Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 34

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Südlich der Kokosinsel, Pazifik

Einen Tag nachdem Amy und Bert, die beiden Wirbelstürme, in der Karibik und vor der Westküste von Mexiko gesichtet worden waren, entsandte das National Hurricane Center in Miami das Forschungsschiff Portland der National Oceanic and Atmospheric Administration, kurz NOAA genannt, in die Region um die Kokosinsel im Pazifik. Dort sollte die wissenschaftliche Crew nähere Untersuchungen bezüglich der ozeanischen und atmosphärischen Verhältnisse durchführen. An Bord befanden sich neben der vierzigköpfigen Mannschaft Wissenschaftler und Meteorologen des National Hurricane Center und der NOAA.

Ein Team von Ozeanologen ließ einen Streamer zu Wasser, um die Strömungsverhältnisse, Intensität und Dichte sowie die Temperatur in knapp zehn Meter Tiefe zu messen. Dazu ging die Portland knapp 40 Kilometer südlich der Kokosinsel vor Anker. Gleichzeitig überprüften Meteorologen mittels eines hochsensiblen Messgerätes die oberen Luftschichten, indem sie einen Wetterballon aufsteigen ließen.

Fünf Tage lagen sie nun an derselben Position. Die gewonnenen Werte waren ein einziges Rätsel. Brach die Klimakatastrophe, die führende Klimatologen und Meteorologen für die kommenden Jahrzehnte vorausgesagt hatten, viel früher als vermutet über die Menschheit herein? Die Männer von der Portland suchten nach Antworten, doch bislang stießen sie nur auf weitere Fragen.

»Alles in allem haben wir in den oberen Wasserschichten fast fünf Grad über der Norm«, sagte Egon Taylor, nachdem er die gewonnenen Daten des Streamers mit den Temperaturstatistiken der vorangegangenen Jahre verglichen hatte.

»Das deckt sich mit unseren Feststellungen«, bestätigte Peter Holbroke von der NOAA. »Wenn ich unseren Messungen glauben darf, dann verläuft die innertropische Tiefdruckrinne um einige Kilometer zu weit nördlich. Wenn ich heute früh nicht auf den Kalender geschaut hätte, dann könnte ich annehmen, wir hätten bereits Ende Juni.«

»Wir haben eine warme Meeresströmung, die sich vom australischen Kontinent herüber an die südamerikanische Küste erstreckt. Der Nordäquatorialstrom und die Gegenströmung haben sich beinahe umgekehrt. Wir müssen mit dem Streamer tiefer gehen, um weitere Daten zu gewinnen. Alles deutet auf einen außergewöhnlichen El-Niño-Effekt.«

Holbroke nickte. »Wir lassen morgen früh einen Ballon mit einer Sonde aufsteigen, um die Stärke und Richtung der Höhenwinde zu überprüfen, aber ich fürchte, Sie haben recht. Die Passatströmung ist viel zu schwach, um das Wasser in die richtige Richtung treiben zu können.«

»Wir sollten auf alle Fälle noch weitere Messungen zur Verifizierung unserer Daten durchführen«, sagte Taylor. »Irgendetwas erscheint mir faul. Letzten Monat hatten wir noch keinerlei Hinweise auf irgendwelche ungewöhnlichen Strömungsverläufe.«

Noch bevor Holbroke antworten konnte, wurde die Tür zur Kabine im Zwischendeck aufgestoßen. Der Funker betrat den Raum und reichte Taylor ein Telex. Interessiert überflog dieser die Zeilen.

»Was ist los?«, fragte Holbroke.

Taylor reichte Holbroke das Papier. »Wir haben eine Hurrikanwarnung. Knapp 110 Kilometer südlich. Er scheint riesig zu sein. Das NHC meint, wenn er sich in dieser rasanten Geschwindigkeit weiterentwickelt, dann müssen wir mit einem Wirbelsturm der Kategorie vier bis fünf auf der Saffir-Simpson-Skala rechnen. Sie bitten uns, Messdaten über die Konvektionsströme und die Zirkulationsgeschwindigkeit zu sammeln.«

Holbroke aktivierte den Überwachungsmonitor. Dann zoomte er auf der Wetterkarte, die von einem Wettersatelliten direkt online übertragen wurde, in den Bereich des angegebenen Sichtungsgebiets. Ein riesiger Wolkenwirbel war zu erkennen.

