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In den Süden reisen

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Süden ... Spanische Strände, italienische Olivenhaine – oder vielleicht gar karibische Inseln? Mindestens einmal im Leben sollte jeder Norddeutsche (der ja womöglich ein Nachfahre von kühnen Seefahrern oder weitreisenden Kaufleuten ist, die seine Weltgegend hervorgebracht hat) in die Ferne gereist sein. „Die Norddeutschen sind so tolerant, dass sie sich über ihren Horizont begeben und auch die anderen Ecken der Welt erkunden sollten“, schreibt Herr H. aus Algermissen zu seiner Einreichung des Themas an den NDR.

So zieht es denn auch Herrn Momsen eines Tages nach Süden: Er wagt den großen Schritt und übertritt die Grenze von Niedersachsen ... nach Hessen! Der erste Ort dieser fremden Welt, in den er im lieblichen Werratal gelangt, heißt Blickershausen. In der Mittagshitze – nennen die Einheimischen das nicht Siesta? – dösen Dorfhunde und Fachwerkhäuser, hinter den Fassaden vermutlich die Bewohner. Am Giebel des einen Gebäudes klafft ein Loch und überhaupt stapelt sich hier überall alter Krempel. So fremd kommt der Süden Herrn Momsen gar nicht vor: Ein wenig erinnert es ihn hier sogar an den Hof von Kurt Brakelmann (S. 62).

Da, endlich ein Mensch! Vor der Radler Ranch sitzt Dieter. Dieter kann viel über Hessen erzählen, denn er ist Hesse. So erfährt Herr Momsen schon beim Händedruck, dass die Hessen sich gut anfassen lassen. Ja, Dieter weist extra darauf hin, dass seine Hand kerniges Material sei.

Wie übrigens auch alles andere an ihm. Herr Momsen verzichtet dankend dar-auf, das nachzuprüfen. Unbeirrt davon fährt Dieter mit seiner anthropologi-schen Studie des Südländers fort: „Beim Hessen fangen die Menschen erst an! Der Hesse ist ein richtiger kerniger, vorstehender Mann!“ Herr Momsen kann den genauen Sinn dieser Worte nur erahnen; sie klingen zwar deutsch, sind aber eben ... hessisch. „Vor dem Hessen ist ja noch nichts gewesen“, doziert Dieter weiter. Schon gar nicht in Niedersachsen, auf der anderen Seite des Flusses. Da hat der gute Mann nämlich jahrelang gearbeitet. Aber Nachteiliges fällt ihm über die Bewohner des Nachbarlandes dann doch nicht ein: „Ich kann nichts anderes dazu sprechen, um diese Menschen in ein anderes Licht zu setzen.“ Herr Momsen hat langsam den Dreh mit dem Hessischen raus: Man muss es einfach wie Bundestagsreden – ansehen, sich die meisten Worte also schlichtweg wegdenken. „Der Hesse ist ein Mensch, der an erster Stelle steht, der den Niedersachsen mit Sicherheit überlegen ist. Ich möchte sagen: fast in allen Punkten. Wenn man abends Fernsehen anschaut, dann sieht man schon in der Hessenschau*: HESSEN VORN! Und jeder ist stolz, dass er ein Hesse sein kann.“

Herr Momsen stellt trocken fest, dass Eintracht Frankfurt in der 2. Bundesliga spielt und Hannover 96 in der Ersten. „Ja klar, das würden die doch freiwillig machen“, sagt Dieter, damit sie spielbar bleiben. Momsen entgegnet ein höfliches: „Aha“, mit bedeutender Generalpause im Anschluss. Dieter nickt noch lange gravitätisch – und schweigt dann ebenso. Ob ein Niedersachse denn Hesse werden könne, greift Herr Momsen den Faden endlich wieder auf. „Nein, ein Niedersachse kann kein Hesse werden, weil ihm Wissen fehlt, Elan, Dampf ...“ Ja genau, das habe er auch gleich gespürt, als er in das Dorf kam, bestätigt Herr Momsen: „Hier dampft, hier brennt die Hütte, die Aura, nein: die Dampfhülle der Menschen hier ... Da kommt man gar nicht durch.“

„So wird’s sein, ja!“, kann Dieter nur zustimmen. Aha, der Hesse versteht also keine Ironie, denkt sich Herr Momsen.

Das Gespräch kommt auf das Verhalten eines Nicht-Hessen in Hessen. Das sei eigentlich ganz einfach, erklärt Dieter: Man muss sich allem, was auf einen zukommt, anpassen. Trotzdem kann man „natürlich, selbstverständlich seine Meinung voll und ganz vertreten“ – sogar als Norddeutscher. Wenn man als solcher also sagt: „Der Hesse ist schlechter als der Niedersachse“, dann würde ihm der Hesse das gar nicht übel nehmen.

Nur glauben würde er es nicht. Er weiß ja schließlich, dass es nicht stimmt. Dieters Frau sitzt inzwischen ein wenig abseits bei uns und sagt kein Wort. „Sie ist etwas scheu, wenn fremde Männer da sind“, erklärt Dieter.

Vor vielen Jahren kam sie aus Niedersachsen – nein: aus Westfalen! – zu ihm und fühlt sich seitdem pudelwohl in Hessen. Vorsichtshalber hat Dieter ihr den Pass weggenommen. Herr Momsen – ganz Hanseat – geht auf dieses Thema nicht weiter ein, stellt dann aber trotzdem noch die Frage, wie denn die Hessin so sei. „Eine hessische Frau ersetzt den Hofhund“, prahlt Dieter. Herr Momsen stockt kurz, dann fragt er nach: „Ach, und Deine Frau heißt Fiffi ...?“ An dieser Stelle endet die Aufzeichnung: Der Kameramann kann sich nicht mehr halten vor Lachen und muss die Kamera abstellen. Alle Anwesenden, die sich bis jetzt mühsam zusammengerissen haben, prusten erleichtert los. Sogar Dieter, der Hesse, lacht mit.

* Sicher eine Art Propaganda-Sendung des HR, denkt Herr Momsen sich.

50 Dinge, die ein Norddeutscher getan haben muss

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