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1 Cumaná, Venezuela
ОглавлениеDer Flug in der einmotorigen Piper der Linea Turistica Aerotuy unterhalb der dichten Wolkendecke von Cumaná nach Ciudad Guayana verlief geräuschvoll und unruhig. Brian Saint-Claire schaute aus dem Kabinenfenster auf die ausgedehnten Wälder. Unter ihm lag eine einzige grüne Weite, die sich bis zum Horizont erstreckte.
Der Pilot, ein braun gebrannter und bärtiger Venezolaner aus Apure, warf hin und wieder einen besorgten Blick auf die tiefschwarzen Regenwolken, die sich im Westen zu einer gigantischen Sturmfront aufgetürmt hatten. Brian hing schweigend seinen Gedanken nach. Er dachte an den heftigen Streit mit Cindy und ihren theatralischen Abgang vor knapp einer Woche. Seither hatte er nichts mehr von ihr gehört. Dieser Trip nach Südamerika war genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen und würde ihn hoffentlich auf andere Gedanken bringen. Er sollte für ein Magazin mit dem geheimnisvollen Namen ESO-Terra eine Reportage über eine Schamanin der Warao-Indianer verfassen, die in einem kleinen Dorf irgendwo im Orinoco-Delta lebte. Den Schilderungen einiger Augenzeugen zufolge hatte die Frau neben der Gabe der Levitation noch weitere bemerkenswerte psychokinetische Fähigkeiten. Doch wie viel Wahrheit hinter den Erzählungen steckte, blieb abzuwarten. Oft genug hatten ihn seine Exkursionen auf den Spuren übernatürlicher Phänomene zu irgendwelchen Spinnern, Fantasten und Hochstaplern geführt, deren einzige außergewöhnliche Fähigkeit es war, gutgläubige Mitmenschen hinters Licht zu führen.
Für Brian, der an der Universität von Chicago Psychologie und Philosophie studiert und dann eine Ausbildung in Parapsychologie absolviert hatte, war das nichts Neues. Als Parapsychologe wusste er sehr wohl Betrügereien und Zaubertricks von echten metaphysischen Erscheinungen zu unterscheiden, wobei Letztere im Vergleich zu Ersteren äußerst rar waren. Brian war gespannt, was ihn diesmal erwartete. Doch selbst wenn er sich wieder einmal vergeblich auf eine lange Reise begeben hatte, so war es eine willkommene Gelegenheit, sich von dem heftigen Streit mit Cindy zu erholen. Außerdem wurde er für seine Arbeit gut bezahlt.
Brian Saint-Claire mit seinen welligen dunkelblonden Haaren und der Ausstrahlung eines Hollywoodschauspielers sah man seine vierzig Jahre nicht an.
Das Leben war für ihn ein einziges unergründliches Abenteuer – und somit waren Gleichförmigkeit, feste Gewohnheiten und eine tiefe Beziehung kaum mit seinem Rhythmus vereinbar. Die Vorstellung, zu heiraten und Kinder großzuziehen, so wie Cindy es sich wünschte, jagte ihm Angst ein.
Die Piper hüpfte im aufkommenden Wind auf und ab. Die Gewitterfront raste auf sie zu. Blitze zuckten aus den Wolken der Erde entgegen, und der Pilot fluchte laut.
»Was für ein schreckliches Jahr«, raunte er auf Spanisch. »Die Stürme nehmen kein Ende. Es ist die Strafe Gottes für die Menschen, die ein gottloses Leben führen.«
Brian nickte und schaute auf seine Uhr. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann müssten sie ihr Ziel in Kürze erreichen. Suchend warf er einen Blick aus dem Fenster, doch wohin er auch sah, war er umgeben von grünem Dschungel.
»Vorgestern ist vor La Guaira eine Fähre im Sturm gesunken«, fuhr der Pilot fort, scheinbar unbeeindruckt von der Wolkenfront, die immer näher kam. »Es heißt, die Wellen waren so hoch wie die Wolkenkratzer in Caracas. Sie haben das Schiff einfach verschluckt. Hundert Menschen waren an Bord. Sie kamen von Curaçao. Keiner konnte mehr lebend geborgen werden.«
Der Pilot beobachtete amüsiert die Wirkung seiner Worte.
