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10 Chiesa San Zulian, Venedig

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Eine erfrischende Kühle empfing Brian und Gina, als sie durch das große Portal in das Innere der Kirche traten. Trotz der Vielzahl der anwesenden Touristen, die in Andacht die Altäre und Fresken bewunderten, empfing sie eine ehrwürdige Stille. Brian schaute sich um. Die Kirche war im frühen 15. Jahrhundert erbaut worden und nach dem Schutzpatron San Zulian benannt. Der Hauptaltar wurde von jeweils vier kleineren Altären an den Seitenwänden flankiert, die in Form und Ausgestaltung wie kleinere Abbildungen des großen wirkten. Das Altarbild zeigte im oberen Bereich eine Marienszene. Josef, sitzend und in einen purpurfarbenen Mantel gekleidet, legte Maria die rechte Hand auf das Haupt, während diese zu seinen Füßen kniete. Im Hintergrund waren Musikanten zu sehen, die sich scheinbar teilnahmslos ihrem Spiel widmeten. Brian war die Symbolik der Geste des Handauflegens aus zahlreichen kirchlichen Szenen bekannt: Sie war gleichzeitig Segnung, Vergebung der Sünden und Anerkennung für gottesfürchtiges Handeln.

Brian schlenderte näher zum Altar, während sich Gina den Auslagen und Postkarten widmete, die neben dem Eingang aufgebaut worden waren. Dort saß auch der grauhaarige alte Mann, von dem Leon berichtet hatte, und musterte missmutig die Besucher. Brian blieb vor dem Altar stehen und schaute nach oben. Das Bildnis der Maria befand sich auf drei Metern Höhe. Zu hoch, um ohne Hilfsmittel hinaufzugelangen. Die Spur unter den Augen der Muttergottes war schwach zu erkennen. Doch ansonsten fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf.

Der Altar war aus den üblichen Bestandteilen wie Marmor, Kalkstein und Gips gefertigt. Verschiedene Materialien miteinander zu verbinden, sodass sie Jahrhunderte überdauerten, war eine Herausforderung für die Baumeister des Mittelalters gewesen. Im Laufe der Jahrhunderte waren immer wieder Ausbesserungsarbeiten notwendig, weil die Farben verblassten, Holz vermoderte oder Stuckteile aufgrund der Witterung oder der Feuchtigkeit von den Wänden rissig wurden. Auch in dieser Kirche war trotz der Kühle eine hohe Luftfeuchtigkeit zu spüren. Was konnte man in einer Stadt, die mitten ins Wasser gebaut war, anderes erwarten?, dachte Brian. Er suchte nach Nahtstellen, nach eindeutigen Hinweisen auf Restaurationen, doch mit bloßem Auge war nichts zu erkennen. Angesichts des mürrischen Aufpassers im hinteren Teil der Kirche fragte er sich, wie Leon es anstellen konnte, unbeobachtet eine Materialanalyse der Tränenspur durchzuführen.

Gedankenverloren wandte er sich um und ging zum Ausgang, wo ihn Gina erwartete. In den Händen hielt sie Hefte und Broschüren über die Kirche San Zulian. Brian warf einen kurzen Blick zurück, dann verließen sie das Gotteshaus, und die Hitze des verklingenden Tages fing sie wieder ein.

»Hast du etwas gespürt?«, fragte Brian.

Gina schüttelte den Kopf. »Nichts Außergewöhnliches. Kirchen sind oft von einer besonderen Aura umgeben, aber darüber hinaus konnte ich nichts fühlen.«

Brian schaute auf die Broschüren in ihren Händen. »Was hast du da mitgenommen?«

»Eine kleine Auswahl aus dem klerikalen Supermarkt.« Gina hielt die Hefte hoch. »Sechzehn Euro habe ich dafür berappt. Aber es ist ja für einen guten Zweck.«

»So, welchen denn?«, fragte Brian.

»Die Renovierung der Kirche.«

Als sie wieder zur Edy-Bar zurückkehrten, war Leon verschwunden. Brian schaute sich um, doch er konnte ihn nirgends entdecken. Gina bemerkte Brians suchenden Blick.

»Er wird schon wieder auftauchen«, sagte sie. »Du kennst ihn doch. Vielleicht ist ihm eingefallen, wie er an eine Materialprobe kommen könnte. Manchmal folgt er einfach einer Eingebung …«

»… und hinterher stecken wir alle wieder mal im Schlamassel«, fiel ihr Brian ins Wort.

»Er kann ja nicht weit sein.«

Die Glocken der nahen Markuskirche ertönten. Auch die anderen Kirchenglocken fielen in das abendliche Konzert ein. Brian sah auf seine Uhr. Es war genau 18 Uhr.

»Jetzt bin ich mal gespannt«, sagte Brian und ließ sich zusammen mit Gina an einem freien Tisch nieder. Sie bestellten sich einen Cappuccino. Brians Blick heftete sich an das Kirchenportal der Chiesa San Zulian. Die letzten Touristen verließen die Kirche und traten hinaus ins Sonnenlicht. Kurz darauf wurde die Tür geschlossen. Ganze zwanzig Minuten verstrichen, ehe der grauhaarige alte Mann ins Freie trat. Sorgfältig verschloss er mit einem übergroßen altertümlichen Schlüssel das Kirchenportal. Schließlich verschwand der Alte in einer Seitengasse. Brian erhob sich. Einen Augenblick lang war er versucht, dem Mann zu folgen, doch dann entdeckte er Leon, der wohl auf die gleiche Idee gekommen war und hinter dem grauhaarigen Alten in der kleinen Seitengasse verschwand.

»Vielleicht hast du recht«, sagte er, während er sich wieder setzte. »Möglichweise sollte ich Leon einfach mal von der Leine lassen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.«

Gina blickte ihn fragend an.

»Ich für meinen Teil werde morgen mit Padre Francesco reden«, erklärte Brian. »Und du schaust, wie wir an die Kinder herankommen.«

Die dritte Ebene

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