Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 27

Plaza Hotel, Midtown, New York, USA

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Professor Wayne Chang fühlte sich unwohl in seinem schwarzen Anzug. Er stand vor dem Spiegel und nestelte an seiner Krawatte, die für sein Gefühl mal wieder zu eng saß. Offizielle Anlässe waren ihm ein Graus, und er mied öffentliche Auftritte normalerweise wie die Pest. Doch diesem Symposium, veranstaltet von der World Meteorological Organization, durfte er keineswegs fernbleiben. Führende Wissenschaftler aus aller Welt diskutierten über die Frage, ob die Erde in eine Klimakatastrophe schlitterte und welche Maßnahmen umgehend umgesetzt werden müssten, um die globale Erderwärmung zu stoppen.

Beinahe zweihundert Menschen bevölkerten den gediegenen Tagungsraum im dritten Stock des Plaza Hotels am Central Park South.

»… seit Jahrzehnten schon durch die Strömungsverhältnisse der Höhenwinde und den Corioliseffekt Feinstaub auf den Polkappen ab, der durch den Industrieausstoß und den Straßenverkehr entsteht«, erklärte der bekannte Klimatologe Professor Behring vom Kieler Institut für Umwelt und Meeresforschung in seinem Referat. »Die negative Beeinflussung des Reflektionsverhaltens der Eisoberfläche ist nicht von der Hand zu weisen – dadurch werden die oberen Schichten für die Energie des Sonnenlichts angreifbar. Dies führt unweigerlich zu einer Erwärmung in den oberen Gletscher- und Eisschichten und schließlich zu einem unumkehrbaren Abschmelzeffekt.«

»Ihre Ergebnisse sind beeindruckend, Professor Behring«, meldete sich ein Wissenschaftler aus der australischen Gruppe zu Wort. »Sie haben bislang aber nur Indizien, keine Beweise.«

»Natürlich gibt es für meine Theorie noch keine Langzeitstudien, jedoch weist die Analyse der bisherigen statistischen Daten eine klare Tendenz auf«, hielt Behring dagegen.

»Die Erwärmung der Atmosphäre um beinahe 0,5 Grad in den letzten Jahren ist ein klarer Beweis für den Treibhauseffekt«, rief ein weiterer Teilnehmer des Symposiums Professor Behring zu. »Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts in München ist eine Erwärmung um elf Grad Celsius in den nächsten fünfzig Jahren möglich. Wärmere Durchschnittswerte wirken sich naturgemäß auf alle Strömungsverhältnisse unseres Planeten aus. Sei es in der Luft oder im Wasser. Auch das Wasser am Nordpol erwärmt sich dadurch stetig.«

»Feinstaubniederschlag ist eine weitere Ursache für einen beschleunigten Schmelzprozess«, fuhr Behring in seinen Ausführungen fort. »Es gab Zeiten, in denen weit mehr Rußpartikel und weitaus mehr Kohlendioxyd die Atmosphäre belasteten. Aber zusätzlich zum mittlerweile unumstrittenen globalen Erwärmungsprozess beschleunigt der Feinstaubniederschlag das Abschmelzen der Polkappen. Im Endeffekt bedeutet das, dass die Klimakatastrophe ein paar Jahre früher über uns hereinbrechen wird.«

»Erinnern Sie sich, Professor, eben in jener Zeit, als es weit höhere Konzentrationen an Kohlenstoff und Schwebteilchen in der Atmosphäre gab, ist, soviel ich weiß, das Leben im Wasser entstanden«, warf der Australier ein.

Professor Behring ging nicht auf den Einwand ein, stattdessen klaubte er seine Notizblätter auf dem Rednerpult zusammen. Mit einer Verbeugung verließ er die Bühne. Wayne Chang hatte eine lebhafte Diskussion erwartet, doch Professor Behring schien offenbar keine Lust darauf zu haben.

Wayne hatte eine eigene Meinung zu diesem Thema. Für ihn gab es zahlreiche Faktoren, die das Wetter und die Umwelt negativ beeinflussten und zu einer globalen Erderwärmung führten. Unglücklicherweise kam ausgerechnet in dieser Epoche der Menschheitsgeschichte alles zusammen: Feinstaub, Kohlendioxyd, FCKW, das Ozonloch, die Abholzung der Regenwälder und damit die negative Beeinflussung des Luftaustauschs, dazu die Erwärmung der Ozeane durch Einleitungen von Warmwasser aus den Kraftwerken.

