Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 16

2 National Weather Service, Camp Springs, Maryland

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Der Fernschreiber ratterte unaufhörlich und spuckte Unmengen von Papier aus, das in einem blauen Wäschekorb landete. Professor Wayne Chang, Meteorologe und Geophysiker, saß vor seinem Computer und warf einen ungläubigen Blick auf die Bildschirmdaten. Die Landkarte auf dem Monitor zeigte die Südküste Floridas bis hinunter zu den Antillen. Grellgelbe Isobaren – Linien, die Flächen gleichen Luftdrucks miteinander verbinden – unterteilten das Gebiet in verschiedene Bereiche, doch irgendetwas stimmte nicht. Der Luftdruck in Höhe von Puerto Rico war innerhalb der letzten drei Stunden über 30 Hektopascal gefallen, die Windgeschwindigkeit lag bei 57 Knoten, und die Luftströmung eines 250 Kilometer entfernten subtropischen Hochdruckgebiets speiste über das Meer unaufhörlich das entstandene Tief. »Wir erhalten auch von der kanadischen Nordküste sonderbare Werte«, erklärte Changs Kollege Schneider, der das Papier aus dem Wäschekorb einer oberflächlichen Prüfung unterzogen hatte. »Dort treibt ein Ausläufer des Islandtiefs auf die Hudsonbay zu. Das ist für diese Jahreszeit ziemlich außergewöhnlich.«

»Was ist in diesem Frühjahr überhaupt noch so, wie es sein soll?«, knurrte Chang. »Da unten braut sich etwas zusammen. Wir müssen eine Sturmwarnung herausgeben. Es sieht gar nicht gut aus.«

»Ein Hurrikan?«

»Ich fürchte, ja. Eines gewaltigen Ausmaßes und einen ganzen Monat zu früh. Er ist vor Barbados entstanden. Nach meinen Berechnungen treibt er mit rasender Geschwindigkeit auf die Südküste Floridas zu. Ich habe den Kurs mittlerweile dreimal überprüft. Florida und die Bahamas, sofern sich die Parameter nicht ändern.«

»Und genau da haben wir wieder das Problem«, erwiderte Schneider. »Vor einem Jahr lagen wir bei achtzig Prozent unserer Vorhersagen richtig. Wenn wir in diesem Jahr fifty-fifty schaffen, dann können wir noch von Glück reden. Das sind keine Vorhersagen mehr, das ist reinste Wahrsagerei.«

Chang drückte auf die Eingabetaste seines Keyboards. Zahlenreihen liefen über den Bildschirm. »Vielleicht sind unsere Rastergrößen nicht mehr zeitgemäß. Das Jahr fängt jedenfalls gut an. Ein Hurrikan, mitten im Frühjahr. Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Er zoomte auf der Landkarte in das Gebiet, in dem sich der Sturm zusammenbraute. Ein Raster von schwarzen Vierecken lag darüber. Jedes Quadrat war mit einer Kombination aus Buchstaben und Zahlen beschriftet. Die Sturmfront überdeckte bereits mehr als zwei Drittel der Fläche. »Schauen wir mal, was da draußen vorgeht«, murmelte Chang. »Weißt du, was wir im Planquadrat DSQ 327 haben?«

Schneider durchsuchte die nicht enden wollende Liste. Schließlich legte er die Aufzeichnungen auf das Schreibpult. »Das ist eine Boje draußen im Golf. Sie arbeitet mit Funk.«

»Ich hole mir mal die Daten rein«, sagte Chang und klickte auf den Link, der sich hinter den Buchstaben im Viereck versteckte. »Windgeschwindigkeit bei 61 Knoten aus Süd-Südwest, 890 Hektopascal, Temperatur 21,3 Grad Celsius und knapp 82 Prozent Luftfeuchtigkeit.«

Schneider warf einen Blick auf den Monitor und verglich die Daten mit denen der Prognose. »Das ist plausibel.«

