Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 40

Hotel Orion, Venedig, Italien

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Brian hatte unruhig geschlafen. Das Altarbild hatte ihn nicht mehr in Ruhe gelassen. Vor allem die blutigen Tränen der Muttergottes hatten ihn in seinen Träumen verfolgt, und er war schweißgebadet aufgewacht. Als der Wecker klingelte, dehnte und streckte er sich, bevor er sich erhob. Im Zimmer war es angenehm kühl geworden. Nach einer erfrischenden Dusche ging er hinunter in den Frühstücksraum, wo Leon bereits am Tisch saß und einen Cappuccino schlürfte.

»Na, lange genug an der Matratze gerochen?«, begrüßte er Brian. »Ich dachte schon, du wolltest gar nicht mehr aufstehen.«

Leons Anblick und die schnoddrige Begrüßung waren nicht dazu angetan, seine Laune zu verbessern. Mit einem Seufzer ließ er sich auf einem Stuhl nieder und schlug die Hände vors Gesicht.

»Gina ist schon unterwegs«, verkündete Leon. »Sie versucht, die Kinder ausfindig zu machen, indem sie die Schulen des Viertels abklappert. Ich hoffe, dass es nicht zu viele Ableger der Mancinis gibt.«

Ein Kellner näherte sich, und Brian bestellte Kaffee, Orangensaft, Brötchen und Marmelade.

»Ich denke, sie wird sie finden«, sagte Brian. »Mit ihrem Gespür schafft sie das schon.«

Leon nickte. »Übrigens, der Alte wohnt gerade mal eine Gasse von hier entfernt in der Via Merceria. Es stand nur ein einziger Name auf dem Türschild. Er heißt P. Parrotta. Wobei das P. natürlich auch für seine Frau stehen kann, falls er eine hat.«

»Ich habe gesehen, dass du ihm gefolgt bist«, sagte Brian. »Hast du schon einen Plan, wie du an eine Probe des Oberflächenmaterials und der Farben des Altarbilds kommst?«

Leon lächelte verschmitzt. »Ich habe viele Pläne. Aber es wird nicht einfach. Um neun öffnet die Kirche ihre Pforten, das heißt, der Alte wird das Portal aufschließen. Mal sehen, was passiert, wenn er pinkeln muss. Vielleicht bleibt sein Platz währenddessen wenigstens leer.«

»Ich habe mir gestern den Altar angeschaut. Er besteht im Wesentlichen aus drei Oberflächen. Aber ich habe keine Nähte oder geflickte Stellen gesehen.«

»Wir sind hier in Europa. Noch dazu in Italien«, erwiderte Leon. »Hier gibt es wahre Meister der Restaurationskunst. Ohne Lupe wirst du kaum etwas erkennen.«

Der Kellner servierte das Frühstück. Brian schnitt ein Brötchen auseinander und strich sich Marmelade auf die eine Hälfte. Leon schüttelte sich. »Wie man nur so früh was essen kann.«

»Du frühstückst nicht?«

Leon deutete auf die Tasse vor sich. »Feste Nahrung erst ab zwölf. Wann hast du das Gespräch mit dem Pfaffen?«

Brian nahm einen Schluck Kaffee. »In einer halben Stunde. Ich hoffe, der Mann ist kooperativ.«

»Wieso sollte er nicht«, meinte Leon. »Schließlich bietet sich ihm nicht jeden Tag die Gelegenheit, mit einem Reporter aus Amerika zu reden. Er wird stolz sein, dass sich unsere große Nation für sein bescheidenes Kirchlein interessiert.«

Brian leerte seine Tasse. »Na, wenn du dich da mal nicht irrst, die Europäer sind in manchen Dingen eher verschlossen.«

Leon beugte sich vor und klopfte Brian auf die Schulter. »Du machst das schon«, sagte er und hob einen großen Zeichenblock vom Boden auf.