»Der ist gewaltig«, murmelte Holbroke. »Er hat sich bereits einen riesengroßen Wolkenschirm zugelegt. Die warme Meeresoberfläche heizt ihn immer mehr auf.«

»Wie viel Zeit haben wir noch?«

»Ich schätze, in vier bis fünf Stunden ist er hier.«

»Dann müssen wir uns sputen«, sagte Taylor. »Wir fahren näher ran, machen ein paar Radaraufnahmen und setzen uns dann, so schnell es geht, ab.«

Ein dumpfer Knall drang durch die Metalltür. Die Alarmsirene ertönte, und das Licht begann zu flackern. Bevor das Licht endgültig erlosch, gingen die Bildschirme der Computer aus. Der Überspannungsschutz hatte die Notabschaltung aktiviert.

»Verflucht, was ist da los?« Taylor wandte sich zur Tür. Ein letztes Aufflackern der Glühlampe, und die Dunkelheit ergoss sich in den Raum. In der gespenstischen Finsternis tastete Taylor nach der Tür und öffnete sie. Eine gespenstische Stille herrschte im Zwischendeck, sogar das hektische Hupen der Alarmsirene war verstummt. Leise drangen Rufe in den Flur. Taylor ging vorsichtig auf den Niedergang zu. Holbroke folgte ihm. Die Schwärze erschien undurchdringlich, nur Taylors weißes T-Shirt war als Schattenriss zu erkennen.

»Was geht hier vor?«, fragte Holbroke besorgt.

Das Schulterzucken seines Begleiters blieb ihm verborgen. Endlich gelangten sie zu dem Schott, das zum Aufgang führte. Es war geschlossen. Mit den Händen tastete Taylor über den kalten Stahl, bis er die Verriegelung fühlte. Mit kräftigem Schwung drehte er am Verriegelungsrad und zog gleichzeitig das Schott auf. Dämmerlicht flutete den Gang.

In der Nähe des Aufgangs erblickte Taylor einen Seemann, der an einem Feuerlöscher herumnestelte.

»Was ist geschehen?«, fragte er.

Der Seemann fuhr erschrocken herum.

»Mann, reden Sie schon!«, fuhr Taylor den ängstlichen Matrosen an.

»Wir haben Feuer im Generatorenraum!«, rief der Seemann hysterisch. »Es greift auf die Hauptmaschine und den Elektromaschinenraum über.«

Taylor ließ den Mann stehen und stürmte die Treppe hinauf. Schreie drangen an sein Ohr. Eine dichte schwarze Rauchfahne stieg achtern auf.

»Verdammt, das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Holbroke, der ebenfalls die Treppe heraufgeklettert war. Fassungslos stand er neben Taylor und starrte auf die dichte Rauchfahne.

Markusplatz, Venedig

Die Sonne stand hoch über dem Campanile und strahlte mit aller Kraft auf den Dogenpalast und die Markuskirche herab. Die ganze Schönheit des weißen Kuppelbaus offenbarte sich den zahlreichen Besuchern des Markusplatzes, und sogar Brian blieb kurz stehen, um das geschichtsträchtige Bauwerk zu würdigen. Hier traf sein Blick auf einen Querschnitt durch die Baustile vergangener Jahrhunderte. In Harmonie verschmolzen romanische, byzantinische und gotische Stilelemente zu einem atemberaubenden Ganzen. Die Goldene Basilika, wie die Kirche auch genannt wurde, wirkte derart imposant, dass sich Brian trotz der Menschenmassen um ihn herum fast ein wenig wie ein Eindringling vorkam.

