann. Nie hatte sie Frank so zärtlich mit der Erinnerung an ihre verlorenen Eltern in Verbindung gebracht wie in diesem Augenblick. Nie hatte die undurchdringliche Atmosphäre der Illusion – die Atmosphäre, die sie blind für alles gemacht hatte, was in Franks Natur schwach, selbstsüchtig und schäbig war – ihn mit einem helleren Heiligenschein umgeben als jetzt, da sie beim Vater um den Besitz des Sohnes bettelte. „Ach, verlangen Sie nicht von mir, ihn aufzugeben!“, sagte sie, wobei sie sich bemühte, Mut zu fassen, und von Kopf bis Fuß zitterte. Im nächsten Augenblick stürzte sie mit der Schnelligkeit eines Blitzes ins andere Extrem. „Ich werde ihn nicht aufgeben!“, platzte es heftig aus ihr heraus. „Nein! Und wenn tausend Väter es von mir verlangen!“

„Ich bin nur ein Vater“, sagte Mr. Clare, „und ich verlange es nicht von Ihnen.“

In dem ersten Erstaunen und Entzücken über diese unerwarteten Worte sprang sie auf die Füße, lief quer durch das Zimmer und wollte ihm die Arme um den Hals legen. Sie hätte ebenso gut versuchen können, das Haus von seinen Fundamenten zu heben. Er nahm sie bei den Schultern und drückte sie wieder auf ihren Stuhl. Seine unentrinnbaren Blicke zwangen sie zum Nachgeben; und sein dürrer Zeigefinger hob sich warnend in ihre Richtung, als würde er ein ungezogenes Kind beruhigen.

„Umarmen Sie Frank“, sagte er, „aber umarmen Sie nicht mich. Ich bin mit Ihnen noch nicht fertig. Wenn es so weit ist, können Sie mir die Hand schütteln, wenn es Ihnen beliebt. Warten Sie, und fassen Sie sich.“

Er entfernte sich von ihr. Seine Hände wanderten wieder in seine Taschen, und sein eintöniger Marsch durch das Zimmer begann von Neuem.

„Bereit?“, fragte er nach einer Weile und blieb stehen. Sie bemühte sich zu antworten. „Nehmen Sie sich noch zwei Minuten“, sagte er und nahm seinen Gang mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks wieder auf. „Das sind die Geschöpfe“, dachte er bei sich, „denen ansonsten vernünftige Männer das Glück ihres Lebens anvertrauen. Gibt es, so frage ich mich, in der Schöpfung ein anderes Objekt, das seinen Zielen so schlecht dient wie eine Frau?“

Er blieb wieder vor ihr stehen. Ihr Atem ging jetzt leichter; das dunkle Rot auf ihrem Gesicht schwand dahin.

„Bereit?“, wiederholte er. „Ja, endlich bereit. Hören Sie mir zu; und bringen wir es hinter uns. Ich verlange nicht, dass Sie Frank aufgeben. Ich verlange, dass Sie warten.“

„Ich werde warten“, sagte sie. „Geduldig und bereitwillig.“

„Werden Sie dafür sorgen, dass Frank wartet?“

„Ja.“

„Werden Sie ihn nach China schicken?“

Ihr Kopf fiel auf die Brust, und sie krampfte wieder schweigend die Hände ineinander. Mr. Clare sah, wo die Schwierigkeit lag, und steuerte augenblicklich geradewegs darauf zu.

„Ich habe nicht vor, mich mit Ihren Gefühle für Frank oder mit Franks Gefühlen für Sie zu beschäftigen“, sagte er. „Das Thema interessiert mich nicht. Ich habe aber vor, zwei einfache Wahrheiten auszusprechen. Es ist eine einfache Wahrheit, dass Sie nicht heiraten können, so lange Sie nicht genug Geld besitzen, um das Dach zu bezahlen, das Sie über dem Kopf haben, die Kleidung, mit der Sie sich bedecken, und die Lebensmittel, die Sie essen. Eine zweite einfache Wahrheit lautet: Sie können das Geld nicht auftreiben. Ich kann das Geld nicht auftreiben, und Franks einzige Chance, es aufzutreiben, besteht darin, nach China zu gehen. Wenn ich ihm sage, dass er gehen soll, wird er sich in eine Ecke setzen und heulen. Wenn ich darauf bestehe, wird er ja sagen und mich hinters Licht führen. Wenn ich noch einen Schritt weiter gehe und ihn mit eigenen Augen an Bord eines Schiffes gehen sehe, wird er mit dem Lotsenboot entwischen und heimlich zu Ihnen zurückschleichen. Das ist seine Veranlagung.“