Nur ein gemeinsames Streben aller Staaten der Weltgemeinschaft konnte der Klimakatastrophe Einhalt gebieten. Aber davon waren die führenden Nationen weit entfernt. Schließlich führten wirtschaftliche Einschnitte zum Verlust von harten Devisen. Die Globalisierung schaffte einen weltweit hart umkämpften Markt. Es war eine Spirale, aus der es scheinbar kein Entkommen gab. Zumindest war noch niemand in Sicht, der den ersten Schritt in die richtige Richtung machte, um damit dem Raubbau an der Natur ein Ende zu setzen.

»Im Grunde genommen ist es egal, ob irgendwo in Brasilien tausend Hektar Urwald gerodet oder in den USA auf den überfüllten Highways aus Tausenden von Auspuffen Schadstoffe in die Luft geblasen werden«, murmelte Waynes Nachbar, ein kanadischer Meteorologe. »Niemand in der Welt lässt seinen Wagen stehen und geht den Rest des Lebens zu Fuß, nur weil sich ein Holzfäller im Regenwald bereit erklärt, ab morgen einen großen Bogen um die Bäume zu machen.«

»Irgendjemand muss aber anfangen«, erwiderte Wayne.

»Tun Sie es?«, fragte der Kanadier.

Wayne schüttelte den Kopf. »Wenn die Menschen endlich kapieren, dass sie ein Teil eines äußerst komplexen wie auch sensiblen Ökosystems sind, das nur funktionieren kann, wenn man behutsam damit umgeht, kann es längst schon zu spät sein. Sie haben sicherlich von den Hurrikans vor unserer Küste gehört?«

Der Kanadier nickte. »Eine Laune der Natur«, entgegnete er. »Ausreißer gibt es immer mal wieder. Anomalien eben, die Natur hält sich nicht an Regeln.«

»Vielleicht aber ist die Zunahme der Stürme an Häufigkeit und Ausmaß schon das erste Signal für einen bevorstehenden Klimawandel«, sagte Wayne. »Für mich driftet die Menschheit unausweichlich in eine apokalyptische Zukunft, wenn sich nicht bald etwas ändert.«

Der Kanadier erhob sich. »Wenn Sie darauf warten, dann sind Sie ein hoffnungsloser Idealist. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe einen Bärenhunger.«

Wayne schaute sich um, bereits die Hälfte der Zuhörerschaft hatte den Saal verlassen. Schließlich erhob er sich ebenfalls.

»Hallo, Professor Chang«, erklang eine angenehme weibliche Stimme in seinem Rücken.

Wayne wandte sich um und musterte die schlanke, dunkelhaarige Frau, die hinter ihm stand und ihn anlächelte. Ihre dunkelbraunen Augen leuchteten.

»Kennen wir uns?«, antwortete Wayne Chang und rückte seine Brille gerade.

»Jennifer Oldham vom South Coast Magazin«, erwiderte die junge Frau und streckte Chang die Hand entgegen. »Ich habe vor drei Jahren einen Bericht über eines Ihrer Forschungsprojekte veröffentlicht. Die Auswirkungen erhöhter Wärmeeinstrahlung in den oberen Schichten der Atmosphäre … «

»… und der daraus resultierende Einfluss auf die äquatorialen Höhenwinde und den Jetstream«, vollendete Chang den Satz. »Ja, ich erinnere mich.«

Die übrigen Zuhörer hatten sich mittlerweile ebenfalls erhoben und strebten auf die vier Ausgänge zu, die in einen großen Saal führten, in dem das kalte Büfett angerichtet worden war.

»Was halten Sie von dem Vortrag von Professor Behring?«, fragte die Journalistin. »Liegt er richtig mit seiner These?«

»Wollen wir gemeinsam etwas trinken?«

Die Journalistin nickte. »Sehr gern.«

Gemeinsam gingen sie in den Saal nebenan, wo sich Grüppchen gebildet hatten und eifrig Smalltalk gehalten wurde. Chang trat an das Fenster und warf einen Blick auf den benachbarten Central Park.