Chang klickte auf das daneben liegende Quadrat. Weitere Daten wurden übermittelt – sie waren nahezu identisch mit den Werten von DSQ 327. Chang prüfte weitere Raster. Hinter jeder Einteilung steckte eine Wetterstation, die ihre festgestellten Daten online übermittelte: eine Boje, Satellitenwerte, Messungen eines Wetterballons mit Sonde oder einer einfachen Wetterstation in irgendeinem Garten eines Grundstücks oder eines öffentlichen Gebäudes. Dazu kamen noch einige tausend herkömmliche Wetterstationen, wo ein ehrenamtlicher Mitarbeiter, meist Rentner, viermal täglich die Werte ablas und sie dann per Telefon oder Fax durchgab. Mitarbeiter des Instituts übertrugen diese Werte unverzüglich in den Zentralrechner, damit sich ein schlüssiges Bild ergab und eine Prognose errechnet werden konnte. Als Chang den Link auf der DSQ 334 aktivierte, stutzte er. Windgeschwindigkeit bei 72 Knoten aus westlicher Richtung, Luftdruck bei 1020, 13,8 Grad und eine Regenwahrscheinlichkeit von 72 Prozent. Das Ergebnis wich drastisch von der Norm ab.

»Was ist da bei 334?«, fragte Chang und zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm. Das Quadrat lag über der Region von West Palm Beach.

Schneider wühlte in den Papieren. »Ich hab’s«. sagte er. »Es ist ein Funksignal, kommt online rein und geht direkt auf den Rechner.«

»Da stimmt doch was nicht«, entgegnete Chang. »Eine solche Abweichung auf knapp fünf Quadratkilometern liegt zu weit außerhalb des Varianzbereiches.«

Schneider griff zum Telefonhörer. »Ich werde ein Wartungsteam runterschicken. Die sollen sich dort mal umsehen und die Sensoren überprüfen.«

»Ach, und wenn du gerade dabei bist, ruf in Key West an, die sollen eine Ballonsonde aufsteigen lassen! Ich brauche Werte aus den oberen Schichten.«

Noch bevor Schneider zum Telefonhörer gegriffen hatte, wurde lautstark die Tür aufgestoßen. Vargas stürzte in den Raum, das Gesicht rot vor Anstrengung. »Wir haben was Großes auf dem Schirm!«, rief er atemlos. »Was wirklich Gigantisches. Dreihundert Kilometer unterhalb der Baja. Es kommt rasch näher.«

Chang schaltete auf eine Übersichtskarte und zoomte auf die Westküste des Kontinents.

»Verdammt!«, zischte er. Ein Wolkenwirbel mit einer Ausdehnung von fast dreihundert Kilometern lag knapp einhundert Kilometer vor der Baja California. Das Satellitenbild wurde alle zehn Sekunden aktualisiert. Zweifellos trieb der Wolkenwirbel auf das Festland zu.

»Verflucht, ein weiterer gigantischer Wirbelsturm!«, sagte Schneider mit großen Augen.

»Gebt sofort eine Warnung heraus!«, ordnete Chang an. Für die Schifffahrt im Pazifik südlich der Baja und für die gesamte Südwestküste. Am besten bis hinauf nach Los Angeles. Wenn uns das hier trifft, dann gnade uns Gott. Habt ihr ein Verlaufsschema berechnet?«

»Wir haben den Wirbel vor fünfzig Minuten vor der Küste Mexikos geortet, da war er noch ein kleines Wolkenknäuel, nicht mehr als ein dichtes Wolkenband. Die Rotationsgeschwindigkeit liegt weit über 250 Kilometer. In vierzig Stunden ist er da, wenn er nicht die Richtung wechselt.«

»Wahrscheinlichkeit?«, fragte Schneider.

Vargas atmete tief ein. »Nördliche Richtung, wir haben dort draußen eine Tiefdruckrinne, die bis San Francisco hinauf reicht.«

»Teufel, das wird verdammt eng.«

Wayne Chang fasste sich an den Kopf. »Der reinste Albtraum … dabei hat die Saison der Stürme noch gar nicht begonnen. Ich denke, die Jungs in Miami sollten sich das mal genauer anschauen. Irgendetwas stimmt dort nicht.«

Die dritte Ebene

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