„Nein!“, sagte Magdalen. „Das ist nicht seine Veranlagung; das ist seine Liebe zu mir.“

„Nennen Sie es, wie Sie wollen“, gab Mr. Clare scharf zurück. „Ob Schleicher oder Schätzchen, in beiden Eigenschaften ist er so glitschig, dass meine Finger ihn nicht festhalten können. Wenn ich vor ihm die Tür zuschlage, wird ihn das nicht davon abhalten, zurückzukommen. Wenn Sie vor ihm die Tür zuschlagen, schon. Haben Sie den Mut, sie zuzuschlagen? Sind Sie ihm so sehr zugetan, dass Sie ihm nicht im Wege stehen werden?“

„Zugetan! Ich würde für ihn sterben!“

„Werden Sie ihn nach China schicken?“

Sie seufzte bitter.

„Haben Sie ein wenig Mitleid mit mir“, sagte sie. „Ich habe meinen Vater verloren; ich habe meine Mutter verloren; ich habe mein Vermögen verloren – und jetzt soll ich auch noch Frank verlieren. Sie mögen Frauen nicht, das weiß ich; aber versuchen Sie doch, mir mit ein wenig Mitleid zu helfen. Ich sage nicht, dass es nicht in seinem eigenen Interesse wäre, ihn nach China zu schicken; ich sage nur, dass es hart ist – sehr, sehr hart für mich.“

Mr. Clare war taub gegenüber ihrer Heftigkeit gewesen, unempfindlich gegenüber ihren Liebkosungen, blind gegenüber ihren Tränen; aber unter dem dicken Panzer seiner Philosophie hatte er ein Herz – und das reagierte auf diesen hoffnungslosen Appell; es spürte die bewegenden Worte.

„Ich leugne nicht, dass es in Ihrem Fall sehr hart ist“, sagte er, „und ich möchte es nicht noch härter machen. Ich bitte Sie nur, in Franks Interesse das zu tun, was zu tun Frank selbst zu schwach ist. Es ist nicht Ihre Schuld und es ist nicht meine Schuld – aber es ist nichtsdestotrotz wahr, dass das Vermögen, das Sie ihm hätten bringen sollen, den Eigentümer gewechselt hat.“

Mit einem verstohlenen Leuchten in den Augen, einem bedrohlichen Lächeln auf den Lippen, blickte sie plötzlich auf.

„Es könnte noch einmal den Eigentümer wechseln“, sagte sie.

Mr. Clare sah die Veränderung in ihrer Miene und hörte den Ton ihrer Stimme. Aber die Worte wurden leise ausgesprochen, gesprochen wie zu ihr selbst – über die Breite des Zimmers erreichten sie ihn nicht. Er unterbrach sofort seinen Rundgang und fragte, was sie gesagt hatte.

„Nichts“, erwiderte sie, wandte den Kopf zum Fenster und blickte mechanisch hinaus in den Regen. „Nur meine eigenen Gedanken.“

Mr. Clare nahm seinen Rundgang wieder auf und kam auf sein Thema zurück.

„Es ist in Ihrem Interesse wie auch in Franks Interesse, dass er fährt“, fuhr er fort. „Er könnte in China genug Geld verdienen, um Sie zu heiraten; das kann er hier nicht. Wenn er zu Hause bleibt, wird er Sie beide ruinieren. Er wird die Augen vor jeder vernünftigen Erwägung verschließen und Ihnen in den Ohren liegen, Sie sollten ihn heiraten; und wenn er sich durchgesetzt hat, wird er der Erste sein, der hinterher eine Kehrtwende macht und sich beschwert, Sie seien eine Last für ihn. Lassen Sie mich ausreden! Sie sind in Frank verliebt – ich bin es nicht, und ich kenne ihn. Treffen Sie nur oft genug mit ihm zusammen; geben Sie ihm die Zeit, Sie zu umarmen, zu heulen, zu drängen und zu betteln, und ich sage Ihnen, was am Ende herauskommt: Sie werden ihn heiraten.“

Endlich hatte er die richtige Saite angerissen. Sie hallte in Form einer Antwort wider, bevor er noch ein weiteres Wort sagen konnte.