Brian schaute ihn fragend an. »Was hast du vor?«

Leon grinste breit. »Ich bin ein hoffnungsvoller Maler von der Akademie der Künste und werde dem alten Parrotta ein paar Scheine zuschieben, damit ich seine Kirche von innen zeichnen kann. Vielleicht finde ich so eine Möglichkeit, mich ein wenig seiner Beobachtung zu entziehen. Ich denke, jeder muss einmal pinkeln.«

»Aber du sprichst doch kein Wort Italienisch.«

Leon zog ein Wörterbuch aus der Tasche. »Für den Alten wird’s schon reichen.«

Nach dem Frühstück machte sich Brian auf den Weg zum Pfarramt, das sich gleich neben der Kirche befand. Padre Francesco wusste nicht, bei welchem Magazin der Reporter arbeitete, der ihn an diesem Morgen um neun Uhr interviewen sollte. Als Porky den Termin über den Bischof der Diözese arrangiert hatte, hatte er geflissentlich verschwiegen, dass es sich um eine esoterische Zeitschrift handelte. Brian fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, womöglich einen Priester in die Irre führen zu müssen. Er war kein gläubiger Mensch im Sinne der Kirche, aber er glaubte an die Kraft des Übersinnlichen, daran, dass es eine übergeordnete Macht gab, die das Universum beherrschte. Was ihm jedoch zutiefst widerstrebte, war die Institutionalisierung des Glaubens – der Personenkult und die straffe Hierarchie der Kirche. Doch er musste sich hüten, dem Priester seine persönliche Meinung zu offenbaren.

Padre Francesco saß in einer kleinen, aber von Sonnenlicht durchfluteten Kammer hinter einem mächtigen, aus tiefschwarzem Holz gefertigten Schreibtisch, sodass er beinahe zwergenhaft wirkte. Der Pater, der eine braune Kutte trug und ihn mit freundlichem Blick musterte, mochte an die siebzig sein. Obwohl er kaum größer als eins sechzig war, strahlte er eine respektgebietende Autorität aus.

Brian verbeugte sich und begrüßte den Pater freundlich.

Der Priester lächelte und wies auf den Stuhl in der Ecke. »Ein weiter Weg führt Sie zu mir. Doch die Welt ist klein in großen Dingen.«

Brian suchte seinen italienischen Wortschatz nach einer passenden Erwiderung ab, musste jedoch kapitulieren. Dieser Art philosophischer Gesprächsführung war er ad hoc nicht gewachsen. Also lächelte er nur und nannte dann den Grund seines Besuchs.

»Der Bischof hat mir Ihr Kommen angekündigt«, erwiderte der Pater. »In dieser gottlosen Welt ist es hin und wieder erforderlich, dass Gott seine Stärke und seine allmächtige Präsenz den Menschen demonstriert. Der Glaube ist unser einziges Heil, das uns vor der ewigen Verdammnis errettet, wenn der Jüngste Tag anbricht. Ich stehe Ihnen gern zu Diensten, soweit es mir möglich ist.«

Brian musste insgeheim schmunzeln, als er an eine andere, ganz und gar irdische Macht dachte. Als Porky kurz vor dem Abflug noch einmal versichert hatte, dass alles vorbereitet sei, hatte er ihm auch zu verstehen gegeben, dass ein Anruf des Medienmoguls Harbon genügte, um ihm Tür und Tor zu öffnen.

»Ich würde gern über die Marienerscheinung mit Ihnen reden«, sagte Brian. »Offenbar waren es zwei Kinder, die …«

»Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich der Allmächtige den Unschuldigen unter uns offenbart«, unterbrach ihn Padre Francesco.

Brian wagte einen neuen Anlauf. »Den Berichten zufolge geschah das Wunder kurz nach 21 Uhr. Was mich interessiert, ist, ob die beiden Kinder zu so später Stunde allein in der Kirche waren und was die beiden dazu bewogen hat.«

»Unserer Gemeinde steht unsere Kirche jeden Tag offen«, erwiderte der Geistliche. »Aber natürlich müssen wir uns auch vor Dieben schützen, deshalb ist das Portal außerhalb der normalen Besuchszeiten abgeschlossen. Doch in jedem Gotteshaus unserer Stadt gibt es einen Kirchendiener, der unweit der Kirche wohnt und immer aufzuschließen bereit ist, falls eines unserer Schafe die Nähe des Herrn sucht. So steht es schon im Buch der Bücher – ›klopfet, so wird euch aufgetan‹.«

Brian gab sich mit der Erklärung zufrieden. »Kann ich mit den Kindern sprechen?«, fragte er weiter.

