Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 32

7 West Side, New York, USA

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Wayne und Jennifer hatten am Abend im Po gespeist und anschließend einen Club in der Leroy Street besucht. Spät am Abend hatten sie im Larchmont an der Hotelbar noch einen Drink zu sich genommen. Der Alkohol und ihr verständnisvoller Gesprächspartner hatten Jennifer redselig werden lassen. Sie erzählte, dass sie früher bei der Washington Post gearbeitet, aber nach der Trennung von ihrem langjährigen Freund ein neues Betätigungsfeld weit weg von der Hauptstadt gesucht habe. So sei sie schließlich beim South Coast Magazine in Beaumont gelandet. Einem Magazin, das sich in den letzten Jahren zu einem viel beachteten und weit verbreiteten Blatt an der Südküste entwickelt hatte. Auch wenn das Magazin nicht mit der Washington Post vergleichbar sei, die Arbeit mache ihr Spaß und erfülle sie. Wayne Chang lauschte Jennifers Erzählungen und vermittelte ihr den Eindruck, dass er sich tatsächlich für ihr Leben interessierte. In der lockeren Stimmung der beginnenden Nacht und nach ein paar weiteren Drinks kamen sich die beiden näher. In dieser Nacht kehrte Wayne nicht mehr in das Plaza Hotel zurück. Das Bett in seinem Zimmer blieb unbenutzt. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen fuhren sie gemeinsam mit dem Taxi ins Plaza, wo am Morgen die letzten Referate gehalten wurden und die Veranstaltung mit einem gemeinsamen Mittagessen endete. Eine Stunde später saßen Jennifer Oldham und Wayne Chang zusammen in einem Café im Schatten der Metropolitan Opera und tranken Cappuccino.

Jennifer plauderte von ihrer Kindheit und von ihren drei Brüdern, mit denen sie sich ständig gezankt hatte. Wayne lachte herzhaft, als sie von ihren Streichen berichtete.

»Jetzt habe ich dir beinahe mein ganzes Leben erzählt, würde aber auch gern etwas von dir erfahren«, sagte sie und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortete Wayne.

Jennifer strich sich eine Locke aus dem Gesicht und stützte das Kinn auf die Hand. Sie lächelte entwaffnend, und ihre dunklen Augen glänzten. »Das glaube ich nicht, jeder hat eine Geschichte – und eine Kindheit. Was war dein Traum, damals, als du klein warst?«

Wayne winkte ab. »Meine Kindheit verlief nicht so lebensfroh und lustig wie deine. Ich war ein Einzelkind, und meine Eltern waren sehr beschäftigt und oft auf Reisen. Mein Vater war Professor für Astrophysik und hielt Vorlesungen an allen möglichen Universitäten auf der Welt, und meine Mutter war Historikerin. Ich wuchs unter der Fuchtel eines altmodischen Kindermädchens auf, und später wurde ich in ein Internat gesteckt. Es gab ständig Probleme, für meine Lehrer und Betreuer war ich ein Enfant terrible. Schließlich stellte man in Tests fest, dass ich hochbegabt bin, und daher rührte wohl meine Neigung, den Unterricht zu stören.«

»Aber ist das nicht fantastisch, wenn man feststellt, dass man den anderen haushoch überlegen ist, dass man sich aus der grauen Masse hervorhebt und mit seinem Gehirn Höchstleistungen vollbringen kann?«

Wayne schüttelte den Kopf. »Alle Dinge haben zwei Seiten. Wenn man in der Welt des Durchschnitts lebt, dann bleiben Schwierigkeiten nicht aus. Ich erinnere mich noch an die neidvollen Blicke meiner Mitschüler angesichts meiner Zensuren. Plötzlich wird man in eine Ecke gestellt und ist ein Außenseiter. Mein Spitzname war übrigens Zulu, so wie der Steuermann aus Startrek, wobei meine Mitschüler ihn nicht gerade schmeichlerisch gebrauchten. Als Erwachsener lernt man, damit umzugehen, aber als Kind ist man dem Spott schutzlos ausgeliefert. Erst nachdem mich meine Eltern auf eine Schule für Hochbegabte schickten und ich mit Gleichgesinnten zusammen war, wurde es besser. Doch das bedeutete nur wieder ein neues Internat, noch weiter entfernt von meinem Elternhaus. Du siehst also, eine normale Kindheit gab es für mich nicht. Ich kann dir von Forschungsprojekten berichten, von Arbeitsergebnissen und ersten Preisen, aber Streiche mit Geschwistern oder Freunden kann ich leider nicht zum Besten geben. Wenn ich heute zurückblicke, dann fühle ich mich ein wenig um meine Kindheit betrogen.«

Das Lächeln war aus Jennifers Gesicht gewichen. »Das tut mir leid«, sagte sie mit belegter Stimme.

