Читать книгу Die Namenlosen - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 11

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Kapitel 7

Früh am nächsten Morgen trafen sich Miss Garth und Norah im Garten und sprachen unter vier Augen miteinander. Als sie sich anschließend zum Frühstückstisch begaben, bestand das einzige erkennbare Ergebnis ihres Gesprächs in einem vielsagenden Schweigen, das sie zu dem Thema der Theateraufführung bewahrten. Mrs. Vanstone war ihrem Mann und ihrer jüngsten Tochter für alles, was sie über die Abendunterhaltung zu hören bekam, zutiefst dankbar. Die Gouvernante und die ältere Tochter hatten sich dagegen offensichtlich entschlossen, das Thema fallen zu lassen.

Als das Frühstück vorüber war und die Damen sich wie gewöhnlich im Salon versammelten, stellte sich heraus, dass Magdalen fehlte. Aber deren Gewohnheiten waren von einer so geringen Regelmäßigkeit, dass Mrs. Vanstone angesichts ihrer Abwesenheit weder Überraschung noch Unbehagen verspürte. Miss Garth und Norah sahen einander vielsagend an und warteten schweigend. Zwei Stunden vergingen – und immer noch keine Spur von Magdalen. Als die Uhr zwölf schlug, erhob sich Norah und verließ wortlos das Zimmer, um nach ihr zu suchen.

Sie war nicht im oberen Stockwerk, um ihren Schmuck abzustauben oder ihre Kleidung in Unordnung zu bringen. Sie war nicht im Gewächshaus, nicht im Blumengarten; nicht in der Küche, um die Köchin zu necken; nicht auf dem Hof, um mit den Hunden zu spielen. War sie etwa mit ihrem Vater ausgegangen? Mr. Vanstone hatte beim Frühstück seine Absicht kundgetan, seinem alten Kumpan Mr. Clare einen morgendlichen Besuch abzustatten und mit einem Bericht über die dramatische Vorstellung das sarkastische Missfallen des Philosophen anzustacheln. Keine der anderen Damen von Combe-Raven wagte sich jemals in das Cottage. Nur Magdalen war verwegen genug für alles – Magdalen hätte dorthin gehen können. Als Norah auf die Idee kam, betrat sie den Sträuchergarten.

An der zweiten Biegung, wo der Pfad sich zwischen den Bäumen mit einer Windung aus der Sichtweite des Hauses entfernte, stand sie plötzlich Magdalen und Frank von Angesicht zu Angesicht gegenüber: Die beiden schlenderten Arm in Arm auf sie zu, die Köpfe dicht zusammengesteckt und in einem Gespräch, das offenbar im Flüsterton geführt wurde. Sie sahen verdächtig hübsch und glücklich aus. Bei Norahs Anblick zuckten beide zusammen und blieben stehen. Frank lüftete verwirrt den Hut und wandte sich in Richtung seines väterlichen Cottage. Magdalen trat vor, um ihre Schwester zu begrüßen, schwenkte ihren geschlossenen Regenschirm heiter von einer Seite zur anderen und summte unbekümmert eine Melodie aus der Ouvertüre, die am Abend zuvor dem Heben des Vorhanges vorausgegangen war.

„Schon Mittagessenszeit?“, fragte sie. „Das kann doch nicht sein!“

„Bist du mit Mr. Francis Clare seit zehn Uhr allein im Sträuchergarten?“, fragte Norah.

„Mr. Francis Clare! Wie lächerlich formell du bist. Warum nennst du ihn nicht Frank?“

„Ich habe dir eine Frage gestellt, Magdalen.“

„Du liebe Güte, wie düster du heute Morgen aussiehst! Ich bin wohl in Ungnade gefallen. Hast du mir noch nicht verziehen, dass ich gestern Abend so gespielt habe? Ich konnte nicht anders, meine Liebe; ich hätte aus der Julia nichts machen können, wenn ich mir nicht dich zum Vorbild genommen hätte. Das ist eine ganz und gar künstlerische Frage. Ich an deiner Stelle hätte mich durch die Auswahl geschmeichelt gefühlt.“

„An deiner Stelle, Magdalen, hätte ich zweimal nachgedacht, bevor ich meine Schwester vor einem Publikum von Fremden nachmache.“

„Genau deshalb habe ich es ja gemacht – ein Publikum von Fremden. Woher sollten sie es wissen? Ach komm, sei nicht böse. Du bist acht Jahre älter als ich und solltest mir ein Beispiel in Sachen Humor geben.“

„Ich werde dir ein Beispiel in Sachen Offenheit geben. Ich kann dir gar nicht sagen, wie Leid es mir tut, dass ich dich gerade jetzt hier treffe, Magdalen.“