Brian wurde langsam unruhig. Nicht, dass er ein ängstlicher Mensch war, ganz im Gegenteil, er hatte so manches Abenteuer überstanden, doch er wusste immer seine Chancen einzuschätzen. Und angesichts der gewaltigen Gewitterfront schienen die Chancen in diesem kleinen und klapprigen Flugzeug gegen null zu gehen.
»Wie lange dauert es noch?«, rief er dem Piloten in fließendem Spanisch zu.
Der Pilot wies in nördliche Richtung, und Brians Augen folgten dem Daumen, doch er musste sich gewaltig strecken, um einen Blick aus dem Seitenfenster des Piloten zu erhaschen. Die Landschaft dort wechselte ihr Gesicht. Der Wald blieb zurück, und stattdessen tauchten Häuserdächer am Horizont auf.
»Ciudad Guayana«, sagte der Pilot. »In zehn Minuten werden wir landen. Es wird holperig, aber wir werden schneller als der Sturm sein.«
Der Pilot behielt recht. Wenige Minuten später setzte die Piper auf dem asphaltierten Rollfeld des kleinen Flughafens auf. Brian wurde ordentlich durchgeschüttelt, doch es lag weniger an dem Wind als vielmehr an den Wellen und Löchern der Landebahn, die aus der Ferne vollkommen ebenmäßig ausgesehen hatte.
Brian kletterte aus dem engen Cockpit und streckte erst einmal seine Glieder aus. Er fühlte sich wie gerädert, und sein Rücken schmerzte. Der Pilot beförderte unterdessen Brians Rucksack und die Reisetasche aus dem Flugzeugrumpf. Er hatte es offenbar eilig, denn auch der Himmel über der Stadt begann sich zuzuziehen. Die feuchte Hitze wurde von einem böigen Wind hinweggefegt. Neben einer Holzbaracke in der Nähe stand ein alter sandfarbener Landrover, an dem ein groß gewachsener Mann mit Cowboyhut lehnte und scheinbar gelangweilt die Szenerie beobachtete. Während sich Brian bei dem Piloten bedankte und ihm ein paar Dollars zusteckte, schlenderte der Gaucho in seinen schwarzen Stiefeln langsam näher. An dem Gürtel, der um seine Hüfte gebunden war, steckte ein großkalibriger Colt in einem Halfter. Er wirkte wie ein Westernheld aus einer längst vergangenen Zeit.
»Dr. Saint-Claire?«
Seine Stimme mischte sich unter den Motorenlärm der startenden Piper. Brian nickte.
»Ich bin Juan Andreas Casquero«, stellte er sich vor. Dann zeigte er in die Wolken. »Sie haben Glück gehabt.«
Er nahm Brian eine Tasche ab und begleitete ihn zum Landrover. Nachdem er Brians Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, öffnete er die Beifahrertür.
»Was macht ein Gringo-Arzt in Ciudad Guayana?«, fragte Juan, während er sich hinters Steuer schwang.
Brian lächelte. »Ich bin kein Arzt, ich bin Psychologe.«
»Ein Seelenklempner, das ist ja noch besser.«
»Wohin fahren wir jetzt?«, fragte Brian, um das Thema zu wechseln.
»Es ist unklug, sich bei Sturm in den Dschungel zu begeben«, erklärte Juan. »Bis Tucupita ist es weit, und die Straßen sind auch ohne Unwetter schon gefährlich genug. Wir fahren in die Stadt. Ich habe in einer kleinen Pension zwei Zimmer reserviert. Morgen sehen wird dann weiter. Bei den Warao wird gerade die Hölle los sein.«
Brian Saint-Claire seufzte. Juan war ihm als kompetenter Führer empfohlen worden. Außerdem war er auf ihn angewiesen, denn Juan sprach fließend den Warao-Dialekt.