Читать книгу Die dritte Ebene - Ulrich Hefner - Страница 9
Oktober 2003 Socorro County, New Mexico
ОглавлениеDie Frau hetzte durch den beginnenden Morgen, ihre Füße waren von blutigen Schrammen übersät, und Schweißtropfen rannen ihr über die Stirn. Ihr Brustkorb hob und senkte sich im rasenden Takt der Angst und der Erschöpfung. Ihre Lunge schmerzte, und Tränen liefen ihr über die alabasterfarbenen Wangen. Alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.
Sie war auf der Flucht und wusste weder aus noch ein. Nur mit einem Nachthemd und einem Morgenmantel bekleidet, ohne Schuhe und Strümpfe hastete sie durch das Wäldchen. Mit jedem Schritt entfernte sie sich weiter von dem Ort des Grauens. Die Kälte des Oktobertags spürte sie nicht, sie hatte nur ein Ziel: Entkommen!
Bestimmt waren die Kerle in den schwarzen Anzügen längst hinter ihr her. Sie wusste, dass in der Nähe eine Straße durch das sandige Tal führen musste, nur wo genau sie verlief, das wusste sie nicht. Sosehr sie sich auch zu konzentrieren versuchte, immer wieder wurden ihre Gedanken durch grellfarbene Explosionen in ihrem Kopf durchbrochen. Vielleicht wäre es das Beste, sich einfach auf den Boden zu legen und auf den Tod zu warten. Den Tod, der einer Erlösung für sie gleichkommen würde. Doch sie lehnte sich mit aller Macht gegen die innere Müdigkeit auf. Sie musste es einfach schaffen, nur so würde die Welt von den Grausamkeiten erfahren, die man ihr angetan hatte.
Sie verharrte eine Weile und schaute hinunter ins Tal. Insgeheim hoffte sie, dass ein Scheinwerferlicht den wabernden Nebel durchdringen und ihr den weiteren Weg weisen würde. Doch sie hoffte vergebens. Allein die Nebelschwaden zogen an ihr vorüber, und durch den jungen Tag hallte das Gezwitscher der Vögel, das bald durch ein anderes Geräusch überlagert wurde – ein bedrohliches Brummen, das unaufhaltsam näher kam.
Eine Woge des Schmerzes überflutete ihren Kopf. Sie presste die Hände gegen die Schläfen. Der Schmerz verzog sich so plötzlich, wie er gekommen war. Sie tastete über ihre kurz geschorenen Haare. Tränen liefen ihr über die Lippen. Sie hätte am liebsten geschrien, aber der Laut blieb ihr im Hals stecken. Wallende Locken hatten ihr bis über die Schultern gereicht, und sie war immer stolz auf ihre Haarpracht gewesen, doch nun waren nicht viel mehr als einen Zentimeter lange Stoppeln übrig geblieben. Lange Haare seien unpraktisch, hatten die Männer gesagt, bevor sie ihr die Locken kurzerhand abgeschnitten hatten. Seither hatte sie keinen Blick mehr in einen Spiegel geworfen.
Das Brummen entfernte sich, nahm eine andere Richtung. Sie atmete auf. Dann hetzte sie den Abhang hinunter, rannte über sandigen Boden, bevor sie erneut in ein Wäldchen eintauchte und eins mit den dichten Nebelschwaden wurde.