»Muss es dir nicht, das ist alles Vergangenheit«, antwortete Wayne. »Dafür habe ich heute einen sehr gut bezahlten Job, und meine Arbeit macht mir Spaß.«

»Wenn ich recht überlege, kenne ich kaum jemand anderen, der so viele Titel und Diplome erworben hat wie du. Professor für Geodäsie, Doktor der Meteorologie und der Geophysik.«

»Und die Kartografie nicht zu vergessen«, warf Wayne schmunzelnd ein.

»Und trotzdem scheinst du ein normaler Mensch geblieben zu sein«, sagte Jennifer. »Früher stellte ich mir einen Professor als alten, grauhaarigen Herrn mit dicken Brillengläsern vor. Etwas weltfremd und bisweilen ein wenig verwirrt. Auf dich trifft dieses Klischee überhaupt nicht zu.«

»Oh, ich trage Kontaktlinsen«, scherzte Wayne.

Der Ober kam an den Tisch, und Wayne bestellte zwei Martini.

»Das mit den Hurrikans so früh im Jahr ist schon außergewöhnlich, oder?«, sagte Jennifer unvermittelt.

Wayne nickte. »Es ist eigentlich unerklärlich. Aber da in unserem Kosmos alles den Gesetzen der Natur folgt, bin ich sicher, dass die Jungs vom Hurricane Center eine Erklärung dafür finden werden.«

»Und was für eine Erklärung kann das sein?«

»Wir müssen uns langsam von dem Gedanken verabschieden, dass alles so bleibt, wie es ist. Die Welt ist im Fluss. Nichts ist statisch, auch das Klima nicht. Nehmen wir nur mal die durchschnittliche Temperatur von zirka zehn Grad Celsius. Erst seit knapp zehntausend Jahren ist sie stabil. Vorher gab es weit größere Schwankungen, und meistens war es deutlich kälter auf unserem Planeten.«

»Zehntausend Jahre ist eine lange Zeit«, warf Jennifer ein.

»Gemessen an dem Alter unseres Universums nicht viel mehr als eine Sekunde.«

»Das heißt, dass sich unser Klima auf alle Fälle ändern wird?«

»Nicht unbedingt«, erwiderte Wayne. »Niemand kann vorhersehen, wie es in zehntausend Jahren auf unserem Planeten aussehen wird. Doch zurzeit tun unsere Gesellschaft und die Industrie alles dafür, dass ein ohnehin instabiles Klima noch unbeständiger wird, indem wir Treibhausgase und Kohlendioxyd in großen Mengen in unsere Atmosphäre blasen. Irgendwann werden wir die Rechnung dafür bezahlen müssen.«

Jennifer richtete sich auf. »Also sind diese Hurrikans schon die ersten Vorboten der Veränderung?«

»Das habe ich damit nicht gesagt«, entgegnete Wayne. »In jedem Jahrhundert gibt es irgendwelche Phänomene, die ungewöhnlich sind. Denk nur an die sogenannten Jahrhundertsommer, die Dürreperioden oder die extremen Regenfluten, die wir bereits erlebt haben. Vielleicht sind die Stürme, die wir derzeit erleben, ein weiteres natürliches Phänomen. Um eine fundierte Aussage treffen zu können, braucht man nähere Untersuchungen.«

Der Ober kam an den Tisch und servierte zwei Martini Rosso auf Eis mit Zitrone. Wayne nahm einen Schluck.

»Vor fünfzig Jahren steckte die Forschung in Sachen Tornados und Hurrikans noch in den Kinderschuhen, erst in den letzten zwanzig Jahren haben wir deutliche Fortschritte gemacht …«

»Ich frage mich, warum wir trotz aller Technik noch immer hilflos diesen Wirbelstürmen ausgeliefert sind. Jedes Jahr verwüsten sie unsere Küsten, fordern Menschenleben und richten Milliardenschäden an«, fiel Jennifer ihm ins Wort.

»Oh, es gab durchaus eine Zeit, wo man glaubte, die Hurrikans bekämpfen zu können«, erklärte Wayne. »Man flog mit Flugzeugen in die Wolkendecke und warf Silberjodid ab, aber die Wirkung war eher entmutigend. Mittlerweile weiß man, dass die tropischen Stürme für das Leben auf der Erde unentbehrlich sind. Im Grunde genommen gehören sie zu unserer gigantischen globalen Klimaanlage. Ohne sie würde keine warme Luft zu den Polen transportiert werden. Wir brauchen diese Stürme im Grunde genommen ebenso wie einen gewissen Treibhauseffekt, sonst lägen unsere durchschnittlichen Temperaturen unter minus zehn Grad Celsius.«

»Das heißt also, wir müssen weiterhin mit den Hurrikans leben.« Jennifer seufzte und leerte ihr Glas.

