Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 29
Südlich der Kaimaninseln, Karibik
ОглавлениеDer dichte Wolkenschirm südlich der Kaimaninseln hatte gigantische Ausmaße erreicht. Seit zwei Stunden beobachteten die Meteorologen des National Hurricane Center in Miami das Wolkengebilde auf ihren Monitoren, und ihre Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Alle Anzeichen sprachen dafür, dass sich erneut ein gewaltiger Wirbelsturm im Karibischen Meer entwickelte, der sich langsam in Richtung Nordosten bewegte. Die Wandergeschwindigkeit lag knapp über 25 Kilometer in der Stunde. Noch war die Richtung, die der Sturm nehmen würde, nicht eindeutig festzustellen. Nachdem der Wolkenschirm geortet worden war, hatte der leitende Meteorologe ein Flugzeug der NOAA, des amerikanischen Wetterdienstes, angefordert, um vor Ort nähere Untersuchungen durchzuführen. Die Fairchild 328 war kurz darauf in Corpus Christi gestartet und hatte mit Maximalgeschwindigkeit Kurs auf den Sturm genommen. Für Ronald C. Coldmann, den Piloten der Maschine, und seinen Copiloten Trevor Walters war es nur ein weiterer Routineeinsatz. Schon über vierzigmal waren sie gemeinsam in die dichten Wolken eines Hurrikans geflogen, hatten das stille Auge des Wolkenwirbels erreicht und durchstoßen und dabei allerlei wichtige Daten über die Wander- und Rotationsgeschwindigkeit, über die mögliche Richtung und über die zu erwartende Zerstörungskraft gesammelt, um sie dann an das National Hurricane Center zu übermitteln.
»Wir gehen auf 28 000 Fuß und schauen uns das Ganze erst einmal von oben an«, sagte Coldmann, als er in der Ferne die aufgetürmten Wolken entdeckte.
Das Wetterflugzeug war mit aufwendiger Technik zur Beobachtung und Analyse der Wolkengebilde ausgestattet – Wind- und Strömungsmessern, Druck- und Feuchtigkeitsmessgeräten, einem Infrarotkamerasystem und einem aufwendigen Dopplerradar, um in das Innere der Wolkenmassen einzudringen. Außerdem befanden sich zwei erfahrene Meteorologen der NOAA an Bord, die ebenfalls schon mehrere Hurrikan-Einsätze hinter sich hatten. Bereits aus der Ferne bestätigte sich das angenommene Ausmaß des Zyklons. Fast über 500 Kilometer erstreckte sich das Gebilde aus Luft und Wasserdampf. Ein gigantisches Ausmaß.
»Entfernung?«, fragte Walters den Piloten.
»Noch dreißig Kilometer«, antwortete Coldmann und zog das Steuer auf sich zu, um die Nase der Maschine aufzurichten. Im Steigflug legten sie den Rest der Strecke zurück, bis der Höhenmesser sich bei 28 000 Fuß einpegelte. Der künstliche Horizont zeigte, dass sich die Maschine wieder ausrichtete und auf den Luftschichten schwebte. Die Fairchild war ein gutmütiges Flugzeug, ein Hochdecker mit zwei kräftigen Triebwerken, die einen Maximalschub von fast 1650 Kilowatt entwickelten und Geschwindigkeiten im unteren Jet-Level ermöglichten. Ronald C. Coldmann hatte schon unzählige Flugstunden mit dieser Maschine hinter sich gebracht, seit sie fünf Jahre zuvor in Dienst gestellt worden war.
»Ich kann das gar nicht glauben«, sagte Coldmann und warf einen Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige. »So früh im Jahr bin ich noch nie einen Hurrikaneinsatz geflogen.«
»Es ist in diesem Frühjahr ungewöhnlich warm«, sagte Walters. »Die Meerestemperatur liegt in dieser Region weit über der Norm. Der letzte Bericht sprach von 26,4 Grad Celsius. Die Portland kreuzt vor Mexiko und führt dort Messungen der Meeresströmungen durch. Einige meinen, dass El Nino zurückgekehrt ist. Es liegt wohl doch an der zunehmenden Konzentration von Kohlendioxyd in der Atmosphäre. Der Treibhauseffekt nimmt stetig zu. Ich dachte aber nicht, dass es so schnell gehen wird …«
»Wir fliegen jetzt rein, gleich wird es etwas holperig«, unterbrach Coldmann den Vortrag seines Copiloten.
Walters richtete den Blick nach draußen. Die ersten Wolkenschleier umhüllten das Cockpit. Immer dichter wurde der obere Wolkenschild, und bald schon konnte sich der Pilot nur noch auf seine Instrumente verlassen. Während die Fairchild auf knapp 28 000 Fuß ihre gerade Bahn mitten hinein in den Nebel aus feuchter, warmer Luft und Wasserdampf verfolgte, waren die Messgeräte an Bord unermüdlich im Einsatz, maßen Windgeschwindigkeiten, Luftdruck, die relative Feuchte und die Dichte der Wolke. Die Luftdruckwerte fielen zusehends weiter ab. Zweifellos entwickelte sich diese tropische Depression mit rasender Geschwindigkeit zu einem gigantischen Wirbelsturm. Mittlerweile hatte er fast das doppelte Ausmaß von Amy und Bert, den beiden vorangegangenen Stürmen, erreicht. Cäsar hatten die Meteorologen des National Hurricane Center den neuen Wolkenwirbel getauft, und er war das größte Wolkengebilde, das Ronald Coldmann jemals durchflogen hatte. Wenn dieser Sturm die amerikanische Küste erreichen würde, dann wären die Schäden unabsehbar.
Trevor Walters blickte aus dem Cockpitfenster. »Es ist immer wieder überwältigend«, sagte er beinahe melancholisch. »Diese ungebändigte Kraft der Natur macht mir jedes Mal aufs Neue klar, wie klein und zerbrechlich wir Menschen doch sind.«
»Jetzt werde bloß nicht philosophisch«, erwiderte Coldmann. »Bei der Vorstellung, was passiert, wenn er das Land erreicht, wird aus meiner Ehrfurcht blanke Wut.«
Ein lauter Knall beendete jäh die Unterhaltung. Das Schnarren des Warntons erfüllte die Kabine, und die hektisch blinkende rote Warnlampe am Instrumentenpult spiegelte sich auf den blassen Gesichtern der Piloten. Die Maschine erzitterte und neigte sich zur Seite.
»Verdammt, was ist passiert?«, schrie Coldmann gegen den schrillen Ton an.
Krampfhaft umklammerte er das Steuer, sodass seine Knöchel weiß hervortraten.