„Sie kennen mich nicht“, sagte sie mit fester Stimme. „Sie wissen nicht, was ich um Franks willen erleiden kann. Er soll mich nicht heiraten, bis ich das sein kann, was mein Vater gesagt hat: die Überbringerin seines Vermögens. Er soll sich keine Last aufbürden, wenn er mich nimmt, das verspreche ich Ihnen! Ich werde der gute Engel in Franks Leben sein; ich werde nicht als mittelloses Mädchen zu ihm gehen und ihn herabziehen.“ Sie stand abrupt auf, trat ein paar Schritte auf Mr. Clare zu und blieb mitten im Zimmer stehen. Ihre Arme fielen hilflos auf beiden Seiten an ihr herab, und sie brach in Tränen aus. „Er soll fahren“, sagte sie. „Und wenn es mir das Herz bricht, ich werde ihm morgen mitteilen, dass wir uns Lebewohl sagen müssen!“

Mr. Clare trat zu ihr und streckte die Hand aus.

„Ich werde Ihnen helfen“, sagte er. „Frank soll jedes Wort hören, das zwischen uns gewechselt worden ist. Wenn er morgen kommt, soll er schon im Voraus wissen, dass er kommt, um sich zu verabschieden.“

Sie griff mit beiden Händen nach seiner – zögerte – sah ihn an – und zog sie an ihre Brust. „Darf ich Sie um einen Gefallen bitten, bevor Sie gehen?“, fragte sie ängstlich. Er versuchte, ihr seine Hand zu entziehen, aber sie kannte ihren Vorteil und ließ nicht locker. „Angenommen, es sollte sich eine Veränderung zum Besseren einstellen?“, fuhr sie fort. „Angenommen, ich könnte so zu Frank kommen, wie mein Vater es gesagt hat…?“

Bevor sie die Frage vollenden konnte, unternahm Mr. Clare einen zweiten Versuch und zog seine Hand zurück. „Wie Ihr Vater gesagt hat?“ wiederholte er und musterte sie aufmerksam.

„Ja“, erwiderte sie. „Manchmal geschehen seltsame Dinge. Wenn mir seltsame Dinge geschehen, werden Sie Frank dann zurückkommen lassen, bevor die fünf Jahre um sind?“

Was meinte sie damit? Klammerte sie sich verzweifelt an die Hoffnung, das Herz von Michael Vanstone zu erweichen? Einen anderen Schluss konnte Mr. Clare aus dem, was sie gerade gesagt hatte, nicht ziehen. Zu Beginn des Gesprächs hätte er ihren Irrglauben grob zerstört. Am Ende ließ er sie mitfühlend in seinem Besitz.

„Sie hoffen gegen alle Hoffnung“, sagte er, „aber wenn es Ihnen Mut gibt, hoffen Sie weiter. Wenn Sie jemals dieses unmögliche Glück haben sollten, sagen Sie es mir, und Frank soll zurückkommen. In der Zwischenzeit…“

„In der Zwischenzeit“, warf sie ein, „haben Sie mein Versprechen.“

Wieder musterten Mr. Clares scharfe Augen aufmerksam ihr Gesicht.

„Ich verlasse mich auf Ihr Versprechen“, sagte er. „Sie werden Frank morgen sehen.“

Sie ging gedankenverloren wieder zu ihrem Stuhl und setzte sich schweigend. Mr. Clare war an der Tür, bevor zwischen ihnen eine formelle Abschiedsformel ausgetauscht werden konnte. „Tief!“, dachte er bei sich, als er zu ihr zurückblickte, bevor er hinausging. „Erst achtzehn, und zu tief für meine Auslotung!“

In der Diele traf er auf Norah, die ängstlich wartete und hören wollte, was geschehen war.

„Ist alles vorüber?“, fragte sie. „Geht Frank nach China?“

„Seien Sie vorsichtig, wie Sie mit dieser Ihrer Schwester umgehen“, sagte Mr. Clare, ohne von der Frage Notiz zu nehmen. „Sie hat ein großes Pech, mit dem sie fertig werden muss: Sie ist nicht für den üblichen Trott eines Frauenlebens gemacht. Ich behaupte nicht, ich könnte sie geradewegs durchschauen und das Gute oder das Böse sehen. Ich warne Sie nur – Magdalens Zukunft wird keine gewöhnliche sein.“

Eine Stunde später verließ Mr. Pendril das Haus; und mit der Abendpost gab Miss Garth einen Brief an ihre Schwester in London auf.

Ende der ersten Szene

Die Namenlosen

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