»Ich denke, wenn wir unser Frühwarnsystem immer weiter verdichten, dann sind wir bald in der Lage, die Bewegungen der Stürme auf den Punkt genau vorherzusagen. Bei den Tornados ist das ein erheblich größeres Problem. Mittlerweile sterben mehr Menschen an den Folgen eines Tornados als an denen eines Hurrikans, und das obwohl das Ausmaß eines Hurrikans um ein Vielfaches größer ist.«

»Und warum unternimmt man nichts gegen die Tornados?«

Wayne wies hinauf zum Himmel. Eine kleine weiße Wolke zog dort ihre Bahn über dem ansonsten strahlend blauen Himmel.

»Irgendwann trifft diese Wolke auf weitere Artgenossen und vereinigt sich«, erklärte Wayne. »In der Mitte dieser Wolkenfront wird ein kräftiger Aufwind aus feuchter Warmluft frei. Von außen strömen weitere Luftmassen in die Gewitterwolke oder den Cumulonimbus, wie wir Meteorologen sagen. Immer höher hebt sich die Wolke, und schließlich prallt die aufsteigende Luft mit der Tropopause zusammen. Der Aufwind im Inneren der Wolke dringt weit in die Tropopause, die Grenzschicht der Erdatmosphäre, ein. Die warme Luft beendet rasch die Konvektion, also die vertikale Luftbewegung, und die Gewitterwolke flacht zu einem breiten Schirm an der oberen Wettergrenze ab. Im oberen Bereich haben wir Eiskristalle, darunter Regentropfen, die für die Aufwinde schließlich zu schwer werden und als Regen zur Erde fallen. Das alles ist nicht weiter schlimm und gehört zur ganz normalen Klimaroutine unserer Natur. Luftaustausch, Abkühlung, Wassertransport – all das sind lebenswichtige Dinge für uns Menschen und die Flora und Fauna.

Nun kann es aber vorkommen, dass sich mehrere Gewitterwolken zu einer Gewitterfront zusammenschließen. Es entsteht eine Superzelle, aus der leicht ein Tornado erwachsen kann. Aber in achtzig Prozent aller Fälle löst sich das Gewitter nach einer gewissen Zeit auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass daraus ein Tornado entsteht, ist also eher gering. Wenn aber doch, dann geht alles rasend schnell. Wir können aber nicht bei jedem größeren Gewitter eine Tornadowarnung herausgeben. Das würde jedes Mal eine Hysterie in der Bevölkerung auslösen. Vor drei Jahren arbeitete ich bei einem Projekt mit, das sich Tornado Watch nannte. Es ging dabei um erd- und satellitengestützte Überwachung von Sturmfronten entlang der neuralgischen Entstehungszonen im Mittleren Westen. Doch leider überschritten wir recht bald das zur Verfügung stehende Budget, und das Projekt wurde auf Eis gelegt, obwohl wir erst knapp die Hälfte der geplanten Messstationen errichtet hatten. Manchmal gibt es eben auch andere als die natürlichen Grenzen.«

Gerade als Jennifer antworten wollte, klingelte ihr Handy in der Handtasche. Ihre Antworten waren knapp, doch ihr Gesichtsausdruck verriet ihre Besorgnis. Als sie das Gespräch beendete, schaute Wayne ihr fragend ins Gesicht.

»Ist etwas passiert?«, fragte er.

Jennifer nickte. »Das war meine Redaktion«, erwiderte sie. »Unterhalb von Barbados braut sich ein gewaltiger Wirbelsturm zusammen. Vor der mexikanischen Küste ebenfalls. Sie vermissen ein Flugzeug des Wetterdienstes aus Corpus Christi. Ich soll runterfliegen, um einen Bericht darüber zu schreiben. Mein Flug geht bereits in einer Stunde.«

»Ein Wetterflugzeug aus Corpus Christi«, murmelte Wayne nachdenklich. »Das muss eine Maschine der NOAA gewesen sein. Weiß man schon Genaueres?«

Jennifer schüttelte den Kopf. »Wegen des Sturms können die Schiffe nicht auslaufen. Zwei Flugzeuge der Küstenwache sind auf dem Weg.«

»Sehen wir uns wieder?«, fragte Wayne und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Zwischen Beaumont und Washington liegen zwar Welten«, sagte Jennifer, »aber ich würde dich gern wiedersehen.«

»Ich dich auch. Lass mich dich zum Flughafen bringen«, erwiderte Wayne. »Und du kannst dir sicher sein, dass ich mich bei dir melde.«

»Was wirst du jetzt tun?«

»Ich fliege sofort zurück nach Camp Springs, um mich über die Lage zu informieren.«

Gemeinsam verließen sie das kleine Café an der West Side und fuhren mit einem Taxi zum Flughafen.

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