„Und was kommt als Nächstes? Du triffst mich hier zu Hause im Sträuchergarten, während ich mit meinem alten Spielkameraden, den ich schon kannte, als ich nicht größer war als dieser Regenschirm, über eine private Theateraufführung rede. Das ist natürlich eine krasse Unschicklichkeit, nicht wahr? ‚Honi soit qui mal y pense.‘ Eben wolltest du eine Antwort – hier ist sie, meine Liebe, in höchst gewähltem Normannisch-Französisch.“

„Ich meine es ernst, Magdalen…“

„Daran habe ich keinen Zweifel. Niemand kann dir vorwerfen, du würdest irgendwann einmal Witze machen.“

„Es tut mir aufrichtig Leid…“

„Du liebe Güte!“

„Es ist völlig nutzlos, mich zu unterbrechen. Mir liegt es auf dem Gewissen, dir zu sagen – und ich werde es dir sagen –, dass es mir Leid tut zu sehen, wie diese Vertraulichkeit wächst. Es tut mir Leid zu sehen, dass sich zwischen dir und Mr. Francis Clare bereits ein geheimes Einverständnis gebildet hat.“

„Der arme Frank! Du musst ihn wirklich sehr hassen. Was um alles in der Welt hat er getan, dass du so beleidigt bist?“

Erste Anzeichen deuteten darauf hin, dass Norahs Selbstbeherrschung ins Wanken geriet. Ihre dunklen Wangen glühten und ihre zarten Lippen zitterten, als sie wieder zum Sprechen ansetzte. Magdalen schenkte ihrem Regenschirm mehr Aufmerksamkeit als ihrer Schwester. Sie warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. „Einmal!“, sagte sie – und warf ihn wiederum in die Höhe. „Zweimal!“ – und sie warf ihn noch höher. „Dreimal…“ Aber bevor sie ihn zum dritten Mal auffangen konnte, griff Norah leidenschaftlich nach ihrem Arm, und der Schirm fiel zwischen ihnen zu Boden.

„Du bist herzlos zu mir“, sagte sie. „Schäm’ dich, Magdalen, schäm’ dich!“

Der unbezähmbare Ausbruch einer zurückhaltenden Natur, die von ihrem eigenen Trotz zur offenen Selbstbehauptung gezwungen wird, ist unter allen moralischen Kräften die unwiderstehlichste. Magdalen schreckte zusammen und schwieg. Einen Moment lang standen sich die beiden Schwestern – die sich in Person und Charakter so seltsam unähnlich waren – gegenüber, ohne dass zwischen ihnen ein Wort gewechselt wurde. Einen Moment lang blickten die tiefbraunen Augen der Älteren und die hellgrauen Augen der Jüngeren einander in stetigem, unnachgiebigem Forschen an. Norahs Gesicht veränderte sich als Erstes. Schweigend ließ sie den Arm der Schwester fallen. Magdalen bückte sich und hob den Regenschirm auf.

„Ich bemühe mich, mein Temperament im Zaum zu halten, und dafür nennst du mich herzlos“, sagte sie. „Du warst immer streng mit mir und wirst es immer sein.“

Norahs zitternde Hände krampften sich fest ineinander. „Streng mit dir!“, sagte sie mit leiser, trauriger Stimme – und seufzte bitter.

Magdalen trat ein wenig zurück und reinigte den Schirm mechanisch mit dem Zipfel ihres Gartenmantels.

„Ja!“, setzte sie beharrlich hinzu. „Streng mit mir und streng mit Frank.“

„Frank!“, wiederholte Norah. Sie trat auf ihre Schwester zu und wurde ebenso schnell blass, wie sie zuvor errötet war. „Redest du von dir und Frank schon so, als wären eure Interessen ein und dieselben? Magdalen! Wenn ich dich verletze, verletze ich dann auch ihn? Ist er dir so nahe und so lieb?“

Magdalen wich immer weiter zurück. Ein Zweig von einem Baum hätte sich beinahe in ihrem Mantel verfangen; sie drehte sich unwirsch um, brach ihn ab und warf ihn auf den Boden. „Welches Recht hast du, mich auszufragen?“, brach es plötzlich aus ihr heraus. „Ob ich Frank mag oder ob ich ihn nicht mag, was geht dich das an?“ Als sie diese Worte aussprach, trat sie abrupt vor, um an ihrer Schwester vorüber zum Haus zurückzugehen.

