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4 Mississippi-Bucht, Alabama

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Der Hurrikan, den Wayne Chang im Karibischen Meer ausgemacht hatte, lief entlang einer Tiefdruckrinne auf die Mississippi-Bucht, das Mündungsdelta des Flusses, zu und traf mit voller Wucht die Küstenregion um die Stadt Mobile. Die Menschen der gefährdeten Orte hatten ihre Häuser verbarrikadiert und die Fenster mit Brettern vernagelt. Doch diese Schutzmaßnahmen halfen nur wenig. Den Windgeschwindigkeiten nahe den 250 Kilometern pro Stunde trotzten weder die schweren Holzbalken noch die Bretterverschläge. Der Sturm riss alles mit, was sich ihm in den Weg stellte. Einige Menschen waren mit den notwendigsten Habseligkeiten ins Landesinnere geflohen, diejenigen aber, die es vorgezogen hatten, in ihren Häusern zu bleiben und auszuharren, beteten um ihr Leben.

Der Pfarrer von Marlow, südöstlich von Mobile, musste hilflos mit ansehen, wie das Dach seiner Kirche vom Wind emporgehoben wurde und in den dunklen Wolken verschwand. Es war das Letzte, was er in seinem Leben wahrnahm, bevor er, getroffen von den schweren Stützbalken des Kirchenschiffs, tödlich verwundet zu Boden sank.

Wie Streichhölzer knickten die Brückenpfeiler der Eisenbahnbrücke im Westen der Stadt ein und begruben ein Fabrikgebäude unter sich. Keiner der Arbeiter darin überlebte.

Außerhalb der Stadt, an der Straße nach Summerdale, zerrte der Wind an der Farm der Richardsons, einer schwedischen Familie, die vor zwanzig Jahren in die USA eingewandert war und sich mit Schweiß und Tränen eine Existenz aufgebaut hatte. Melissa Richardson saß mit ihren sechs Kindern im Keller, während ihr Ehemann mit ein paar Nachbarn versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. Dicht aneinandergedrängt duckten sie sich auf den Boden. Schützend schlang Mrs Richardson die Hände um ihre Kinder. Das Brausen hatte sich zu einem infernalischen Tosen gesteigert, und das laute Poltern verriet ihnen, dass der Wind mit aller Kraft seine Beute, Reklametafeln, Holzbalken oder Bretter, gegen die Außenwände blies. Sie murmelte ein Gebet, und Tränen rannen über die Wangen der Kinder. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätten sie sich allesamt am frühen Morgen in den Wagen gesetzt und hätten sich aus dem Staub gemacht, wären bis hinauf nach Jackson gefahren. Doch es war ihr nicht gelungen, ihren Ehemann zu überzeugen.

»Ich habe das hier alles mit meinen eigenen Händen aufgebaut«, hatte er gesagt. »Ich lass es mir nicht einfach wegnehmen.«

Im Angesicht des Sturms wusste Melissa instinktiv, dass es ein Fehler gewesen war, der Sturheit ihres Mannes nachzugeben. Sie hätte ihn nötigenfalls sogar allein zurücklassen müssen, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen.

Draußen schien es, als ob der Wind nachlassen würde. Zumindest beruhigte sich das Tosen, und auch die Einschläge an der Hauswand verklangen. Hoffnung keimte in ihr auf, einen flüchtigen Moment dachte sie, das Schlimmste wäre überstanden, doch sie irrte: Das Schlimmste stand ihr erst noch bevor.

Das Haus wurde sprichwörtlich über ihren Köpfen hinweggefegt. Dann hob der Wind die Dielen des Erdgeschosses an, die ihr einziger Schutz vor den wirbelnden Luftmassen geblieben waren, und eine um die andere wehte davon, bis sich die tobenden Gewalten hinab in ihren Keller stürzten. Tom, ihr vierjähriger Sohn, war der Erste, den die entfesselte Naturgewalt mit sich fortriss. Melissa umklammerte mit aller Kraft ihre restlichen Kinder, doch es war zu spät. Sie schrie auf, als der neue Traktor, von einem Luftwirbel getragen, auf sie herniederstürzte. Sekunden später war die Familie Richardson samt ihrem ganzen Besitz – Wohnhaus, Stallungen und Tieren – ausgelöscht: von den einstürzenden Massen erschlagen oder in einem Luftwirbel hinweggefegt.

Die unbändige Kraft des Hurrikans schien nahezu unerschöpflich. Auf einer Schneise von beinahe 200 Kilometern Breite zerstörte Amy, wie die Meteorologen den tropischen Zyklon benannt hatten, Gehöfte, Dörfer und ganze Stadtteile. Er hinterließ ein Band von Tod und Zerstörung. Erst als der Zyklon Mobile erreichte, hatte er sich abgeschwächt und wurde zu einer Front aus Regen und Gewitter. Die Regenflut überschwemmte weite Teile des Landes und zerstörte den kümmerlichen Rest, der den Wind überdauert hatte. Überall an der Südküste von Alabama und in der Mississippi-Bucht hörte man an diesem Tag die Sirenen der Rettungswagen und des Katastrophenschutzes, und als die Nacht hereinbrach, waren die Krankenhäuser und Leichenhallen, die der Sturm verschont hatte, überfüllt von Menschen. Der Gouverneur von Alabama rief in den Abendstunden des Maitages den Notstand aus, und die Nationalgarde unterstützte die Rettungskräfte bei den Bergungsarbeiten. Das Ausmaß der Zerstörungen war gewaltig. Es würde Wochen, ja Monate dauern, bis die gröbsten Spuren des Hurrikans beseitigt wären – manche würden noch lange sichtbar sein. Amy kostete über einhunderttausend Menschen das Leben.

Währenddessen atmeten die Bewohner der Westküste um Los Angeles auf. Zwar hatte der Zyklon Bert die Küstenregion der Baja California gestreift, doch die Tiefdruckrinne hatte sich zunehmend nach Nordwesten auf den Pazifik hinaus verlagert. Knapp 500 Kilometer vor der Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika löste sich der Sturm über dem Pazifik auf. Nur ein paar Hütten und Strandkörbe von Hotels waren umgerissen worden. Todesopfer gab es keine zu beklagen. Die Westküste der Vereinigten Staaten war nur knapp einer Katastrophe entgangen.

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