Das Lächeln wich aus dem Gesicht des Geistlichen. »Das wird nicht möglich sein. Die Kirche hat in solchen Fällen die Aufgabe, die Kinder zu beschützen. Das werden Sie verstehen.«

»Aber wenn ein Wunder geschieht, warum darf die Öffentlichkeit nicht daran teilhaben?«

»Oh, ob es ein Wunder ist, das wird sich noch herausstellen«, erwiderte Padre Francesco. »Beamte des Vatikans untersuchen den Vorfall. Die Prüfung wird eine geraume Zeit in Anspruch nehmen, schließlich geht die Kirche in diesen Fällen sehr selbstkritisch vor. Es sind Kinder, und niemand sonst war dabei. Sie können aber gern unsere Kirche besichtigen und sich vor Ort informieren. Unterhalten Sie sich doch einfach mit Paolo Parrotta, er ist unser Kirchendiener. Er war der Erste, der mit den Kindern gesprochen hat. Er hat auch Aufnahmen von den Tränen der Muttergottes gemacht, als sie noch frisch waren. Er wird Ihnen bereitwillig Auskunft darüber geben.«

Brian brachte ein dankbares Lächeln zustande. »Wurden Untersuchungen gemacht?«

»Wir halten uns in Fällen von Erscheinungen dieser Art streng an die Regeln des Vatikans«, erklärte der Pater. »Ich habe sofort den Bischof informiert, und dieser hat den zuständigen Kirchenbeamten in Rom verständigt. Sicherlich haben die Gesandten der Kongregation alle Maßnahmen getroffen, die in solchen Fällen zu treffen sind. Uns sind jetzt die Hände gebunden, bis wir Nachricht vom Heiligen Stuhl erhalten. Sie müssen leider mit der Presseerklärung vorliebnehmen, zu der sich der Bischof veranlasst sah, nachdem die Anfragen von Journalisten überhandgenommen haben.«

Padre Francesco reichte Brian ein Schriftstück. Brian überflog es kurz. Es war der Wortlaut der Pressemeldung, die Porky ihm bei seinem Besuch in seinem Haus am See gezeigt hatte.

»Weiter kann ich Ihnen nichts dazu sagen. Wir müssen uns beide in Geduld üben«, sagte der Pater und erhob sich, das Gespräch unmissverständlich beendend.

Als Brian zum Hotel am Campo San Zulian zurückging, kreisten seine Gedanken um die wenigen Antworten, die er von Padre Francesco erhalten hatte. Doch statt mehr Klarheit zu gewinnen, drängte sich bei ihm der Verdacht auf, dass der Geistliche etwas zu verbergen versuchte. Noch einmal ließ er das Gespräch Revue passieren. Doch es waren nicht allein die Worte, die Brian stutzig gemacht hatten. Auch die verhaltenen Gesten und die verkniffene Mimik des Paters ließen ihn misstrauisch werden.

Gina saß an einem Tisch in der gegenüberliegenden Bar, als Brian in Gedanken versunken auf den Hoteleingang zusteuerte. »Hast du etwas in Erfahrung bringen können?«, fragte sie.

Brian machte auf dem Absatz kehrt und trat an ihren Tisch. »Ich dachte, du bist unterwegs in den Schulen«, erwiderte er überrascht. »Hast du die Kinder nicht gefunden?«

Gina nickte. »Doch, ich habe sie sogar gesehen. Sie sind dort. Zwei süße kleine Persönchen, die aussehen, als ob sie kein Wässerchen trüben können. Aber ich kam nicht an sie ran.«

»Was heißt das?«

»In der Pause habe ich zwei Kinder nach den Geschwistern Mancini gefragt, und sie waren beide auf dem Pausenhof, allerdings in Begleitung. Zwei Männer in schwarzen Talaren waren ständig um die beiden Kinder herum. Fast wie Leibwächter.«

Brian schüttelte den Kopf. »Verdammt, das habe ich befürchtet. Padre Francesco hat nur ausweichende Antworten geliefert. Offenbar wird der Vorfall vom Vatikan untersucht, und so lange werden alle Beteiligten abgeschirmt.«

»Dann müssen wir uns eine andere Strategie zurechtlegen«, erwiderte Gina und trank einen Schluck Kaffee.

Brian schaute sich um. »Wo ist eigentlich Leon?«

Gina stellte die Tasse zurück auf den Tisch und wies mit einer Kopfbewegung in Richtung der Kirche. »Unser Kunststudent widmet sich seit Stunden seinem Studium.«

Die dritte Ebene

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