Norah, die blasser und blasser wurde, versperrte ihr den Weg. „Und wenn ich dich mit Gewalt zurückhalten muss“, sagte sie, „du wirst stehen bleiben und mir zuhören. Ich habe diesen Francis Clare beobachtet; ich kenne ihn besser als du. Er ist keinen Augenblick ernster Gefühle deinerseits wert; er ist des Interesses unseres lieben, guten, großherzigen Vaters nicht wert. Ein Mann mit den geringsten Prinzipien, mit dem geringsten Ehrgefühl, mit der geringsten Dankbarkeit wäre nicht zurückgekommen, wie er zurückgekommen ist: blamiert – ja! Blamiert durch die kraftlose Missachtung seiner eigenen Pflicht. Ich habe sein Gesicht gesehen, als der Freund, der besser als ein Vater zu ihm war, ihn mit einer Freundlichkeit, die er nicht verdient hatte, getröstet und ihm verziehen hat. Ich habe sein Gesicht beobachtet, und ich habe darin keine Scham und keinen Kummer gesehen – nichts als einen Blick der undankbaren, herzlosen Erleichterung. Er ist egoistisch, er ist undankbar, er ist kleinlich – er ist erst zwanzig und hat schon die größten Fehler eines schäbigen hohen Alters. Und das ist der Mann, von dem ich feststellen muss, dass du dich heimlich mit ihm triffst – der Mann, der in deiner Gunst einen solchen Platz einnimmt, dass du taub für die Wahrheit über ihn bist, selbst wenn sie von meinen Lippen kommt! Magdalen! Das wird böse enden. Um Gottes Willen, denke darüber nach, was ich dir gesagt habe, und beherrsche dich, bevor es zu spät ist!“ Leidenschaftlich und atemlos blieb sie stehen und nahm ihre Schwester ängstlich bei der Hand.

Magdalen sah sie mit unverhohlenem Erstaunen an.

„Du bist so heftig“, sagte sie, „und so gar nicht du selbst. Ich erkenne dich kaum wieder. Je mehr Geduld ich habe, desto mehr harte Worte bekomme ich für meine Mühen. Du hegst einen verdrehten Hass gegen Frank, und du bist unsinnig wütend auf mich, weil ich ihn nicht auch hasse. Nicht, Norah! Du tust meiner Hand weh!“

Norah stieß die Hand verächtlich von sich. „Ich werde nie deinem Herzen wehtun“, sagte sie; und während sie die Worte aussprach, drehte sie Magdalen plötzlich den Rücken zu.

Stille trat ein. Norah behielt ihre Haltung bei. Magdalen sah sie verblüfft an, zögerte und ging schließlich allein zum Haus.

An der Biegung des Weges durch den Sträuchergarten blieb sie stehen und blickte beklommen zurück. „Oh je, oh je!“, dachte sie, „warum ist Frank nicht gegangen, als ich es ihm gesagt habe?“ Sie zögerte und ging ein paar Schritte zurück. „Da steht Norah in ihrer Würde, halsstarrig wie immer.“ Wieder blieb sie stehen. „Was soll ich nur tun? Ich hasse Streitigkeiten. Ich glaube, ich möchte mich versöhnen.“ Sie wagte sich bis in die Nähe ihrer Schwester und berührte sie an der Schulter. Norah bewegte sich nicht. „Es kommt nicht oft vor, dass sie so in Rage gerät“, dachte Magdalen und berührte sie noch einmal, „aber wenn es geschieht, wie lange dauert es dann!“ – „Komm’“, sagte sie, „gib mir einen Kuss, Norah, und vertrag’ dich mit mir. Gibst du mir keinen Teil von dir außer der Rückseite deines Halses? Nun, es ist ein sehr hübscher Hals – er ist es mehr wert, geküsst zu werden, als meiner – und da ist der Kuss, trotz allem!“

Sie umfasste Norah fest von hinten und ließ den Worten die Tat folgen, wobei sie alles überging, was gerade vorgefallen war. Ihre Schwester war weit davon entfernt, es ihr gleichzutun. Und doch hatte die warme Aufwallung in Norahs Herz vor nicht einer Minute alle Dämme durchbrochen. Hatte die eisige Zurückhaltung sie schon wieder erstarren lassen? Es war schwer zu sagen. Sie sprach kein Wort und änderte ihre Haltung nicht – nur suchte sie eilig nach ihrem Taschentuch. Als sie es hervorzog, war in den inneren Winkeln des Sträuchergartens das Geräusch näher kommender Schritte zu hören. Ein Scotchterrier huschte ins Blickfeld, und eine fröhliche Stimme sang die ersten Zeilen des Scherzliedes aus „Wie es euch gefällt“. „Das ist Papa“, rief Magdalen. „Komm, Norah – komm, wir gehen zu ihm.“

Aber statt ihrer Schwester zu folgen, zog Norah den Schleier ihres Gartenhutes herunter, wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und eilte zurück zum Haus. Sie lief in ihr Zimmer, schloss sich ein und weinte bitterlich.

Die Namenlosen

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