»Wohin müssen wir jetzt?«, fragte Gina, die für die hohen Temperaturen – 32 Grad Celsius hatte das Thermometer auf der Piazzale Roma angezeigt – unpassend gekleidet war und einen schwarzen Koffer auf Rollen hinter sich herzog. Leon zuckte mit der Schulter. Brian wies auf eine kleine Gasse hinter der Nordseite der Markuskirche. Er schulterte seine Reisetasche und setzte den Weg fort. Die unzähligen Tauben vor ihnen flatterten auf, als sie den Markusplatz überquerten. Als sie vor dem Hotel Orion ankamen, das sich in der San Marco Spadaria direkt am Campo San Zulian befand, atmete Gina erleichtert auf. Zwar war der einfache Bau nicht ganz nach ihrem Geschmack, aber ihr stand im Moment nur der Sinn danach, sich ihrer Jeans und ihres Pullis entledigen zu können.

Leon schmunzelte, nachdem er den Blick über den Campo San Zulian hatte schweifen lassen, einen engen Platz, umrahmt von Häusern und am östlichen Ende von der weißen Fassade der Chiesa San Zulian. »Typisch Porky. Nur damit wir unsere Aufgabe nicht aus den Augen verlieren und bloß keinen Cent zu viel ausgeben.«

»Ich brauch jetzt erst einmal Ruhe und Wasser, kaltes Wasser«, stöhnte Gina.

»Und ich habe Hunger«, sagte Brian. »Ich schlage vor, wir treffen uns in zwei Stunden im Foyer und besprechen, wie wir vorgehen.«

»Schauen wir doch gleich mal nach«, schlug Leon vor, als er ein paar Touristen in der Kirche verschwinden sah. »Ich habe alles dabei, was wir brauchen. Vielleicht haben sich unsere Ermittlungen dann schon erübrigt.«

»Nein, wir wollen Gina erst ihre kalte Dusche gönnen«, entschied Brian. »Wir treffen uns um fünf im Foyer.«

»Gut, du bist der Boss«, meinte Leon, schnappte sich seinen Koffer und verschwand durch die Glastür in das Gebäude. Brian hielt Gina die Tür auf und half ihr mit dem Koffer. Im Inneren des Hotels war es angenehm kühl. Überhaupt entsprachen das Interieur und die Ausstattung des Hauses keineswegs dem ersten Eindruck, den man von dem Gebäude gewinnen konnte, wenn man davorstand.

»Gott sei Dank«, murmelte Gina, als sie auf die Rezeption zugingen. »Ich dachte schon, das ist irgend so ein Stundenhotel.«

»Hauptsache billig, das sähe Porky ähnlich.« Leon setzte endlich seine übergroße und unpassende Schildmütze ab, ohne die er nie das Haus verließ. Seine tiefschwarzen und mit reichlich Gel behandelten Haare lagen wie ein Helm um seinen Kopf. Das übergroße Pentagramm, das er sich auf den Oberarm hatte tätowieren lassen, und die Piercings in beiden Ohren und Nase ließen ihn wie einen Zuhälter aus Little Italy erscheinen.

»Wenn wir nachher der Kirche einen Besuch abstatten, schlage ich vor, dass du dir etwas Langärmeliges anziehst«, sagte Brian. »Außerdem ist dein Gesichtsschmuck auch nicht gerade förderlich, um mit Pater Francesco ins Gespräch zu kommen. Ich denke, es ist besser, wenn du dich erst einmal im Hintergrund hältst.«

»Ich wusste gar nicht, dass du so spießig sein kannst«, konterte Leon angesäuert.

»Das hat nichts mit spießig zu tun. Ich will nur verhindern, dass wir gleich einen schlechten Eindruck hinterlassen. Wir sind nun einmal in Europa und noch dazu in einer Stadt, die auf über tausend Jahre katholischer Tradition zurückblickt. Hier sind die Menschen anders als in New York.«

»Okay, okay. Ich bleibe im Hintergrund und kümmere mich um die Analyse. Um die kalte Wissenschaft sozusagen. Für die Showeinlagen seid ihr zuständig. Ich spreche sowieso kein Italienisch.«

Die dritte Ebene

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