»Wissen Sie, ich will Ihnen in einem für mich passenden Bild antworten«, holte Wayne Chang aus. »Stellen Sie sich eine Waage vor, die sich im absoluten Gleichgewicht befindet. In beiden Schalen auf den jeweiligen Seiten befinden sich unzählige Salzkörner. Niemand weiß, wie viele es sind, das Gewicht jedoch ist so bemessen, dass wir annehmen müssen, es ist beiderseits dieselbe Menge. Mit jedem neuerlichen Anschlag auf unsere Natur, einem defekten Staubfilter in einem Abluftkamin, Motoren, die ihre Abgase ungehindert in die Luft blasen, oder einem gefällten Baum im Regenwald, wandert eine kleine Menge Salzkörner von der einen Schale in die andere. Durch den Feinstaub werden ebenfalls Salzkörner umgeschichtet. Noch immer wissen wir nicht, welche Menge an Salzkörnern von der einen Seite auf die andere wandern muss, dass unsere Waage aus dem Lot gerät. Aber eines wissen wir genau, eines Tages wird das Gleichgewicht unwiderruflich aufgehoben sein, und ich hoffe, dass ich diesen Tag nicht erleben muss. Wissen Sie, was ich meine?«

Die Journalistin nickte. »Unser Schicksal steht also in den Sternen?«

Chang lächelte. »So poetisch würde ich das nicht ausdrücken. Denn da gibt es einen feinen Unterschied: Wenn wir so weiterwirtschaften wie bisher, dann ist unser Ende vorherbestimmt.«

»Was wurde eigentlich aus Ihrem Forschungsprojekt?«

Chang nahm zwei Drinks von dem Tablett eines vorbeieilenden Kellners. Er reichte der jungen Frau ein Glas.

»Leider führten wir das Projekt nie zu Ende«, sagte er. »Es ist immer eine Sache des Geldes.«

»Gab es keinen Sponsor für das Projekt?«

Chang musste herzhaft lachen. »Wen hätten wir fragen sollen? Die Autoindustrie, die Möbelhersteller oder die Betreiber von Kraftwerken?«

»Wie wäre es mit der Regierung oder mit den Vereinten Nationen«, sagte Jennifer Oldham. »Gibt es kein Budget dafür?«

»O doch, sicherlich, das gibt es. Es gibt eine Stelle beim Umweltministerium, die sich um solche Dinge kümmert. Sie müssen nur eine Eingabe machen und Ihr Forschungsgebiet und das Ziel Ihrer Bemühungen darlegen, dann entscheiden die Beamten über den Sinn und Nutzen Ihres Projekts. Wenn Sie Glück haben, wird Ihnen ein Budget zugeteilt.«

»Und wo ist der Haken?«

»Bei knapp 3000 Anträgen pro Jahr ist Ihre Chance nur wenig größer als bei einer Lotterie.«

Mittlerweile wurde es Abend über dem Central Park. Jennifer Oldham und Wayne Chang nippten an ihren Gläsern und schauten hinaus auf die grüne Lunge der Stadt. Der offizielle Teil der Veranstaltung war für den heutigen Tag beendet.

»Wohnen Sie ebenfalls hier im Plaza?«, fragte Chang, nachdem er das zweite Glas Sekt geleert hatte.

Jennifer schüttelte den Kopf. »Das wäre schön, aber mein Blatt ist recht knauserig, was die Spesen anbelangt. Ich habe ein Zimmer im Larchmont in Greenwich Village.«

»In Greenwich Village«, antwortete Chang. »Da fällt mir ein, dass ich allmählich Hunger bekomme. Haben Sie schon etwas gegessen?«

»Nicht viel, bis auf ein paar Häppchen.«

»Worauf hätten Sie Lust? Hamburger, Chinesisch, Französisch oder vielleicht etwas exotischer, Thai oder Indisch?«

Wenn Jennifer lächelte, funkelten ihre Augen wie ein vom Mond beschienener dunkler Teich. »Ich esse gern Italienisch.«

»Gut, dann lade ich Sie ein. Es gibt ausgezeichnete italienische Restaurants in Greenwich Village. Wie wäre es mit Il Mulino oder Da Babbo, falls dort noch ein Platz frei ist?«

»Ich habe mir sagen lassen, dass es in Manhattan ein italienisches Familienrestaurant geben soll, in dem der Chef je nach Lust und Laune seine Gäste bekocht.«

»Sie meinen das Po in der Cornelia Street. Aber Vorsicht, wenn der Chef schlechte Laune hat, dann sind die Gerichte meist arrabiata.«

»Ach was, ein Italiener und schlechte Laune, das gibt es doch gar nicht.«

»Und woher wollen Sie das wissen?«

»Mein Vater stammte aus Italien«, sagte Jennifer Oldham.

»Oldham klingt aber nicht gerade italienisch.«

»Das liegt daran, dass ich den Namen meiner Mutter trage.«

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